Spinoza, Ethik
Der Begriff „Leben“ hat etwas mit dem Begriff „Zeit“ gemein, über den Thomas von Aquin folgendes zu sagen wußte: „Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand darnach fragt, weiß ich es, wenn ich es aber einem, der mich fragt, erklären sollte, weiß ich es nicht;…“. In einem ähnlichen Dilemma steht man, wenn man „Leben“ allgemeingültig definieren möchte, z.B. in Form eines „Algorithmus“, der, angewendet auf eine Entität der natürlichen Umwelt, als Ergebnis „ Leben ja“ oder „Leben nein“ liefert. Das Problem beginnt bereits damit, daß wir nur eine „Lebensform“ kennen, die unserer Erde. Sie beruht auf komplexer Kohlenstoffchemie, für die sogar ein eigener Begriff, der Begriff der „Organischen Chemie“ bzw., noch genauer, der „Biochemie“, geprägt wurde. Ob andere chemische Grundlagen auch so etwas wie „Leben“ ermöglichen, ist eher fraglich, so daß es eine gute Arbeitshypothese ist, wenn man davon ausgeht, daß „Leben“ im Kosmos immer auf den speziellen chemischen Eigenschaften des Elements Kohlenstoff beruht. Derartiges „Leben“ soll im Folgenden als „Leben, wie wir es kennen“ verstanden werden. Aber schon hier, in einer Welt, wo es von „Leben“ nur so wimmelt, ist es eine Herausforderung, eine Definition für dieses erstaunliche Phänomen zu finden. Man kann es sogar als Paradoxon auffassen, daß die Formulierung einer allgemeingültigen Definition für „Leben“ anscheinend immer schwieriger wird, je mehr die biologischen Wissenschaften darüber in Erfahrung bringen. So ist es nicht verwunderlich, daß man in der Fachliteratur – je nach wissenschaftlichem Blickwinkel – eine Vielzahl von Definitionen findet, von denen jede Einzelne sicherlich ihre Berechtigung hat, aber keine von ihnen so allgemeingültig ist, daß man sagen kann – ja genau, das ist „Leben“.
Das beginnt damit, daß die Definition „minimalistisches“ Leben von „nichtlebenden“ Entitäten sicher abgrenzen muß. Spezielle Eigenschaften des Lebens wie z.B. das menschliche Bewußtsein oder – viele Etagen tiefer in der Komplexitätsleiter – die Mehrzelligkeit „höheren“ Lebens spielen dabei keine Rolle. Das Problem besteht darin, einen Satz von Eigenschaften zu finden, die in ihrer Gemeinsamkeit erlauben, lebende molekulare Systeme (sie entsprechen minimalistischen Organismen) von nichtlebenden zu unterscheiden. Daß das nicht einfach ist, zeigen z.B. die Viren, die zwar biologische Objekte sind, denen aber die Eigenschaft „Leben“ abgesprochen werden muß. In der anderen Richtung bedarf es aber auch einer eindeutigen Abgrenzung gegenüber „künstlichen“ Leben, soweit man darunter künstlich erschaffene Objekte mit begrifflich ähnlichen Eigenschaften wie „natürliches“ Leben verstehen will. Man denke z.B. an die (noch) hypothetischen von Neumann-Sonden, die nach den Vorstellungen ihres Schöpfers John von Neumann und Arthur W. Burks (Von Neumann, 1966) die Fähigkeit besitzen, sich anhand eines Programms (=genetischer Code) unter Ausnutzung von Ressourcen der Umwelt und deren Energie (=Metabolismus) sich beliebig reproduzieren zu können (=Fortpflanzung). Selbst Objekte der virtuellen Welt, wie sie sich in großer Zahl in den Speichern von Computern tummeln, lassen sich einige Eigenschaften von „Leben“ nicht gänzlich absprechen. Aber sowohl „künstliches“ wie auch „virtuelles“ Leben sind an ihrer Entstehungsgeschichte faßbar, wenn man davon ausgeht, daß natürliches Leben nur infolge der Selbstorganisation der Materie (also ohne Zutun von „Schöpfern“ ihrer eigenen komplexesten Zunft) entstehen kann. Das zeigt, daß auch die Genese von Leben Bestandteil ihrer Definition sein muß. Sie beinhaltet immerhin eine der wichtigsten, noch ungelösten Probleme der Astrobiologie: Wie entsteht Leben aus anorganischer Materie?
Man kann sich dem Phänomen „Leben“ wissenschaftlich von verschiedenen Seiten her nähern. In besonders allgemeingültiger und auch heute noch beeindruckender Weise gelang das dem berühmten Physiker und Nobelpreisträger von 1933, Erwin Schrödinger, in seinem 1944 geschriebenen Buch „What is Life?“, welches seitdem immer wieder neu aufgelegt wurde (Schrödinger, 2012). Es entstand unter dem Eindruck der seit Anfang der dreißiger Jahre aufgekommenen Debatte darüber, ob sich „Leben“ allein aus der Physik (und Chemie) erklären läßt oder ob es einen so großen qualitativen Unterschied (im Sinne von Bohr’s Komplementaritätsprinzips der Quantenmechanik) zwischen lebender und nichtlebender Materie gibt, daß dies niemals gelingen wird. Letzteres wurde immer mehr bezweifelt, da es immer klarer wurde, daß z.B. die Vererbung offensichtlich auf mikrophysikalischer (molekularer) Grundlage beruhen muß (Schrödinger sprach noch von einem „aperiodischen Kristall“, in dem die Baupläne eines Organismus gespeichert sind). Nur dann konnte man widerspruchsfrei (auch ohne den genauen Mechanismus zu kennen) die von den Genetikern entdeckten und detailreich untersuchten Vererbungsgesetze plausibel erklären. Die Quintessenz dieser Forschungen, an denen auch eine Anzahl auch heute noch bekannter Physiker beteiligt waren (z.B. Max Delbrück, Karl Günther Zimmer, Salvador Luria), bestand in der endgültigen Negierung eines e`lan vital, einer besonderen „Lebenskraft“, die nur Lebewesen eigen sein sollte und die sich nach Meinung der „Vitalisten“ der physikalisch-mechanischen Erklärungsweise widersetzt.
Ein weiteres Problem sprach Schrödinger in seinem Buch an, die Tatsache, daß lebende Systeme offensichtlich einem als grundlegend erkannten Naturgesetz widersprechen, dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik. Dazu muß man wissen, daß es in der Thermodynamik eine extensive Zustandsgröße gibt, für die Rudolf Clausius 1865 den Begriff der Entropie einführte. Sie stellt eine Verbindung zwischen der klassischen Wärmelehre und der statistischen Mechanik (Stichwort Mikro- und Makrozustände) her und ist ein Maß für den Ordnungszustand eines physikalischen Systems. Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik sagt nun aus, daß in einem abgeschlossenen System diese Größe entweder konstant bleibt oder zunehmen muß. Oder volkstümlich ausgedrückt: Die Unordnung nimmt bei jeder Zustandsänderung zu. Weiterhin ist diese Größe eng mit dem Begriff der Irreversibilität verbunden: Bei einem umkehrbaren Prozeß ändert sie sich nicht, bei einem unumkehrbaren Prozeß kann sie nur zunehmen. Sie gibt damit eine Richtung vor, die sich interessanterweise mit der Zeit verknüpfen läßt. Da sie, wie gesagt, in einem abgeschlossenen physikalischen System nur zunehmen kann, muß von zwei Zuständen der Zustand geringerer Entropie immer der frühere sein (Zeitpfeil).
