Die Wahrscheinlichkeit, daß es im überschaubaren Universum „Leben“ gibt, ist 1. Diese Gewißheit ergibt sich zwangsläufig aus unserer Existenz auf dem Planeten Erde, der sich ansonsten um einen ziemlich gewöhnlichen Hauptreihenstern unserer Milchstraße bewegt. Sie sagt aber erst einmal nichts über die „Häufigkeit“ belebter Welten aus. Um hier seriös urteilen zu können, muß man als Erstes erforschen, wie das Leben auf der Erde entstanden ist und nach welchen Gesetzmäßigkeiten und in welchen Zeitmaßstäben es sich entwickelt hat. Was die Entstehung des Lebens betrifft, so weiß man auch heute noch nicht sonderlich viel darüber, obwohl sich einige konzeptionell weiterführende Ansätze (z.B. die „Eisen-Schwefel-Welt“ nach Günter Wächtershäuser, 1989) durchaus abzeichnen. Was dagegen die Entwicklung des Lebens betrifft, existiert mit der von Charles Darwin (1809-1882) begründeten Evolutionstheorie ein empirisch außergewöhnlich gut verifiziertes Gedankengebäude mit durchaus festen Fundamenten, welches die Diversität des Lebens auf der Erde in zeitlicher Dimension nahezu widerspruchsfrei bis hinunter zu den molekularen Grundlagen erklären kann. Es ist sicherlich nicht falsch anzunehmen, daß die von Darwin entdeckten Prinzipien biologischer Evolution universell gültig sind und in ihrer Form auf jeden „belebten“ Planeten Gültigkeit besitzen.
Darwinsche Evolution
Evolution im darwin‘schen Sinne setzt immer an einer Population von Individuen an, die eine Fortpflanzungsgemeinschaft bilden. Dabei bestimmt deren Genausstattung den jeweiligen Phänotyp. Der Phänotyp bestimmt wiederum in Wechselwirkung mit der Umwelt den Fortpflanzungserfolg und damit die Fitneß des Genträgers. Zufällige Änderungen im Genotyp – sogenannte Mutationen – müssen über Generationen hinweg ihre Fitneß beweisen, was dazu führt, daß sich auf Dauer nur die Individuen einer Population erfolgreich fortpflanzen, deren Eigenschaften einen, wenn auch kleinen Vorteil im „Kampf ums Dasein“ bieten. Da im Laufe des Lebens einmal erworbene Erfahrungen und Eigenschaften nicht auf den Genotyp rückwirken können, kann Evolution auch nicht zielgerichtet bzw. zielbestimmt sein (teleologisch). Sie ist aber auch nicht völlig undeterministisch, da unter ähnlichen Umweltbedingungen ansonsten völlig verschiedene Lebewesen eine ähnliche Phänomenologie ausbilden können, eine Erscheinung, die man in der Evolutionsbiologie als Konvergenz bezeichnet.
Man ist geneigt, durch eigene Erfahrung und durch das, was man in der Schule gelernt hat, anzunehmen, daß die Entwicklung des höheren Lebens auf der Erde einen genau vorbestimmten Pfad folgt, an dessen (vorläufigen) Ende der Mensch steht. Aber genau das ist falsch. Der Mensch ist zweifellos ein Zufallsprodukt und kein – Evolution ist blind – vorbestimmtes Ziel einer Milliarden von Jahren andauernden Entwicklung. Wie Evolutionsbiologen zwingend zeigen können, ist der Weg zum Menschen ein durch und durch von glücklichen Zufällen gepflasterter Pfad, der uns nur deshalb als folgerichtig erscheint, weil wir zufällig an dessen Ende stehen und ihn deshalb rückverfolgen können. Wäre z.B. vor 65 Millionen Jahren nicht ein Planetoid den Sauriern auf den Kopf gefallen, gäbe es sie vielleicht noch heute. Uns Menschen aber mit Gewißheit nicht. Die Entstehung zweibeiniger Primaten mit dem Effekt, daß die Vordergliedmaßen nicht mehr ausschließlich zur Fortbewegung benötigt werden, beinhaltet in sich schon einen gewissen Grad an Potentialität, der einen „Fortschritt“ in Richtung höherer Intelligenz mit einem damit verbundenen Überlebensvorteil wahrscheinlicher macht. Der „Zufall“ in der Evolution ist also nicht vollkommen.
