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Mittwoch, 23. März 2011

Essay: Fukushima – Ein paar Anmerkungen

Wenn man die letzte Woche unsere Medien, insbesondere ARD, ZDF, Phönix, N24, NTV etc. sowie die Online-Ausgaben von „Die Welt“, den „Spiegel“ etc. sowie diverse Mitschnitte von „Expertenäußerungen“ (zumeist auf "Youtube" dokumentiert) zum Thema „Super-GAU“ im AKW Fukushima mit Interesse verfolgt hat, dann kann einem wahrlich Angst und Bange werden. Insbesondere, wenn man sich noch an einige elementare Kenntnisse aus diversen Physik-Vorlesungen erinnern kann und die Fähigkeit bewahrt hat, bestimmte Sachverhalte in der Fachliteratur und im weltweiten Netz zu recherchieren. Dann fragt man sich – was soll solch eine Berichterstattung?

Aber von Anfang an. Warum ich hier überhaupt etwas über den (z.Z. noch herbeigeredeten) „Super-GAU“  in dem japanischen Kernkraftwerk Fukushima schreibe, war einmal die gar nicht lustige Mitteilung, daß in DE mittlerweile die Geigerzähler ausverkauft sind und viele Leute in masse frei verkäufliche „Jodtabletten“ in Apotheken kaufen (die übrigens für den angedachten Zweck völlig wirkungslos sind), was weniger auf berechtigte Sorgen (Fukushima liegt ca. 9000 km von DE entfernt) als vielmehr auf  einen inzwischen dramatisch gesunkenen Bildungsstand in der Bevölkerung hinweist. Aber der Höhepunkt war dann folgendes Interview eines bekannten Politikers im ARD Brennpunkt: Chems' Statement Ich werde darauf zurückkommen.

Der Störfall in Fukushima ist alles andere als harmlos. Hier ist etwas eingetreten, daß nach menschlichen Ermessen nicht hätte eintreten dürfen, ein Naturereignis, für daß die Kernreaktoren nicht ausgelegt waren. Und trotzdem haben sie darauf besser reagiert, als bei einem Erdbeben der Stärke 9 (logarithmische Skala!) zu erwarten gewesen wäre. Denn alle Sicherheitssysteme  für einen Auslegungsstörfall haben nach dem mir vorliegenden Informationen weitgehend funktioniert. Deshalb ist ein Vergleich mit der Katastrophe in Tschernobyl, wie er in den Medien immer wieder angestellt wird, hochgradig unseriös – beide Ereignisse haben lediglich gemeinsam, daß gefährliche radioaktive Stoffe in die Umwelt gelangt sind – in Tschernobyl mehr – in Fukushima (nach Stand von heute, 22.03.2011) weniger. Der RBMK-Reaktor von Tschernobyl hatte kein Containment, es war möglich, ihn nicht regelgerecht zu betreiben (es gab keine technischen Barrieren, die das prinzipiell verhinderte) und ist durch menschliches Versagen in die Luft geflogen. Das alles kann man im Detail in vielen Publikationen nachlesen. Ein moderner Siedewasserreaktor ähnelt dagegen einem Schnellkochtopf, wie man ihn vor kurzem bei ALDI kaufen konnte:  Wasser wird unter hohen Druck verdampft (Druck erhöht den Siedepunkt) und der Dampf treibt eine Turbine zur Erzeugung von Elektroenergie an. Danach wird er in einem Kondensator abgekühlt und als Flüssigkeit wieder in das Reaktionsgefäß zurückgepumpt (im laufenden Betrieb werden ungefähr 7000 t Dampf pro Stunde erzeugt). Im Fernsehen hat man die Funktionsweise anhand einer Animation m. E. sehr gut erklärt. Die Wärmemenge, welche das Wasser erhitzt, ergibt sich aus dem Zerfall von Uran-235-Atomen, die zusammen mit natürlichem Uran in Form von Uranoxid-Tabletten (sehen wie eine Art von Keramik aus) in speziellen, mehrere Meter langen Röhren aus einer Zirkonium-Legierung (Schmelzpunkt bei 2200 °C) enthalten sind. Diese Röhren („Brennstäbe“ genannt) werden zu „Paketen“ gebündelt, die in einer spezifischen Anordnung  im Druckbehälter im Wasser gelagert werden und die Hitze erzeugen, sobald in ihnen eine kontrollierte Kettenreaktion stattfindet. Dazu müssen die Neutronen-absorbierenden Regelstäbe aus dem Reaktorkern (d.h. ist die Gesamtheit aller Brennstäbe)  entfernt werden. Die Zirkonium-Röhren sind das erste Sicherheitsbehältnis im Reaktor. Sie versagen erst, wenn die Temperatur der Uranoxid-Pellets (Schmelzpunkt bei ca. 3000 °C) einen Wert von mehr als 2200 °C erreicht. 

