Das Reaktorunglück in Fukushima hat die ersten Todesopfer gefordert. Wie heute (3.4.2011) in der Online-Ausgabe der "Welt" zu lesen war, hat man zwei tote Arbeiter gefunden, die seit dem Tsunami vor drei Wochen vermißt wurden. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sie ertrunken sind. So erhöht sich die offizielle Zahl der Tsunami- und Erdbebenopfer auf 12009 Menschen (15472 werden noch vermißt, wie man dem gleichen Artikel entnehmen kann). Aber was noch viel schlimmer ist, dieses Wochenende soll sich der Wind drehen und die radioaktiven Partikel, die immer noch unkontrolliert aus den Reaktoren austreten (jetzt hauptsächlich über das zur Kühlung verwendete Wasser), nach Tokio wehen. Ja mehr noch, man konnte in Tokio nach genausten Messungen (man nennt sowas "Erweiterte Spurenanalyse") endlich Spuren von Plutonium feststellen. Es ist nur noch nicht ganz klar, ob es sich dabei um Partikel aus Fukushima, aus der Nagasaki-Bombe oder um Partikel handelt, die sich bei der Vielzahl der oberirdischen Atomtests der Fünfziger und Sechziger Jahre gebildet haben. Wenn es sich um Plutonium aus Fukushima handeln sollte (was sich über die genaue Isotopenzusammensetzung zumindest vom Prinzip her ermitteln läßt), dann wäre das ein weiteres Indiz dafür, daß zumindest in einem Reaktorsicherheitsgefäß eine Leckage aufgetreten ist - was ja mittlerweile auch bestätigt wurde (die dazugehörige Welt-Schlagzeile lautet "Mit Sandsäcken gegen Plutonium").
Was hat es nun mit diesem gefährlichen Element mit der Ordnungszahl 94 auf sich? Plutonium ist das Element mit der größten Ordnungszahl, welches in der Erdkruste noch natürlich vorkommt - jedoch in so geringer Konzentration, daß man seinerzeit 100 Tonnen eines pechblendeartigen Minerals aufbereiten mußte, um ein Mikrogramm Plutonium (244Pu, Halbwertszeit ~ 80 Millionen Jahre) zu erhalten, welches wie Gold, Platin und Uran bei der Explosion einer Supernova vor über 4.56 Milliarden Jahren entstanden ist. Heute "erbrütet" man es in großer Menge in speziellen Kernkraftwerken und zwar in Form des Isotops 239Pu, um daraus wiederum Brennstäbe für Kernreaktoren, Material für Isotopenbatterien (man denke an den Trubel um die Saturn-Sonde "Cassini") oder als Sprengstoff für Atombomben zu gewinnen. Das meiste über die heutige Erdoberfläche verteilte Plutonium stammt aus Letzteren (mehrere Tonnen).
