Mittwoch, 29. Juni 2011

Exoplaneten (10) - Planetologie der extrasolaren Gasplaneten

Planetologie der extrasolaren Gasplaneten (Gasriesen)

Seit der Entdeckung der ersten „hot jupiters“ begannen sich die Planetologen dafür zu interessieren, wie diese exotischen Welten wohl aufgebaut sind und wie sie wohl einem Betrachter in ihrer Nähe erscheinen würden, wie sie entstanden sind und wie man sie sicher von Braunen Zwergsternen unterscheiden kann. Das hat das Fachgebiet der vergleichenden Planetologie geradezu beflügelt, weil man sich fragen mußte, ob die Planeten in unserem Sonnensystem wirklich repräsentativ für die Population aller denkbaren Planeten in unserem Kosmos sind. Auch schien diese vorher völlig unbekannte Klasse von Planeten der Lehrmeinung, daß sich Gasriesen nur in großer Entfernung von ihrem Mutterstern bilden können, diametral zu widersprechen. Heute, knapp zwei Jahrzehnte nach der ersten Entdeckung eines solchen Planeten um einen sonnenähnlichen Stern (51 Pegasi b, M. Mayor, D.Queloz 1995), sieht man in dieser Beziehung deutlich klarer. Beobachtungen gaben vielfältige Hinweise auf die Basisparameter von Exoplaneten diesen Typs, mit denen wiederum die Theoretiker arbeiten konnten, die den Versuch unternahmen, möglichst realistische Modelle dieser neuen Objektklassen zu entwickeln. Die physikalischen Gesetze, die Gasplaneten beschreiben, entsprechen im Wesentlichen den der ebenfalls aus Gasen aufgebauten Sterne, wobei die Unterschiede in der Art der Energiequellen, in der Form des Energietransports im Planeteninneren und in der Planetenatmosphäre, in den zu verwendenden Zustandsgleichungen und in der radialen Verteilung der den Planet aufbauenden Stoffe zu suchen sind. Auch die Physik der Atmosphären der Gasplaneten ist stark an die Theorie der Sternatmosphären angelehnt, nur das man es hier hauptsächlich mit molekularen Neutralgasen (wie z.B. H2, CH4, NH3, H2O… ) und keinen extrem heißen Plasmen zu tun hat. Die Theorie ist dabei soweit fortgeschritten, daß mit Hilfe entsprechender Computerprogramme synthetische Spektren berechnet werden können, die sich prinzipiell mit den Spektren von Exoplaneten vergleichen lassen – vorausgesetzt, es gelingt auch, sie meßtechnisch zu erfassen (das Beispiel HR 8799b ist z.Z. noch eine Ausnahme, hat aber bereits zu interessanten neuen Erkenntnissen geführt, die wiederum Eingang in verbesserte Modelle planetarer Atmosphären gefunden haben).

In unserem Sonnensystem bilden Jupiter und Saturn (Riesenplaneten) sowie Uranus und Neptun (Großplaneten) zwei Untergruppen der Gasriesen. Die vergleichende Planetologie benutzt sie als relativ gut erforschte Referenzobjekte, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Exoplaneten herauszuarbeiten. Rückt man sie beispielsweise gedanklich noch näher an die Sonne als Merkur, dann sollten daraus hot jupiters und hot neptunes entstehen…

Ab wann wird ein Stern zum Gasplaneten?
Ein Stern ist laut Definition ein individuelles kosmisches Objekt, welches zumindest einmal während seines Lebenszyklus in seinem Inneren Energie durch Kernfusion erzeugt. Dazu muß es eine Mindestmasse besitzen, um durch Kontraktion am Ende der Protosternbildung im Kernbereich eine so hohe Temperatur und Druck zu erzeugen, daß Kernfusionsprozesse zünden können (Virialsatz). Ein „gewöhnlicher“ Zwergstern (genauer Hauptreihenstern) liegt dann vor, wenn die Energieerzeugung, die den Stern hydrodynamisch stabilisiert, durch „Wasserstoffbrennen“, d.h. durch Fusion von Wasserstoff zu Helium, erfolgt. Dazu ist eine Zündtemperatur von mindestens 3 Millionen K notwendig. Die dazu erforderliche Mindestmasse folgt aus der Theorie der Sternentwicklung und liegt je nach Metallizität zwischen 75 und 90 Jupitermassen (MJ). Je mehr „Metalle“ (als „Metalle“ werden im Astronomen-Jargon bekanntlich alle Elemente schwerer als Helium bezeichnet) die protostellare Gas- und Staubwolke enthält, aus der sich ein Stern bildet, desto geringer ist die Sternmasse, ab welcher Wasserstoffbrennen möglich wird. Eine verschwindende Metallizität haben Sterne der Population III, die nur eine relativ kurze Zeit nach dem Urknall vor 13.7 Milliarden Jahren existent waren (die ersten Millionen Jahre nach dem Urknall gab es im Wesentlichen nur Wasserstoff, Helium und ein wenig Lithium. Alle anderen Elemente sind erst in Sternen „erbrütet“ worden).

