Donnerstag, 19. Mai 2011

Essay: Fukushima und der "Rat der Weisen"



Ethik heißt wörtlich aus dem altgriechischen übersetzt "das sittliche Verständnis" und ist genaugenommen die Lehre von der Moral. Eine "Ethikkommission" (man nennt sie in der Presse "Rat der Weisen") sollte sich also vordergründig mit den allgemeinen und sozial anerkannten Handlungsmustern, z.B. von Einzelpersonen, einer Volksgruppe oder eines ganzen Volkes, beschäftigen. Aber man lernt ja nie aus. Offensichtlich ist die technische Frage, ob die Atomenergie "sicher" ist, wie man sie am besten durch "alternative" Energien ersetzen kann und wenn ja, bis zu welchem Datum dies zu geschehen hat, eine zutiefst ethische Frage, deren Beantwortung einer speziellen "Ethikkommission" bedarf. Einer Kommission, dem neben Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern (4x), Philosophen (1x), Mikrobiologen (1x), Rechtswissenschaftler (1x), Maschinenbauer (1x), Chemiker (1x), Forst- und Bodenwissenschaftler (1x), Journalisten und Landwirten (katholisch, 1x), vergleichende Politikwissenschaftler (1x), Lehramt Geschichte, Französisch und Wirtschaft (1x) auch Theologen (2x) und Chemielaboranten (1x) angehören. Dieser in ethischer Hinsicht wahrlich geballte Sachverstand hat eine, wie man der Presse entnehmen kann, für den Fortbestand einer technischen Gesellschaft lebenswichtige Empfehlung ausgesprochen, nämlich die, daß Deutschland bis 2021 den Ausstieg aus der Atomenergie zu vollziehen hat. Und das selbstverständlich ohne die ergeizigen Klimaschutzziele der Bundesregierung aufzugeben. Und der "Strom" soll natürlich auch nicht teurer werden. Und man glaubt, ja man ist sich ganz sicher, daß das natürlich alles genau so funktioniert, wie es grüne und rote Vordenker oder Greenpeace-Aktivisten ad hoc beschlossen bzw. vorgeschlagen haben. Etwas Stromsparen da, ein paar off- und onshore-Windparks dort, neue Energiespeicher, neue Gasturbinen- und Kohlekraftwerke (selbstverständlich mit CO2-Versenkung) und natürlich auf jedes Dach eine Solarzelle (made in china). Außerdem ein paar 1000 km neue Leitungen quer über das Land. Hört sich gut an, ist vielleicht sogar machbar. Aber ich hätte gern etwas darüber von Ingenieuren, die sich mit Elektroenergieerzeugung, deren Verteilung und deren Regelung beruflich auseinander setzen müssen, gehört und eher nichts von Soziologen, Theologen oder Rechtswissenschaftlern. Auch denke ich, daß Mikrobiologen sowie Politikwissenschaftler nicht wirklich etwas zur Beantwortung der Frage zur Machbarkeit eines solchen Umstiegs auf "alternative" Energien beitragen können (natürlich ohne ihre Fachkompetenz auf ihren ureigensten Fachgebieten irgendwie anzweifeln zu wollen). 

