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Dienstag, 1. Februar 2011

Essay: SETI - die Suche nach außerirdischen Intelligenzen

www.edge.org

"Dass Physiker von Biologie keine Ahnung haben, hat mich schon immer wütend gemacht" (unbekannte Biologin)


Wenn man sich für „ernsthafte“ spekulative Ideen interessiert, oder, wenn man über Dinge diskutieren möchte, die wahrscheinlich wahr sind, die sich aber (noch) nicht beweisen lassen, dann ist heute als Quelle der Inspiration das Internet die erste Wahl (vorausgesetzt, man findet die entsprechenden Seiten). Zwar gilt die Wissenschaft prinzipiell als „frei“ und für jede vernünftige Idee offen, das bedeutet aber noch lange nicht, daß in deren Reihen das „Undenkbare“ auch immer offen diskutiert werden kann. Um aber auch unkonventionellen Ideen, soweit sie nicht völlig absurd sind, eine ernsthafte Plattform zu geben, wurde 1997 von James Lee Byars (1932-1997) und John Brockman die Plattform „Edge“ gegründet.  Zu ihrer Tradition gehört es, jedes Jahr ausgewählten und mehr oder weniger bekannten Wissenschaftlern, Künstlern und anderen Intellektuellen eine Frage vorzulegen, die „Edge“-Frage, mit der Bitte, darüber (und unentgeldlich)  einen kurzen Beitrag zu verfassen. Und viele der angesprochenen Personen tun das auch, was zu hoch interessanten Einsichten weitab des Mainstreams der Meinungen führen kann, wie ein Blick auf die Webseite der Edge Foundation zeigt. Eine typische Edge-Frage ist z.B. die Frage des Jahres 2008:

„Wenn Denken Ihre Meinung verändert, dann ist das Philosophie. Wenn Gott Ihre Meinung verändert, dann ist das Glaube. Wenn Fakten Ihre Meinung verändern, dann ist das Wissenschaft. Zu welchem Thema haben Sie Ihre Meinung geändert und warum?“

Diese Frage kann man, wenn man möchte, mit der Edge-Frage des Jahres 2006 verbinden, die da lautet:

„Aus der Wissenschaftsgeschichte gehen immer wieder große Entdeckungen hervor, die zu ihrer Zeit als gesellschaftlich, moralisch oder emotional gefährlich galten, allen voran die von Kopernikus und Darwin ausgelöste Revolutionen. Was ist Ihre gefährlichste Idee? Oder: Welche (nicht unbedingt originelle) Idee halten Sie für gefährlich, nicht weil sie falsch, sondern weil sie wahr sein könnte?“

Was haben diese Fragen mit diesem Essay zu tun? Die Frage, die sich auf die banale Form „Sind wir allein im All“ bringen läßt, ist durchaus eine der gefährlichen Fragen, zumindest, wenn ihre Beantwortung auf „ja“ hinauslaufen sollte. Dabei sind mit „wir“ lebende Wesen gemeint, die in der Lage sind, sich selbst bewußt zu werden, Societäten zu bilden, die eine auf Wissenschaft beruhende technologische Entwicklung einschlagen und auf diese Weise in der Lage sind, sich im Universum überhaupt bemerkbar zu machen (die Menschheit ist gerade dabei, dafür die Grundlagen zu schaffen. Ob es ihr gelingen wird, ist auf Grund der vielfältigen Probleme, die noch auf sie warten, alles andere als sicher).

Die empirischen Grundlagen zur Beantwortung der Frage, ob es außer auf der Erde außerirdisches Leben im Allgemeinen und „außerirdische Intelligenzen“ im Besonderen, z.B. in unserer Milchstraße, gibt, sind streckenweise sehr dünn. Andererseits klärt sich immer mehr der Nebel um die Fragen, wie Leben im Detail funktioniert, wie es eventuell auf der Erde entstanden sein könnte und nach welchen Prinzipien es sich über Jahrmillionen hinweg entwickelt hat. Kurz gesagt, ganz wesentliche Erkenntnisse zu dem hier diskutierten Thema kommen von den Biologen, noch genauer gesagt, von den Evolutionsbiologen. Eine ihrer wichtigsten und für die meisten Menschen verstörende Erkenntnis ist die, daß es in der biologischen Evolution nirgendwo ein Ziel gibt.  Zu jedem Zeitpunkt wird das große Spiel des Lebens neu ausgewürfelt und jede Art muß sich neu bewähren um weiter zu existieren oder unterzugehen. Der Mensch als „Krone der Schöpfung“ ist nichts weiter als ein Zufallsprodukt einer Entwicklung, die, nur rückwärts betrachtet, als folgerichtig erscheinen mag. Er repräsentiert nur eine der vielen Millionen Entwicklungslinien, die es auf ihrem Weg durch die Zeit bis „heute“ geschafft habe, wie das Tagpfauenauge, der Haussperling, die Mohnblume, das Pantoffeltierchen, der Mammutbaum oder die Oryx-Antilope. Sie alle waren gleich erfolgreich im Kampf ums Dasein. Ansonsten gäbe es sie nicht. Ob sie auch in der Zukunft weiterhin erfolgreich bleiben und damit überleben werden, dafür gibt es keine Garantien. 