Das zweite Sicherheitsbehältnis ist der Druckbehälter selbst („Schnellkochtopf“). Er ist sehr robust konstruiert, da er hohe Temperaturen und hohe Drücke aushalten muß und befindet sich in einem dritten, hermetisch abgeschlossenen Sicherheitsbehälter, der die gesamte für den Betrieb des AKW’s notwendige „Hardware“ enthält (also Pumpen, Elektronik etc.). Er ist so ausgelegt, daß er in der Lage ist, eine sogenannte „Kernschmelze“ aufzuhalten. Ihn umgibt das im Vergleich dazu recht „luftig“ gebaute Reaktorgebäude.

Was passierte nun konkret in Fukushima?  Als das Erdbeben zuschlug, schalteten sich die Reaktoren automatisch ab, d.h. die Regelrstäbe, welche die für die Kernreaktoren notwendigen „thermischen“ Neutronen absorbieren, wurden blitzschnell in den Reaktorkern eingeschoben (was rein mechanisch / hydraulisch funktioniert und keinen elektrischen Strom benötigt), wodurch augenblicklich die Uran-Kernzerfälle in den Pellets aufhörten. Ab diesem Zeitpunkt muß im Prinzip nur noch die unausweichliche Restwärme abgeführt werden, die noch einige Zeit in den Brennstäben produziert wird (spontaner Zerfall von Radionukleiden, die während des Betriebs entstanden sind). Man rechnet mit einer „Restleistung“ von ~ 3% der Normalleistung des Reaktors, die durch Kühlung abzuführen ist. Dazu muß der Kühlwasserkreislauf noch eine längere Zeit aufrecht erhalten werden. Da während des Erdbebens die externe Stromversorgung ausgefallen ist (und das Kraftwerk selbst auch keine Elektrizität mehr erzeugen konnte), mußten die Notstromversorgungseinrichtungen die für die Umlaufpumpen notwendige elektrische Energie erzeugen. Dafür gibt es mehrere voneinander unabhängige Sätze von Notstromdiesel. Sie sind in Fukushima angesprungen bis – und das war nicht vorgesehen (was nicht nur aus heutiger Sicht ein grober Designfehler des AKW’s war) – die Tsunamiwelle ihrer Funktionsweise ein Ende setzte.  Jetzt wurde automatisch auf Batteriebetrieb umgestellt, welche die Umwälzpumpen nach Auslegung für 8 Stunden mit Strom versorgten. Diese, wie wir heute wissen, viel zu kurz bemessene Zeit hätte der Betreiber nutzen müssen, um so schnell wie möglich externe Stromaggregate aufzutreiben, um die Kühlung auch über die 8 Stunden hinaus aufrecht erhalten zu können. Und hier ist es im Chaos der Erdbebenfolgen zu gravierenden Fehlern gekommen (ich glaube gelesen zu haben, daß die Stecker der eilig herangeschafften Stromaggregate nicht paßten ...). Und da sich ungekühlte Brennstäbe immer weiter erhitzen, gelangte das Wort der „Kernschmelze“, welches seit Tschernobyl eng mit dem Begriff des „Super-GAU’s verbunden ist, in die Öffentlichkeit.  

Was hat es nun mit einer „Kernschmelze“ auf sich? Hier sei zuerst einmal an den wirklich sehenswerten Film „Das China-Syndrom“ mit dem unvergessenen Jack Lemmon erinnert. 