Für die Frage, wie häufig lebende Materie im Kosmos anzutreffen ist, ist die Frage, unter welchen Umweltbedingungen Leben entsteht, von größerer Wichtigkeit. Denn wenn „Leben“ erst einmal entstanden ist, dann kann es sich in gewissen Grenzen dank der Darwinschen Evolution recht robust erweisen (man denke an extremophile Mikroorganismen) und in seiner Gesamtheit sogar Einfluß auf seine planetaren Umweltbedingungen nehmen (der hohe Sauerstoffgehalt der Erdatmosphäre ist z.B. biologischen Ursprungs). Wenn man also die Frage nach der Häufigkeit von Leben im Kosmos beantworten will, muß man die Wahrscheinlichkeit für dessen Entstehung unter entsprechenden chemisch-physikalischen Voraussetzungen kennen. Und die lassen sich leider bis heute nur anhand des Lebens auf der Erde einigermaßen (und mit großen Unsicherheiten) rekonstruieren.
Unter den Astrobiologen ist man sich dahingehend einig, daß „Leben“ nur auf der Grundlage von Kohlenstoffchemie möglich ist. Kohlenstoff ist ein im Kosmos sehr häufiges Element, welches aufgrund seiner kovalenten Bindungseigenschaften polymere, hochkomplexe Moleküle im Zusammenspiel mit einer Anzahl weiterer wichtiger Elemente wie Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Schwefel, Phosphor und Eisen bilden kann. Und diese Moleküle können in einem zwar engen Temperaturbereich (der im Wesentlichen durch die flüssige Phase von H_2 O vorgegeben ist) in wässriger Lösung existieren und vielfältig untereinander reagieren. Eine erste Bedingung für die Entstehung von Leben ist demnach ein mit monomeren organischen Substanzen angereichertes wässriges Milieu. Dabei kann ein Teil der monomeren Grundbausteine (z.B. einfache Aminosäuren) durchaus aus dem Kosmos stammen, wo sie in kühlen Molekülwolken entstanden, in Eis eingelagert und über Kometenkerne auf die frühe Erde gelangt sind. Eine Entstehung dieser Grundbausteine auf der Erde – nachdem sie sich abgekühlt hat und „Ozeane“ entstanden sind – ist aber genauso möglich.
Weiterhin ist eine Energiequelle notwendig, mit deren Hilfe „einfache“ Moleküle zu immer komplexeren Molekülen zusammengebaut werden, wobei es sich dabei um eine primitive Art von „chemischer Energiequelle“ handeln muß, denn effektive autotrophe Metabolismen wie Gährung oder die Photosynthese wurden erst von Lebewesen selbst erfunden. Im Wächterhäuser-Modell der chemischen Evolution liefert z.B. ein chemoautotropher Oberflächen-Metabolismus auf der Grundlage der Bildung von Pyrit aus Schwefelwasserstoff und Eisensulfid die Energiequelle, welche eine spezielle Form von primordialen Citrat-Zyklus antreibt und in der Lage ist, Kohlendioxid und Kohlenmonoxid als Kohlenstoffquellen für den Aufbau höhermolekularer Verbindungen zu nutzen. In diesem Modell liegt die Wiege des Lebens in den Bereichen unterseeischer heißer Quellen, die heute noch auf der Erde in den Riftzonen als „Schwarze“ oder „Weiße Raucher“ existieren und dort Zentren faszinierender Ökosysteme sind.