Die Entstehung von Leben ist selbstverständlich eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung „intelligenten“ Lebens (in dem hier diskutierten Sinn heißt das, “mindestens so intelligent wie wir“. Auch Kolkraben und Bonobos sind auf ihre Weise intelligent). Aber „intelligentes“ Leben entwickelt sich nach allem, was die Wissenschaft bis heute zusammengetragen hat, keinesfalls zwangsläufig. Auf der Erde hat es ca. 4 Milliarden Jahre gedauert, in der außer den Hominiden nicht eine Gattung von Lebewesen auch nur in die Nähe einer kulturellen, geschweige denn technologischen Entwicklung gekommen ist. Und auch der Mensch wäre beinahe vor 70000 bis 80000 Jahre von der Bildfläche verschwunden, wie man anhand eines sogenannten „genetischen Flaschenhalses“ beweisen kann. Ursache dafür war wahrscheinlich der Ausbruch eines Supervulkans (Toba auf Sumatra), dessen klimatische Auswirkungen die damalige Population des Homo sapiens auf gerade einmal einige Tausend Individuen hat schrumpfen lassen (siehe z.B. S.H. Ambrose, 1998). Andererseits weiß natürlich niemand genau, ab welcher Organisationsstufe und unter welchen Selektionsbedingungen sich Bewußtsein (als eine Voraussetzung für so etwas wie Kultur) überhaupt entwickelt, da man in dieser Beziehung natürlich nur den singulären Fall des irdischen Lebens als Beispiel hat. Aus dem Prinzip der synthetischen Evolutionstheorie (siehe z.B. E.Mayr, 2001) läßt sich jedenfalls kein „Endziel“ (z.B. in Form von selbstbewußten, denkenden Wesen, welcher Art auch immer) ableiten. Und noch etwas sollte zum denken geben, der Zeitfaktor. Auch hier drängt sich am Beispiel der Entwicklung des irdischen Lebens die Vermutung auf, daß allein schon die Entstehung mehrzelligen Lebens vielleicht gar nicht so selbstverständlich ist. Von dem Zeitpunkt an, als die chemische Evolution begann (d.h. vor 4.1 bis 3.8 Ga), bis zum Auftauchen der ersten Metazoa im Neoproterozoikum (d.h. vor 600 Millionen Jahren) vergingen über 3 Milliarden Jahre, während die Entwicklung zum Menschen dann nur noch 600 Millionen Jahre benötigte… Aber auch diese Entwicklung ist, im nach hinein betrachtet, alles andere als vorgegeben. Oder wie es Stephen Jay Gould (1941-2002) einmal ausgedrückt hat, wenn im Kambrium Pikaea (die älteste bekannte Urform der Schädellosen (Cephalochordata), aus dem sich alle Tiere mit Innenskelett (Wirbeltiere) entwickelt haben) ausgestorben wäre, gäbe es heute weder Hering noch Mensch. Denn nach diesem Zeitpunkt (542-488 Ma) entstanden so gut wie keine neuen Tierstämme mehr (die taxonomische Einheit „Stamm“ repräsentiert jeweils einen grundlegenden Bauplan von Lebewesen). Die Entwicklung des Lebens wäre ganz anders verlaufen, und heute würden vielleicht Tiere mit Außenskelett die komplexesten Lebewesen auf der Erde darstellen. Sie wären sicherlich in der Lage gewesen „Staaten“ zu bilden (wie z.B. die Ameisen und Termiten), aber ob sie mit dem Handicap eines starren Außenskeletts auch eine technologische Entwicklung eingeschlagen hätten, bleibt der Phantasie von Science Fiction –Autoren überlassen. Und noch eine Frage soll im Rückblick erlaubt sein. Was wäre, wenn vor 65 Millionen Jahren die Dinosaurier nicht durch einen Meteoriteneinschlag umgekommen wären? Hätten dann die Säugetiere auch ca. einige Millionen Jahre später eine enorme Radiation durchmachen können, aus der schließlich der Mensch hervorgegangen ist? Gäbe es ansonsten vielleicht heute anstelle von uns „intelligente“ Dinosaurier (oder ihrer Nachfahren) auf der Erde?