Auch Lebewesen existieren nicht außerhalb der Naturgesetze. Gerade sie sind bekanntlich ein Sinnbild wohlgeordneter Strukturen und stellen thermodynamisch offene Systeme dar (Prigogine, Stengers, & Toffler, 1984). Wie man weiß, können schon kleine Abweichungen in diesen Strukturen dem Lebewesen das Prädikat „leben“ rauben. Was folgt ist Zerfall, der damit eine direkte und sichtbare Konsequenz des 2. Hauptsatzes ist. Solange ein Lebewesen „lebt“ muß es offensichtlich seinen Ordnungszustand präzise aufrecht erhalten, was nur dadurch möglich ist, in dem es ständig Energie aufnimmt und vermehrt Entropie an die Umgebung abgibt. Dieser Vorgang wird gemeinhin als Metabolismus (Stoffwechsel) bezeichnet und ist in den Details auch schon bei den primitivsten Lebewesen äußerst kompliziert: Strukturaufbau ist immer mit Entropieverbrauch und Arbeitsleistung verbunden, d.h. Lebewesen verbrauchen Energie um Ordnung zu erschaffen und müssen dabei aber zugleich „Unordnung“ produzieren (Stichwort Stoffwechselprodukte). Die dazu notwendige „Energie“ entnehmen sie der Umgebung. Diese Energiequelle wird dabei in der Biologie gewöhnlich „Nahrung“ genannt. Erwin Schrödinger hat diesen grundsätzlichen Vorgang in seinem schmalen Büchlein von 1944 klar herausgearbeitet und dabei den (wie wir heute wissen wahrscheinlich entbehrlichen) Begriff der „negativen Entropie“ (von Leon Brillouin als „Negentropie“ bezeichnet, (Brillouin, 1949)) eingeführt. Aufnahme von Negentropie bedeutet dabei Aufbau von Ordnung und Struktur –also eine Art von Selbstorganisation. Das funktioniert aber nur, wenn auf der anderen Seite eine größere Unordnung erzeugt wird. Nahrungsmittel müssen z.B. im Organismus wieder in ihre molekularen Bestandteile zerlegt werden (Entropie wächst), um die dabei freigesetzte (chemische) Energie zu nutzen, die Lebensvorgänge aufrechtzuerhalten (Negentropie wächst). Da dabei die Entropie stärker anwächst als die Negentropie, ist dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik Genüge getan. Das funktioniert aber nur, weil es im Kosmos in Form der Sterne ein Ungleichgewicht gibt mit der Tendenz zur Gleichverteilung z.B. der in den Weltraum abgestrahlten Photonen (der thermodynamisch wahrscheinlichste Zustand ist ein Kosmos, in dem alle Teilchen die gleiche Temperatur haben und damit alle Strukturbildungsprozesse erlöschen – dieser Zustand wurde in der klassischen Thermodynamik als der Zustand des „Wärmetodes“ des Kosmos als unausweichliche Konsequenz des 2. Hauptsatzes angesehen. Es ist aber auch heute noch nicht klar, ob man den Kosmos überhaupt als „abgeschlossenes System“ betrachten darf – aber nur darauf beziehen sich die Aussagen des Entropiesatzes). Die direkte Konsequenz daraus ist die Erkenntnis, das Leben auf der Erde (oder Strukturbildung, auch abiotische, also ganz allgemein) nur deshalb möglich ist, weil die Sonne an ihrer Oberfläche so heiß (5778 K) und der umgebende Kosmos so kalt (2.7 K) ist. Man erkennt das, wenn man sich einmal die Entropiebilanz anschaut. Dazu muß man die drei Systeme Sonnenoberfläche, Erdoberfläche und Kosmos bezüglich des Entropietransports betrachten, denen thermodynamisch jeweils verschiedene Temperaturen zugeordnet sind. Das Modell entspricht ziemlich genau einer einfachen Wärmekraftmaschine (Carnot-Maschine), die aus einem Reservoir hoher Temperatur (Sonne) und einer Umgebung niederer Temperatur (Weltall) besteht und die Temperaturdifferenz ausnutzt, um (auf der Erde) verwertbare Energie zu erzeugen. Die Photonen, welche die Sonne verlassen, bilden einen isotropen „Wärmestrom“ von ca. 10^26 W, von dem die Erde ~10^17 W aufnimmt und auch wieder isotrop abgibt. Es gibt aber einen qualitativen Unterschied. Aufgenommen werden „hochwertige“ solare Photonen mit einer spektralen Energieverteilung, die dem eines Schwarzen Körpers mit einer Temperatur von 5778 K entspricht. In diesem „Wärmebad“ nimmt die Erde eine effektive Temperatur von ~254 K an (wenn man den Treibhauseffekt einmal außen vor läßt). Und mit dieser Temperatur gibt sie die gleiche Energiemenge in Form niederenergetischer Photonen an den kosmischen Hintergrund (2.7 K) ab. Das entspricht einem Entropieexport von -3.8∙10^14 WK^(-1). Und genau dieser Entropieexport ermöglicht auf der Erde Strukturbildungsprozesse, zu denen auch das Leben gehört (andere sind z.B. die globalen Zirkulationssysteme der Atmosphäre und der Ozeane). Die Erde verliert also im Mittel pro Quadratmeter ~1 WK^(-1) „Unordnung“, was quasi permanent geschieht und auf diese Weise Platz für Strukturbildung schafft. In das Bild paßt auch sehr gut, daß die „Hochtemperaturphotonen“ der Sonne über die Photosynthese die primäre Energiequelle der irdischen Biosphäre bildet. Auch wenn wir uns gern von tierischem Eiweiß ernähren, so sind wir doch alle nur Sekundär-Vegetarier…
Diese hier kurz beschriebene „Wärmekraftmaschine“ hat den sehr griffigen Namen „Photonenmühle“ erhalten (Ebeling & Ulbricht, 1986). Ihr verdanken wir unsere Existenz.
Lebewesen sind – physikalisch gesehen – immer makroskopische Objekte. Das kleinste bis heute bekannte Lebewesen, das thermophile Cyanobakterium Nanoarchaeum equitans, besitzt eine Größe von ~ 400 nm, was einem Volumen von ~ 3.35∙10^7 nm^3 entspricht. Darin haben ~10^10 bis 10^11 Atome Platz. Diese Anzahl von Atomen scheint damit größenordnungsmäßig die untere Grenze zu sein, um „Leben“ zu ermöglichen. Zwar sind z.B. viele Viren noch einmal um knapp eine Größenordnung kleiner. Man kann sie aber nicht als Lebewesen betrachten, da sie z.B. keinen eigenen Metabolismus besitzen und für ihre Vermehrung auf andere Lebewesen (z.B. Bakterien bei den Phagen) angewiesen sind.
