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Sonntag, 25. September 2011

Planet Mars (11) - Oberfläche - Grabenbrüche - Valles Marineris II

Juventae Chasma
Canyonartige Einbruch- oder Erosionsstrukturen, die von drei Seiten durch Wände begrenzt werden und einen Ausfluß be­sitzen, bezeichnet man in der Geologie als box canyons. Solch eine Struktur mit einer Längenausdehnung von ~270 km und einer Breite von ~185 km ist Juventae Chasma, die im Gegensatz zu den meisten anderen Chasmata des Valles Marineris-Systems mit ihrer Längsachse ungefähr nach Norden ausgerichtet ist. Dort geht sie in mehrere Flußtäler (Valleys) über, die ehemals das Gebiet entwässerten. Da der Ausflußkanal (Maja Vallis) ~4000 m höher liegt als der Grund des Canyons, muß er einmal einen sehr tiefen See beherbergt haben.


MOLA-Höhenkarte von Juventae Chasma. Die langgezogene Erhebung im mittleren linken Hauptteil des Chasmas ist die von Mars Expreß entdeckte Gips-Kieserit-Deposition. Quelle NASA, MOLA-Team

Juventae Chasma erreicht ihre größte Tiefe mit ~6500 m in ihrem südlichsten und breitesten Teil (gemessen bezüglich der um­gebenden Ebenen des Lunae Planum). Im südwestlichen Teil des Talkessels befinden sich mehrere Ablagerungen, die sich durch ihre hellere Färbung deutlich von ihrer Umgebung unterscheiden (light-toned layered deposits). Besonders markant ist eine lang­gezogene Erhebung aus hellem, geschichtetem Material, die eine Länge von ~30 km erreicht und sich 2500 m über den Grund erhebt. Sie wurde im Jahre 2004 mit der HRSC-Kamera (Mars Express) aufgenommen und auch spektroskopisch mit dem OMEGA-Instrument untersucht. Darüber hinaus kamen auch noch Untersuchungen mit THEMIS (Thermal Emission Imaging System, Mars Odyssey) hinzu, mit dem man thermische Para­meter des Untergrundes bestimmen kann (insbesondere die „Thermische Trägheit“, quasi eine Stoffeigenschaft der Untergrundgesteine, die sich aus Infrarotmessungen ableiten läßt). Dabei wurde festgestellt, daß die geschichteten Lagen offensichtlich aus Gips (CaS4•2H2O) bestehen, die auf einem Sockel aus Kieserit (Mg[S4]•H2O) abgelagert waren. Da Sulfate nach gängiger Lehrmeinung nur bei Verwitterungsvorgängen unter Mitwirkung von flüssigem Wasser (und bei Temperaturen <60°C) entstehen können, schien damit der Nachweis erbracht zu sein, daß es in diesem Canyon einmal Wasser in großer Menge gegeben haben muß. Die Gipsschichten stellen nach dieser Hypothese Evaporite dar, die nach der Verdunstung des Wassers übriggeblieben sind. 

Aber auch diese, auf dem ersten Blick einleuchtende Erklärung, kollidiert mit einigen morphologischen Eigenheiten dieser Formationen. Wenn es sich um limnische Ablagerungen handeln sollte (z.B. ähnlich der Irdischen aus dem Zeitalter des Perm), dann müssen sie in der Vergangenheit die gesamte Depression bis in eine Höhe der höchsten Ablagerungshorizonte ausgefüllt haben. Daraus läßt sich eine Menge an Sedimenten abschätzen, die bei rund 61000 km³ liegt, von denen der größte Teil im Laufe der Zeit irgendwie erosiv entfernt wurde (z.B. durch äolische Prozesse). Dieser große Wert (das Volumen von Juventae Chasma bis zum „Überlaufpunkt“ in das Maja Vallis beträgt ~69000 km³) ergibt sich daraus, daß die höchste Ablagerungsschicht bis ~250 m an den geodätisch bestimmten Überlaufpunkt heranreicht (Catling et.al. 2005).


Perspektive Darstellung der ca. 2500 m hohen Erhebung im Westteil von Juventae Chasma, dessen oberen, aufgeschlossenen Schichten aus hydratisierten Sulfaten bestehen. Quelle ESA

Weitere Argumente gegen eine Entstehung der Gipsformation in einem stehenden Gewässer, die hier nicht näher beleuchtet werden können, beruhen auf dem Nachweis leicht geneigter Schichten in den fraglichen Sedimenten sowie auf dem lokalen Vorkommen scheinbar ähnlicher Gesteinsformationen auf der Oberfläche der dem Chasma umgebenden Plateaus (mittlerweile sprechen einige Messungen mit dem THEMIS-Instruments (Mars Odyssey) aber eher dafür, daß es sich auch um Material anderer Zusammensetzung und Entstehung handeln könnte, RUFF et.al. 2001). Es steht deshalb die Frage im Raum, ob noch andere Entstehungsmechanismen als die Limnische für die Bildung sulfatreicher Formationen in Juventae Chasma und anderswo auf dem Mars in Frage kommen. 