Eine Kernschmelze wird unausweichlich, wenn bei noch genügend reaktiven Brennstäben die inhärent erzeugte Wärme nicht abgeführt werden kann und die Temperatur auf über 2200 °C steigt (die Zirkonium-Umhüllungen schmelzen) bzw. 3000 °C erreicht (die Uranoxid-Pellets schmelzen). Diese Gefahr besteht bei jedem Kernkraftwerk, wenn über längere Zeit die Kühlung ausfällt. Deshalb ist die Aufrechterhaltung der Kühlung der Brennstäbe auch so extrem wichtig. Eine Kernschmelze kann nicht wie ein gewöhnliches Feuer gelöscht werden (Letzterer ist bekanntlich ein chemischer Vorgang). Man kann ihr nur thermische Neutronen entziehen (in dem man Bor oder Cadmium drauf kippt) und die permanent entstehende Wärme abführen (durch Kühlung, Vergrößerung der Oberfläche der Schmelze und andere geeignete Maßnahmen). Im ungünstigsten Fall brennt sich die Schmelze durch das Reaktordruckgefäß und das Containment hindurch, was dann den eigentlichen „Super-GAU“ ausmacht, da in diesem Fall der radioaktive Inhalt in die Umwelt gelangen würde. Da die Wärmeerzeugung in erster Linie durch Isotope relativ kurzer Halbwertszeit erfolgt, nimmt deren Rate mit der Zeit jedoch ab (Stichwort „Abklingbecken“).

Was passiert nun im Reaktordruckgefäß, wenn darin der Wasserspiegel sinkt? Durch die permanente Wärmeabgabe der Brennstäbe und der fehlenden Kühlung verdampft immer mehr Wasser, wobei der  Dampfanteil im „Schnellkochtopf“ immer größer und der Flüssigkeitsanteil (in dem die Brennstäbe normalerweise eingebettet sind) immer geringer wird. Zwar kühlt der Dampf auch dann noch die Brennstäbe, wenn sie nicht mehr mit Wasser bedeckt sind, aber auf jeden Fall erhöht sich der Innendruck des Druckbehälters rapide. Damit er nicht platzt, muß der Innendruck regelmäßig verringert werden, wofür spezielle Ventile zuständig sind. Sie entlassen einen definierten Teil des Wasserdampfs  (der mit kurzlebigen Radionukleioden wie z.B. Jod-131 kontaminiert ist) in das Innere des Containments. Aus Gründen, die sicherlich völlig berechtigt sind, haben aber die Techniker des AKW’s den Dampf in das Gebäude außerhalb des Containments abgelassen, wahrscheinlich wegen des größeren Volumens. Da die Brennstäbe aber trotzdem bereits sehr heiß geworden sind, ist an ihnen ein Teil der Wassermoleküle des Dampfes thermisch dissoziiert, wobei ein Knallgasgemisch entstanden ist, welches mit dem Dampf zusammen in das Reaktorgebäude gelangte. Und dann hat es „bumm“ gemacht. Das Reaktorgebäude flog in die Luft, während das Confinement weitgehend unbeschädigt geblieben ist (zumindest nach Betreiberangaben, was bei einem gewinnorientierten Unternehmen nichts sagen muß). Diese Explosion hat nichts, aber auch gar nichts mit der Explosion zu tun, die seiner Zeit in Tschernobyl stattgefunden hat. Die Kontaminierung des Dampfes mit Cäsium deutet aber darauf hin, daß das erste Containment, die Zirkonummantelung einiger Brennstäbe, defekt geworden ist. Das ist aber noch keine Kernschmelze, da diese ja erst bei ca. 3000 °C einsetzt, wenn die Uranoxid-Pellets zu schmelzen beginnen. Um das zu verhindern, versuchte man Meerwasser (was ansonsten völlig ungeeignet ist, da massive Salzablagerungen entstehen können) in den Reaktor zu pumpen. Das scheint auch gelungen zu sein, da bis heute (23.03.2011) noch kein Durchbrennen des inneren Druckbehälters gemeldet wurde. Der Wasserdampf, der abgelassen werden muß (Druckverringerung) sowie daß das AKW wieder verlassende Meerwasser ist jedoch mittelmäßig bis stark radioaktiv belastet. Darauf beziehen sich die in den Medien kolportierten Messungen. Sollte es doch noch zu einem Durchschmelzen des inneren Druckbehälters kommen (was hoffentlich nicht passiert), dann gelangt die Schmelze in das Containment (die Stahl- und Betonkugel um den „Schnellkochtopf“), wo es langsam seine Restwärme verlieren wird (die Material der auch geschmolzenen Regelstäbe verhindert natürlich weiterhin unkontrollierte Kettenreaktionen). Ein Durchschmelzen des Containments ist deshalb auch sehr unwahrscheinlich (Tschernobyl besaß kein Containment). Wenn dessen Inhalt auf eine handhabbare Temperatur gebracht worden ist (bei Harrisburg hat das, glaube ich, knapp 1 ½ Jahre gedauert), muß man sich an das heiße Eisen der „Entsorgung“  der jetzt erstarrten "Kernschmelze" machen.