Also, wie ist die Lage. Wenn man so die Presse verfolgt, scheint es nur noch die Frage nach dem "wie schnell" des totalen germanischen Atomausstiegs zu geben. Wirtschaftliche Überlegungen scheinen dagegen überhaupt keine Rolle mehr zu spielen. "ob" und "wie" sind quasi Fragen non grata geworden und sind aus der öffentlichen Diskussion so gut wie verschwunden. Natürlich ist es prinzipiell kein Problem, aus der Atomenergie auszusteigen. Man braucht nur alle Atomkraftwerke abzuschalten (im Gegensatz zum Mars-Rover Opportunity besitzen Atomkraftwerke einen Aus-Schalter) und durch "alternative Energien" zu ersetzen. Die sind auch nötig, denn bis zum Jahr 2020 sollen, wie eben in den Nachrichten zu hören war, über eine Million Elektroautos unsere Straßen bevölkern - betankt mit Strom aus neuen, zukunftssicheren Windkraft- und Photovoltaikanlagen. Wie die lichte Zukunft aussehen wird, kann man z.Z. an der Ostseeküste bewundern. Unsere Kanzlerin hat dort (zwar bei Flaute) vor kurzem einen neuen Windpark eröffnet, der 50000 Haushalte mit Strom versorgen soll: "Baltic 1" besteht aus 21 Windkraftanlagen, die in der Summe eine Nennleistung von 48.3 MW bereitstellen. Die Anschaffungskosten für den gesamten Windpark lagen nach Presseberichten bei 300 Millionen Euro, wobei die anfallenden Unterhaltungskosten noch nicht eingerechnet sind. Da drängt sich schon mal die Frage auf, wie viele von solchen Windparks braucht Deutschland eigentlich, um alle Haushalte mit sauberen Aerostrom zu versorgen. Es ist ja vorstellbar, daß sich über kurz oder lang alle privaten Verbraucher einen günstigen Ökostromanbieter suchen, um sicherzustellen, daß nur noch saubere Wind- und Solarenergie aus den Steckdosen kommt. Die mathematische Methode, die man zur Beantwortung dieser spannenden Frage bemühen muß, heißt "Dreisatz" (regula de tribus): Also, wenn man mit einem Windpark a la "Baltic 1" 50000 Haushalte versorgen kann, wie viele Windparks dieser Art sind nötig, um die ~40 Millionen Haushalte ganz Deutschlands zu versorgen? (die Antwort lautet 800). Und wieviel würden die kosten (die mathematische Methode, um das zu ermitteln, nennt man Multiplikation)? Die Antwort lautet 240 Milliarden Euro. Mit diesen 800 Windparks könnte man also locker die 27% des gesamten deutschen Stromverbrauchs, die auf die privaten Haushalte entfallen, ersetzen - vorausgesetzt, die Windparks arbeiten mit Nennleistung, was ja manchmal im Spätherbst durchaus der Fall sein soll. Natürlich ist diese Überschlagsrechnung nonsens, denn niemand will und kann den Energiebedarf eines hochindustrialisierten Landes mit Windenergie decken. Von der Frage nach Grundlastsicherheit ganz zu schweigen. Es zeigt aber die Größenordnungen auf und schärft das Gespür dafür, was realistisch ist und was nicht und was man eventuell hinterfragen muß. 

Ein guter Gradmesser, um ökonomische Zusammenhänge transparent zu machen, sind bekanntlich Preise und Kosten. So gesehen, ist es eine Binsenweisheit, daß die Kosten, die durch den überhasteten Atomausstieg mit all ihren Konsequenzen entstehen, sich irgendwann auf den Strompreis niederschlagen werden. Erst vielleicht schleichend, aber irgendwann so massiv, daß es für den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährlich werden könnte. Schon heute sind die Industriestrompreise hierzulande die Höchsten in Europa. Stromintensiven Branchen wird es in D immer schwerer gemacht, mit Gewinn zu produzieren, mit dem fatalen Effekt, daß sie - der Globalisierung sei Dank - in Länder ausweichen, wo die Stromkosten nicht ganz so schlimm ins Kontor schlagen. Unter anderem auch deshalb, weil dort Strom in Atomkraftwerken produziert wird. Und das betrifft nicht nur klassische Elektrostahlwerke, sondern auch Industrien, die dem HighTech zugeordnet werden, wie die Herstellung von Halbleitermaterialien (einkristallines Silizium für Solarzellen), von Leichtmetallen (z.B. Aluminium aus Bauxit) und von Karbonfasern. So ist es nicht verwunderlich, daß schon heute die Produktion von Solarzellen für die Dächer unserer Eigenheime und die Herstellung von Windkraftanlagen sich derartig verteuern, daß auch die Herstellung dieser High-End-Produkte deutscher Ingenieurskunst über kurz oder lang ins kostengünstigere Ausland verlagert wird. Und es ist mittlerweile auch kein Geheimnis mehr, daß ein Großteil der Photovoltaikanlagen, die bei uns die geplante Energiewende unterstützen sollen, aus Fernost herangeschifft werden. Hier haben wir uns schon selbst das erste Eigentor geschossen...

