Seiten

Donnerstag, 17. November 2011

Essay: Kosmische Perspektiven



Am 16. Januar 2007 funkte die Sonde Cassini ein Bild des Saturns mit seinen Ringen zur Erde, von dem ein Ausschnitt hier abgebildet ist. Wenn man genau hinschaut, erkennt man am rechten Rand des zweiten, etwas diffusen Rings, einen kleinen Stern, der sich auf dem ersten Blick nicht von den anderen Sternen, die auch auf der Aufnahme zu sehen sind, unterscheidet. Einem normalen Betrachter würde er wahrscheinlich kaum auffallen, da das Bild von den grandiosen, im Gegenlicht der Sonne matt leuchtenden Ringen dominiert wird. Aber dieser Punkt ist durchaus etwas Besonderes, denn es ist der Ort im Universum, von dem im Jahre 1997 die Sonde Cassini auf ihren langen Weg zum Saturn gestartet ist, unsere Erde. Auf diesem kleinen Punkt hat in den letzten 4.5 Milliarden Jahren alles das stattgefunden, was unter Erdgeschichte, Geschichte der Menschheit oder als persönliche Geschichte eines jeden einzelnen Menschen subsumiert wird. Und es ist nicht völlig auszuschließen, daß dieser Punkt der einzige Planet in unserem Milchstraßensystem ist, wo es Lebewesen geschafft haben, in das kosmische Zeitalter einzutreten und ihren Heimatplaneten zu verlassen.

Dieser Blick zurück zur Erde, die den Menschen vergangener Jahrhunderte verwehrt geblieben ist, eröffnet eine neue Sicht auf uns und unsere Welt in Form einer Art von  „kosmischer Perspektive“, die auch in Verantwortung und in Handeln umgesetzt werden muß. Wenn die Erde im kosmischen Geschehen auch völlig bedeutungslos und nebensächlich erscheinen mag, so gibt es doch für uns nur diese eine Erde und wir müssen alles tun, um sie auch für die uns folgenden Generationen weiterhin lebenswert zu erhalten. 

Die „kosmische Perspektive“ ist erst einmal auch eine Perspektive in Bezug auf  Entfernungen, die weitab jeglicher menschlicher Erfahrungen und Vorstellungen liegen. Das betrifft sowohl zeitliche als auch räumliche Entfernungen. Jeder Mensch hat ungefähr ein Gefühl dafür, wie lang z.B. ein Kilometer oder eine Meile ist. Aber niemand kann sich „so richtig“ eine Entfernung von einem Lichtjahr oder einem Parsek vorstellen, obwohl sich diese Entfernungen natürlich sehr leicht in Kilometer oder Meilen angeben lassen. Und über das Weltall läßt sich höchstens sagen, daß es „unendlich“ groß ist, was immer das auch bedeuten mag. Um eine „Vorstellung“  zu bekommen, gibt es nur den Weg der Reduktion auf „Vorstellbares“. Als Kind hat z.B. dem Autor ein Vortrag in der Sternwarte seines Heimatortes von Martin Franze einen bleibenden Eindruck hinterlassen, in dem er die Größen der Planeten und die Entfernungen im Sonnensystem und zu den nächsten Sternen soweit reduzierte (die Erde als Erbse, der Jupiter als Apfel etc.), daß er ihre Bahnen auf einem Stadtplan und auf einer Wanderkarte der näheren Umgebung veranschaulichen konnte. Auf diese Weise bekam man zumindest ein Gefühl dafür, was kosmische Entfernungen eigentlich bedeuten. Noch eindrucksvoller in diesem Zusammenhang ist z.B. der „Planetenlehrpfad“ an der Ostseeküste bei Warnemünde, in Heidelberg (Sternwarte) oder, sehr empfehlenswert, in Sohland in der Oberlausitz, wo man die „Entfernungen“ im Sonnensystem quasi erwandern kann. Heute findet man derartige Planetenlehrpfade an vielen Orten in Deutschland, meist in einem Maßstab von 1 zu 1 Milliarden, so z.B. im Nördlinger Ries oder in München vom Innenhof des Deutschen Museums aus. 

