Mittwoch, 7. September 2011

Planet Mars (6) - Oberfläche - Tharsis (Alba Patera)


Alba Patera
Nicht der Höchste, sondern der vom Volumen her massivste Vulkan des Sonnensystems ist der etwas unscheinbare Alba Patera, der mit einem Basisdurchmesser von ~1600 km fast den ganzen nördlichen Teil der Tharsis-Region einnimmt. Mit einer Gipfelhöhe von lediglich 6.8 km gehört er mit zu den flachsten Schildvulkane, die man kennt. Die mittlere Hangneigung liegt gerade einmal bei 0.5° und ist somit vor Ort quasi gar nicht zu bemerken. Nur der leicht konische zentrale Teil mit einem Durchmesser von knapp 400 km und einer Höhe von 1.5 km ist ein klein wenig steiler und endet in einer komplexen Gipfelcaldera. Sie besteht aus sechs größeren Einzelkompo­nenten und ist ca. 200 bis 500 m tief. An ihrer Struktur läßt sich erkennen, daß Alba Patera in der Vergangenheit mehrere, durch inaktive Phasen unterbrochene Aktivitätszyklen durchlaufen haben muß.

Für den Geologen sind besondere die Flanken des Vulkans interessant. Sie bestehen aus schalenartig übereinander abge­lagerten Flutbasalten, die im unteren Bereich aus ausgedehnten Spalteneruptionen stammen und einmal extrem dünnflüssig gewesen sein müssen. Auffällig sind auch die bogenförmigen Brüche, die den Gipfelbereich unvollständig in Form eines ~ 400 km messenden Ringes umgeben. Dazu kommen noch Bereiche mit vielen nebeneinander liegenden Verwerfungsstrukturen und offenen bzw. partiell eingefallenen Lava-Abflußrinnen mit typischen Streichrichtungen von Nord nach Süd. Der nördlich von Alba Patera liegende Teil dieser Strukturen bilden die Tantalus Fossae und der südlich davon liegende Teil die Ceraunius Fossae. Dabei haben die weitgehend parallel verlaufenden Gräben eine Breite zwischen 2 und 10 km und lassen sich über eine Länge von bis zu 1000 km verfolgen. Aus dem Schattenwurf ihrer Ränder konnte ihre ungefähre Tiefe ermittelt werden. Sie liegt im Bereich zwischen 100 und 350 m. An manchen Stellen sind sie auch durch jüngere Flutbasaltdecken überlagert und deshalb dort nicht mehr sichtbar.


Alle diese Strukturmerkmale zeugen sowohl von einer intensiven vulkanischen Tätigkeit als auch von prä- und subvulkanischen Prozessen, die schließlich zum Bruch der unter Streß geratenen Krustenteile führten und dabei eine Abfolge komplexer  tektonischer Prozesse konservierten. Auf jeden Fall haben sich die einzelnen Grabensysteme in verschiedenen Phasen ent­wickelt, die zeitlich zwischen 3.8 und 2.3 Ga anzusiedeln sind (Tanaka, 1990, Neukum, 2001).  Die Nord-Süd-Verwerfungen, die das System der Tantalus Fossae und Ceraunius Fossae bilden, entstanden durch Zugbeanspruchung zu Beginn der Tharsis-Aufwölbung zwischen 3.8 und 3.4 Ga. Danach entwickelte sich unter dem heutigen Vulkan ein hot spot, der einen viele 100 Millionen Jahre andauernden Vulkanismus einläutete. Dabei sind zuerst sehr dünnflüssige und später, im Endstadium, zäh­flüssigere Laven gefördert worden, was sich in dem etwas steileren, auf dem Hauptkörper leicht aufgesetzten Vulkankegel widerspiegelt.





Alba Patera mit Gipfelcaldera und den bogenförmigen Grabenstrukturen Alba Fossae (links), Phlegethon Catena (rechts an der südöstlichen Flanke) und den teilweise von Flutbasalten überdeckten Ceraunius Fossae im unteren Teil des Bildes. Quelle NASA      

Während der Aktivitätsphasen flossen die Laven entweder in breiter Front über die Flanken oder in Lavaröhren bzw. Abfluß­rinnen ab. Letztere lassen sich über viele dutzende Kilometer über die Vulkanflanken verfolgen, wobei ausgeräumte Lava­röhren oftmals eingebrochen sind und grabenartige Strukturen bilden. Ob es auch explosive Aktivitätsphasen mit pyroklastischen Ablagerungen zumindest in der Frühgeschichte von Alba Patera gegeben hat, ist nicht klar. Die Vermutung kam auf, weil sich damit einige geologische Befunde in den nördlichen Flanken­bereichen erklären lassen (Netzwerke dendritenartiger Talstruk­turen), die besonders leicht erodierbares Material (vulkanische Lockerstoffe) voraussetzen.

