Sonntag, 4. Oktober 2015

Was hat die Weimarer Klassik mit dem großen Erfinder Arthur Schramm (Zeppelin) und den Tod der Fliegen durch Fliegenpilze sowie mit blauen Stoffen zu tun, für deren Herstellung Urinale unabkömmlich waren?


Weimarer Klassik
In diesem Zusammenhang ist insbesondere die tiefe Freundschaft mit Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) zu nennen, mit dem er zusammen mit Johann Gottfried Herder (1744-1803) und Christoph Martin Wieland (1733-1813) eine Epoche begründete, die als „Weimarer Klassik“ in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Viele seiner Dramen und Bühnenstücke sowie Gedichte und Balladen gehören seitdem zum obligatorischen Lesestoff einer jeden Schülergeneration, wobei sich die Beschäftigung mit Schillers Werken vom Auswendiglernen berühmter Balladen immer mehr zu deren Interpretation (Gedichtsdeutung – „Was will uns der Dichter damit sagen?“) verschoben hat.

Die Glocke ohne Klöppel
Noch vor hundert Jahren kannten die Schüler humanistischer Gymnasien solche Mammutgedichte wie „Die Glocke“ fehlerfrei auswendig. Immerhin besteht das „Lied von der Glocke“ aus 425 Gedichtzeilen. Heute fragt man oft vergebens, aus welchem Gedicht wohl der Satz „Gefährlich ist's, den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn; jedoch der schrecklichste der Schrecken, das ist der Mensch in seinem Wahn.“ stammt. Junge Leute haben da oftmals schon bei der Deutung des Wortes „Leu“ ihre Probleme. Aber Gott sei Dank, gab es auch begnadete Dichter, denen das „Lied von der Glocke“ selbst zu lang erschien, und die deshalb intensiv an einer kürzeren, schülerfreundlicheren Version gearbeitet haben.

Goethe, Schiller, Arthur Schramm sind die Besten, die wir ham
Einer von ihnen war Arthur Schramm (1895-1994), der nicht nur als begnadeter Heimatdichter einprägsamer Zwei- und Vierzeiler, sondern auch als großer Erfinder außerhalb seiner Heimat weitgehend unbekannt geblieben ist. Seine Version von Schillers „Glocke“ dürfte die kürzeste und kompakteste sein, die je erdichtet worden ist: „Loch in Erde, Bronze rinn, Glocke fertig, bimm, bimm, bimm.“ Aber auch er konnte einen fundamentalen Kritikpunkt an Schillers Ballade nicht ausräumen. Damit eine Glocke „bimm, bimm, bimm“ machen kann, benötigt sie bekanntlich einen Klöppel. Aber davon ist weder bei Schiller noch bei Schramm etwas zu lesen. Doch zurück zu Arthur Schramm, der aufgrund seiner Größe in seiner Annaberger Heimat (Erzgebirge) nur der „Klaane Getu“ genannt wurde. Von ihm lohnt es sich, noch ein paar weitere mehr oder weniger bekannte („Rumpeldipumpel, weg war'n die Kumpel! Schippe drauf, Glück auf.“) oder unbekannte („Die Sonne scheint ins Kellerloch. Ach lass sie doch - ach lass sie doch!“) oder damals politisch unkorrekte („Der Kumpel aus dem Bergloch kriecht. Hurra, der Sozialismus siecht!“) oder auch zeitlos schöne Sprüche („Sommer, Sonne, Wellenpracht, Badehose, Sowjetmacht.“) der Vergessenheit zu entreißen. Und was seine Erfindungen betrifft, hat leider nur die „MIRAMM-Wäschezange“ in Form der „hölzernen Grillzange“ die Zeiten überdauert.


