Wer sich mit Ameisen beschäftigt (ein „Myrmekologe“) weiß, dass Ameisen bestimmte Blattläuse wie Nutztiere hegen und pflegen, um sich von ihren süßen Sekreten zu ernähren. Dass bestimmte Ameisen aber auch Schmetterlingsraupen in ihren Nestern zum gegenteiligen Vorteil halten, ist schon weniger bekannt. Und dabei gibt es durchaus Beispiele aus der heimischen Schmetterlingswelt. Sie betreffen einige Bläulingsarten. Ich möchte hier stellvertretend jedoch nur den in meinem Exkursionsgebiet (südliche Oberlausitz) noch stellenweise häufigen Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Phengaris nausithous) vorstellen, der in seinem Lebenszyklus zwingend auf Knotenameisen der Art Myrmica rubra („Rote Gartenameise“, hat wahrscheinlich jeder schon einmal gesehen, der Gartenarbeiten verrichtet – nistet gern unter Steinen oder Holz) angewiesen ist.
Der Falter ist im Sommer an den Blütenköpfen des Großen Wiesenknopfs (Sanguisorba officinalis) anzutreffen, wo man ihn dort, wo er vorkommt, oft in Anzahl mit zusammengefalteten Flügeln sitzen sehen kann. Seine blauen, mit einer schwarzen Zeichnung versehenen Oberflügel bekommt man jedoch kaum einmal zu Gesicht. Nur wenn er zwischen den Blütenknöpfen kurze Flüge unternimmt, kann man zumindest erkennen, dass sie überwiegend dunkelblau sind.
Und in genau diese Blütenköpfe legt der weibliche Falter seine Eier ab. Die Raupen beginnen alsbald, nach dem sie geschlüpft sind, diese Blütenköpfe von innen her aufzufressen. Wenn dann irgendwann die Nahrung knapp wird, lassen sie sich zu Boden fallen, wo sie, von den Gartenameisen aufgespürt, in deren unterirdischen Baue transportiert werden (sie imitiert dabei mit ihrer Körperhaltung eine Ameisenlarve täuschend echt und aktiviert damit den Brutpflegeinstinkt der Ameisen). Der zweite, wichtigere Grund dafür, dass die Raupe schließlich – obwohl sie sich von der Ameisenbrut carnivorisch, also ganz anders als „Schmetterlings-like“ ernährt – von den Ameisen gepflegt und umhegt wird, ist das süße Sekret, welche die Raupe in einer Drüse ihres Hinterleibs produziert und wie die Blattläuse ihren Honigtau tröpfchenweise absondert. Danach sind sie nämlich ganz verrückt. Und solange diese Quelle nicht versiegt, darf die Raupe Eier, Larven und Puppen der Roten Gartenameise nach Herzenslust vertilgen - jedenfalls eine durchaus bemerkenswerte Art von Symbiose!
Die Raupe bleibt nun noch bis zum folgenden Frühjahr im schützenden Ameisennest, in dem sie sich schließlich auch verpuppt. Nach rund drei Wochen Puppenruhe schlüpft der Falter, der sich nun schleunigst aus dem Ameisennest ins Freie arbeiten muss, denn in diesem Zustand ist er völlig ohne Interesse für die Ameisen mehr und wird damit Ziel ihrer Attacken. Hat er glücklich das Freie erreicht, dann sorgt er dafür, dass der Lebenszyklus dieses außergewöhnlichen Schmetterlings aufs Neue beginnen kann.
Während der Falter nur wenig von Feinden belästigt wird (selbst die Veränderliche Springspinne kann nicht die Blütenfarbe des Großen Wiesenknopfes annehmen), sind die noch jungen Raupen im Innern der Blüte durchaus gefährdet. Denn auf sie hat sich eine spezielle Schlupfwespe mit Namen Neotypus melanocephalus spezialisiert. Sie sucht dazu systematisch die Blütenköpfe des Großen Wiesenknopfs nach Bläulingsraupen ab und sticht sie - wenn sie eine findet – an, um in ihr ein Ei abzulegen.
Innerhalb der Raupe entwickelt sich nun eine Schlupfwespenlarve, die mit der Bläulingsraupe im Prinzip das Gleiche tut wie die junge Bläulingsraupe mit dem Blütenkopf des Wiesenknopfs – sie frisst sie von innen her auf, ohne sie zu töten. Erst nachdem sich die Raupe verpuppt hat, beendet der Parasit das Leben der Puppe, aus der nun kein hübscher Ameisenbläuling mehr schlüpft, sondern stattdessen eine Schlupfwespe.
Insektenarten, die sich in einem solchen komplexen Beziehungsgefüge entwickeln, weisen eine dementsprechend hohe Gefährdungsrate auf. Wird nämlich nur ein "Baustein" in diesem Gefüge gestört, sind sofort die davon abhängigen Arten in ihrer Existenz bedroht. Biotope, wo solche Ameisenbläulinge (die alle in Deutschland als stark gefährdet gelten und die Spitzenplätze „Roter Listen“ besiedeln) vorkommen, sind deshalb besonders schützenswert. Das bedeutet nicht, dass die Wiesen nicht genutzt werden dürfen. Man sollte sich nur mit dem Zeitpunkt der Mahd an den Lebenszyklus der Bläulinge anpassen.
Einen beeindruckenden Lebenszyklus hast du geschildert. Ich hatte schon davon gewußt, aber ich habe noch nie einen Wiesenknopf-Ameisenbläuling gesehen, obwohl es bei uns den Wiesenknopf gibt. Da werde ich im kommenden Jahr mal ganz bewusst danach Ausschau halten.
AntwortenLöschenLieber Gruß
von Edith