Braune Zwerge
Unterhalb der Temperaturschwelle für das Wasserstoffbrennen gibt es einige wenige Fusionsreaktionen, die z.T. schon ab einer Kerntemperatur von ~ 1 Million K zünden. Für die Astrophysik sind davon nur das sogenannte „Deuteriumbrennen“ sowie das „Lithiumbrennen“ von Bedeutung. Deuteriumbrennen setzt bereits ab einer Masse von ungefähr 13 MJ  ein, während das Lithiumbrennen (es zündet bei ungefähr 2 Millionen K) eine Mindestmasse von 65 MJ voraussetzt. Sterne im Massebereich zwischen 13 MJ  und 75 MJ (ab der Wasserstoffbrennen möglich wird) bezeichnet man als Braune Zwerge. 

Die untere Grenzmasse von ~13 MJ kennzeichnet den Übergang zu den Gasriesen, die entweder gebunden an einen Mutterstern als Planet oder – in Form von Einzelobjekten – als free floaters oder Planemos die Galaxien bevölkern.

Für die Planetologie ist die Abgrenzung dieser Objektgruppen untereinander anhand von Beobachtungsdaten ein großes Problem. Die Masse als entscheidender Parameter ist oftmals nur bis auf einen Faktor  sin i  bestimmbar, was natürlich große Unsicherheiten bei Exoplaneten mit Massen im Grenzbereich hervorruft.  

Ist das fragliche Objekt individuell auflösbar (was bei kritischen Exoplanetenkandidaten fast nie der Fall ist), dann kann man in seinem Spektrum nach für Braune Zwergsterne typischen Merkmalen suchen. Als ein relativ sicherer Test gilt der Nachweis von Lithiumlinien (R.Rebolo, 1992). Aber auch Linien, die sich Methan zuordnen lassen, helfen u.U. einen Braunen Zwergstern von einem (planetaren) Gasriesen zu unterscheiden. 

Gliese 229B
Ein Objekt, welches man auf dem ersten Blick für einen Exoplaneten halten könnte, ist der Begleiter des kleinen roten Zwergsterns Gliese 229A im Sternbild Lupus. Er konnte mit Hilfe des Hubble-Teleskops deutlich von seinem Mutterstern getrennt und damit näher untersucht werden. Das war nur wegen der sehr geringen Entfernung (18.8 Lj) und dem noch vergleichsweise moderaten Helligkeitsunterschied im infraroten Spektralbereich zwischen Hauptstern und Begleiter möglich. Die Entdeckung gelang übrigens mit dem berühmten 5-Meter Mount Palomar-Spiegelteleskop am 27. Oktober 1994.


5.43  Gliese 229B ist einer der wenigen genauer untersuchten Braunen Zwergsterne, die zwar zu den gewöhnlichen Bewohnern unserer Milchstraße gehören, die aber aufgrund ihrer extrem geringen Leuchtkraft nur extrem schwer zu entdecken sind    © HST

Gliese 229B benötigt  rund 40 Jahre für einen Umlauf um den als Flare-Stern auffällig gewordenen Roten Zwergstern, der lediglich eine Masse von 0.58 MS und eine Leuchtkraft von 0.016 LS besitzt und am Himmel aufgrund seiner geringen Helligkeit von 8.13 mag (bei einer Entfernung von 18.8 Lj) nur mit einen Feldstecher oder Fernrohr gesehen werden kann. Gliese 229B selbst besitzt eine visuelle Helligkeit von 31.8 mag und kann deshalb nur im Infraroten Bereich sicher beobachtet werden, wo die Helligkeit im K-Band (λ≈ 2.2 μm) ungefähr 14.4 mag beträgt (S.K.Legget et.al. 1999). 