1977 kam ein Kurzfilm von Charles Eames (1907-1978) und Ray Berenice Eames (1912-1988) heraus, der außergewöhnlich die Größen von Objekten in der Natur im wissenschaftlich zugänglichen Bereich zwischen den Quarks (10^-16)  Meter) und den entferntesten Quasaren (10^24 Meter) veranschaulichte –„Power of 10“.  Dieser kurze, knapp 9 Minuten lange  Film gilt noch heute als „culturally, historically, or aesthetically significant“, da er auf eindrucksvolle Weise die Entfernungen, die einen bei einer Reise in die Mikrowelt oder bei einer Reise an die Grenzen unseres erfahrbaren Kosmos begegnen, veranschaulicht. Es lohnt sich auf jeden Fall, ihn sich im Internet einmal anzuschauen (in diesem Zusammenhang sei noch auf das gleichnamige Buch von PHILIP MORRISON (1915-2005) hingewiesen, in dem die Aussagen des Films vertieft und noch detaillierter erläutert werden). Daß es nicht nur im Kosmos viel freien Platz gibt, sondern auch in der Mikrowelt, hat der bekannte Physiker und Nobelpreisträger RICHARD FEYNMAN (1918-1988) in einer berühmt gewordenen Rede vor der American Physical Society (29. Dezember 1959) mit dem Titel „Da unten ist jede Menge Platz“ dargelegt. Auch diese Rede lohnt es sich durchaus wieder einmal durchzulesen („There’s plenty of room at the bottom“, Engineering and Science 23 (1960), 22-36; und im Internet bei der Adresse

http://www.zyvex.com/nanotech/feynman.html

Die „kosmische Perspektive“ reduziert sich natürlich nicht nur auf die rein skalenmäßige Einordnung von Erde und Mensch, auch die zeitliche Dimension spielt selbstverständlich eine wichtige Rolle. Und zwar nicht nur in der Hinsicht, daß der Kosmos, wie wir ihn kennen, eine Geschichte mit einem zeitlichen „Anfang“ besitzt (der Urknall vor 13,7 Milliarden Jahren), sondern auch in der nicht immer bewußten Form, daß man aufgrund der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit nur Objekte „in der Vergangenheit“ und bis zu einer endlichen Entfernung (dem „Horizont“, welcher der Entfernung entspricht, die das Licht während des „Weltalters“ maximal zurückgelegt hat) beobachten kann. 

Ein Hauptmerkmal des Kosmos ist seine ausgesprochene Leere. Auch wenn die Objekte, die wir mit unseren Teleskopen sichtbar werden lassen, den Anschein erwecken, daß das Weltall voll von Sternen und aus Sternen bestehenden Galaxien ist, so stellen sie doch nur einzelne, einsame Leuchttürme in einem riesigen Meer der Leere dar. Und doch gibt es viel, ja wirklich viel mehr Sterne im Kosmos als Sandkörner an allen Stränden und allen Wüsten der Erde zusammengenommen. Allein in unserer Milchstraße gibt es (je nach Schätzungen) 200 bis 300 Milliarden Sterne, die sich grob gerechnet über ein Volumen (inklusive Halo) von ~20 Peta-Lichtjahre (Peta=10^15, 1 Lj~9.5 ∙10^15 m) verteilen. Das bedeutet, daß auf ein Volumen von 100x100x100 (Kubik) Lj im Mittel nur etwas 0.15 Sterne entfallen. Im Bereich der galaktischen Scheibe ist diese Zahl natürlich um rund 4 Größenordnungen größer, da sich dort und insbesondere im inneren „Bulge“, die Sterne besonders konzentrieren. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß die mittleren Abstände der Sterne in Relation gesetzt zu ihren Durchmessern unvorstellbar groß sind. Um den nächsten Nachbarn unserer Sonne, den Stern Proxima Centauri, zu erreichen, benötigt ein Lichtstrahl (Geschwindigkeit ~300000 km/s) 4.22 Jahre. Hätte man die Bahn der Sonde Voyager 1 so ausgelegt, daß sie diesen Stern erreichen soll, dann wäre sie im Vergleich dazu ~76000 Jahre unterwegs.  