Was Leben ausmacht, ist seine hohe Komplexität. Komplexität bedeutet hier, daß extrem viele Einzelprozesse (biochemische Reaktionen) koordiniert zusammenarbeiten müssen, um unter Austausch von Energie und Entropie mit der Umgebung ein Fließgleichgewicht weit entfernt vom thermodynamischen Gleichgewicht aufrecht zu erhalten (Homöostase). Damit ist zwingend Metabolismus, Informationsverarbeitung und Selbstregulierung verbunden.
Komplexe Systeme sind auch der Emergenz fähig, d.h. sie können nach Innen und nach Außen wirkende Eigenschaften annehmen, die sich nicht offensichtlich – reduktionistisch gesehen - aus den Eigenschaften ihrer Strukturelemente herleiten lassen. So wird z.B. von den mehr materialistischen Schulen der Philosophie das menschliche Bewußtsein (genauer, der menschliche Geist) als eine emergente Eigenschaft des Gehirns betrachtet. Auch das Leben „an sich“ ist in dieser Beziehung eine emergente Eigenschaft spezieller komplexer biochemischer Systeme. Die Frage, die in diesem Zusammenhang noch weitgehend unbeantwortet ist, ist die Frage, ab wann ein derartiges System das Prädikat „Leben“ verdient. Das führt wieder zurück zu dem Eingangs-Dilemma, der genauen Definition, was „Leben“ eigentlich ist…
Bevor man sich an eine Definition des Lebens heranwagt, solle als erstes analysiert werden, welche Eigenschaften „Leben, wie wir es kennen“ (d.h. irdisches Leben) als Alleinstellungsmerkmale und als Abgrenzung gegenüber „nichtlebender“ Materie besitzt. Diese Eigenschaften müssen so allgemein sein, daß sie sowohl für uns Menschen als auch auf Organismen der Art Nanoarchaeum equitans zu treffen. Auf der zweiten Astrobiologie-Konferenz der NASA, die im Jahre 2002 stattfand, hat man ungefähr 100 Merkmale von Lebewesen zusammengetragen (Clark, 2002), die man so in der unbelebten Natur nicht findet. Darunter auch eine Vielzahl von Eigenschaften, die für minimalistische Organismen offensichtlich nicht zutreffen. Aber gerade diese Organismen muß ja eine allgemeingültige Definition auf jeden Fall einschließen, was die Sache etwas schwieriger macht, die Zahl der Merkmale aber entscheidend reduziert. Am Ende bleiben folgende acht Merkmale übrig (erweitert nach (Koshland, 2002)), die im Folgenden etwas näher diskutiert werden sollen:
- Kompartimentierung (Zelle)
- Energiestoffwechsel
- Katalyse
- Regulation
- Wachstum
- Programm (Software)
- Reproduktion
- Anpassung
Zu beachten ist, daß die Reihenfolge der Merkmale in dieser Aufzählung keine Wichtung darstellt.
Es gibt keine Ausnahmen. Jedes Lebewesen auf der Erde besteht aus bzw. beginnt mit mindestens einer Zelle, d.h. einem durch eine Zellmembran umschlossenen Raum (Kompartement), in dem alle biochemischen Lebensvorgänge stattfinden. Die Zelle ist die kleinste lebende Einheit, die wir kennen. Um „Leben“ zu verstehen, muß man die Funktionsweise von Zellen verstehen.
Der Zweck der Zellmembran ist es, eine Abgrenzung zur Umwelt (die bei Metabionta auch aus anderen benachbarten Zellen bestehen kann) herzustellen, was insbesondere eine Schutzfunktion vor negativen Umwelteinflüssen einschließt. In einer Zelle können sich die für Lebensprozesse unabdinglichen Ingredienzien – z.B. Enzyme, welche die lebenswichtigen biochemischen Reaktionen katalysieren – konzentrieren, um darin, im Zellplasma, ihre Wirkung zu entfalten. Es ist sicherlich nicht falsch anzunehmen, daß zellähnliche Gebilde – z.B. kugelförmige, innen mit Zellplasma ausgefüllte Strukturen aus Lipiden – ganz am Anfang der Ereigniskette standen, an dessen Ende das erste Lebewesen auf der frühen Erde erschien.
Nach dem Grad ihrer Komplexität unterscheidet man bei irdischen Leben zwei Typen von Zellen, die man als prokaryontische (ohne Zellkern) und als eukaryontische Zellen (mit Zellkern) bezeichnet. Etwas salopp ausgedrückt, lassen sich bezüglich der Komplexität Prokaryonten mit „Kuckucksuhren“ aus dem Schwarzwald und Eukaryonten mit Smartphones aus Taiwan vergleichen. Von den drei Domänen des irdischen Lebens werden zwei den Prokaryonten (Archaea und Bakteria) und eine den Eukaryonten (Eukaria – Pflanzen, Pilze und Tiere) zugeordnet. Eukaryontische Zellen sind in der Erdgeschichte fossil erst seit ~1.8 Ga nachweisbar. Die Entstehung der Prokaryonten wird in eine Zeit um ~4 Ga datiert, als Ergebnis der sogenannten „Chemischen Evolution“, die, wie man vermutet, ungefähr zu diesem Zeitpunkt zur Entstehung des Lebens führte. Die meiste Zeit in der Geschichte des irdischen Lebens haben demnach primitive prokaryontische Lebensformen die Erde bevölkert (und sie tun es in Bezug auf die Individuenzahl und vielleicht selbst nach der in ihnen konzentrierten Biomasse nach heute).
Lebewesen müssen in thermodynamischer Hinsicht offene chemische Systeme sein, die, damit sie weitab vom thermodynamischen Gleichgewicht überhaupt existieren können, gezwungen sind, ständig mit der Umgebung Stoffe und Energie auszutauschen (Prigogine et al., 1984). Diese grundlegende Eigenschaft lebender Systeme nennt man Stoffwechsel (Metabolismus) und das strukturerhaltene Gleichgewicht „Fließgleichgewicht“. Man unterscheidet dabei Energiestoffwechsel (dient der Gewinnung von Energie) und Anabolismus (dient dem Aufbau körpereigener Substanzen und verbraucht Energie), wobei Letzterer Ersteren voraussetzt. Energie heißt hier erst einmal „chemische Energie“ (genauer Gibbs-Energie, früher „Freie Enthalpie“ genannt). Sie entstammt exergonen Redoxreaktionen, die einen sogenannten Elektronenspender (Elektronen-Donator) benötigen. Je nachdem, ob dieser „Elektronenspender“ anorganischer oder organischer Natur ist, spricht man von lithotrophen bzw. von organotrophen Energiestoffwechsel. Wird dagegen die Energie direkt aus dem Photonenstrom der Sonne entnommen, dann spricht man von Phototrophie.