Solche „was wäre, wenn …“ –Fragen sind durchaus legitim, da sie – wenn ansonsten belastbare statistische Daten fehlen – ein Gefühl für Wahrscheinlichkeiten vermitteln, in diesem Fall für die Wahrscheinlichkeit, daß irgendwann in einem Evolutionsbaum intelligente Wesen, die eine kulturelle-technologische Entwicklung einschlagen und interstellarer Kommunikation fähig sind, auftreten. Und diese Wahrscheinlichkeit ist wiederum eine wichtige Größe in einer Formel, die nach dem Radioastronomen Frank Drake benannt ist und zur Abschätzung der Zahl von Zivilisationen in unserem Milchstraßensystem dient.  Es handelt sich dabei um den Faktor fi in der Drake-Formel


Die Bedeutung dieser Gleichung ist schnell erklärt. Ausgangspunkt ist eine riesige Zahl R*, die Anzahl aller Sterne in unserem Milchstraßensystem (zwischen 200 und 400 Milliarden). Das Ergebnis ist die Zahl N, die Anzahl derjenigen Sterne, die einen Planeten mit einer entwickelten (d.h. kommunikationsfähigen) Zivilisation beherbergen. In unserer Milchstraße ist diese Zahl auf jeden Fall >= 1. Jeder weitere Faktor in dieser Gleichung bestimmt eine Wahrscheinlichkeit (in Form eines prozentualen Anteils) für eine bestimmte Voraussetzung, daß eine derartige Zivilisation entstehen und heute (im Sinne der Erreichbarkeit mit Funksignalen) existieren kann:



Der mathematischen Einfachheit dieser 1960 zum ersten Mal aufgestellten Formel steht eine bemerkenswerte Unkenntnis der meisten Zahlenwerte im Produkt der rechten Seite entgegen.  Verschiedene Autoren haben deshalb im Laufe der Zeit mehr oder weniger plausible Abschätzungen der einzelnen Multiplikatoren vorgenommen mit der Tendenz, daß sich das Ergebnis, die Zahl N, seit 1960 rapide verkleinert hat. Das hat mehrere Gründe. Während der Zeit, als Frank Drake diese Formel zum ersten Mal an die Wandtafel des Seminarraums des Green-Bank-Observatoriums schrieb (damals lag N noch in der Größenordnung von einer Million), hat sich die astronomische und biologische Forschung um ein Vielfaches weiter entwickelt. Die Entdeckung von Planeten um Sterne gehört mittlerweile zum Tagesgeschäft und mit der Astrobiologie hat sich ein multidisziplinäres Fachgebiet entwickelt, welches die Bedingungen für die Entstehung und für die Existenz von Leben im Detail erforscht - Forschungsergebnisse also, die direkt in eine Abschätzung der Drake-Zahlen  fp, ne und fl  eingehen. Und allein die „astronomischen“ Ergebnisse sind bereits ernüchternd. Das betrifft z.B. die Revision der Größe habitabler Zonen für hochentwickeltes Leben um geeignete Sterne (die sich durch eine  Langzeitstabilität bezüglich ihrer Leuchtkraft auszeichnen müssen), die drastisch verkleinert werden mußten. Auch sind nicht alle Zonen einer Galaxie für die Entstehung von Leben gleich günstig, was zum Begriff der „galaktischen habitablen Zone“ geführt hat. Das reduziert schon einmal die Anzahl der Sterne, auf deren Planeten sich Leben über mehrere Milliarden Jahre ungestört entwickeln kann.

Die Drake-Zahlen aber, für deren Bewertung eigentlich die Biologen zuständig sind (also fl und fi), werden von Astronomen und Physikern meist maßlos überschätzt, d.h. viel zu optimistisch bewertet. Das betrifft auch die Zahl L, über die sich selbst mit den Erfahrungen über die irdischen Hochkulturen eigentlich nichts Genaues aussagen läßt, außer, daß ihr Wert wahrscheinlich  200 Jahre übersteigt – aber um wieviel, ist völlig unsicher. Denn eins ist klar, technische Zivilisationen können auf viele Weise scheitern, ob aus Überbevölkerung (Ressourcenmangel), Klimawandel, Selbstauslöschung oder durch kosmische Katastrophen - L  kann durchaus kleiner sein, als man gemeinhin anzunehmen pflegt (einige Tausend bis zehntausend Jahre). Selbst fc muß nicht unbedingt bei 1 liegen, wenn man bedenkt, wie viele Hochkulturen auf der Erde in den letzten 6000 Jahren von sich aus den Weg zu Wissenschaft und Technik gefunden haben…