Würde man die gesamte Materie des für uns sichtbaren Kosmos über dessen Volumen gleichmäßig verteilen, dann ergibt sich eine mittlere Materiedichte von 4.7∙10^-33 kg/m³, was weit unterhalb einer Konzentration von einem Wasserstoffatom pro Kubikmeter liegt. Betrachtet man dagegen nur die Materiedichte innerhalb einer Galaxie, dann kann man von einem Richtwert von ungefähr einem Wasserstoffatom pro Kubikmeter ausgehen. Unter allen praktischen Gesichtspunkten ist der kosmische Raum (selbst dort, wo „dichte“ Gas- und Staubwolken vorhanden sind) leer, ein Ultrahochvakuum der Güte, wie man es auf der Erde wird niemals herstellen können.

Die nächst größeren Struktureinheiten sind in der kosmischen Hierarchie nach den Sternen die Galaxien, die ja bekanntlich selbst aus Sternen sowie aus Gas und Staub bestehen. Man schätzt, daß die Gesamtzahl der Galaxien im überschaubaren Kosmos (der sogenannten „Hubble-Blase“) die Zahl von 100 Milliarden deutlich übersteigt. Die endliche Größe der „Hubble-Blase“ im Vergleich zum (wahrscheinlich) unendlich großen Universum ist dabei eine direkte Konsequenz des gleichfalls endlichen Weltalters (13.7 Milliarden Jahre), da sich Licht in einer endlichen Zeit auch nur eine endliche Strecke ausbreiten kann. Dabei kann diese Strecke durchaus größer sein, als sich rechnerisch aus Zeit x Lichtgeschwindigkeit ergibt, da man die Expansion des Raumes mit berücksichtigen muß. Der gegenwärtige Radius der Hubble-Blase beträgt deshalb etwa 45 Milliarden Lichtjahre und nicht nur 13.7 Milliarden Lichtjahre. Was „dahinter“ passiert, ist bis auf den Teil, der aufgrund der Expansion der Hubble-Blase im Laufe der Zeit in diese Blase gelangt, prinzipiell für uns nicht sichtbar. Man kann auch sagen, der „Partikelhorizont“ der Hubble-Blase schirmt uns vor der Unendlichkeit des Kosmos ab.

Das Universum ist nicht nur leer, sondern auch kalt. Das war nicht immer so. Vor 13.7 Milliarden Jahren, zum Zeitpunkt des „Urknalls“, waren die Temperaturen einmal unbeschreiblich hoch (~10^32 K in der sogenannten Planck-Ära). Durch die Expansion des Kosmos hat sie nach den Gesetzen der Thermodynamik stetig abgenommen und heute einen Wert von 2.7 K erreicht. Das ist die Strahlungstemperatur der Hintergrundstrahlung, die man, da sie im Kosmos omnipräsent ist, durchaus als „die“ Temperatur des kosmischen Raumes ansehen kann. Diese Temperatur wird in Zukunft weiter fallen, da der Kosmos näherungsweise adiabatisch expandiert. Es wird also noch kälter werden …

Die Materie im Weltall besteht aus den Elementen Wasserstoff (92.4%) und Helium (7.3%) sowie aus elektromagnetischer Strahlung. Alle anderen Stoffe sind mengenmäßig im Vergleich dazu nichts weiter als „Verunreinigungen“. Es besteht zwar die Tendenz, daß im Laufe der Zeit diese „Verunreinigungen“ zunehmen, aber die meisten Elemente werden wohl für immer und ewig in den Sternen, in denen sie durch Kernfusionsprozesse entstanden sind, eingeschlossen bleiben. Ein kleiner Teil wird jedoch, z.B. durch Sternwinde, beim Abstoßen von Sternhüllen sowie bei Nova- bzw. Supernovaexplosionen, in den kosmischen Materiekreislauf zurück gegeben. Und diesem Vorgang verdanken wir letztendlich unsere Existenz, denn wir bestehen hauptsächlich aus diesen „Verunreinigungen“ in Form von Kohlenstoff-, Sauerstoff-, Phosphor-, Stickstoff-, Schwefel- und Eisenatomen, die zusammen mit Wasserstoffatomen die chemischen Verbindungen aufbauen, aus denen unser Körper und die Körper aller anderen Lebewesen auf der Erde bestehen.  Um diese Elemente entstehen zu lassen, mußten erst einmal viele Sterngenerationen entstehen und wieder vergehen. Es ist also nicht nur allegorisch gemeint wenn man sagt, daß wir aus „Sternenstaub“ gemacht sind.