Man kennt mittlerweile eine Vielzahl lithotropher Reaktionen, die Energie für den Anabolismus primitiven Lebens liefern können. Auf der Erde erlauben sie die Besiedlung extremer Lebensräume durch entsprechend spezialisierte Bakterien und Archaeen. Als Beispiel sei Thiobacillus thiooxidans genannt, der seinen Energiestoffwechsel gemäß der Reaktion
H2 S+2O2→H2 SO4 (-793.4 kJ/mol)
durch Oxidation von Schwefelwasserstoff bestreitet. Schwefel ist hier der Elektronen-Donator und der Sauerstoff der Elektronen-Akzeptor. Die bei diesen Rektionen erreichten Energieumsätze reichen jedoch gerade für minimalistische Lebensvorgänge aus. Ein besonders großer Schritt in der Evolution des Lebens auf der Erde war deshalb ohne Frage die Entwicklung der Photosynthese. Sie erlaubt einen phototrophen zellularen Energiestoffwechsel und kann auf diese Weise direkt das Sonnenlicht als Energiequelle anzapfen. Außerdem wird bei diesem Prozeß molekularer Sauerstoff freigesetzt, der sich in der ehemals reduzierenden Uratmosphäre immer mehr ansammelte und schließlich (nach einem dadurch bedingten Massenaussterben anerober Mikroorganismen vor ~2.4 Ga) die Voraussetzungen für organotrophische Lebewesen wie Pilze und Tiere schuf. Die eukaryontische Zelle mit ihrer hochgradigen Strukturierung und ihrer großen Zahl spezialisierter Zellorganellen war schließlich in der Lage, den nun frei verfügbaren Sauerstoff für die Zellatmung zu nutzen, was bekanntlich völlig neue evolutionäre Entwicklungswege ermöglichte. Ab diesem Moment kann man das Leben nicht mehr als „primitiv“ bezeichnen. Es konnte nun hochmolekulare Verbindungen wie Fette, Eiweiße und Kohlenhydrate mit besserer Energieausbeute als „Nahrung“ nutzen, was wiederum die Entstehung von Ökosystemen mit spezifischen Nahrungsketten bedingte. Das erhöhte den Selektionsdruck sowohl unter den Produzenten als auch den Konsumenten mit dem Resultat einer schnell fortschreitenden Diversifikation des Lebens auf der Erde.
Die Bereitstellung „freier Energie“ ist nur eine Seite der Medaille. Exergone Reaktionen laufen bekanntlich spontan ab und müssen in Lebewesen enzymatisch reguliert werden. Außerdem ist die dabei freigesetzte Energie auf eine geeignete Weise zwischen zu speichern, um sie bei Bedarf „häppchenweise“ dem Aufbaustoffwechsel zur Verfügung stellen zu können. Beim irdischen Leben wird in dieser Hinsicht dem ATP (Adenosintriphosphat) und verwandten Verbindungen eine Schlüsselrolle zugeteilt. Als Stichwort und als Beispiele seien hier nur die für Stoffwechselvorgänge fundamentale Glykolyse und der noch effektivere Citrat-Zyklus genannt.
Zusammenfassend muß man feststellen, daß sich das irdische Leben im Laufe seiner Entwicklung in mehreren Stufen immer effektivere Energiequellen erschlossen hat, insbesondere nachdem genügend viel organisches Material als Reduktionsmittel zur Verfügung stand. Sowohl der phototrophe (Pflanzen) als auch organotrophe (Bakterien, Pilze, Tiere) Energiestoffwechsel ist demnach ein weitgehend evolutionär entstandener Prozeß und entsprechend komplizierter als beispielsweise einfache Oxidationsreaktionen der Art H2 S+2O2→H2 SO4 Letztere werden aber durchaus noch von Mikroorganismen, die in anoxischen oder anderen extremen Biotopen vorkommen, mit Erfolg genutzt. Sie zeigen damit in besonders markanter Weise die große Anpassungsfähigkeit mikroskopischen Lebens an widrige Umweltbedingungen, weshalb sie von den Astrobiologen als „Extremophile“ auch mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht werden.
In lebendigen Zellen laufen simultan eine Vielzahl sehr komplexer chemischer Reaktionen ab, die miteinander gekoppelt sind und die u.a. dem Aufbau körpereigener Substanzen dienen. Es handelt sich dabei überwiegend um endergone, d.h. energieverbrauchende Reaktionen. Damit sie überhaupt ablaufen können, benötigen sie spezifisch wirkende Katalysatoren, die auf eine genau definierte Weise auf die Aktivierungsenergie der entsprechenden chemischen Reaktion Einfluß nehmen. Diese spezifischen Katalysatoren sind chemisch gesehen gewöhnlich Proteine und werden in der Biochemie als Enzyme bezeichnet. Sie sind für die biochemischen Vorgänge in der Zelle fundamental, da sie den Energie- und Informationsfluß in der Zelle festlegen und damit die Synthese strukturell genau festgelegter Makromoleküle ermöglichen. Jedes Enzym ist dabei auf eine oder wenige Reaktionen spezialisiert und wird im Laufe eines Reaktionszyklus nicht verändert. Eine moderne eukaryontische Zelle benötigt z.B. einige Hundert verschiedene Enzyme, um ihre chemisch bedingten Lebensvorgänge aufrecht zu erhalten.
Der molekulare Bauplan eines Enzyms (allgemeiner „Proteins“) ist im Fall des irdischen Lebens in einem speziellen Informationsmolekül hinterlegt, der DNA (Desoxyribonukleinsäure). Von dort kann die Information ausgelesen, auf RNA (Ribonukleinsäure) umgeschrieben und in den speziellen „Proteinfabriken“ der Zellen (Ribosomen) zur Synthese entsprechender Enzyme verwendet werden. In der Entstehungsphase des Lebens, so vermutet man, könnten Moleküle, die sowohl katalytische Wirkung entfalten als auch zugleich den Bauplan für ihre eigene Synthese in Form von RNA enthalten, eine wichtige Rolle gespielt haben. Diese speziellen Biokatalysatoren werden Ribozyme genannt.
Das Konzept der spezifischen Katalyse ist fundamental für „Leben, wie wir es kennen“. Es muß sich in primitiver Form bereits während der Phase der chemischen Evolution entwickelt haben. Im Laufe der Zeit sind dann anorganische Katalysatoren immer mehr von spezifisch wirkenden Polymeren, insbesondere Proteinen, ersetzt worden, die sich wiederum in Koevolution mit DNA/RNA auf bestimmte biochemische Reaktionen spezialisierten. Enzyme können dabei in ihrer Wirkung durch ein breites Spektrum von Cofaktoren (z.B. der Energiespeicher ATP) in ihrer Aktivität und Funktionsweise unterstützt werden. Darunter versteht man verschiedene Molekülgruppen, Moleküle oder Metallionen, welche die Funktionalität der Enzyme erst ermöglichen oder erweitern und damit u.a. das Feintuning von biochemischen Reaktionen ermöglichen. Sie können beispielsweise Einfluß auf die räumliche Ausrichtung von Enzym und das zu verändernde Molekül nehmen oder das Enzym bei der Übertragung von Molekülgruppen oder Elektronen und Protonen auf das zu ändernde Molekül unterstützen. Im Unterschied zum eigentlichen Enzym gehen sie oftmals bei der Reaktion verloren und müssen anschließend – natürlich wieder enzymatisch gesteuert – ersetzt werden.