Im Bericht der "Ethikkommission" scheint die Kostenproblematik (soweit die Ergebnisse durchgesickert sind) jedenfalls keine größere Rolle zu spielen. Stattdessen wird der Ausstieg aus der Kernenergie als ein "Wachstumstreiber" ohnegleichen hingestellt. Und das stimmt auch. Der tschechische Energieversorger CEZ bemüht sich z.B. derzeit - auf eigene Kosten - neue Stromtrassen nach Bayern zu bauen, um die zukünftigen goldenen Zeiten für Temelin (man hat die geplanten Erweiterungen der Kraftwerkskapazität mittlerweile auf zwei bis drei Jahre vorverlegt) vorzubereiten. Und auch für China sind die zu erwartenden Subventionen für die Photovoltaik in Deutschland ein wahrer Segen, der Profite ohne Ende verspricht. Da zahlt der deutsche Bürger und die Hartz-IV-Behörde doch wahrlich gerne einen deutlich höheren Stromobulus. Interessant ist auch die Aussage jener Rat der Weisen, daß eine Abhängigkeit Deutschlands von Stromimporten nicht weiter schlimm sei, denn D ist ja auch von Kohle-, Gas - und Ölimporten abhängig - was ich mal so ohne Kommentar stehen lassen möchte.

Kommen wir nun zum zentralen Satz des Ergebnisses der Ethikkommission: Die Kernkraftnutzung stehe "für eine Vergiftung der gesellschaftlichen Atmosphäre". Ausgelöst wurde diese "Vergiftung" offensichtlich durch die Ereignisse im japanischen Kernkraftwerk Fukushima, welches gezeigt hat, daß auch ein noch so kleines Restrisiko sich zu einer unbeherrschbaren Katastrophe ausweiten kann, sollte es eintreten. Aber das ist vielleicht so nicht ganz richtig. Ich glaube, richtiger ist es zu sagen, die "Berichterstattung" über die Vorgänge im Kernkraftwerk Fukushima haben in "Deutschland" zu einer "Vergiftung der gesellschaftlichen Atmosphäre" geführt, auf die die Politik - wenn auch wie immer kopflos - reagieren mußte. Die über 20000 Erdbeben- und Tsunami-Toten wurden von Woche zu Woche immer mehr in den Hintergrund gedrängt, und zwar in dem Maße, wie der vermeintliche "Super-Gau" die Medien zu dominieren begann. Zum Schluß war es immerhin (wegen des Fehlens irgendwie anderer belastbarer aktueller Katastrophenmeldungen aus Fukushima) eine äußerst wichtige Mitteilung, daß die aus der Sperrzone evakuierten Bewohner (todesmutig) einmal einen Tag lang in ihre Häuser zurückkehren durften, um dort wichtige persönliche Habseligkeiten zu bergen. Das dieser "Besuch" gar nicht mehr so gefährlich war wie noch vor Wochen, wird nicht erwähnt (Stichwort Halbwertszeit von Jod-131). Über die Lebensbedingungen und Gefühlslagen der Überlebenden der Naturkatastrophe selbst hört man dagegen in letzter Zeit so gut wie nichts mehr. Dabei stellt sich immer mehr heraus, daß es sich bei dem eingetreten "Restrisiko" in Fukujama nicht um ein unvermeidliches "Restrisiko" gehandelt hat, sondern um schnödes (menschliches) Versagen der Behörden, welche in Japan Atomkraftwerke genehmigen. Und dabei hätte, wie man heute weiß, ein Blick in die Tsunami-Statistiken des pazifischen Raumes genügt, daß das AKW mit den bestehenden Tsunami-Schutzanlagen nie hätte genehmigt geschweige denn gebaut werden dürfen. Eine Durchsicht dieser Daten zeigt (L.Mohrbach, 2011), daß es in den letzten 500 Jahren in Japan 14 Tsunamis mit Wellenhöhen über 10 m gegeben hat. Die