"Die Gebirge mit geologischer Vielfalt ziehen sich von der Oder im Odergebirge bis zur Elbe bei Dresden hin. Hinter dem Flussbett der Oder erhebt sich der mächtigere Gebirgszug der Beskiden, die aber schon zu den Karpaten gehören. Das Gebirgssystem der Sudeten führt über das Gesenke und Altvatergebirge, Glatzer Schneegebirge, Reichensteiner- und Eulengebirge, Adler- und Habelschwerdter Gebirge zu den Tafelbergen in Polen, weiter über das Riesen- und Jeschkengebirge, den Jeschkenkamm, Lausitzer Gebirge und endet hinter den Felsengebilden der Sächsischen Schweiz bei Dresden unter dem Wasserspiegel der Elbe." (Gebirge ohne Grenzen, Siegfried Weiss).
Auf einer Mehrtagestour wollen wir die Tafelberge und die Felsenstädte, die sich in Tschechien befinden, näher kennenlernen. Von Politz an der Mettau (Police nad Metuje), wo wir unser Quartier aufgeschlagen haben, unternehmen wir – sozusagen zum Anbergen – gleich nach der Ankunft unsere erste Tour. Die
Eingewöhnung ist schon insofern wichtig, als alle Wanderungen in
den nächsten Tagen mit heftigen An- und Abstiegen verbunden sind.
Politz kann man als Eingangstor zu den Felsenstädten von Adersbach/Wekelsdorf, dem Falkengebirge/Braunauer Wände und den Wilden Löchern bezeichnen. Es liegt am Wasserlauf der Mettau, welcher in der Nähe von Adersbach entspringt und sehr naturbelassen der Elbe zuströmt, in die es bei Jermer (Jaroměř) mündet. Die ersten Kilometer wandern wir entspannt entlang der Mettau bis Böhmisch Matha (Česká Metuje). Dort verlassen wir das Tal und wenden uns Tafelberg Wostasch (Ostaš) zu. Im Anstieg erlangt man rasch Überblick auf die umliegenden Höhenzüge, die Heuscheuer, die Wilden Löcher und das Adlergebirge. Der Wostasch ist ein kleiner geschützter Tafelberg, der uns einen Vorgeschmack auf seine bekannteren Geschwister Heuscheuer und die Wilden Löcher bereitetet.
Typisch für diese Tafelberge sind die scheinbar ebenen Oberflächen, die von steilen Abbruchkanten begrenzt sind, wie wir es auch vom Königstein oder Lilienstein im Elbsandsteingebirge kennen. Die fortschreitende Erosion erschuf aber bizarre Gebilde und Felsengänge auf dem Plateau, die wir durchstreifen werden. An den Rändern des Tafelberges trotzten hier und da stattliche Felsnadeln der Verwitterung und erheben sich stolz über dem Grund. Nach Norden erblickt man vom Wostasch den Kamm des Waldenburger Berglandes (Góry Wałbrzyskie), nach Osten hin den Zug des Falkengebirges/Braunauer Wände (Broumovské stěny). Unterhalb des Felsplateaus überragt auf einer tiefere gelegenen Ebene eine wilde Schar von Sandsteinkolossen den Wald, die Katzenfelsen (Kočičí skály). In diesem Labyrinth kann man schon einmal für die nächsten Tage üben, sich durch enge und niedrige Durchlässe zu winden und um Gesteinsblöcke zu manövrieren.
Die GPS-Daten zur Wanderung auf den Wostasch findet man hier.
Für die ersten Tage war Kaiserwetter angesagt, so dass man gut beraten ist, die Touren mit dem erforderlichen Bedarf an Fernsicht nicht auf die lange Bank zu schieben. Da rückt natürlich eine Wanderung zum legendären Heuscheuergebirge (Góry Stołowe) sofort ins Blickfeld. Das Heuscheuergebirge und das benachbarte Wilde Loch (Błędne Skały) sind lange schon Attraktionen des Fremdenverkehrs.