Spezifische Katalyse ist eine Grundvoraussetzung für alle metabolischen Lebensvorgänge. Sie ist deshalb unabdingbar für „Leben, wie wir es kennen“.
Lebewesen stellen thermodynamisch offene Systeme dar, die durch einen ständigen Energie- und Stoffluß in einem Fließgleichgewicht gehalten werden müssen. Das ist nur durch eine feinabgestimmte innere Regulation aller Stoffwechselvorgänge möglich. Man kann auch sagen, das „innere Milieu“ einer lebenden Zelle muß auch bei Veränderungen im „äußeren Milieu“ (quasi der Umwelt) durch geeignete biochemische Maßnahmen aufrecht erhalten werden. Dieser konstant zu haltende Zustand wird allgemein als Homöostase bezeichnet und ist ein fundamentales Merkmal langzeitstabiler offener Systeme. Er erfordert die Übertragung von Signalen aus der Umwelt (die chemischer oder physikalischer Natur sein können) in die Zelle, um die notwendigen Regelleistungen zu veranlassen. Je komplexer ein Lebewesen ist, desto höhere Anforderungen werden an die innere Selbstregulation gestellt, die damit ein Schlüsselelement in der Physiologie von Lebensvorgängen darstellt.
Vermehrung setzt Wachstum voraus. Wachstum wiederum ist das Resultat aufbauender (anaboler) Stoffwechselvorgänge, welche die Menge der im Kompartiment eingeschlossenen Stoffe und das Kompartiment selbst unter Aufrechterhaltung der Homöostase vergrößert. Die Zelle „wächst“ im Laufe der Zeit bis sie sich teilt und Tochterzellen bildet. Am offensichtlichsten und beeindruckendsten sind Wachstumsprozesse bei Metabionta wenn man bedenkt, daß der Mensch (Größe ~ 1.70 m) sich aus einer einzigen Eizelle mit einem Durchmesser von 0.13 mm entwickelt.
Leben ist notwendiger Weise ein programmgesteuerter und damit informationsverarbeitender Prozeß. Die „Software“ besteht in der Bauanleitung spezifischer Proteine, die in der Zelle beispielsweise als Enzyme katalytische Wirkung entfalten, als Strukturproteine die innere Struktur von Zellen festlegen oder als Energiespeicher Zeiten mit Nahrungsmangel zu überbrücken helfen. Und damit sind nur ein paar von den Funktionen, die Proteine in einer Zelle übernehmen müssen, aufgelistet. Die Menge aller Proteine, die eine Zelle ausmachen, nennt man das Proteom dieser Zelle.
„Leben, wie wir es kennen“, verwendet zum Aufbau biologisch wirksamer Proteine 23 unterschiedliche Aminosäuren. Das ist nur eine kleine Auswahl aller denkbaren bzw. bekannten (~600) Aminosäuren. In einem Protein sind diese „proteinogenen Aminosäuren“ durch Peptidbindungen miteinander verbunden und bilden langkettige und gefaltete Polymere. Das größte in menschlichen Zellen vorkommende Protein besteht aus mehr als 30000 Aminosäuren. Das Proteom einer typischen Bakterienzelle enthält 10^3-10^4 unterschiedliche Proteine. Diese Proteine müssen in einer lebenden Zelle synthetisiert werden, was Informationen über ihre jeweilige Aminosäuresequenz erfordert. Diese Information ist in speziellen Riesenmolekülen (sie entsprechen Schrödingers „aperiodischen Kristall“) gespeichert, die chemisch als Desoxyribonukleinsäure (DNA) bzw. Ribonukleinsäure (RNA) identifiziert wurden und deren Struktur (die der DNA) 1953 James Watson und Francis Crick (Watson & Crick, 1953) anhand von Röntgenbeugungsmustern (die ein Jahr zuvor Rosalind Franklin aufgenommen hatte) aufklären konnte. Im Fall der DNA ist das die berühmte Helixstruktur.
In der Zelle kann die Information (entspricht der Reihenfolge der Aminosäuren des jeweils codierten Proteins) vom DNA-Molekül abgelesen, auf ein RNA-Molekül umgeschrieben (transkribiert) und in den Ribosomen zur Proteinsynthese verwendet werden (Translation). Kurz gesagt, die Information über den Aufbau eines Proteins fließt von der DNA über die RNA hin zum Protein, wobei dieser Informationsfluß eine Einbahnstraße ist.
Das Speichern von „Bauplänen“ von Makromolekülen scheint essentiell für lebende molekulare Systeme zu sein. Es gibt aber auch Überlegungen (z.B. Kauffman in (Was ist Leben? Die Zukunft der Biologie.: Eine alte Frage in neuem Licht - 50 Jahre nach Erwin Schrödinger., 1997)), ob nicht genügend große katalytische Reaktionssysteme (katalytische Netzwerke) auch ohne die Präsenz von molekularen Informationsspeichern zu lebenden Systemen emergieren können, sobald deren Komplexität einen gewissen Grenzwert überschreitet. Derartige Überlegungen haben zweierlei Bedeutung. Einmal in Bezug auf die Frage, wie das Leben auf der Erde im Zuge der chemischen Evolution entstanden ist (was war zuerst da, RNA oder Protein?) und zum anderen, ob sich auf diese Weise lebende molekulare Systeme konstruieren lassen (im Sinne von „Leben, wie wir es (noch) nicht kennen“), die ohne große stabile molekulare Informationsmoleküle a la DNA auskommen.
Zellen vermehren sich, in dem sie sich teilen und Tochterzellen bilden. Dabei muß der komplette materielle Träger der „Software“ – bei irdischen Leben die im Genom enthaltene DNA – zwingend mitgegeben werden, weil ansonsten mit jeder Generation Information verlorengehen würde. Der biochemische Prozeß, der das möglich macht, wird als Replikation bezeichnet und führt zu einer Verdopplung des Gengehalts einer Zelle kurz vor ihrer Spaltung. In ihr liegt der Schlüssel für die große Anpassungsfähigkeit und für die enormen Entwicklungspotentiale einmal entstandenen Lebens.