Das Ergebnis der chemischen Evolution wird dann erst als „Leben“ emergent, wenn es nicht nur einen Metabolismus aufweist sondern sich auch replizieren kann. Diese Forderung führt zur sogenannten (hypothetischen) RNA-Welt (RNA=Ribonukleinsäure), denn RNA-Moleküle besitzen die Eigenschaft, chemische Reaktionen zu katalysieren (ähnlich den Proteinen) als auch die Eigenschaft, Informationen zu speichern (A. Wochner et al. 2011). Das bedeutet, daß derartige Moleküle das Potential haben, sich selbst zu katalysieren, wodurch sie zu einem ersten Objekt der darwinschen Evolution auf molekularer Ebene werden. Und genau das wäre ein riesiger Schritt zur Entstehung eines primitiven Pionier- oder Urorganismus, welcher schließlich alle Eigenschaften lebender Materie aufweist:
- Kompartimentierung (Urzelle)
- Energiestoffwechsel
- Katalyse
- Regulation
- Wachstum
- Programm
- Reproduktion
- Anpassung
Man muß sich ihn noch viel primitiver vorstellen als die einfachsten Archaeen, die heute auf der Erde existieren.
Zwar zeichnet sich mittlerweile, was die chemische Evolution betrifft, durchaus ein „Roter Faden“ in der Theorie der Entstehung des Lebens auf der Erde ab: Bildung monerer Grundbausteine – autokatalytische chemische Prozesse (Hyperzyklus, M.Eigen 1979) – RNA als Informationsträger und Enzym – Entstehung des genetischen Codes (DNA) – natürliche Auslese und Optimierung (Darwin). Aber alle diese denkbaren Schritte sind weiterhin nicht nur im Detail sehr hypothetisch und lückenhaft. Es steht auch heute immer noch die Frage im Raum, ob die Entstehung lebendiger Materie mehr ein Zufallsprozeß (J. Monod, 1971) oder, unter gewissen günstigen Rahmenbedingungen, ein zwangsläufig ablaufender Prozeß ist (C. de Duve, 1995). Die Tatsache, daß auf der Erde die chemische Evolution sehr schnell vonstatten gegangen ist (-400 Millionen Jahre), lädt eher zu der Vermutung ein, daß Leben zwangsläufig entsteht, sobald die Bedingungen dafür vorhanden sind. In diesem Kontext sollte Leben an sich nach der heutigen Kenntnis der Exoplanetenforschung ein durchaus häufiges Phänomen im Kosmos sein.
Wie sieht es aber mit „hochentwickelten Leben“ aus, die man auf der Erde als Metabionta bezeichnet und zu dem letztendlich auch der Mensch gehört? Ist deren Entwicklung auch ein zwangsläufiger Prozeß? Und genau diese Frage muß man eindeutig mit „nein“ beantworten, wenn man die Darwinsche Evolutionstheorie ernst nimmt (S.J. Gould, 1989). Denn es gibt in dieser Beziehung einige unerfreuliche Wahrheiten, wie z.B.
Die Hälfte der Biomasse der Erde (ca. 1000 Gt Kohlenstoff) entfallen auf Archaeen und Bakterien. Was die Individuenzahl betrifft, sind Bakterien ohne Zweifel die vorherrschende Lebensform auf der Erde – und das war seit der Entstehung des Lebens schon immer so und so wird es bis zum Untergang der Biosphäre in (spätestens! K-F. Li et al. 2009) 2 Milliarden Jahren auch so bleiben.
Der Entwicklungsweg von einer primitiven prokaryontischen Zelle zu einer komplexen eukaryontischen Zelle hat auf der Erde sehr lange gedauert
Eukaryonten erschienen zum ersten Mal vor ca. 1.8 Milliarden Jahren im Proterozoikum auf der Erde. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Leben bereits weit mehr als die Hälfte seiner gesamten Geschichte hinter sich. Eukaryonten sind auf der Erde bekanntlich die zellularen Grundbausteine mehrzelliger Lebewesen. Die ersten wirklich komplexen (makroskopischen) Mehrzeller tauchten zuerst im Ediacarium (vor ca. 600 Ma) auf. Diese Entwicklung mündete in eine knapp 100 Millionen Jahre andauernde Diversifikationsphase, bei der eine Vielzahl neuer und z.T. grotesk aussehender Tierarten entstanden ist, von denen viele jedoch schnell wieder ausstarben.