Als chemischer Stoff ist Plutonium ein Schwermetall mit ähnlicher Giftwirkung wie z.B. Blei oder Arsen, wobei Arsen, Zyanid oder auch hochkonzentriertes Koffein oder Nikotin bei gleicher Menge weitaus giftiger ist (selbst unter allerungünstigsten Bedingungen wird es wohl niemals einen Menschen geben, der an einer akuten Plutonium-Vergiftung sterben wird - die tödliche Dosis dürfte so bei 10 -20 mg liegen). Die fatale Gefährlichkeit von Plutonium ergibt sich in seiner Eigenschaft als relativ langlebiger Alpha-Strahler (Alphateilchen sind schnelle Helium-Kerne, die beim Kernzerfall entstehen und einen Teil der dabei freiwerdenden Bindungsenergie in Form von kinetischer Energie abtransportieren) und zwar dann, wenn es über die Atmung (sehr gefährlich) oder über die Nahrungskette (weniger gefährlich, da es meist schnell wieder ausgeschieden wird) aufgenommen wird. Außerhalb des menschlichen Körpers ist Plutonium harmlos, da die Reichweite der Alpha-Strahlen auf wenige Millimeter begrenzt ist und schon durch die menschliche Haut effektiv abgeschirmt wird (deshalb ist Plutonium mit Strahlungsmeßgeräten auch nur schwer bzw. gar nicht nachzuweisen). Zerfallen jedoch Plutonium-Kerne im Körper spontan (z.B. in den Lungenbläschen, im Lymphsystem, der Leber oder in den Knochen), dann können sie das Erbgut des umgebenden Gewebes schädigen und zwar derart, daß eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, daß sich Krebszellen ausbilden. Die sekundären Krebserkrankungen stellen dann die eigentliche Gefahr dar. Eine signifikante Erhöhung des Plutoniumuntergrundes des Isotopes 239Pu (Halbwertszeit 24110 Jahre) erhöht deshalb im gleichen Maße die Mortalitätsrate durch Krebserkrankungen, wobei jedoch im Einzelnen die Ursache einer konkreten Krebserkrankung nur in den seltensten Fällen ursächlich auf eine Pu-Inhalation zurückzuführen ist. Sehr hohe Pu-Konzentrationen über einem begrenzten Areal können deshalb dieses Areal aufgrund dieses Risikos für viele 10000 Jahre unbewohnbar machen, ein Fakt, der bei Restrisikoabschätzungen unbedingt zu betrachten ist (die spezifische Aktivität für 239Pu beträgt 2000 Bq/µg).
Zumindest gegenwärtig sind im Gebiet im und um das AKW Fukushima ganz andere Stoffe ein Problem, deren Namen mittlerweile auch alle nicht chemie-begeisterten Mitbürger kennen: Jod und Cäsium. Beginnen wir mit dem Jod (ein Halogen, welches in DE seit drei Wochen die Apotheker glücklich macht), und zwar mit dessen radioaktiven Varianten, von denen es im Wesentlichen vier gibt: 131I, 132I, 133I, 135I. Von größerer Bedeutung für den Strahlenschutz ist nur das Isotop 131I mit einer Halbwertszeit von 8 Tagen. Die anderen Isotope haben Halbwertszeiten von 2.3 Stunden, 20.8 Stunden und ~7 Stunden. Dabei bedeutet "Halbwertszeit", daß nach jeweils dieser Zeit genau die Hälfte der Atome des entsprechenden Isotops spontan in andere Isotope (die u.U. auch strahlen können) zerfallen sind. Aus den angegebenen Zahlen erkennt man, das radioaktives Jod nur ein temporäres Problem darstellen kann. Da Jod ein Beta-Strahler ist, stellen hier die schnellen Elektronen, die beim Zerfall entstehen, die eigentlich Gefahr dar, da sie genauso wie die Alpha-Teilchen des Plutoniums Krebs auslösen können. Dazu kommt noch, daß sich Jod in der Schilddrüse ansammelt und zwar mit gutem Grund: Es wird dort zum Aufbau von zwei speziellen Hormonen benötigt, die für das Zellwachstum und den Energiestoffwechsel von ausschlaggebender Bedeutung sind. Schilddrüsenfehlfunktionen aufgrund von Jodmangel können bekanntlich zur Kropfbildiung und zu Wachstumsstörungen führen. Und gerade zur Verhinderung derartiger Erkrankungen dienen die Jodtabletten, die z.Z. unsere Apotheken verstärkt ordern müssen. Gegen "radioaktives" Jod helfen sie nicht wirklich. Aber warum