Reproduktion beinhaltet Veränderung, verursacht durch zufällige Mutationen im Genom, die sich in jeweils leicht unterschiedliche Ausprägungen des Proteoms eines Organismus äußern. Solch ein genetisch leicht veränderter Organismus muß sich in seiner Umwelt bewähren, um (ganz allgemein gesprochen) durch seinen Fortpflanzungserfolg die entsprechende Mutation an seine Nachkommen weitergeben zu können. Dieser Mechanismus ermöglicht Evolution in dem Sinn, wie es Charles Darwin 1858 in seinem berühmten Werk „On the Origin of Species“ logisch konsistent, an vielen Beispielen belegt und auch heute noch beeindruckend klar, darlegte. Dazu ist zu bemerken, daß mit der Entwicklung der sexuellen Reproduktion eine neue Form der genetischen Durchmischung (Rekombination genannt) erreicht wird, welche die Evolution vom Individuum (Einzeller sind potentiell unsterblich, da sie sich durch Zellteilung fortpflanzen) zur Population (Fortpflanzungsgemeinschaften) verschob und damit erst eine effektive Speziation (Artbildung) ermöglichte.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Phänomen „Leben“ begrifflich zu fassen. Die „acht Säulen des Lebens“ sind auf jedem Fall eine davon. Aber ob allein ihre Aufzählung die wesentlichste Eigenschaft von Leben, nämlich „zu leben“, zu definieren vermag, erscheint zumindest auf einem zweiten Blick durchaus problematisch. Das mag etwas paradox klingen. Aber „leben“ hat etwas mit einem Fließzustand zu tun, den aufrecht zu erhalten ein hohes Maß an Selbstorganisation unter permanenter Anzapfung externer Energiequellen benötigt. Leben ist deshalb weniger eine Entität als vielmehr eher ein Prozeß. Und dieser Prozeß erfordert eine gewisse minimale Komplexität, die aber wiederum erst einmal auf natürliche Weise Schritt für Schritt entstehen muß. Will man beispielsweise denkbares „künstliches Leben“ von natürlichen Leben sicher abgrenzen, dann ist es unabdingbar, auch dessen historischen Entstehungsprozeß mit in die Definition einfließen zu lassen.
Welche Kriterien sollte nun eine Definition des Begriffs „Leben“ erfüllen? Auf jeden Fall muß sie (am besten in Form eines allgemein anwendbaren Algorithmus) die Unterscheidung von „lebend“ und „nichtlebend“ auf eine überprüfbare Art und Weise erlauben. Das sollte zumindest teilweise durch explizite Überprüfung der eben angeführten Charakteristika gelingen. Wenigstens irdisches Leben ist damit einigermaßen sicher zu identifizieren. Aber „Leben“ ganz allgemein? Die Sackgasse, in die dieser Weg führt, ist die, daß selbst die primitivsten irdischen Lebensformen in der Art von Nanoarchaeum equitans bereits äußerst komplexes Geschöpfe im Vergleich zu dem ersten lebenden „etwas“ sind, welches am Ende der chemischen Evolution auf der Erde erschienen ist (d.h. unser letzter gemeinsamer Vorfahre, Last Universal Ancestor (Saey, 2010)). Und es wird sicher auch nicht so gewesen sein, daß es „piep“ gemacht hat, und dann war aus etwas „Anorganischen“ etwas „Lebendiges“ geworden. Der Übergang muß vielmehr ein Prozeß aus vielen einzelnen, nacheinander folgenden Stufen gewesen sein und es ist nicht einmal undenkbar, daß das „Leben“ auf der Erde mehrfach parallel entstanden ist, aber nur eine Lebensform, und zwar die „die wir kennen“, überlebte und sich zu dem entwickeln konnte, was unseren Planeten vor allen anderen Planeten im Sonnensystem lebenswert macht.
Ein derartig mehrstufiger Prozeß macht es schwierig, eine allgemeingültige Definition von Leben zu versuchen, weil man genau und begründet darlegen muß, ab welcher Stufe der Organisationsgrad eines Organismus erreicht ist – und das kann selbst die heutige Wissenschaft nicht leisten. Man erkennt das, wenn man z.B. versucht, eindeutige Kriterien für „minimalistisches Leben“ zu formulieren, etwa in der Form Merkmal A = selbsterhaltend, Merkmal B = Energiestoffwechsel, Merkmal C = Kompartimentierung durch eine halbdurchlässige Membran, Merkmal D = Fähigkeit, Komponenten (des Organismus) selbst zu erzeugen etc. pp. (wobei schon diese Merkmale betreffend keine Einigkeit unter den mit diesem Problem beschäftigten Wissenschaftlern besteht – und noch viel weniger, was deren Wichtung betrifft). Wenn dann A+B+C+D „minimalistisches Leben“ definiert, dann muß A+B+C noch „kein Leben“ und A+B+C+D+E bereits „nicht mehr minimalistisches Leben“ sein (Luisi, 1998). Dabei kommt noch erschwerend hinzu, daß die Merkmale in der Merkmalsumme natürlich über alle zur Entscheidung dienenden Merkmale permutieren können… Es ist daher vernünftig, pragmatisch an das Problem heranzugehen. Das führt zwar dazu, daß weiterhin – so wie heute – eine Vielzahl von „Definitionen“ nebeneinander bestehen wird. Aber man kann sich dadurch auf verschiedene Weise wissenschaftlich diesem erstaunlichen Phänomen nähern, chemisch, biologisch, systemtheoretisch, philosophisch und sogar physikalisch, wie es Erwin Schrödinger versucht hat.
Im Folgenden sollen einige wenige Definitionen des Lebens vorgestellt werden, ohne eine von ihnen eine Bevorzugung zu geben. Alle haben ihre eigenen Stärken und Schwächen.
Äußerst pragmatisch und sehr allgemein nähert sich die NASA in ihrem „Exobiology“-Programm der Frage, was „Leben“ ist:
Leben ist ein sich selbst erhaltendes chemisches System, welches die Fähigkeit zur Darwinschen Evolution besitzt.
Darunter fallen in ihrer primitivsten Form bereits sogenannte kollektiv-katalytische Netzwerke aus einer Vielzahl mehr oder weniger komplexer Moleküle (deren Art nicht näher spezifiziert wird), die untereinander vernetzt reagieren und damit ihre Bildung gegenseitig katalytisch bedingen. Carsten Bresch hat sie einmal als „Muster“ bezeichnet, die sich replizieren und damit verändern können, was sie anfällig für Selbstoptimierungen macht – und gerade das ist „Darwinsche Evolution“, wenn der „Optimierer“ der „Kampf ums Dasein“ ist (Bresch, 1977). In dieser Definition werden explizit der Stoffwechsel, die Reproduktion und die Evolution in den Vordergrund gerückt. Alle diese Eigenschaften sind in ihrer Gesamtheit nur dem kompletten „kollektiv-katalytischen Netzwerk“ zuzuweisen und keinem seiner Teile oder Komponenten. Damit wird betont, das „Leben“ ein emergentes Phänomen ist. Nur das kollektive System ist „lebendig“. Seine Bestandteile sind lediglich komplizierte Chemie. Der Phasenübergang „unbelebt“ zu „belebt“ wird dabei recht weit in den Bereich der chemischen Evolution zurück versetzt, wo vielleicht die anderen Merkmale, die „Leben, wie wir es kennen“, ausmachen, noch keine entscheidende Rolle spielten. Man denke dabei beispielsweise an Informationsmoleküle in der Art der DNA, während andererseits Vorstufen der RNA wie die Rybozyme bereits notwendige Bestandteile der genannten katalytischen Netzwerke sein konnten. Stuart Kauffman hat Leben deshalb wie folgt definiert (Kauffman, 1996):
Das Leben ist eine zu erwartende, auf kollektive Weise selbst organisierte Eigenschaft von katalytischen Polymeren.
