eBook (pdf) in 808 Seiten und 461 Kapitel, z. B. über die "Zensur" und dessen Praxis:
160. Das Geschäft des “zensierens“
Es soll eher um die „Kleingeister“ gehen, die das Geschäft des „Zensierens“ quasi amtlich durchführten und dabei zwangsläufig auf „große Geister“ stießen, denen sie geistig nicht im Geringsten gewachsen waren. Die Beweise dafür haben sie in den Texten hinterlassen, die von ihnen mit viel Akribie und durchaus auch Phantasie verunstaltet wurden.
Fangen wir mit einem zweifellos „großen Geist“ an, mit Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) und seiner Tragödie „Faust I“. Hier hatten es dem Zensor insbesondere die „jugendgefährdenden“ Verse angetan. Dabei schwelgte er manchmal selbst in Dichtkunst, wie folgende Beispiele beweisen: So heißt es bei Goethe „Ach, kann ich nie – Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen, - und Brust an Brust und Seel an Seele drängen?“. Was, eine ganze Stunde am „Busen“ hängen? Nein, das geht beileibe nicht – also wurde der Vers gestrichen und flugs vom Zensor umgedichtet: „Ach, kann ich nie – Ein Stündchen ruhig bei dir sein, - Doch ungestört wir beide nun allein, - Man hat sich doch so manches Wort zu sagen, - das keine Zeugen will!“.
Wenn es dann auch noch um kirchliche Dinge ging, da lief der Zensor in Höchstform auf: So liest man in der bekannten Schülerszene Mephistos Ratschlag „Doch Euch des Schreibens ja befleißt, - Als diktiert‘ Euch der Heilig‘ Geist!“, was so natürlich keines-falls stehenbleiben durfte: „Doch Euch des Schreibens ja befleißt, - Weil dies allein studieren heißt.“
Das „Zensieren“ durchaus auch eine intellektuelle Leistung darstellt, bewies ein Zensor bei der Entschärfung des Spottlieds „Es saß ein Ratt im Kellernest“, dessen erste Strophe vollständig lautet „Es saß ein Ratt im Kellernest, - Lebte nur von Fett und Butter, - Hat‘ sich ein Ränzlein angemäst’t – Als wie der Doktor Luther“. „Dr. Luther! – nein, das geht gar nicht“, muss es wie ein Blitz durch das Kleinhirn des Zensors gezuckt sein. Aber nach einigen Stunden Kopfzerbrechen hatte er die Lösung: „Es saß ein Ratt im Kellernest, - Lebte nur von Fett und Butter, - Hat‘ sich ein Ränzlein ange-mäst’t – Wie der gelehrteste Chinese.“ Heute würde in manchen Weltgegenden auch die Zeile „Uns ist ganz kannibalisch wohl – Als wie fünfhundert Säuen!“ (aus dem „Flohlied“) mit hoher Wahrscheinlichkeit als bedenklich eingestuft und das dazugehörige literarische Werk zumindest als „harām“ qualifiziert, unter Umständen vielleicht sogar gleich in Gänze verboten werden, obwohl bereits eine vor ~200 Jahren zensierte Version existiert, an der man an der kompromittierten Stelle „Tralleralla, - Tralleralla!“ lesen kann. Aber da das ja auch irgendwie von einer Art Lebensfreude kündigt, dürfte selbst das noch für einige extreme Fundamentalisten einer Fatwa wert sein…
Ein Zensor war normalerweise eine achtungsgebietende Amtsperson, und die hatte sich, wie jede andere Amtsperson auch, an Anweisungen zu halten. Meist waren sie aber so allgemein formuliert, dass der Zensor einen großen Spielraum in deren Auslegung hatte. Der deutsche Literaturwissenschaftler Heinrich Hubert Houben (1875-1935) zitiert z. B. einen Erlass der österreichischen und erzkatholischen Kaiserin Maria Theresia (1717-1780), welcher detaillierte Direktiven über die Behandlung protestantischer und antikatholischer Schriften sowie deren Verfasser enthält. Er schreibt dazu:
„Die Verfasser protestantischer und antikatholischer Schriften erwartet Verbannung und Kerker. Schon der Besitz lutherischer, ketzerischer, überhaupt unkatholischer Schriften war aufs strengste verpönt; sie standen außerhalb allen Eigentumrechtes, jeder Geistli-che durfte sie konfiszieren, wo er sie fand, jeder Privatmann war bei Strafe verpflichtet, anzugeben, wo immer er sie gesehen hatte. Wer ein Buch kaufte, musste es innerhalb von vier Wochen seinem Pfarrer zur Prüfung vorlegen, sonst erhielt er 3 Gulden Strafe, die sich im Wiederholungsfall empfindlich steigerte. Ein Drittel der Strafgelder fiel dem Denunzianten zu; daher stand die niederträchtigste Spionage in voller Blüte. Haus-durchsuchungen waren an der Tagesordnung. Die Koffer der Reisenden wurden auf den Zollämtern durchsucht, alle bedenklichen Bücher weggenommen, verbotene verbrannt. Verkleidete Beamte der geistlichen Bücherpolizei besuchten als harmlose Kunden die Buchläden, schlichen sich in das Vertrauen der Händler und drangen in sie, ihnen verbo-tene Bücher zu verschaffen; ließen die Buchhändler sich überreden, so entdeckten sich die Spitzel als Polizisten, beschlagnahmten die Werke und nahmen die Verkäufer in Strafe.“
Wie man sieht, hatte man sowohl als Autor, als Buchhändler und sogar als Leser schlechte Karten, wenn man gegen die Zensurbehörde opponierte. Die „Zensur“ ist deshalb bis heute ein probates Mittel der Ausübung von Herrschaft. Andererseits war dasjenige, was gerade in früheren Zeiten „zensiert“ wurde, aus heutiger Sicht eher peinlich. Die schönsten Beispiele stammen dabei aus der „Theaterzensur“. So machte ein Zensor in dem bekannten Stück „Kabale und Liebe“ (von Friedrich Schiller) den Hofmarschall von Kalb zum „Oberkleiderwart“, da ja in der Auffassung der Zeit ein „Marschall“ niemals ein Intrigant sein kann. Schiller hatte eh Zeit seines Lebens mit Zensoren zu kämpfen, denen sein Werk nicht „politisch korrekt“ genug war, um es unverhunzt der Allgemeinheit vorlegen zu können. Nehmen wir nur „Die Jungfrau von Orleans“. Hier hatte es die Heldin des Stücks, Agnes Sorel, den Zensoren angetan, denn Schiller führte sie als Mätresse des französischen Königs Karl VII. ein (was sie natürlich auch war). Aber das dürfte nach Meinung der Zensurbehörde nicht sein, so dass sie in der zensierten Version dieses Dramas als rechtmäßige Gemahlin des Königs zu erscheinen hatte. Und so ließen sich noch viele Beispiele finden.
161. Die Praxis der Zensur
Aber die Praxis der Zensur, die zu einem nicht unwesentlichen Teil auf die Zuarbeit von Spitzeln und Denunzianten angewiesen war, mussten sich selbst mit „Gasthäusern“ herumschlagen, wenn deren Reklametafeln nicht den Zensurrichtlinien zu entsprechen vermochten. So erging es beispielsweise dem 1816 in Paris eröffneten Gasthaus „Boeuf à la mode“, von dem berichtet wird, dass es am Tag seiner Eröffnung mit einem Schild versehen war, auf dem man werbewirksam einen mit einem Schal und einem Strohhut aufgeputzten Ochsen sehen konnte. Was folgte, war eine Anzeige eines Polizeispitzels, der einen ganzen Rattenschwanz an Folgetätigkeiten, Untersuchungen, Rücksprachen (bis hin zum Polizeiminister!) und sogar eine geheime Inaugenscheinnahme des betreffenden Schildes zur Folge hatte. Denn die Anzeige des Spitzels hatte es in sich:
„Der auf dem Schild dargestellte Ochse ist bekanntlich das Symbol des Gemästetseins. Der Schal, der ihn ziert, ist von roter Farbe, der Schmuck auf dem Hut besteht aus weißen Federn und blauen Bändern. Von seinem Hals hängt ein Band samt einer Verzierung ähnlich dem Orden vom „Goldenen Vlies“, der von Fürsten getragen wird. Der Hut soll offensichtlich die Krone darstellen und ist im Begriff, herunterzurutschen. Diese Anspielungen dienen zweifellos als Beweis dafür, dass jenes Aushängeschild nichts anderes ist als eine niederträchtige Karikatur von der Person Ihrer Majestät.“
– hier Ludwig XVIII. Für die Zensurbehörde spricht in diesem Fall, dass sie nach der geheimen Inspektion (man vermutet in Verbindung mit einem Besuch des Gasthofs) von einer weiteren Verfolgung der Angelegenheit Abstand genommen hat. Das Restaurant, in Versailles gelegen (an der Rue de la Paroisse), existiert übrigens heute noch und besitzt einen ausgezeichneten Ruf.
und hinterm Horizont gehts weiter ...
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