Im Kosmos findet Strukturbildung statt. Das ist dahingehend außergewöhnlich, da eine gleichmäßige, homogene Verteilung der Materie im Raum auf den ersten Blick logischer und einsichtiger erscheint. Aber wir wissen heute, daß sich die Keime für die großräumige Struktur des Universums mit seinen riesigen Voids und den miteinander verbundenen Super-Galaxienhaufen bereits in den Quantenfluktuationen des ganz frühen Kosmos finden.

Noch zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurde dem Kosmos, wohlbegründet mit den Gesetzen der Thermodynamik, ein „Wärmetod“ vorausgesagt, in dem alle strukturbildenden Prozesse in der Zukunft irgendwann einmal zum Erliegen kommen. Dieser „Wärmetod“ ist durchaus zwingend, wenn es zutreffen sollte, daß der Kosmos in thermodynamischer Hinsicht ein sogenanntes „abgeschlossenes System“ darstellt. Es scheint aber so, daß gerade diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, so daß uns ein „Wärmetod des Universums“ erspart bleibt …  Erst seit vergleichsweiser kurzer Zeit beginnt man zu verstehen, wie Strukturbildung im Kosmos unter dem universellen Einfluß der Gravitation funktioniert. Wie es dazu kommt, daß die Materie in Galaxien und Galaxienhaufen in großen Skalen und in Sternen und Planeten in mittleren Skalen organisiert ist und wie sich Milliarden von Einzelsternen zusammen mit Gas- und Staubwolken zu solch großartigen Gebilden wie den riesigen Spiralgalaxien formen. 

Erst seit wenigen Jahrzehnten verfügen die Astronomen die Technologien, um in unserer Milchstraße gezielt nach Sternen mit eigenen Planetensystemen Ausschau zu halten. Aus bescheidenen Anfängen hat sich mittlerweile ein Forschungsgebiet mit vielen und z.T. erstaunlichen und überraschenden neuen Erkenntnissen entwickelt, welches zeigt, daß planetare Objekte zu den gewöhnlichen Begleitern vieler Sterne gehören. Insbesondere hat ihre Formenvielfalt überrascht und Anlaß gegeben, völlig neue „Familien“ von (Exo-) Planeten zu definieren, für die es in unserem Sonnensystem keine Analoga gibt. Beispiele dafür sind die sogenannten hot jupiters und die super-earths. Als diese Zeilen geschrieben wurden (Sept. 2011) waren genau 687 Exoplaneten bekannt mit – was die Anzahl betrifft - stark steigender Tendenz. Diese Tendenz ist insbesondere speziellen „Entdeckungssatelliten“ wie z.B. Kepler zu verdanken, welche die Zahl von Exoplanetenkandidaten in kurzer Zeit haben in die Höhe schnellen lassen. Es wird sicherlich nicht mehr lange dauern, daß auch Exoplaneten von der Größe und Art der erdähnlichen Planeten unseres Sonnensystems in das Blickfeld der Astronomen geraten werden. Der Höhepunkt wäre wohl die Entdeckung einer zweiten Erde. Aber ob es und wenn ja, wann, dazu kommen wird, steht noch in den Sternen.