Die folgende Definition stellt eine Erweiterung (oder, wenn man will, Präzisierung) der NASA-Definition dar (leicht verändert nach (Luisi, 1998)):
Unter „Leben“ versteht man ein physikalisch chemisches System, welches mittels interner Prozesse unter Verbrauch externer Energie (Nahrungsstoffe) seine eigenen Bestandteile erzeugt und sich dabei strukturell selbst erhält. Es ist über adaptive Austauschprozesse, die über die gesamte Lebensgeschichte aufrecht erhalten werden, mit seiner Umwelt verbunden.
Hier wird wieder besonderes Augenmerk auf den Energie- und Aufbaustoffwechsel gelegt, der einen Gleichgewichtszustand des lebenden Systems weitab des thermischen Gleichgewichts ermöglicht und zwar unter der Voraussetzung, daß permanent informelle und regulative Austauschprozesse mit der Umwelt stattfinden. Sie ermöglichen dem Organismus eine gewisse Robustheit und Anpassungsfähigkeit in Bezug auf sich ändernde Umweltbedingungen. Unter struktureller Selbsterhaltung ist hier auch die Reproduktion zu verstehen. Auf die explizite Erwähnung von Informationsmolekülen a la DNA wurde bei dieser Definition bewußt verzichtet, damit sie auch denkbares „nicht-codiertes“ Leben mit umfaßt.
In anderen Definitionen wird dagegen die Notwendigkeit der Existenz molekularer Informationsspeichern gefordert, die explizit den Bauplan eines lebenden Organismus enthalten und die über sehr lange Zeiträume in der Lage sind, die darin gespeicherten Informationen stabil, d.h. quasi von Generation zu Generation, weiterzugeben. Am Extremsten hat das wohl Richard Dawkins ausgedrückt, in dem er betonte, daß ein Lebewesen im Prinzip nur ein Vehikel ist, um seine Erbinformationen in Form der DNA über die Zeiten zu retten (Dawkins, 2006). Oder salopp ausgedrückt, das Huhn ist die Methode, aus einem Ei wieder ein Ei zu machen…
Leben ist ein System, welches in der Lage ist, sich selbst unter Nutzung genetischer Information zu reproduzieren. (Noda, 2002)
oder
Die Existenz eines Genoms und eines genetischen Codes trennen lebende Materie von nichtlebender Materie. (Yockey, 2002)
In vielen Entstehungsszenarien von Leben spielen ab initio gewisse informationsspeichernde und mit autokatalytischen Fähigkeiten ausgestattete Moleküle eine Schlüsselrolle, da sie der Darwinschen Evolution unterworfen sind und damit Entwicklungsprozesse ermöglichen, die letztendlich zu Selbstoptimierungen und spezifischen Anpassungsleistungen führen. Der Begriff der Information spielt dabei eine Schlüsselrolle. Er beinhaltet in diesem Zusammenhang drei wichtige Aspekte: den der Informationsverarbeitung (z.B. im Sinne von Transkription → Translation in lebenden Zellen), den der Informationsspeicherung (genetischer Code) und den der Informationsübertragung von einer Zelle auf eine andere (Replikation). Die Definitionen von Noda und Yockey gehen demnach explizit davon aus, daß erst dann, wenn diese drei genannten Aspekte erfüllt sind, man von einem lebenden System sprechen kann.
Anderseits führen alle Definitionen, die sich auf die Reproduktionsfähigkeiten lebender Entitäten konzentrieren, zu einem Paradoxon, welches als „Mule paradox“ bekannt geworden ist (Szathmáry, 2002). Maultiere sind nämlich – wie allgemein bekannt – grundsätzlich unfruchtbar. Aber wer würde es schon wagen, einem solchen sympathischen und genügsamen Tier das Attribut „Leben“ abzusprechen? Damit kommt man zu einem allgemeinen Problem beim Versuch, das Phänomen „Leben“ in eine allgemeingültige Definition zu pressen. Will man über das Niveau von Tautologien der Art „Leben ist ein Attribut lebender Systeme“ hinauskommen, muß man wiederum Begriffe verwenden, die ähnlich schwer zu definieren sind wie z.B. Komplexität, Information und Ordnung mit ihrem jeweils eigenen spezifischen Kontext.
Ein anderer durchaus bedenkenswerter Ansatzpunkt besteht nun darin, nicht allein die Aufzählung von Eigenschaften zur Definition zu verwenden, sondern Leben im Sinne der Systemtheorie als Prozeß zu verstehen und zu erfassen. Das führt zu dem Begriff der Autopoiesis. Dieses Konzept, welches ganz allgemein die Selbsterschaffung und Selbsterhaltung eines Systems (hier eines lebenden Organismus) beschreibt, wurde 1974 von den chilenischen Biologen Francisco Varela und Humberto Maturana eingeführt, um Ansatzpunkte für Computersimulationen für Lebensvorgänge zu schaffen (Varela, Maturana, & Uribe, 1974). Ihre Idee bestand darin, „Leben“ nicht nach deren intrinsischen Eigenschaften zu definieren (d.h. ihren Komponenten), sondern nach den Beziehungen zwischen diesen Komponenten. Das führte zu folgender heuristischen Definition von dessen, was „Leben“ darstellt:
Ein autopoietisches System (hier als minimalistische Lebensform betrachtet) ist ein Netzwerk von Prozessen zur Produktion seiner eigenen Komponenten, so daß diese Komponenten a) sich kontinuierlich regenerieren und damit das Netzwerk zu ihrer Selbstrealisierung aufrechterhalten und b) sich das System als abgeschlossenes, sich von der Umgebung unterscheidbare Entität konstituieren kann.
Diese Definition besagt, daß Lebewesen ihre eigene Struktur sowie ihre Interaktionsmöglichkeiten mit der Umwelt permanent so gestalten müssen, daß der Prozeß der Autopoiesis nicht unterbrochen wird. Man kann auch sagen, daß sie weitgehend selbstreferentielle geschlossene Systeme sind, deren Strukturmerkmale primär nicht von der Außenwelt (mit der sie sich aber im Energie- und Stoffaustauch befinden), sondern von internen Gegebenheiten (z.B. bei irdischen Leben den Genen) abhängen. Sie sind in Bezug auf die Umwelt autonom, können aber über Signale auf Änderungen ihrer Außenwelt durch interne Strukturänderungen reagieren um interaktionsbedingt den Prozeß der Autopoiesis aufrecht zu erhalten, d.h. unter veränderten Außenbedingungen “weiter zu leben“.