Aus der Sicht von renommierten Evolutionsbiologen ist die Zahl fi in Vergleich zu fl sehr, wenn nicht sogar außergewöhnlich klein. Mikrobielles Leben ist wahrscheinlich sogar recht häufig im Kosmos, so daß durchaus eine nicht zu vernachlässigbare Wahrscheinlichkeit dafür besteht, auch anderswo im Sonnensystem (Mars, Jupitermond Europa) derartige Lebewesen oder Spuren davon zu finden. Die Wahrscheinlichkeit aber, daß sich daraus komplexes Leben entwickelt, ist schon geringer (eine Milliarde Jahre lang gab es auf der Erde nur Prokaryonten – und sie beherrschen nach Individuenzahl und von ihrer Biomasse her noch heute und wie schon immer die Erde). Und schließlich, daß ein Lebewesen wie der Mensch mit dem Potential einer technologischen Entwicklung entsteht, stellt dann quasi den Gipfel des Unwahrscheinlichen dar. Diese Erkenntnis läßt die Zahl N soweit schrumpfen, daß es nicht undenkbar ist, daß die Erde der einzige Planet in unserer Galaxis ist, der gegenwärtig eine technische Zivilisation beherbergt. Ausgesprochene Pessimisten meinen sogar, daß diese Aussage für das gesamte sichtbare Weltall zutrifft – und genau das ist eine der „gefährlichen Ideen“, die im Rahmen der Edge-Frage mehrfach geäußert wurde, da sie implizit eine Neubewertung der Stellung der Menschheit im Kosmos herausfordert. „Und selbst wenn irgendwo in dem unendlichen Universum etwas geschehen sollte, das mit dem Ursprung der menschlichen Intelligenz verglichen werden könnte, muß man die Chance, daß wir in Austausch treten könnten, als nicht vorhanden einstufen. Ja, unter allen praktischen Gesichtspunkten ist der Mensch allein im Universum.“ – schreibt der Altmeister aller Evolutionsbiologen Ernst Walter Mayr (1904-2005) in seinem Buch „Was ist Evolution“ (2001). Ob er recht hat, werden wir wahrscheinlich niemals erfahren, es sei denn, ein altes Projekt – SETI – führt doch noch zum Erfolg. Daß zumindest eine Anzahl Politiker nicht mehr daran glaubt, zeigt, daß es heute ernsthaft nur noch privatfinanziert und koordiniert durch die Universität Berkeley neben anderen Forschungsaufgaben durchgeführt wird. Im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts war es einmal ein Forschungsprogramm, dem ganze Radioobservatorien einen Großteil ihrer Beobachtungszeit widmete. Zu nennen ist hier z.B. das BigEar-Projekt (benannt nach dem „Großen Hörer“ aus Lyman Frank Baums (1856-1919) „The Wonderful Wizard of Oz“) der Ohio State University oder die frühen Pionierleistungen von Frank Drake am Green Bank Observatorium, die von großem Optimismus geprägt waren. Seitdem haben sich die Beobachtungsmöglichkeiten natürlich rapide verbessert. Insbesondere das gleichzeitige Messen in vielen Hundert Einzelkanälen liefert Datenmengen, die unter vernünftigen finanziellen und technischen Bedingungen nicht mehr zu beherrschen sind. Aber durch das Internet und dem dadurch möglich gewordenen Projekt „SETI@home“ konnte die Rechenleistung von einigen Millionenen Homecomputern gebündelt werden, um die weltweit durch Radioteleskope bei ihrem gewöhnlichen Beobachtungsbetrieb angefallenen Daten in Bezug auf Absonderlichkeiten durchzuforsten. Zwar hat es immer noch kein neues „Wow!“-Signal gegeben. Aber die Suche geht weiter. Wenn die Chancen nach Meinung des Autors diese Essays auf ein positives Ergebnis im Sinne von SETI auch sehr gering sind, fallen vielleicht andere aufregende Ergebnisse an, die den Aufwand lohnen. Und vielleicht gibt es doch Aliens in unserer stellaren Nachbarschaft. Wer weiß? Man darf sich doch auch einmal irren dürfen...



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