Auf die Problematik „Abklingbecken“ – obwohl z.Z. der wahrscheinlich gefährlichere Aspekt der AKW-Katastrophe von Fukushima – möchte ich erst einmal nicht näher eingehen und mich mit der katastrophalen Berichterstattung, die offensichtlich viele Väter hat, auseinandersetzen. Was mir sofort aufgefallen ist, war der Umstand, daß die mehr als 10000 Toten schon nach relativ kurzer Zeit nur noch eine Randerscheinung in der Berichterstattung waren und sich alle (deutschen) Medien auf den unausweichlichen „Super-GAU“ einschossen und mit einer Chuzpe sondergleichen aus kaum belastbaren Informationen ein Katastrophenszenario a la Tschernobyl entwickelten mit den bekannten Auswirkungen auf die Bevölkerung und Politik. Die Experten, die dabei auftraten (i.d.R. Greenpeace-Aktivisten, Politiker vom Schlage eines S.G., J.T. oder C.R., „echte“ Fachleute (z.B. Strahlenphysiker), die aber aufgrund der mangelhaften Datenlage nur von „wenn“ – „dann“, "aber" sowie von „könnte“ und „würde“ redeten), malten ein Katastrophenszenario, was alles andere als zu einer objektiven Meinungsbildung beitrug. Ein paar Beispiele gefällig?  So wurde erst einmal mit Einheiten herumgeworfen, die für sich allein genommen keinen Sinn ergeben. So z.B. das Sievert. Ein Sievert (ich vereinfache jetzt einmal)  ist die Maßeinheit für eine Strahlendosis und bedeutet erst einmal eine absorbierte (Strahlungs-) Energie von einem Joule pro kg absorbierender Masse. Da die absorbierende Masse auch biologisches Gewebe sein kann, läßt sich diese Größe auch für die Schädlichkeit ionisierender Strahlung verwenden. Das macht aber nur Sinn, wenn man die Zeitdauer der Exposition mit angibt. Eine Strahlungsdosis von 400 mSv sagt solange gar nichts über deren gesundheitlichen Folgen aus, wie man nicht sagt, wie lange die Exposition (Minuten, Stunden, Tag, Jahr)  gedauert hat (deshalb ist die richtige Einheit die Dosisleistung). 200 mSv pro Jahr bekommen auch unsere Astronauten in der internationalen Raumstation ab und niemand braucht sich darüber aufzuregen.  Auffällig in vielen Artikeln zu dem Reaktorunglück ist, daß zwar eine Belastung in Sievert (bzw. mSv oder µSv, was mehr Sinn macht) angegeben wird, aber nicht, auf welchen Zeitraum (und erst das macht ja die kommulierte Dosis aus) sie sich bezieht. Zwar kann man aus dem jeweiligen Kontext i.d.R. den Zeitmaßstab leicht erraten, aber eine seriöse Berichterstattung ist das nicht. Auch fehlen fast immer Vergleichsmaßstäbe (ist 50 mSv pro Stunde eher eine große gesundheitsgefährdende oder eher eine kleine unbedenkliche Strahlendosis?). Und was bedeutet in diesem Zusammenhang eine „merkliche Belastung“ von Milch mit radioaktivem Cäsium ? Wieviel muß man davon trinken, um hinterher tot umzufallen? (Achtung Polemik!). Um Gefahren objektiv einzuschätzen, muß man sie in andere Lebensrisiken einordnen können. Vage Angaben wie "1000 mal höher von was?" helfen da nicht wirklich weiter.
  • Natürlicher Untergrund (lokal schwankend)  0.5 bis 5 mSv/Jahr  (höherer Wert in Radon 222-belasteten Gegenden, bei uns z.B. Jonsdorf)
  • Computertomographie   10-25 mSv pro Behandlung
  • Einmaliger Flug von DE nach Japan  ~50 µSv
Grenzwerte nach der Strahlenschutzverordnung (Erwachsene)
  • 20 mSv/Jahr kommulativ
  • 50 mSv/Jahr kommulativ  (Ausnahmefall)
  • 250 mSv pro Exposition  (bei notwendigen Arbeiten bei einem AKW-Störfall - Katastrophendosis)
Diese „Landmarken“ sollten ausreichen, um einige der veröffentlichten Zahlen einzuordnen, wobei noch zu bedenken ist, ob sich die Messungen als Durchschnitt über ein größeres Gebiet oder um einen genau spezifizierten Ort (z.B. Meßwarte des Kraftwerks, Vorplatz neben dem zerstörten Reaktorgebäude oder in 20 km Entfernung über dem Meer) zu einem genau spezifizierten Zeitpunkt (z.B. im Augenblick des Dampf-Ablassens) handelt.