Genehmigungsbehörden gingen dagegen von einer Maximalhöhe von 10 m aus, vor denen ein küstennahes Atomkraftwerk durch technische Anlagen geschützt sein muß. Mittels der mathematischen Methode der Division lernt man aus dieser Statistik, daß diese Wellenhöhe durchschnittlich alle 36 Jahre erreicht wird. So gesehen war es im höchsten Maße unverantwortlich, die Schutzmauern um das AKW auf eine maximale Wellenhöhe von lediglich 10 m auszulegen. Das hat nichts mehr mit Restrisiko zu tun, sondern etwas mit Verantwortung und Versagen. Genaugenommen ist in Japan ein Störfall eingetreten, den man in der Fachsprache "Auslegungsstörfall" nennt. Was wäre wohl gewesen, wenn man die Schutzmauern "richtig" ausgelegt hätte? Gäbe es dann auch einen grünen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg? Auf jeden Fall wäre Fukushima als ein Beispiel für die hohe Sicherheit von Atomkraftwerken hingestellt worden, denn es hätte ohne größere Schäden das Erdbeben und den Tsunami überstanden, während die gesamte Umgebung in Trümmern liegt. So gesehen ging die deutsche Politik von falschen Prämissen aus, als sie Hals über Kopf D in ein Energieabenteuer offenen Ausgangs stürzte. Und so ist es auch verständlich, warum wir vom gros unsere Nachbarn nur Verwunderung, Augenreiben und Unverständnis ernten. Interessanterweise beginnt die Politik bereits mit dem Zurückrudern. Man brauchte dazu z.B. nur etwas aufmerksamer den Reden auf dem FDP-Parteitag zu lauschen ... Oder, wie eben gerade (17.5.2011), die Vorstellung des Berichts der Reaktorsicherheitskommission im Internet verfolgen. Bewertet man deren Bericht nüchtern, dann bestätigt er, was seit 10 Jahren bekannt ist: Die Atomkraftwerke D sind nicht dafür ausgelegt worden, daß eine Boing 747 oder ein ähnlich großes (oder auch kleineres) Flugzeug ohne Schaden auf das Reaktorsicherheitsgebäude stürzen kann. Damit das möglichst nicht passiert, hat man teilweise nach den Ereignissen am 11.09.01 in NY mit "Nebelwerfern" nachgerüstet, um einen "mutmaßlichen" Terroristen am Steuerknüppel die Sicht bei einem denkbaren Sturzflug auf ein deutsches AKW zu nehmen ... Dieses "Risiko" ist am Ende das einzige einigermaßen verwertbare Risiko geblieben, welches unsere Politiker zur Verwendung und Begründung ihrer Kapriolen nutzen können. Die Reaktorsicherheitskommission, die, und das ist wiederum beruhigend, diesmal aus Leuten bestand, die etwas von AKW's verstehen, hat im Gegensatz zum "Rat der Weisen" leider nicht das geliefert, was von ihnen erwartet wurde, nämlich daß die deutschen AKW's bei denkbaren Starkbeben und bei tsunamiartigen Regenfällen und durch was sonst noch alles (den Zielflug eines "mutmaßlichen" Terroristen durch eine Nebelwand einmal ausgeschlossen) sofort in den Zustand eines Super-GAU's übergehen. Das Einzige, was man der Reaktorsicherheitskommission vorwerfen kann ist die Tatsache, daß sie nur höchst unwahrscheinliche Ereignisse untersucht haben und nicht, ob vielleicht punktuelle Probleme (wie z.B. das Versagen einzelner technischer Systeme, menschliches Versagen) auch zu einer Gefärdung der gesamten Kraftwerksanlage führen können. Aber diese Dinge sind ja bereits bei der Kraftwerksauslegung genügend untersucht worden. 