Diskutiert wird z.B. die sogenannten „Trockenablagerung“ von Sulfaten, wie man sie auf der Erde von der Atacama-Wüste in Chile her kennt (Michalsky, Böhlke, Thiemens, 2004). Dabei erfolgt die eigentliche Sulfatbildung durch Reaktionen fester Partikel mit dem in der Luft vorhandenem Schwefeldioxid (welches hauptsächlich aus vulkanischen Exhalationen stammt) bzw. durch verschiedene photochemische Reaktionen, an denen dieses Molekül beteiligt ist. Die auf diese Weise entstandenen Reaktionsprodukte werden dann quasi „trocken“ auf der Pla­netenoberfläche abgelagert. Sollte dieser Mechanismus beim Mars eine größere Rolle gespielt haben, ist trotzdem noch zu klären, wie die beobachteten lokalen Sedimentationen entstehen konnten. Ein denkbarer Prozeß besteht in der Anreicherung der Sulfate durch Bindung an Eispartikel. Das führt vereinfacht zu folgendem Szenarium (Catling et. al., 2006): In der Zeit der Deposition erreichte die Neigung der Marsachse zur Bahnebene einen Wert von > 40° (gegenwärtig 25.2°, möglich sind sogar 80° (Laskar et.al., 2004)) was dazu führte, daß unter ent­sprechenden klimatischen Bedingungen das Polareis die heutigen äquatorialen Zonen erreichen konnte. Insbesondere ist es vorstellbar, daß unter den Bedingungen einer im Vergleich zur Gegenwart dichteren und wärmeren Atmosphäre auch auf dem Mars Niederschläge in Form von Schnee möglich waren, die sich in den Depressionen der Grabenbrüche, an den Westflanken der Riesenvulkane oder im Inneren von Impaktkratern akkumu­lierten. Aufgrund des starken Vulkanismus zu dieser Zeit war außerdem die Atmosphäre stark mit Schwefeldioxid angereichert und deshalb die Bildung von Sulfataerosolen sehr effektiv. Wasserdampf konnte deshalb größere Mengen dieser Sulfate aus der Atmosphäre auswaschen und lokal in Form von Schnee (und zwar dort, wo er sich bevorzugt ansammelt) konzentrieren. Als sich dann die Marsachse wieder aufrichtete (beim Mars fehlt bekanntlich die stabilisierende Wirkung eines großen Mondes auf die Achsenlage, wodurch die Achsenneigung ein hochgradig chaotischer Parameter ist), entstanden klimatische Bedingungen, unter denen Wassereis nicht mehr stabil ist und zu sublimieren beginnt. Auf diese Weise könnten im Laufe der Zeit (und zwar im Rhythmus der Änderung der Achsenneigung) schichtartige, sulfatreiche und mit vulkanischen Aschen versetzte Ablage­rungen entstehen, wie man sie nicht nur im Juventae Chasma beobachtet. 

Beide Theorien über die Entstehung der light-toned layered deposits haben ihr für und wider. Es scheint aber so, daß die Theorie der „trockenen“ Deposition im Zusammenspiel mit klimatischen und glazialen Effekten die morphologischen und chemischen Eigenschaften z.Z. am besten widerspiegeln kann. Durch die starke Erosion, die diese Schichten ausgesetzt sind, ist die Suche nach distinkten Unterscheidungsmerkmalen zwischen beiden Szenarien jedoch sehr schwierig, weshalb die Frage nach ihrer Entstehung weiterhin offen ist.


Helle geschichtete Ablagerungen im Bereich des Durchbruchs zwischen Coprates und Melas Chasma. Aufnahme mit der HiRISE-Kamera vom MRO. Quelle NASA, JPL

Coprates Chasma
Der über 1000 km lange östliche Teil (Hauptgraben) des Valles Marineris wird als Coprates Chasma bezeichnet. Morphologisch zeigt dieser Teil des Grabenbruchsystems große Ähnlichkeiten mit Ius Chasma, von dem es nur durch das breitere, nach Süden ausgebuchtete Melas Chasma getrennt ist. An seinem östlichen Ende öffnet es sich in die flacheren, aber breit ausladenden Capri und Eos Chasmata, die besonders in ihren nordöstlichen Teilen vielfältige fluvatile Geländestrukturen aufweisen, die zeigen, daß dort einst große Wassermassen in das Chryses-Becken abge­flossen sein müssen. Südlich vom Hauptgraben erstrecken sich parallel dazu weitere, unterschiedlich stark ausgeprägte Ketten (catena) aus einzelnen oder miteinander gekoppelten Einbruch­senken, die eine Tiefe von bis zu 3 km erreichen und unterschiedlich stark ausgeprägt sind.