werden dann Jodtabletten im Umfeld havarierter AKW's in Menge verteilt und geschluckt? Der Grund dafür ist, daß die Aufnahmekapazität von Jod in der Schilddrüse begrenzt ist (10 bis 30 mg). Wenn man diese Kapazität ausschöpft, in dem man Kaliumjodid-Tabletten konsumiert, können sich die radioaktiven 131I-Atome nicht mehr in die Schilddrüse einlagern und dort potentiell Schilddrüsenkrebs verursachen. Sie werden dann ohne großen Schaden zu machen wieder ausgeschieden. Man nennt dieses Verfahren des vorbeugenden Strahlenschutzes "Jodblockade". Sie kann aufgrund der geringen Halbwertszeit auf wenige Wochen nach der Jod-Freisetzung begrenzt werden. Auch beim Reaktorunglück von Tschernobyl wurden große Mengen radioaktiven Jods freigesetzt. Deshalb weiß man auch über dessen Auswirkungen auf den Menschen recht gut Bescheid. Aus der verfügbaren Literatur kann man entnehmen, daß es nach der Reaktorkatastrophe in der direkten Umgebung von Tschernobyl 6848 Fälle von Schilddrüsenkrebs gegeben hat, von denen 15 Personen an dessen Folgen verstorben sind. Der Grund für diese außergewöhnlich geringe Mortalitätsrate liegt in der vergleichsweise guten Behandelbarkeit dieser Krebsart bei entsprechender medizinischer Infrastruktur. Nach der Ansicht von Strahlenmedizinern ist eine 131-Jod-Aktivität von ~500 Bq pro Liter Milch gerade noch tolerierbar. So gesehen hat es in DE nach der Tschernobyl-Katastrophe bezüglich radioaktiven Jods nie eine akute Gefahr gegeben. Wer heute wegen Fukushima Jodtabletten konsumiert, hat ein ganz anderes, m.E. viel ernsteres Problem.
Und nun zum zweiten Stoff, dessen Name in jedem Artikel über die AKW-Katastrophe in Japan auftaucht, das Cäsium, genauer das Isotop 137Cs (eventuell noch 134Cs). Als Alkalimetall ähnelt es chemisch dem Kalium und kann deshalb im menschlichen Körper bei der Verdauung aufgenommen und anstelle von Kalium z.B. ins Muskelgewebe eingebaut werden. Und dort entfaltet sich dann seine unheilbringende Wirkung. Auch hier handelt es sich wie beim radioaktiven Jod um einen Betastrahler, nur daß die Halbwertszeit von 30.17 Jahren in der Größenordnung der Lebenszeit eines Menschen liegt. Deshalb macht dieser Stoff auch heute noch im Gebiet um Tschernobyl die meisten Probleme. Auch in DE ist es z.B. in Waldpilzen oder im Fleisch von Wildtieren relativ leicht nachweisbar. Die Gefahr, die bei dessen Verzehr ausgeht, relativiert sich jedoch sofort, wenn man etwas rechnet. Pi mal Daumen kann man davon ausgehen, daß eine Strahlendosis von 1 mSv ungefähr 80000 Zerfälle von 137Cs-Atomen pro Sekunde erfordert. 200 Gramm Waldpilze aus hochkontaminierten Gegenden in Süddeutschland führen bei einer Belastung mit 4000 Bq/kg 137Cs zu einer Strahlenexposition von 0.01 mSv. Das ist offensichtlich weniger als ein Hundertstel der natürlichen Strahlungsbelastung, die im Mittel mit 2.1 mSv angegeben wird.
Ganz unabhängig davon (was DE betrifft) ist radioaktives Cäsium aus Sicht des Strahlenschutzes erst einmal das größte Problem in Bezug auf eine Reaktorkatastrophe a la Fukushima. Dadurch, daß Pflanzen und Tiere diesen Stoff bevorzugt aufnehmen und kummulieren, gelangen sie langfristig und unkontrolliert in den Nahrungskreislauf. Das läßt sich prinzipiell kaum verhindern. Man kann eigentlich nur die Nahrungsmittelproduktion in den stark kontaminierten Gebieten einstellen sowie Nahrungsmittel an sich einer verstärkten Kontrolle unterziehen. Die Auswirkungen auf die Fischbestände vor Japans Küsten werden sich jedoch langfristig stark in Grenzen halten. Dazu ist der Verdünnungseffekt der Weltmeere einfach zu groß.
Damit erübrigt sich auch die ernsthaft im Fernsehen gestellte Frage, ob "Käpt'n Iglus Fischstäbchen" weiterhin bedenkenlos verkonsumiert werden können.
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