Ein gewisses künstlerisches Analogon für den höchst abstrakten Begriff der Autopoiesis stellt Maurits Cornelis Eschers Lithographie der „zeichnenden Hände“ von 1948 dar.
Eine völlig neue Sichtweise stammt von dem holländischen Ökotoxikologen und Entomologen Gerard Jagers op Akkerhuis, der sich die Frage gestellt hat, was die absolut notwendigen Voraussetzungen für Leben sind, wenn man z.B. Viren ausschließen, aber inaktive Bakteriensporen und nicht fortpflanzungsfähige Maultiere mit einschließen möchte (Jagers op Akkerhuis, 2010). Seine Antwort liegt in einer Hierarchie von Komplexität, die bei den Elementarteilchen anfängt und bei „memischen Organisationsstufen“ (z.B. menschliche Gesellschaften mit einem kulturellen Informationsaustausch) aufhört. Für die einzelnen Komplexitätsstufen hat er den Begriff des „Operators“ gewählt, um sowohl „physikalische Partikel“ wie Atome und Moleküle als auch biologische Entitäten wie pro- und eukaryontische Zellen sowie aus eukaryontischen Zellen aufgebaute Metazoa zu beschreiben. Ein „Operator“ soll dabei die eigenständige Aktivität der damit beschriebenen Entität bezeichnen, welches in einer bestimmten Umgebung „operiert“ ohne dabei ihren individuellen Organisationsgrad aufzugeben. Die „Operatoren“ (wobei jeder das Ergebnis eines spezifischen, durch Selbstorganisation bedingten Entwicklungsweges ist) bilden dabei eine Hierarchie der Art:
a) Operatoren, welche den „toten Zustand“ der Materie beschreiben:
- Quarks und daraus aufgebaute Hadronen, Leptonen,
- Atome
- Moleküle
b) Operatoren, die den „lebenden Zustand“ der Materie beschreiben
- Zelle (prokaryontische Zelle, eukaryontische Zelle -> Metazoa)
- Memische Organisationsstufen
Ein Operator höherer Stufe ist dabei durch spezifische emergente Eigenschaften ausgezeichnet, die der Operator eine Hierarchiestufe davor noch nicht besitzt. Er wird durch eine (zyklische) Prozeßfolge generiert, an dessen Ende ein als „Abschluß“ (closure) bezeichneter Übergang in eine höhere Komplexitätsstufe steht. Das Konzept der „Operator-Hierarchie“ erlaubt dann „Leben“ als „Materie ab einer bestimmten Hierarchiestufe“ zu definieren, ab der es als neues, emergentes Phänomen gewisser chemischer Systeme (z.B. aktiv-katalytischer Netzwerke nach S. Kauffman, Hyperzyklen nach Eigen) in Erscheinung tritt und damit eine neue Komplexitätsstufe in der Komplexitätsleiter begründet.
Nach Jagers op Akkerhuis gilt dann in Bezug auf die Operator-Hierarchie:
Alles oberhalb von Prokaryoten (zelluläre Lebewesen ohne Zellkern) ist Leben. Ein einzelliger Organismus ist natürlich ebenso lebendig, wie Pflanzen und Tiere. Aber auch bei einem Roboter, der sich seiner selbst bewußt ist, handelt es sich um Leben.
Das klingt erst einmal ziemlich trivial und wenig zielführend, bis man sich die einzelnen Operatoren, die zu dieser Definition führen, etwas genauer anschaut. Sie beschreiben Komplexität in drei Stufen: 1. in der Art der Interaktion (Atome bilden Planeten, Ameisen bilden Ameisenvölker, Menschen bilden Gesellschaften); 2. In der Art der inneren Differenzierung (z.B. Organellen in Zellen, Zellen in funktionellen Geweben, Gewebe zu tierischen und pflanzlichen Individuen) und 3. durch die Stufe, den sie auf der Leiter der Komplexitätshierarchie einnehmen (Quarks – Hadronen – Atome – Moleküle – katalytische Netzwerke – prokaryontische Zellen - …). Weiterhin wird ein Übergang von einer Hierarchiestufe zu einer anderen eingeführt (closure) die, wie bereits erwähnt, zur Emergenz jeweils neuer Eigenschaften führen, die in der Hierarchiestufe davor noch nicht vorhanden waren. Mit dieser Betrachtungsweise lassen sich nun elegant evolutionäre Strukturbildungsprozesse in der belebten und unbelebten Natur auf eine Art und Weise abbilden, die auch einen neuen Blick auf die Frage „Was ist Leben?“ erlauben. Die Definition besteht dabei darin, „Leben“ als die Konfiguration eines „Operators“ im Sinn von Jagers op Akkerhuis anzusehen, dessen Organisationsgrad gleich dem oder derjenigen oberhalb der Stufe einer prokaryontischen Zelle liegt.
Während andere Definitionen das Augenmerk in erster Linie auf den „Prozeß des Lebens“ lenken, stellt in der Operator-Theorie dessen Organisationsstruktur das wesentlichste Merkmal dar. Das führt dazu, daß man auch technische Systeme als „lebend“ betrachten muß, sobald die Strukturen ihrer Steuerungssysteme (Computer) so komplex geworden sind, daß sie Selbstbewußtsein emergieren („memic robot“). Oder wie es Jagers op Akkerhuis selbst ausgedrückt hat: "Wenn die Struktur stimmt, dann ist es Leben. Meiner Meinung nach sollte es also die gleiche Strafe für das Erschießen eines Polizisten geben, wie für das Erschießen eines intelligenten (sich seiner selbst bewußten) Roboters." Die Unterscheidung zwischen natürlich entstandenem Leben und „künstlichem Leben“ spielt in der Operator-Theorie nur dahingehend eine Rolle, solange das „künstliche Leben“ noch nicht den Organisationsgrad eines memischen Systems (konkret Selbstbewußtsein) erlangt hat.
Diese hier nur ganz grob beschriebene Sichtweise (näheres siehe (Jagers op Akkerhuis, 2010)) ist durchaus bedenkenswert und besitzt darüber hinaus den Charme, auch „Leben, wie wir es (noch) nicht kennen“ zu erfassen.
Summa summarum bleibt festzustellen, daß auch gegenwärtig noch Definitionen von „Leben“ im hohen Maße umstritten sind. Es ist noch nicht einmal klar, ob es so etwas wie eine eindeutige Definition überhaupt gibt, die alle Aspekte lebender Materie adäquat abzubilden vermag. Oder ist es vielleicht ähnlich wie mit der Definition dessen, was z.B. „Musik“ ist? Zumindest hier sollte die pragmatische Antwort gelten – ich weiß es in dem Moment, wenn ich sie höre…
Schmutz
AntwortenLöschenFind ich auch
Löschen