Ausschnitt eines ca. 150 km breiten Teilabschnitts im östlichen Teil des Coprates Chasmas (Hauptgraben, rechts) und des Coprates Catena (schmalere Ketten von Einsturzstrukturen, links), aufgenommen von Mars Express. Quelle ESA, DLR, Neukum

Perspektivische Farbansicht von Coprates Chasma und der "Grabenkette" Coprates Catena im Ostabschnitt der Valles Marineris. Quelle ESA, DLR, Neukum

Sie bilden zusammen das System der Coprates Catena. Gedeutet wird es als das Resultat von Dehnungsrissen, die genauso wie die Hauptgräben auf horizontalen Streß zurückzuführen sind.

Der Boden des Haupttals liegt etwa 8 km unterhalb des Plateaus, in das es eingeschnitten ist und erscheint im Zentralbereich des Grabens stellenweise recht flach. Um so eindrucksvoller sind die steilen Begrenzungswände, von denen in der Vergangenheit an vielen Stellen mächtige Abbrüche in Form von Hangrutschungen abgegangen sind. Sie haben an ihrem Fuß oftmals große, manchmal zungenförmige Geröllhalden hinterlassen. An den Abbruchkanten selbst kann man auf den hochauflösenden Aufnahmen des Mars Reconnaissance Orbiters sehr genau die Schichtung der die Randbereiche der Tharsis-Aufwölbung auf­bauenden Gesteinsschichten studieren. Diese Schichtungen zeu­gen von einer geologisch sehr aktiven Frühgeschichte des Mars, wenn auch die wahre Natur ihrer Entstehung noch im Dunkeln liegt. Es ist möglich, daß es sich um Schichten vulkanischer Aschen oder Pyroklastika handelt. Es ist aber auch mög­lich, daß man es hier (ähnlich wie beim Grand Canyon auf der Erde) mit ehemals in Wasser abgelagerten Sedimenten zu tun hat.


10x12 km großes Gebiet innerhalb von Coprates Chasma, aufgenommen mit der hochauflösenden Kamera von MRO. Man erkennt deutlich die durch Hangrutschungen freigelegte schichtartige Struktur der Abbruch­kanten. Quelle NASA, MRO

Eos und Capri Chasma
Das zweigeteilte östliche Ende von Coprates Chasma geht in eine weit ausladende Depression über, die im nördlichen Teil Capri Chasma und in ihrem größeren südlichen Teil Eos Chasma genannt wird. Von Norden reicht noch ein Ausläufer von Ganges Chasma bis an Capri Chasma heran, ohne daß jedoch ein Durchbruch stattgefunden hat.


Übergang von Coprates Chasma (links) in das Capri Chasma (nördlicher Teil) und Eos Chasma (größere südliche Einbuchtung). Man beachte den Übergang des chaotischen Terrains von Eos Chasma in eine weitgehend glatte Struktur im Bereich des schmalen Durchbruchs in dessen (hier nicht abgebildeten) westlichen Teil. Die Farben kodieren die Höhe gemäß den MOLA-Messungen von MGS. Quelle NASA, JPL, MOLA

Ungefähr in der Mitte von Eos Chasma erkennt man eine enorme Talverengung, hinter der sich breite und flache Täler öffnen und die wiederum in Ausflußtäler (z.B. Simud Vallis) übergehen, die nach Norden umbiegend bis in das Chryses-Becken reichen. Der Untergrund dieser Täler besteht hauptsächlich aus sogenannten „chaotischen Terrain“ was bedeutet, daß der Talgrund von unregelmäßig geformten und zerschnittenen hügelartigen Struk­turen, die immerhin eine Höhe von bis zu 1000 m erreichen können, übersät ist. An manchen Stellen haben sich auch Teile des ehemaligen Plateaus erhalten oder sind als plattenförmige Tafelberge unterschiedlicher Größe stehen geblieben. An den Stellen, wo es wiederum Talverengungen gibt, geht dagegen das chaotische Terrain zurück und der Untergrund erscheint weit­gehend flach.


Diese mit der HRSC-Kamera von Mars Express aufgenommende Detail­aufnahme eines kleinen Ausschnitts des „Tales der Morgenröte“ zeigt neben „chaotischen Terrains“ im oberen Teil auch langgestreckte ebene Bereiche im Tal, wo einst Wassermassen abgeflossen. Außerdem ist auch ein Teil des sehr alten, ungefähr 5000 m höher liegenden Plateaus mit einer Vielzahl flußähnlicher Strukturen zu erkennen. Quelle ESA, Neukum

Der ganze Bereich dieses Canyons zeigt vielfältigste Erosions­spuren, die nicht immer leicht zu interpretieren sind, die aber auf eine komplexe geologische Geschichte hinweisen. Am augen­fälligsten ist dabei noch die Wirkung von flüssigem Wasser aus­zumachen, die sich besonders in den Übergängen zu den nördlichen Ausflußtälern in Form von typischen „Fließstrukturen“ (z.B. stromlinienförmige Ablagerungen um ältere Einschlagkrater) erhalten haben.


Perspektivische Ansicht des Randbereichs von Eos Chasma.© ESA, DLR, Neukum


Nächstes Mal: Entstehung des Valles Marineris

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