Die Frage, die nun schon seit einer Woche unsere Medien umtreibt, ist „Spitzt sich nun die Lage im AKW Fukushima zu oder bleibt die Katastrophe aus?“ – dabei wäre es doch für einige Politiker ganz schön, wenn die Kernschmelze noch möglichst vor dem Wahltermin am nächsten Sonntag eintreten würde. Diese Frage wird jeden Tag neu gestellt, aber immer nur relativiert beantwortet: „Der Experte XY sagt, daß, wenn ... dann wird es schlimmer als Tschernobyl“ – und der Laie in Treuenbrietzen oder Duisburg-Marxloh ordert schnell noch einen Geigerzähler bei Conrad-Elektronik („äh, damit kann man Radioaktivität messen“) und rennt zur Apotheke, um sich mit Jodtabletten einzudecken – im 9000 km entfernten Japan werden die ja auch schon in Mengen geschluckt. Dann ist es nicht verwunderlich, daß auf einmal massiv über „grünen“ Strom (was ja an sich nicht falsch ist) geredet wird und jeder nun möglichst schnell möchte, daß unsere AKW’s abgeschaltet werden ohne überhaupt einen blassen Schimmer über die Funktionsweise von nationalen und internationalen Stromnetzen zu haben. Womit wir zu dem von mir eingangs erwähnten Youtube-Video kommen.

Also, einer unserer führenden Experten sagt:

„Ach wissen Sie, wir kennen die Argumente, die Argumente sind ja nicht ganz neu. Im Spitzenlastbereich, also nicht im normalen Lastbereich, dann wenn der Energieverbauch am höchsten in Deutschland ist, ungefähr mittags zwischen 11 und 12, verbrauchen wir ungefähr 80 Gigabyte, wir produzieren aber ungefähr 140 Gigabyte. Das heißt, das anderthalbfache dessen haben wir immer noch übrig, was wir brauchen.“

Daß Herr Ö. Gigawattstunden (er sagt Energieverbrauch!)  mit Gigabyte verwechselt – geschenkt. Das kann man einem Politiker verzeihen, der es gewohnt ist, Worthülse an Worthülse zu reihen mit einem Automatismus, der einen normalen Menschen schwindelig werden läßt. Da kann man schon einmal getrost den kritischen Verstand abschalten. Aber rechnen wir einmal nach: 1.5 mal 80 wären 120 "GByte" Überschuß, die Differenz zwischen Verbrauch und Produktion beträgt aber nur 60 "GByte".  Aber selbst diese Rechnung ist sinnfrei.  Denn unsere Kraftwerke erzeugen und unsere „Verbraucher“ verbrauchen keine Gigabyte (Gigawatt)  Elektroenergie, sondern eine bestimmte Strommenge die, und das sollte jeder Abiturient wissen, in Gigawattstunden (GWh) gemessen wird. Wovon unser Experte in seinem Statement spricht, ist die Gesamtleistung der in DE verfügbaren Kraftwerke. Diese Leistung muß immer exakt der anliegenden Last im Netz sein. Wenn ich also – wie eben gerade – meinen Wasserkocher mit 1000 W Leistung einschalte, dann muß im gleichen Augenblick ein „Erzeuger“ mit exakt 1000 W Leistung im Netz sein, um diese Leistung bedienen zu können. Wenn mein Wasserkocher 1 Stunde angeschaltet wäre (was nicht empfehlenswert ist), dann hätte er genau 1 kWh verbraucht und der „Erzeuger“ (das Kraftwerk) 1 kWh erzeugt.