Die Masse konnte aus den Bahndaten zu 20 bis 50 MJ bestimmt werden. Besonders wichtig war jedoch der spektroskopische Nachweis von absorbierenden Methanbanden im infraroten Spektralbereich. Da das Methanmolekül CH4 nur bis zu Temperaturen von maximal 1400 K stabil ist, muß die Temperatur der Atmosphäre von Gliese 229B auf jedem Fall darunter liegen. Das ist zugleich auch der beste Beweis dafür, daß es sich um einen Braunen Zwerg und nicht um einen massearmen Hauptreihenstern handeln kann (die kleinste mögliche Photosphärentemperatur eines Hauptreihensterns liegt bei ~2000 K). Mit Hilfe des Hubble-Teleskops konnte schließlich die Temperatur direkt bestimmt werden, ~1020 K, was in völliger Übereinstimmung mit der Theorie Brauner Zwergsterne steht.

Übergang zu Gasriesen
Die Grenzmasse von 13 MJ, (oder 0.013 MS) ist, wie bereits erläutert, eine Festlegung, die aus der Sternphysik folgt. Physikalisch ist der Übergang fließend, d.h. massearme Braune Zwerge und massereiche Gasriesen sind vom Standpunkt des Beobachters nicht zu unterscheiden, wenn ihre Massen nicht hinlänglich genau bekannt sind. Oder anders ausgedrückt, die Möglichkeit, daß in einen Braunen Zwergstern in einer frühen Phase seiner Entwicklungsgeschichte einmal Kernfusionsprozesse stattgefunden haben, hat keine Bedeutung für die Einordung dieser Objekte in die Klasse der Gasriesen. Aus diesem Grund sollte man sich auch nicht wundern, daß in den Exoplanetenlisten (z.B. http://exoplanet.eu/catalog-all.php) auch Gasplaneten geführt werden, deren (projizierte) Masse oberhalb der Grenzmasse für Braune Zwerge liegt. 


5.44   Der T-Tauri-Stern GQ Lupi A besitzt in einem Winkelabstand von 0.7 Bogensekunden einen schwachen Begleiter, bei dem es sich entweder um einen Braunen Zwerg oder um einen Exoplaneten handelt. Da die Masse nur mit einem großen Fehlerintervall bestimmt werden konnte, steht die Entscheidung noch aus. © ESO

Ein Beispiel für einen Grenzfall stellt GQ Lupi b dar. Er wurde dadurch näher bekannt, weil er direkt mit dem NACO-Instrument des VLT/Yepun der Europäischen Südsternwarte abgebildet werden konnte (R.Neuhäuser et.al. 2005). Er bewegt sich in rund 1000 Jahren in einer Entfernung von über 30 AU einmal um den sehr jungen roten Zwergstern (genauer T-Tauri-Stern vom Spektraltyp K7, Entfernung 400 Lj) GQ Lupi A. Da seine Masse sehr unsicher ist (M sin i=21.5±20.5 MJ), läßt sich bis heute (2010) nicht entscheiden, ob es sich um einen jupiterähnlichen Gasriesen oder um einen Braunen Zwerg handelt. Im letzteren Fall müßte er in GQ Lupi B (mit großem „B“) umbenannt werden. 