Selbstverständlich müssen Kernkraftwerke, die ein unvertretbar hohes Betriebsrisiko besitzen, vom Netz genommen werden. Aber dieses Risiko sollte technisch begründbar sein und sich auch an anderen Lebensrisiken orientieren. Ich wage zu behaupten, daß kein einziges Atomkraftwerk der Welt gegen den Einschlag eines genügend großen Meteoriten gefeit ist. Und trotzdem wäre es töricht, von solch einem Ereignis dessen Betrieb abhängig zu machen. Wenn man konsequent wäre, müßte man auch für bestimmte Arten von Chemiebetrieben die gleichen Kriterien ansetzen wie für Atomkraftwerke. So gesehen wäre ein Vergleich zwischen Fukushima und Chernobyl einerseits und Bhopal und Seveso andererseits sicher recht aufschlußreich.  

Zum Abschluß möchte ich doch noch auf einen ethischen Aspekt der Energiedebatte eingehen, der nur mittelbar etwas mit den Ereignissen in Japan zu tun hat. Es betrifft die Frage des langfristigen Überlebens der Menschheit auf diesen Planeten und hat etwas mit dem Bewahren der natürlichen Umwelt als deren Lebensgrundlage zu tun. Die größte Gefahr geht in dieser Beziehung nicht von Naturkatastrophen aus (einen möglichen Supervulkanausbruch oder einen Meteoriteneinschlag alias "Saurier tot" einmal ausgenommen), sondern vom stetigen Wachsen der Weltbevölkerung und dem damit einhergehenden wachsenden Energiebedarf. Und dieser Energiebedarf wird auch in den nächsten Jahrzehnten (global gesehen) weiter zum allergrößten Teil durch Verbrennungsvorgänge gedeckt werden. Ob es sich um trockenes Gras oder Holz in den Savannengebieten Afrikas, um die Verbrennung von Öl, Gas und Kohle anderswo handelt, spielt keine Rolle. Windkraft und Photovoltaik, kurz alternative Energien, werden auch in der Zukunft - global gesehen -  aufgrund ihrer geringen Verfügbarkeit in der Energiebilanz der Menschheit nur eine untergeordnete Rolle spielen. Anders sieht es mit der Kernkraft aus. Diese Technologie wird weiterhin attraktiv bleiben, da sich mit ihrer Hilfe in vergleichsweise kleinen Anlagen grundlastfähige Elektroenergie erzeugen läßt, die - und das ist wesentlich - zu keinem zusätzlichen Kohlenstoffeintrag in die Atmosphäre führt. Und damit kommen wir zu der Problematik Klimawandel. Es handelt sich dabei um eine schleichende Gefahr, die sich heute gerade einmal in einer für den Einzelnen kaum wahrnehmbaren Tendenz zeigt. Deshalb haben "Klimaskeptiker" auch großen Zulauf - und auch Argumente. Wenn man aber weiß, daß Klimasysteme sehr träge sind und Vieles erst einmal abpuffern können, und man auch weiß, daß ein "Umschlagen" nach einer langen Anlaufphase sehr schnell vonstatten gehen kann, dann sollte man zumindest dessen Möglichkeit und die sich daraus erwachsenden Konsequenzen ernst nehmen. Wenn sie nicht eintreten, dann ist es gut. Wenn sie aber eintreten, dann haben wir ein viel größeres und nicht mehr lokal beherrschbares Problem. Und dieses Problem kann man nicht mehr unter dem Terminus "Restrisiko" abtun, denn es ist bekannt und es kann zu höchst instabilen gesellschaftlichen Zuständen führen - Nahrungsmittel- und Wasserknappheit, ständig zunehmender Verlust an biologischer Diversität und sich daraus ergebende nationale und internationale Konflikte. Wenn wir