Ein Gastbeitrag von Werner Schorisch, Zittau
Als ich neulich hinter Böhmisch Leipa (Ceská Lipa) in der Nähe der "Hirnsner Teiche" (Novozámecký) unterwegs war, habe ich mir nicht nur die "Mikenhaner Steine" (Lysá skála) und die "Ruine Habstein" (Hradu Jestrebi) angesehen, sondern auch ein in dieser Gegend eher seltenes Exemplar!
Es ist die Sandsteinskulptur "Wilgefortis", besser unter dem Namen die hl. Kümmernis bekannt. Dieses Denkmal hat der Graf Johann Wilhelm von Kaunitz 1705 unweit vom Schloß Neuschloss bei Neugarten an der Straße zwischen Neugarten und Habstein errichten lassen. Bei A. Paudler heißt es hierzu, was die Aufstellung betrifft:
..."Kein Wunder, wenn er der Heiligen dankbar war, da er in dem selben Jahre den durch dritthalb Jahrzehnte andauernden Proceß mit dem Grafen Karl Ferdinand v. Waldstein durch einen Vergleich glücklich beendet hatte."...
Hl. Kümmernis im mittelalterlichen Gewandt. Die Sandsteinskulptur bei Neugarten (Zahrádky) wurde 1705 von Graf Johann Wilhelm von Kaunitz aufgestellt. Im Hintergrund kann man sehr gut die Kirche zur hl. Barbara sehen (sie diente auch als Gruftkirche für derer zu Kaunitz).
Legende einer fiktiven Volksheiligen aus dem Mittelalter:
"Die Tochter eines portugiesischen Heidenkönigs, die sich heimlich zum Christentum bekannte, wehrte sich gegen eine vom Vater geplante Heirat. Um der Vermählung mit dem auserkorenen heidnischen Prinzen zu entgehen, bat sie Gott, ihr Aussehen zu entstellen. Als ihr daraufhin ein Bart wuchs, ließ der erzürnte Vater die Widerspenstige ans Kreuz schlagen.
Verbunden mit dieser Legende ist die Geschichte von einem mittellosen Geiger der vor der Gekreuzigten spielt. Als Lohn wirft sie dem Spielmann ihren goldenen Schuh herunter. Der Geiger wird des Diebstahles bezichtigt und zum Tode verurteilt. Bevor es zur Hinrichtung kommen sollte, durfte der Spielmann noch ein zweites Mal vor der Gekreuzigten spielen. Als die gekreuzigte Königstochter ihren zweiten Schuh dem Spielmann zuwarf, war seine Unschuld bewiesen."
S
Wilgefortis
Virgo fortis
Coram Deo
expassione et ex gratia
gratiosa et grata
pro nobis
se sistat et existat
PATRONA
Das kleine Bänkchen neben der Skulptur, der gelegentliche Blumenschmuck sowie angezündete Kerzen auf dem Sandsteinsockel, deuten darauf hin, dass sich die "hl. Kümmernis" über mangelnden u. dankbaren Besuch nicht beklagen kann.
Wer also wieder einmal auf der Autostraße 38 zwischen Böhmisch Leipa und Jungbunzlau (Mladá Boleslav) unterwes ist, sollte an dieser Stelle einmal eine kleine Rast einlegen, auch um die Kultur unserer Altvorderen zu betrachten, so meine Empfehlung.
Von der barocken Statue der hl. Kümmernis leuchtet das rote Dach der Kirche zur hl. Barbara bei Neugarten herüber und lädt auf diese Weise zu einem Abstecher dort hin ein.
Ein hübscher Treppenaufgang gesäumt von heiligen Figuren am oberen Ende der Treppe bietet dem Betrachter einen würdigen Empfang.
Der Besucher dieses Friedhofes findet viele interessante Gräber einer längst vergangenen Zeit.
Die Kirche mit dem separat stehendem Glockenturm bietet aus dieser Perspektive ein wunderbares, harmonisches, architektonisches Ensemble.
Der trutzige Glockenturm macht einen sehr wehrhaften Eindruck, im Gegensatz zu der formschönen Kuppel.
Kreuzsockel an der Gruft mit nachfolgender Inschrift:
Alexander
Prinz
zu Hohenlohe-Waldenburg
Schillingsfürst-Kaunitz
geb. 5.IX.1879 gest. 25.XII.1933
Die Ahnentafel Alexander zu Hohenlohe, der auch den Titel Graf zu Heimbach bekommen hat.
Dieses Bild zeigt eine der vielen Darstellungen der Volksheiligen. Hier ein Fresko um 1460 in Sankt Lambertus Düsseldorf. Quelle: Joachim Schäfer
Nach "Herrnhut" endlich wieder einmal ein geschichtlicher Beitrag des Verfassers. Von dem man angeregt, selbst, an Hand der Namen und Fakten, der Historie folgen kann.
AntwortenLöschenWie bei allen bisher in Nordböhmen - ob Schönlinde oder Rumburg - angestellten genealogischen Studien, sieht man aber an den Bildern der noch vorhandenen Grabstellen die Diskrepanz zwischen dem Tragen eines Namens und der Pflege der Altvorderen.
Bei der gedachten Familie zählt Wikipedia hunderte Namen, Daten und Fakten auf. Die Besitztümer
(Schlösser und Ländereien) werden teilweise dargestellt.
Das dann ein Grabstein bald umfällt und die tschechischen Kirchgemeinden mit solchen historischen
Erbschaften allein gelassen sind - dies ist dann zum Nachdenken.
KuWePe
Bei meinen Wanderungen und Ausfahrten in Nordböhmen sind auch Friedhöfe immer ein besonderes Ziel. Besonders, weil hier oft die Geschichte das Landes immer noch sehr gut sichtbar wird und, wie "Ihr" schreibt, zum Nachdenken anregt. Das die Grabstätten der Deutschen nach der "Vertreibung" in der Regel vernachlässigt wurden, liegt in der Natur der Sache.
LöschenFür die Kaunitzes wäre es sicher ein Leichtes ihre Grabanlage in Neugarten in Ordnung bringen zu lassen. Wenn man allerdings immer wieder von Grabschändungen (und mögl. Plünderungen) von deutschen Gräbern in Tschechien liest, wie jüngst in unserer lokalen Presse (SZ vom 13.03.2015), dann schreckt das potentielle Geldgeber eher ab. Viele Grüße Werner
Hoffentlich bleiben uns die Zeichen der Geschichte trotz der mangelnden Pflege noch eine Weile erhalten.
AntwortenLöschenLG Zimtbluete
Ein zartes Pflänzchen der Hoffnung gibt es zwar, was die Pflege von Kulturgütern im Nachbarland betrifft, weil einige wenige der neuen Bewohner (nach der Vertreibung) das nötige Geschichtsbewusstsein haben und so wissen sie auch um die Bedeutung, der Nachwelt diese historischen Denkmale zu erhalten. Nur, die Betonung liegt auf "einige wenige". Mit anderen Worten, man hofft auf Beistand bzw. Hilfe! L.G. Werner
LöschenSehr geehrter Herr Schorisch
AntwortenLöschenGanz herzlichen Dank für den interessanten Artikel. Meinen nächsten Urlaub werde ich in Nordböhmen verbringen. Haben Sie noch andere Artikel bezüglich der Geschichte Nordböhmens verfasst? Wenn ja, wäre ich daran sehr interessiert.
Kennen Sie noch andere Grabsteine mit den Inschriften "Kaunitz" in Zahradky?
Besten Dank für Ihre Informationen und
Freundliche Grüsse
Hildegard Weigerstorfer