Eine besondere Beziehung verbindet uns jedoch mit unserer unmittelbaren kosmischen Umgebung, die wir schlicht als Sonnensystem bezeichnen. Während bereits der nächste Stern, Proxima Centauri, mit einer Entfernung von 4.2 Lichtjahren (43∙10^12 km), in vernünftigen Zeiträumen mit den heute verfügbaren Raumflugtechniken quasi unerreichbar ist, konnten mittlerweile alle Planeten unseres Sonnensystems, eine Großzahl ihrer Monde sowie eine repräsentative Auswahl von Planetoiden und Kometen von Raumsonden erforscht werden. Bald (2015) wird auch eine Sonde (New Horizons) den Kuiper-Gürtel erreichen und dann einen ersten Blick aus der Nähe auf den Zwergplaneten Pluto und seine vier Monde werfen können. Was für geheimnisvolle Landschaften werden uns dann wohl vor unseren Augen auftun? Was werden sie uns über den Ursprung unseres Sonnensystems erzählen und damit letztendlich über uns selbst? 

Wer sich einmal den riesigen Fortschritt, den die Erforschung unseres Sonnensystems allein im letzten halben Jahrhundert gemacht hat, vor Augen führen möchte, braucht eigentlich nur Planetenbücher von Anfang der 60-ziger Jahre mit modernen Sach- oder Lehrbüchern vergleichen. Aufnahmen der Oberfläche von Planeten und Monden gehören mittlerweile genauso zu den Hinguckern in allen möglichen Zeitungen und Zeitschriften wie die farbenprächtigen Aufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops. Selbst in der Werbung finden sie bereits vielfältige Verwendung. Denn ihrer seltsamen Ästhetik kann man sich kaum entziehen und bei manchen Menschen wecken sie den Wunsch, mehr darüber zu erfahren. Deshalb ist auch die Akzeptanz, „astronomische Summen“ an Geldmitteln für die Erforschung des Universums auszugeben, in den modernen Industriestaaten sehr groß. Astronomen liefern Bilder und Bilder schaffen nun mal Emotionen. Auf diese Weise kann man Menschen Wissenschaft nahe bringen, auch wenn sie sonst nichts damit am Hut haben. Man sollte deshalb den pädagogischen Wert der Astronomie als Wissenschaft nicht unterschätzen. So gesehen ist es schade, daß dieses Fach in der heutigen deutschen Schullandschaft nur ein Schattendasein führt oder, wie in der gymnasialen Stufe nur als Anhängsel des Physik-Unterrichts  angeboten wird. Dabei könnte doch gerade die Behandlung spannender astronomischer Fragen, vielleicht ergänzt mit einem Beobachtungsabend in einer der zahlreichen Volkssternwarten viel mehr junge Menschen zu einer beruflichen Karriere in einem technisch-naturwissenschaftlichen Fach animieren, als es bisher leider der Fall ist. 

Amateurastronomie 
Das Privileg, Astronom und an einem Forschungsinstitut oder einer Universität festangestellt zu sein und dafür auch noch recht gut bezahlt zu werden, haben nicht viele Menschen. Oftmals ist „Fachastronom“ nur ein Teil der Karriere eines Naturwissenschaftlers (meist Physikers), dem es später nicht schwerfällt, eine Stelle in der Industrie als z.B. Versuchsingenieur, IT-Spezialist oder als selbständiger Unternehmer zu finden. 

Im krassen Unterschied zu der kleinen Zahl professioneller Astronomen stehen die vielen Liebhaberastronomen, die sich mehr oder weniger ernsthaft mit dieser Wissenschaft beschäftigen ohne damit irgendwelche beruflichen Interessen zu verfolgen. Sie befriedigen damit ihre eigene Neugier auf naturwissenschaftlichem Gebiet, haben Freude daran, anderen Mitmenschen die Planeten und Sterne nahe zu bringen und einige von ihnen leisten in ihrer Freizeit sogar ernsthafte wissenschaftliche Arbeit, die schon immer von Fachastronomen gefördert und entsprechend anerkannt worden ist. Man kann sogar sagen, daß vielleicht neben einigen wenigen Teilgebieten der Biologie (Erforschung lokaler Faunen und Floren) die Astronomie eine der letzten Refugien ist, wo auch Laien (im positiven Sinne des Wortes) noch für die Wissenschaft wertvolle Beiträge zu liefern in der Lage sind. Man braucht um z.B. neue Planetoiden im Sonnensystem, neue veränderliche Sterne oder sogar Exoplaneten um fremde Sonnen zu entdecken zwar ein entsprechendes Equipment und eine gehörige Erfahrung und Wissen, aber sicherlich kein Riesenteleskop. Schon mit dem kleinsten Fernrohr lassen sich veränderliche Sterne in ihrem Lichtwechsel verfolgen und zur Beobachtung von Sternschnuppen benötigt man neben einem günstigen Beobachtungsplatz neben einer Uhr und einem Notizblock höchstens noch einen geeigneten Liegestuhl.   