Ein Zeppelin zum Fliegenfang
Und natürlich muss noch unbedingt seine größte Erfindung, der Zeppelin-Fliegenfänger, erwähnt werden, der aus Pappe bestand, einem Luftschiff nachempfunden und innen mit süßlich riechenden, für Fliegen unwiderstehlich duftenden Leimstreifen ausgekleidet war. Durch kleine Öffnungen gelangten die Fliegen in das Innere des Pappzeppelins und klebten aufgrund der nun durch die Zeppelinhülle eingeschränkten Flugfreiheitsgrade schnell an den Leimstreifen fest. Das war auf jeden Fall ein Vorteil gegenüber dem klassischen Insekten-Klebestreifen, den man heute noch als Hygieneartikel erwerben kann (1909 von dem Hustenbonbonfabrikanten Theodor Keyser erfunden und zur Serienreife entwickelt) und der immer dann seine Nützlichkeit beweist, wenn man im Sommer einer Fliegenplage Herr werden und dabei auf „Chemie“ verzichten möchte. Auch war man durch diese bahnbrechende Erfindung Arthur Schramms vor dem traurigen Anblick der auf dem Leimstreifen verendeten Fliegen geschützt, was bekanntlich zarten Seelen durchaus nahegehen kann… Zu erwähnen ist auch noch, dass vor der Erfindung des Insektenklebestreifens durch Theodor Keyser meist die sogenannte „Fliegenklatsche“ das Fliegenvernichtungsgerät der Wahl war. Oder aber, die Hausfrau versuchte die lästige „Fliege“ einfach und hinterhältig zu vergiften, so wie es die berühmte Marie-Madeleine Marguerite d'Aubray, Marquise de Brinvilliers (1630-1676) mit ihrem Vater und zwei ihrer Brüder getan hat.

Fliegenpilz und Fliegentod
Dazu sollte der Sommer aber nicht zu trocken sein, denn dazu benötigt man zumindest einen Fliegenpilz (Amanita muscaria). Die Anwendung ist recht einfach. Man zerschnippelt den Fliegenpilz, legt die Schnipsel auf einen für die Fliegen frei zugänglichen Teller, befeuchtet die Pilzmasse etwas und verteilt reichlich Zucker darüber. Schon nach kurzer Zeit werden die Fliegen an der süßen Substanz nippeln, um dann kurze Zeit später mit den Symptomen einer akuten Fliegenpilzvergiftung von der Decke bzw. der Lampe (und wenn man Pech hat, in die Suppe) zu fallen. 


Für Menschen dagegen ist der Fliegenpilz, der ja als „der Giftpilz“ schlechthin gilt, relativ harmlos. Im Gegensatz zum verwandten, von der Färbung her aber leicht zu unterscheidenden Grünen Knollenblätterpilz sind vom Fliegenpilz keine tödlich verlaufenden Vergiftungen bekannt geworden. Man müsste schon mehr als ein Kilogramm frische Fliegenpilze verzehren, um ein ähnliches Schicksal zu erleiden wie die erwähnten Zweiflügler der Art Musca domestica (Magengrimmen gibt es aber schon bei weitaus weniger Pilzsubstanz – dank der reichlich vorhandenen Ibutensäure und dessen Zersetzungsprodukt Muscimol). 


Aber so gut schmecken Fliegenpilze nun auch wieder nicht. Zu Kriegszeiten, wo Lebensmittel im Allgemeinen und Speisepilze im Besonderen (hier aufgrund der hohen Sammeltätigkeit) rar waren, hat man gelegentlich auch Fliegenpilze als Nahrungsergänzungsstoffe verspeist, nach dem man sie mehrfach gekocht und das Kochwasser weggeschüttet hatte. Was nach diesem Prozedere dann am Ende übrig geblieben ist, war zwar weitgehend giftfrei, aber sicherlich auch alles andere als lecker. Aber wie sagte meine Großmutter immer „Der Hunger treibts rein“. Viele Leute denken, dass der Fliegenpilz aufgrund seiner jedem Kind bekannten Form und Farbe unverwechselbar sei.

Kaiserlinge
Das stimmt aber nicht ganz. Denn es gibt durchaus einen ähnlichen Verwandten, und zwar einen so ausgezeichneten Speisepilz, dass er im alten Rom in erster Linie dem „Kaiser“ (der dort bekanntlich „Cäsar“ genannt wurde) und seinem Gefolge vorbehalten war. Es ist der Kaiserling (Amanita caesarea). 