Das nächste Problem habe ich mit den 140 GW installierten Leistung (in Wirklichkeit ist sie größer als 150 GW), die offensichtlich die gesamte Kraftwerkskapazität (Kohlekraftwerke, Gasturbinenkraftwerke, AKW’s, Windmühlen, Solardächer, Güllekraftwerke etc.) in DE darstellt. Interpretiert man sein Statement richtig, dann will er uns glauben machen, daß diese Leistung permanent zur Verfügung  steht. Das ist aber schon dann nicht mehr der Fall, wenn in DE Hochdruckwetter herrscht (kein Wind, installierte Leistung Windkraftanlagen 27 GW) oder wenn die Wolken eines Tiefdruckgebietes die Sonne verdecken (kein Solarstrom, installierte Leistung Solarkraftanlagen 15 GW).  Auch sind einige Kraftwerke abgeschaltet (z.B. die 7 „Altreaktoren“, von denen zur Zeit so intensiv gesprochen wird) oder Laufen nicht in voller Kapazität (z.B. weil die Lokomotivführer streiken und keine Kohlezüge rollen oder uns Putin den Gashahn gerade mal zudreht). Die genannten 140 GW kann also nicht die „verfügbare“ Leistung darstellen, die zu einem gegebenen Moment vorhanden sein muß, um alle Verbraucher bedienen zu können. Um seriös zu sein, muß von den 140 GW (ich verwende hier mal C. Ö.‘s Zahlen) erst einmal die Leistung der Windkraftanlagen abgezogen werden, denn sie liefern nix, wenn der Wind nicht bläst (permanent waren 2010 nur ~ 0.17 GW an Windkraft bei einer installierten Leistung von 27 GW verfügbar).  Zieht man alle Unwägbarkeiten von den 140 GW ab, dann bleiben vielleicht gerade mal 100 GW übrig, die zumindest theoretisch permanent zur Verfügung stehen. Der genannte Wert von 80 GByte respektive 80 GW kann nur die Jahreshöchstlast sein, denn die tägliche Spitzenlast ist deutlich geringer. Zieht man von der installierten Leistung jetzt noch die Leistung aller laufenden AKW’s ab, dann sollte es schon eng mit der Energieversorgung zu Spitzenlastzeiten werden. Das macht aber nichts, denn um DE stehen genügend AKW’s rum, die uns die dann zusätzlich benötigte Strommenge gegen Bares gerne liefern werden. Es reicht also nicht aus, die vorhandenen AKW-Kapazitäten zu ersetzen, sondern man muß die "erneuerbaren" überproportional ausbauen (unter der Annahme, daß der Gesamtstromverbrauch auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eine stetig steigende Funktion ist).

Nun mein Resümee. Kernkraftwerke ja oder nein ist gesamtgesellschaftlich zu diskutieren, denn „echte“ Katastrophen (von denen Tschernobyl ein Vorgeschmack war) können theoretisch ganze Landstriche für Tausende Jahre unbewohnbar machen (Stichwort Plutonium).  Das muß bei einer Risikoabschätzung bedacht werden und unterscheidet „normale“ Katastrophen (Meteoriteneinschläge oder Supervulkanausbrüche einmal ausgenommen) von „Super-GAU’s“. Andernfalls ist Kernenergie, wenn sie sicher gehandhabt wird, umweltpolitisch gesehen, z.Z. immer noch die erste Wahl (CO2-neutral, sehr effizient, schont Kohlenstoffressourcen).  So gesehen, ist eine national und international geführte Diskussion über Vorteile und Risiken der Kernenergie im Spiegel der Ereignisse von Japan durchaus wünschenswert. Eine in der Bevölkerung (und in der Politik) durch sensationsheischende Berichterstattung verursachte massive Verunsicherung ("kann man Käpt’n Iglus Fischstäbchen überhaupt noch essen – wegen der Strahlen...") ist dabei sicherlich nicht hilfreich.  Die schlimmsten Folgen von Tschernobyl sind nach den Aussagen des „Tschernobyl-Forums“ die psychischen Schäden, die durch falsche Informationen ausgelöst wurden (sich aufgeben, Flucht in die Trunksucht etc.).  So gesehen hat in der letzten Woche in DE auch ein Super-GAU stattgefunden, deren  verheerenden Folgen in der nächsten Zeit massiv zutage treten werden. 

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