Auch das Equipment ist heute kein Problem mehr. Während vor Jahrzehnten der Selbstbau von Fernrohren (insbesondere Spiegelteleskope) noch die Regel war, stehen heute dem ernsthaften Amateur eine Vielzahl von Fernrohren unterschiedlicher Größe und Ausstattung käuflich zur Auswahl – die astronomischen Zeitschriften sind voll davon. Moderne Aufnahmegeräte wie CCD-Kameras oder Digitale Spiegelreflexkameras in Verbindung mit einer großen Auswahl von Filtern und Computerprogrammen zur Bildverarbeitung erlauben sogar in relativ lichtverschmutzten Gegenden Himmelsaufnahmen mit Reichweiten und einem Detailreichtum, die früher, in der Ära der chemischen Fotografie, nur mit Teleskopen mit mehreren Metern Öffnung möglich waren. Amateure gelingen mittlerweile mit ihren Teleskopen und elektronischen Kameras Planetenaufnahmen, die qualitätsmäßig schon am Niveau von Aufnahmen mit dem Hubble-Teleskop kratzen. Und auch Riesenteleskope sind Dank des Internets für den Amateur nicht mehr unzugänglich. Im Prinzip erlaubt das Internet (wir kommen darauf noch zu sprechen) jedem Amateur die Teilhabe am astronomischen Wissen, das in vielerlei Archiven sowie in elektronischen Bibliotheken niedergelegt ist. Das E-Mail erlaubt sogar die Korrespondenz mit Fachwissenschaftlern, die gegenüber Amateurastronomen meist sehr aufgeschlossen sind (ein Astronom ist eigentlich nur ein Liebhaberastronom, der für seine Tätigkeit bezahlt wird, denn hier bildet Beruf und Berufung wahrlich eine Einheit).

Aber man muß nicht unbedingt ein Teleskop besitzen oder in der Nähe einer Volks-oder Schulsternwarte wohnen, um als Amateur „Fachastronomie“ betreiben zu können. Ein Computer mit dem Zugriff auf das weltweite Netz reicht aus. Der rasante Ausbau des Internets in Verbindung  mit ständig fallenden Preisen für Massenspeicher haben die Möglichkeiten einer international vernetzten Forschung wahrlich revolutioniert, in dem man, ohne seine Wohnung verlassen zu müssen, einen Zugriff auf Rohdaten (z.B. in Form von Himmelsdurchmusterungen, Katalogen, Ergebnissen numerischer Simulationsrechnungen etc.), auf Publikationen sowie andere Informationsquellen erhält. Während man mit E-Mail Nachrichten verschicken und empfangen kann, so kann man sich heute mit E-Science selbst an vielfältigen wissenschaftlichen Projekten beteiligen. Einige diesbezügliche Projekte werden im Folgenden noch näher vorgestellt.

Virtuelle Observatorien
Moderne Astronomie ist eine datenintensive Wissenschaft, vergleichbar vielleicht nur noch mit der Hochenergiephysik mit ihren riesigen Detektoren an großen Teilchenbeschleunigern. Informationen über das Weltall, wie sie Riesenteleskope oder Teleskope auf Satelliten tagtäglich liefern, werden schon lange nicht mehr auf Fotoplatten oder auf Papier gespeichert, sonder liegen in Bits und Bytes in elektronisch lesbarer Form vor. Führt man diese Informationen in riesigen, überall auf der Welt über das Internet zugänglichen Datenbanken zusammen, dann entsteht so etwas wie ein virtuelles Observatorium. 