also wissen, daß solch eine Gefahr zumindest mit einer ernstzunehmenden Wahrscheinlichkeit durch antrophogenen Kohlenstoffeintrag in die Atmosphäre heraufbeschworen wird, dann sollte man nicht erst das Ergebnis dieses globalen Experiments abwarten. Selbst wenn es 80 zu 20 steht, daß der Klimawandel in der erwarteten Form nicht eintritt, ist das ein Risiko, welches sicherlich niemand ernsthaft eingehen möchte. Andererseits dürstet die wachsende Menschheit nach Nahrung, Bildung und Wohlstand - also nach verfügbarer Energie. Das bedeutet, es wäre zutiefst ethisch verwerflich, bestimmte Menschengruppen von ihr auszuschließen oder ihre Teilhabe zu begrenzen. Es gibt also ein Dilemma. Wir benötigen freie Energie, um Gesellschaften am Leben zu halten. Wenn diese Energie durch Verbrennung von Gas, Öl und Kohle erzeugt wird, zeigt sich am Horizont die Möglichkeit eines nicht mehr beherrschbaren Klimawandels (man muß hier global denken. D für sich allein wird sicherlich damit fertig). Was also tun? Schaut man sich alle möglichen Energiequellen an, die in der Lage wären, auf absehbare Zeit in entsprechender Effizienz umweltverträglich Energie bereitzustellen, dann erscheint die Kernenergie für eine gewisse Übergangszeit von ihren Parametern her (sehr hohe Energieausbeute bei geringsten Brennstoffeinsatz, so gut wie keine Kohlenstoffemissionen in die Atmosphäre) eine sehr günstige Energiequelle zu sein. Weil das so ist, werden andere Länder als D kaum die Erzeugung von Kernenergie ernstlich in Frage stellen. In dem Jahr, wo D "kernkraftfrei" ist, wird es in Europa mehr Kernkraftwerke geben als jetzt mit den deutschen zusammen. Trotzdem ist die Kernenergie durch Spaltung (solange keine Brutreaktoren verfügbar sind) mittelfristig ein Auslaufmodell, denn auch die Uranvorräte sind wie Gas- Öl- und Kohlevorräte begrenzt - wenn man nicht in eine gefährliche Plutoniumwirtschaft einsteigen möchte. Der Zukunft muß deshalb der Kernfusion gehören. So gesehen ist es baff erstaunlich, daß auf diesem Gebiet die Forschungen nur dahinplätschern und der Bau und die Finanzierung entsprechender Versuchsreaktoren gerade in der Politik immer mehr zerredet wird. "Grüne" Politik müßte sich doch gerade für solch eine Technologie einsetzen, die Energie in Überfluß bei minimaler Umweltbelastung verspricht. Eine richtige Strategie wäre doch m.E. die Forschungen auf diesem Gebiet international zu koordinieren und zu finanzieren mit dem Ziel, möglichst schnell einen funktionsfähigen Reaktor zu erhalten (der viel ungefährlicher wäre als ein Braunkohlekraftwerk) um auf dessen Grundlage eine kommerzielle Version zu entwickeln. Während dieser Zeit ist es sicher verantwortbar, herkömmliche Atomkraftwerke mit entsprechender Sicherheitstechnik weiter laufen zu lassen bzw. inhärent sichere Kernkraftwerke neu zu errichten. Ein Land wie D kann durchaus kurzfristig auf Kernkraftwerke (aber sicherlich nicht auf Atomstrom) verzichten. Für Japan z.B. (und viele andere Länder) stellt sich eine solche Alternative nicht, denn die Halbwertszeit eines Windparks a la "Baltic 1" läge in den japanischen Küstengewässern gerade einmal bei 36 Jahren ...




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