Typen von Gasriesen
Die grundlegende Unterteilung der Gasriesen orientiert sich an den Riesenplaneten Jupiter und Saturn und den Großplaneten (engl. ice giants) Uranus und Neptun in unserem Sonnensystem. Entsprechend der kosmischen Elementehäufigkeit bestehen beide Typen überwiegend aus Wasserstoff und Helium mit einem unterschiedlichen Anteil an schwereren Elementen, wobei der Wasserstoff in der ersten Gruppe im Innern aufgrund des hohen Druckes im metallischen Zustand vorkommt, während es bei den Neptun-artigen im (flüssigen) molekularen Zustand verbleibt. Außerdem erwartet man im Zentrum der Planeten einen Kern aus einem Gemisch aus Silikaten, Wasser, Methan und Ammoniak. Da im Astronomen-Jargon Mixturen aus Wasser, Methan und Ammoniak schlicht „Eis“ genannt werden, werden die „neptuns“ im englischen Sprachraum meistens als „Eisriesen“ bezeichnet. Dieses „Eis“ hat mit dem „Eis“, wie man es sich gewöhnlich vorstellt, überhaupt nichts zu tun. Unter den Bedingungen des Planeteninneren handelt es sich dabei um eine extrem verdichtete heiße Flüssigkeit, die sich im Laufe der Zeit aufgrund ihrer im Vergleich zu Wasserstoff und Helium höheren Dichte im Kernbereich angesammelt hat. Bei den  jupiterartigen Planeten ist das zwar auch der Fall, jedoch ist bei ihnen die „Eisschicht“ um den festen Gesteinskern weniger stark ausgeprägt.

Der direkten Beobachtung zugänglich sind nur die äußersten Schichten der Planetenatmosphären. Lediglich die Jupiteratmosphäre konnte bis jetzt mittels einer Eintauchsonde (Galileo, 7. Dezember 1995) näher untersucht werden. Es gelang mit dieser Sonde z.B. ein Temperatur- und Druckprofil der Troposphäre bis in eine Tiefe, die der Isobare 22 Bar entspricht, aufzunehmen. 

Die physikalischen Bedingungen in den Atmosphären der Gasplaneten des Sonnensystems erlauben eine reichhaltige Atmosphärenchemie, wie sie besonders in den vielfarbigen Wolkenstrukturen Jupiters sichtbar wird. Obwohl die die Wolken bildenden Stoffe nur in Spuren vorkommen (meist Verbindungen von Kohlenstoff, Stickstoff, Phosphor und Schwefel mit Wasserstoff), dominieren sie aufgrund ihrer Absorptionseigenschaften für elektromagnetische Strahlung das optische Antlitz der Planeten. Da die Troposphärentemperatur neben der Konzentration der Spurenstoffe im wesentlichen die Wolkenbildung beeinflußt, wird sich das Aussehen einer solchen Atmosphäre stark mit diesen Parametern ändern (siehe Sudarsky-Klassifikation), was die eigentliche Formenvielfalt in der äußeren Erscheinungsform der Exoplaneten vom Typ der Gasriesen ausmachen sollte.


5.45   Masse-Radius-Beziehung für planetare Körper unterschiedlicher Zusammensetzung. Man erkennt deutlich, daß die „neptunes“ und die „jupiters“ deutlich getrennte Parameterbereiche in diesem Diagramm besiedeln.  © D.J. Stevenson 

Jupiters
Gasplaneten im Massebereich zwischen der Grenzmasse zu Braunen Zwergsternen (13 MJ ) und ungefähr 0.5 MJ, die überwiegend aus Wasserstoff und Helium und einen vergleichsweise geringen Anteil an „Eis“ bestehen, werden als Jupiter-Zwillinge oder jupiters bezeichnet. Man unterscheidet heuristisch zwei Untergruppen, einmal die cold jupiters, die sich in ähnlich großem Abstand wie Jupiter und Saturn um ihren Mutterstern bewegen, und die hot jupiters, deren Bahnen extrem nahe (so zwischen 0.015 und 0.5 AU) am Mutterstern verlaufen, was zu Umlaufszeiten in der Größenordnung von Tagen führt. Der Name soll auf die extreme Aufheizung ihrer Atmosphären hinweisen, die insbesondere die Tagseite betrifft (aus himmelsmechanischen Gründen nimmt man an, daß die überwiegende  Mehrzahl dieser Planeten eine gebundene Rotation besitzt).

Neptuns
Exoplaneten mit einem ähnlichen stofflichen Aufbau wie Uranus und Neptun im Massebereich zwischen ungefähr einer Saturnmasse und der Massegrenze für Supererden (10 Erdmassen) nennt man neptunes. Auch hier ist die Unterscheidung zwischen cold neptunes und hot neptunes sinnvoll, wobei für die Einordnung die gleichen Kriterien gelten wie bei den jupiters.



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