Was sich auf dem ersten Blick so einfach anhört, ist in Wirklichkeit ein anspruchsvolles logistisches Problem. Eine Zusammenführung von Archiven verschiedenster Art macht nur Sinn, wenn es definierte Datenformate und Schnittstellen gibt: Objektbezeichnungen sind nicht vereinheitlicht. Für viele Einzelobjekte gibt es dutzende von Namen, die eine Identifizierung erschweren. Dazu kommt noch, daß Wissenschaftler unterschiedlicher Teildisziplinen verschiedene Einheiten bzw. Einheitensysteme verwenden (z.B. das erg im Gegensatz zum Joule bei der Energie; das Angström im Gegensatz zum nm, dem Frequenzäquivalent GHz oder dem Energieäquivalent eV bei spektroskopischen Aufgabenstellungen), was die Handhabung von Beobachtungen und Messungen zumindest erschwert. Eine Überwindung dieser Schwierigkeiten wäre eine echte Herausforderung, die sich – und das ist die gute Nachricht -  ab dem Jahr 2002 die International Virtual Observatory Alliance (IVAO, http://www.ivoa.net/) gestellt hat. Der deutsche Ableger davon nennt sich German Astrophysical Virtual Observatory (GAVO, http://www.g-vo.org/) und ist u.a. im Zentrum für Astronomie der Universität  Heidelberg beheimatet.

Mittlerweile sind bereits eine Vielzahl „Virtueller Observatorien“ im Netz. Ihre Zusammenschaltung in Form eines „Grids“ ist in Arbeit. Man muß dann als Nutzer nicht mehr wissen, wo, d.h. bei welchem Observatorium oder Institut, in welchem Archiv die benötigten Daten vorgehalten werden. Die Kunst besteht dann darin, nur noch die richtige Abfrage zu erstellen („Google für Sterne“ hat man das einmal spaßhaft genannt). 

Paralleles Rechnen
Ein anderer Aspekt virtueller Observatorien betrifft die Parallelisierung von Such- und Auswertealgorithmen, um riesige Datenströme (z.B. die Signale, die Radioteleskope permanent empfangen) nach bestimmten Gesichtspunkten zu analysieren. Das bekannteste (aber nicht einzige) Projekt dieser Art ist SETI@home (http://setiathome.berkeley.edu/). Die Idee, die dahinter steckt, ist für die Auswertung die ansonsten ungenutzte Rechenkapazität von Millionen von Arbeitsplatz- und Heimcomputern zu nutzen, in dem man ihnen über das Internet „Datenhäppchen“ zur Verfügung stellt, die dann ein spezieller Bildschirmschoner vordergründig nach sinnhaltigen Signalen (die vielleicht von fremden Zivilisationen stammen könnten – SETI – Search for Extraterrestrial Intelligence) durchforstet. Die Verbindung, daß mit diesem Projekt nach etwas gesucht wird, das jedem Menschen brennend interessiert („Sind wir allein im Weltall?“) mit der Möglichkeit, teure Superrechnerkapazität einzusparen und für erfolgsträchtigere Forschungen einzusetzen, hat zum großen Erfolg dieser Kampagne, die von der Universität Berkeley koordiniert wird, geführt. Wobei sich der Erfolg weniger darauf bezieht, daß man damit irgendwelche verdächtige Signale im Sinne des berühmten „wow“-Signals gefunden hätte (die „Außerirdischen“ schweigen noch), sondern eher in dem Sinn, daß man mit der Methodik des weltweit über das Internet vernetzten Rechnens Probleme angehen kann, für die ansonsten keine ausreichende (oder bezahlbare) Rechnerkapazität zur Verfügung stehen. Weitere Beispiele in diesem Zusammenhang sind:

EINSTEIN@home (http://einsteinathome.org/)

dient u.a. der Auswertung von Signalen der Gravitationswellendetektoren der LIGO Scientific Collaboration und besteht seit 2005. An diesem Projekt haben sich weltweit bis heute fast 530000 Freiwillige beteiligt. Dabei konnte zeitweise eine Rechenkapazität von mehr als 400 Teraflops/s erreicht werden.