Über die Entstehung der auffälligen Grabenstrukturen sind verschiedene Erklärungsmodelle vorgeschlagen worden. Hier soll nur kurz das durch „Sandkastenexperimente“ und numerische Simulationen nachvollzogene Modell von Cailleau et.al. (2003) erwähnt werden. Es geht, wie die meisten anderen Modelle (z.B. Turtle, Melosh, 1997) auch, von einer mehrphasigen vulka­nischen und tektonischen Entwicklung der Region aus. Danach sind die Gräben, die im Gipfelbereich von Alba Patera konver­gieren, älter als die mehr bogenförmigen Gräben (z.B. Alba Fossae), die den oberen Teil des Vulkans konzentrisch umgeben. Erstere ist das Resultat von Zugkräften, die lokal zu einer Krustendehnung und damit zur Ausbildung von Scharen von Grabenbrüchen führten. Diese Brüche zeigen im südlichen Bereich (Ceraunius Fossae) eine auffällige Richungsänderung, die es modellmäßig zu reproduzieren gilt. Ohne zu sehr in die Einzelheiten zu gehen, lassen sich zwei Arten von Ursachen für die Entstehung des zur Grabenbildung notwendigen Spannungs­feldes in der Lithosphäre ausmachen. Einmal die Decklast, die durch den kontinuierlichen Aufbau des Schildvulkans entsteht und einmal der Druck von „unten“, der durch einen aufstei­genden (sekundären) Diapir verursacht wird.  Dazu muß noch der Einfluß der Tharsis-Aufwölbung, die sich weiter südlich konzentriert, Berücksichtigung finden. Die Berechnungen zeigen, daß ein nur durch die Decklast des Vulkans bedingtes Spannungs­feld nicht in der Lage ist, die beobachteten Grabenstrukturen zu erklären, da man dazu eine zu geringe Lithosphärendicke im Bereich von Alba Patera voraussetzen müßte, die aber nach gravimetrischen Messungen auszuschließen ist. Vielmehr scheint folgendes Szenario die beobachteten Morphologien am besten zu reproduzieren:



·         Mit Beginn der Tharsis-Aufwölbung entstand ein Dehnungs­streß der dazu führte, daß sich Risse in der Lithosphäre auf­taten (3.9 - 3.7 Ga)
·         Im Bereich von Alba Patera entstand durch einen lokalen Diapir ein „hot spot“, der bei seinem Aufstieg ein horizontales Spannungsfeld aufbaute (welches nach Norden schwächer wurde) und an der Oberfläche parallele Grabensysteme, die südlich des hot spots nach Süd-Ost abbiegen, entstehen ließ. (3.7 – 3.1 Ga).
·         Durch die Risse konnte über dem hot spot Magma aufsteigen und es entwickelte sich ein mehrere 100 Millionen Jahre andauernder weitgehend effusiver Vulkanismus, der riesige Mengen von Laven liefert, die sich über die Flanken des Vulkans in die Umgebung ergossen. Die dadurch bedingte Auflast verstärkte das horizontale Spannungsfeld im nörd­lichen Bereich von Tharsis (3.6 – 2.2 Ga).
·         Mit dem Erlöschen der vulkanischen Tätigkeit began sich der Bereich der Intrusionen und Magmakammern auszukühlen, was zu einer Schrumpfung und damit Dichteerhöhung der unter dem Vulkan liegenden Gesteinskörper führte. Resultat davon war die Entstehung der bogenförmigen Grabenstruk­turen wie Alba Fossae, welche heute noch den oberen Gipfel­bereich des Vulkans umgeben. Außerdem entstand ungefähr zu gleichen Zeit durch Einsturz der oberflächennahen und weitgehend entleerten Magmenkammer die Gipfelcaldera (~2.1 Ga).





Pit chains in einem Dehnungsbruch im Bereich Phlegethon Catanae (unten perspektivische Ansicht).  Quelle ESA, Neukum


Zum Abschluß soll noch ein Blick auf die Gräben und Abflußkanäle selbst geworfen werden. Mars Expreß konnte am nördlichen Teil von Ceraunius Fossae in einem Gebiet mit dem Namen Phlegethon Catena hochauflösende Fotos einzelner Dehnungsbrüche gewinnen, aus denen sich eindrucksvolle 3D-Bilder erzeugen ließen. Die Bezeichnung „Catena“ (lateinisch für „Kette“) leitet sich aus den kraterartigen Senken („pits“) her, die perlschnurartig den Boden der Gräben ausfüllen. Ihre Durch­messer liegen zwischen 500 Meter und 2.3 Kilometer. Solche pit chains findet man häufig in Grabensystemen auf dem Mars, während man derartige in Gräben aneinander gereihte kegel­förmige Einbrüche auf der Erde (bis auf wenige Ausnahmen in viel kleineren Skalen, z.B. auf Island) so gut wie nie beobachtet (Ferrill et. al. 2004). Die Gründe liegen dabei einmal in der höheren Erosionsrate auf der Erde (die solche Strukturen schnell verschwinden lassen) als auch in einem anderen tektonischen Szenario der Grabenbruchbildung, die etwas mit der mehr als doppelt so großen Oberflächenschwerkraft im Vergleich zum Mars zu tun hat.

Grabenbrüche entstehen bekanntlich immer dann, wenn Lithosphärenbereiche durch Zugbeanspruchung zerbrechen und deren inneren Teile durch das freiwerdende Volumen an den tektonischen Bruchkanten absinken. Durchziehen die Brüche Schichten unterschiedlich verfestigtes Material, dann können sich im tieferliegenden festeren Material vertikale Dehnungsrisse bilden, die quasi nach unten verlaufende Hohlräume darstellen. Erreichen sie eine gewisse Größe, dann kann das den Grabenboden bildende lockere Oberflächenmaterial instabil werden und nach und nach einbrechen, wobei Ketten von konusförmige Einbruchdellen entstehen. Dieser Vorgang wird durch die geringere Oberflächenschwerkraft begünstigt, da dadurch die Zugbeanspruchung mit der Tiefe moderater abnimmt und sich damit die Grabensegmente unter ihrem eigenen Gewicht tiefer (d.h. bis zu 5 km) absenken können, als es beispielsweise auf der Erde der Fall ist (bis zu 2 km). Damit ist auch das Potential größer, daß sich im oberen Bereich der Dehnungsrisse größere Hohlräume ausbilden, in der lockeres Oberflächenmaterial nachrutschen kann.




Entstehung von Einsenkungsstrukturen (pit chains) in Grabenbruch­bereichen auf dem Mars.  Quelle D.A.Ferrell et.al.2004



Nächstes Mal: Tharsis Montes etc..

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