Das Wilde Loch, „… es ist dieses eine merkwürdig zerklüftete Sandsteinmasse, welche sich auf dem Heideberge, der nordwestlichen Fortsetzung des Spiegelberges, erhebt und aus einer Menge senkrechter, etwa 30‘ hoher, oben abgeplätteter Sandsteinfelsen besteht, zwischen denen sich ein wahres Labyrinth zum Teil gangbarer Felsengassen und Schluchten befindet. Die letzteren, soweit es angeht, zu durchwandern und von dem (zum Theil ersteigbaren) Felsengipfel sich an der grossartigen Aussicht in die Ferne und in die Tiefe der gähnenden Klüfte und Abgründe sich zu erfreuen, ist zwar ein mit Mühseligkeiten verbundener, aber höchst lohnender Genuss.“
Von Machau (Machov) steigen wir über aussichtsreiche Gebirgswiesen zügig hinauf zum Wilden Loch, sehr steil das letzte Stück zum Plateau. Am Eingang zum Felsparcours ist ein Obulus zu entrichten. Die Durchgänge durch die Klüfte sind an manchen Stellen so eng, dass man sich seitlich durchzwängen muss und ungelenkige Personen hier und da schon einmal auf die Knie herunter müssen, um entsprechende Passagen hinter sich zu bringen. Im Labyrinth tauchen verschiedentlich bizarre Felsgebilde auf. Eine gewisse Einmaligkeit kann man dem Wilden Loch nicht absprechen. Mit diesen Erlebnissen noch im Hinterkopf ziehen wir weiter zum Heuscheuer.
„Die Heuscheuer oder Heuschaar ist ein vielfach zerklüfteter und zerrissener Sandsteinkamm, der sich fast 600‘ hoch auf dem plateauartigen Rücken des Leierberges und 2800‘ über das Meer erhebt und zu der großen Quadersandstein-Formation gehört, welche sich längs der Südseite des ganzen Sudetenzuges durch die Grafschaft Glatz, Böhmen und Sachsen hindurchzieht. Zwischen mehr als 100‘ hohen senkrechten Felswänden öffnen sich eine Menge tiefer Schluchten, von denen einige zu Anfange des Jahrhunderts durch den Oberförster Dinter in Karlsberg zugängig gemacht worden sind. Nachdem wir eine Treppe hinauf gestiegen, treten wir durch eine Thür in das Innere des Felsen-Labyrinthes, durch welches über Felsblöcke und überbrückte Klüfte ein Fußsteg sich hindurchwindet. Bei dem Klingenden Steine (wo 2 kegelförmige Höhlen in der Steinwand zur Rechten, mit einem harten Gegenstande geschlagen, helle Töne von sich geben) führt uns der Weg vorbei zum Tafelsteine, der mit einer Art Pavillon versehen Platte eines fast freistehenden, senkrecht aus der Tiefe emporsteigenden colossalen Felsens. Hier, und noch mehr auf einer weiter rechts gelegenen höheren Felsenplatte, wird das Auge durch eine unbeschreiblich schöne Aussicht in die Ferne ergötzt, während es vor dem Anblicke der sich zu den Füssen öffnenden Tiefe grauenhaft zurückbebt. Über den Abgrund hinweg erblickt man die unzähligen Berghöhen und Ortschaften, welche sich vom Eulenkamme bei Silberberg bis zu der Hohen Mense hin, und auf der anderen Seite von Silberberg bis zum Kamme des hohen Riesengebirges, ja bis zum Erzgebirge und zur Landeskrone bei Görlitz in bunter Mannichfaltigkeit ausbreiten. In der Nachmittagsbeleuchtung ist der Anblick dieses großartigen Panoramas am schönsten.“ (Reisehandbuch für die Sudeten, Dr. C.S. Schweitzer, 1846)
Über ca. 600 kniefeindliche Stufen vollzieht sich der Abstieg vom Plateau der Heuscheuer. Über eine ungemein romantische Hochfläche mit Ausblicken auf die Braunauer Wände nähern wir uns wieder der böhmischen Grenze und steigen nach einer erlebnisreichen Wandertour nach Machau ab an den Ausgangsort unserer Tour.
Die GPS-Daten der Wanderung zum Wilden Loch und Heuscheuer findet man hier.
Durch das Tal der Mettau
Beim Anstieg zum Wostasch erblicken wir die Heuscheuer
(links) und den Tafelberg Wildes Loch (rechts)
Die Felsen des Wostasch
Unterhalb im Wald sehen wir die Katzenfelsen, am Horizont
die Erhebungen des Waldenburger Berglandes
Felsformationen der Katzenfelsen
Durch den Felsparcour des Wilden Lochs
Durch die Heuscheuer
Auf dem Weg zurück nach Machau
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