Mehrzellige Lebewesen erreichen schnell eine hohe Diversität und Komplexität (Stichwort „Kambrische Explosion“). Grundlegende biologische Baupläne (z.B. Tiere mit Innenskelett, Schalentiere, Arthropoden etc.) werden nachträglich nur noch modifiziert, aber nicht neu erfunden
Zu erwähnen ist, daß Eingangs des Kambriums die Natur eine sehr große Zahl von „Bauplänen“, die sich taxonomisch in „Stämme“ einteilen lassen, ausprobiert hat. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen waren am Ende dieser „kambrischen Explosion“ (vor ca. 540 Millionen Jahren) die meisten dieser biologischen Baupläne wieder verschwunden und es sind auch seitdem (bis auf sehr wenige Ausnahmen) keine Neuen hinzugekommen. Wären damals zufällig die Chordata (z.B.in Form von Pikaia aus dem Burgess-shale) ausgestorben, gäbe es heute weder Hering, Spatz noch Mensch....
Die Geschichte des Lebens ist eine Geschichte von glücklich überstandenen Katastrophen
Wenn man bedenkt, was in den rund 4 Milliarden Jahren von der Entstehung des Lebens bis zur Herausbildung mehrzelliger Organismen hätte alles passieren können, was für das Leben auf der Erde absolut tödlich gewesen wäre, dann kann man die Schlußfolgerung wagen, das „höheres“, d.h. mehrzelliges Leben im Kosmos eher selten bis sehr selten anzutreffen ist. Und es hat in der Geschichte des Lebens auf der Erde eine ganze Anzahl von einschneidenden Ereignissen (Katastrophen) gegeben, die zu einem sogenannten Faunen- oder auch Florenschnitt, einem Massenaussterben (Extinktion) von Tier- und Pflanzenarten, geführt haben. Derartige Katastrophen bieten für die Entwicklung des Lebens aber auch Chancen, da auf diese Weise ehemals besetzte ökologische Nischen wieder frei werden. Das fast vollständige Aussterben der großen landlebenden Reptilien vor 65 Millionen Jahren war z.B. die Voraussetzung dafür, daß die Säugetiere, die zur Zeit der Dinosaurier winzig klein waren und unter ihnen nur ein Schattendasein geführt haben, auf einmal erfolgreich die Erde erobern konnten.
„Intelligenz“ im Sinne von Selbstbewußsein und zivilisationsstiftender Kraft ist keine evolutionsbiologische Notwendigkeit
In den vielen Milliarden Jahren, seitdem Leben auf der Erde existiert, steht das schwer zu definierende Phänomen der Intelligenz als Ausdruck besonderer kognitiver Fähigkeiten ganz am Ende der Entwicklung. Solche Fähigkeiten sind zwar ohne Zweifel immer ein Selektionsvorteil, aber sie sind erst bei höheren Primaten zusammen mit dem ich - Bewußtsein zu einer Synthese gelangt, die eine kulturelle, zivilisatorische Entwicklung überhaupt erst ermöglichten. Die Einzigartigkeit des Menschen in dieser Hinsicht liegt in seiner Fähigkeit, kulturelle Informationen weiterzugeben und zu einem zentralen Aspekt seines Lebens zu machen. Möglich machte das die Entstehung zuerst sprachlicher, dann schriftlicher Kommunikation (E. Mayr, 2001). Ohne diese Fähigkeit sind eine kulturelle Entwicklung, die sich in Kunst und Literatur niederschlägt sowie eine technologische Entwicklung, die auf Mathematik und Naturwissenschaft beruht, nicht möglich. Denken und Intelligenz sind kein Privileg des Menschen, sondern, wenn man sich etwas umschaut, unter warmblütigen Tieren (Vögel und Säugetiere) durchaus verbreitet (J. Reichholf, 2011). Aber ohne sprachliche Komponente (sowie den speziellen motorischen Fähigkeiten, die den Menschen auszeichnen und mit denen er seine Umwelt aktiv und bewußt verändern kann) bleibt ihnen eine zivilisatorische Entwicklung versagt. Vorsichtig ausgedrückt lehrt allein schon das Beispiel Erde, daß „außerirdische“ Zivilisationen extrem selten sind und ihre Zahl in unserer Galaxie gewöhnlich (mit Ausnahme von Evolutionsbiologen) maßlos überschätzt wird
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