MilkyWay@home (http://milkyway.cs.rpi.edu/milkyway/)

Dieses für jeden Stellardynamiker hochinteressante Projekt hat sich das Ziel gesteckt, ein 3D-Computermodell unserer Milchstraße in nie dagewesener Genauigkeit zu erstellen. Ausgangspunkt sind dabei die riesigen Datenmengen, die der Sloan Digital Sky Survey (SDSS) sowie diverse Astrometriesatelliten (z.B. Hipparcos) liefern. Um die riesigen Datenmengen zu bewältigen, werden u.a. spezielle genetische (evolutionäre) Algorithmen genutzt, die hier zum ersten Mal bei astronomischen Fragestellungen angewendet werden. 

Die Methodik des verteilten Rechnens über das Internet hat sich seit SETI@home als so erfolgreich erwiesen, daß auch andere Wissenschaftszweige die damit einhergehenden Möglichkeiten nutzen. So berechnet man mit Folding@home die räumliche Struktur komplizierter Proteine und auch in der Hochenergiephysik setzt man zunehmend auf dieses kostengünstige Verfahren. Und natürlich darf GIMPS (http://www.mersenne.org/) nicht vergessen werden, dessen Ziel es ist, immer größere Primzahlen zu finden. Für die Zahl 2^43112609-1  gab es z.B. ein Preisgeld von 100000$ - leicht verdientes Geld, wenn man nur warten muß, bis das im Hintergrund laufende Rechenprogramm anschlägt und sagt „das ist eine Primzahl“. Leider wartet man (wie auch bei SETI@home) mit fast absoluter Sicherheit vergeblich. Die genannte Mersenne-Primzahl hat übrigens 12987189 Stellen... 

Passiv Rechenzeit für etwas zur Verfügung zu stellen ist eine Sache. Befriedigender ist es, sich aktiv an der Auswertung von Beobachtungsdaten zu beteiligen. Auch dafür bietet das Internet vielfältige Möglichkeiten. So gibt es Amateure, die regelmäßig die Koronographenaufnahmen der Sonnensonde SOHO nach Kometen der Kreutz-Familie absuchen und damit zu erfolgreichen Kometenentdeckern geworden sind. Ein weiteres Projekt, welches viel Aufmerksamkeit hervorgerufen hat, ist das Projekt Galaxy Zoo (http://www.galaxyzoo.org/). Es dient der Klassifizierung von Millionen von Galaxien, welche im Rahmen des SDSS aufgenommen worden sind. Damit sollen wertvolle statistische Grundlagen für die Erforschung der großräumigen Struktur unserer Welt im Allgemeinen und des Aufbaus und der Entwicklung der Galaxien im Speziellen gewonnen werden. Man bedient sich hier der menschlichen  Fähigkeit, sicher Formen zu erkennen – einer Fähigkeit, die Computer in dieser Weise erst rudimentär beherrschen. Wir mitmachen möchte, braucht nur die genannte Projekthomepage zu besuchen und sich anzumelden. Bis heute konnten bereits mehr als 60 Millionen Klassifikationen vorgenommen werden. Erste Arbeiten, die auf den Ergebnissen von Galaxy Zoo I und II beruhen, sind mittlerweile erschienen und helfen mit, die großräumige Struktur von Galaxienhaufen (wie sie z.B. im sogenannten Millenium-Projekt simuliert werden) zu verstehen.

Zum Abschluß sollen noch zwei Projekte kurz erwähnt werden, bei denen Astronomen auf viele freiwillige Helfer gesetzt haben: das Clickworker-Projekt der NASA zur Identifizierung und Klassifizierung von Mars-Kratern auf Viking-Aufnahmen und die Suche nach kometarischen Staubteilchen im Projekt stardust@home. 

2 Kommentare:

  1. "Essay: Kosmische Perspektiven" ist auch für einen interessierten Laien sehr eindrücklich und vor allen Dingen verständlich geschrieben.
    Wunderbar!!! Danke.
    W.Schorisch

    AntwortenLöschen
  2. Kann mich anschließen, wunderbare Arbeit!
    Danke!

    AntwortenLöschen