Nur ist er in Mitteleuropa und speziell in Deutschland recht selten. Aber man beobachtet zunehmend, dass er sich in Folge der „allgemeinen Klimaerwärmung“ langsam auch in Süddeutschland heimisch zu fühlen beginnt. Sein Hauptverbreitungsgebiet liegt jedoch südlich der Alpen, wo er ausschließlich (ähnlich wie die Trüffel) in Laubwäldern zu finden ist. Fungus suillus, wie der Kaiserling und manchmal auch der Steinpilz genannt wurden, war im alten Rom ein hochgeschätzter Speisepilz, den der Gourmet manchmal sogar im rohen Zustand verzehrte. Da man es damals mit der Unterscheidung zwischen „Speisepilze“ und „Giftpilze“ noch nicht so genau nahm wie heute, wurde bei einem Pilzessen immer ein Brechmittel vorgehalten, um bei einem eventuellen Unwohlsein eine problemlose Magenentleerung zu ermöglichen. Galenos von Pergamon (oft kurz „Galen“ genannt, 129 – 215 n. Chr.) kannte da als berühmter Arzt eine Anzahl entsprechender Mittelchen. Sie wurden gewöhnlich auch dann eingenommen, um bei einem sich hinziehenden Fressgelage wieder Platz im Magen zu schaffen.

Geld stinkt nicht
Deshalb waren entsprechende Etablissements auch mit einem speziellen Raum, dem Vomitorium, ausgestattet, wo der dem Lukullus huldigende Römer sein Brechmittel (auch „Vomitorium“ genannt) ungestört einnehmen konnte… 


Der weniger betuchte Römer musste dagegen für diesen Zweck explizit die „Latrina“ besuchen. Latrinen waren damals wichtige Einrichtungen und die dort separat aufgestellten Urinale wurden sogar zeitweise (beispielsweise unter dem Kaiser Vespasian) mit einer speziellen Steuer belegt (Pecunia non olet!). Der Grund dafür war, dass der Kaiser, na was schon, Geld brauchte und da war es für dessen Argumentation günstig, dass einige Handwerke, z. B. die Tuchfärber und Ledergerber sowie insbesondere die damaligen Wäschereien auf den sich darin ansammelnden Urin angewiesen waren, denn „Perwoll©“ oder „Ariel©“ kannten die Römer noch nicht.


Urinale und edle blaue Stoffe
Was die Stofffärberei betrifft, ist nicht der Urin selbst, sondern das sich daraus bildende Ammoniak das wesentliche Reagenz. Es wird benötigt, um beispielsweise mit Hilfe von Färberwaid (Isatis tinctoria) Stoffe blau zu färben. Bei diesem speziellen Färbeverfahren, welches als Indigofärben bekannt ist, wird zuerst das in der Färberwaidpflanze enthaltene Glykosid Indikan fermentiert. 


Dazu formt man die zuvor zu einem Brei zermahlenen und vergorenen Waid-Pflanzen zu Waidkugeln und lässt sie anschließend in der Luft trocknen. Auf diese Weise entsteht aus dem Indikan durch Gärung das in Wasser unlösliche gelbe Indoxyl. Um es herauszulösen, muss man diese Kugeln nur noch in abgestandener Pisse einweichen (Ammoniak!) und danach mit Pottasche (Kalziumkarbonat) reduzieren. 


Der nun wasserlösliche Farbstoff lässt sich jetzt problemlos auf Stoffe wie Leinen übertragen, der sich zuerst leuchtend gelb und dann, unter Einwirkung des Luftsauerstoffs, tiefblau färbt – aus Indoxyl ist durch Oxidation Indigo geworden. Da indigoblaue Stoffe zu jener Zeit in Rom (und natürlich nicht nur dort) sehr begehrt und deshalb teuer waren, ist verständlich, warum die Latrinenbetreiber, die das von ihnen gesammelte Stoffwechselprodukt weiter veräußerten, vom römischen Staat besteuert wurden. Denn die Gerber, Färber und Wäscher waren damals ziemlich aufgeschmissen, wenn ihnen dieser spezielle „Latrinenrohstoff“ ausgegangen wäre... Doch wo kommt eigentlich das Ammoniak her, welches die geklärte Pisse in jener Zeit zu einem Wirtschaftsgut erster Klasse machte? Die Antwort ist „aus dem Harnstoff“ (lat. urea), einem Kohlensäurediamid, welches bekanntlich beim Aminosäureabbau in Lebewesen entsteht und im Gegensatz zu dem für den Organismus äußerst giftigen Ammoniak ungiftig ist. Deshalb war es noch vor hundert Jahren auch für einen Arzt eine gute und oft praktizierte Methode, „Harn“ zu kosten, um zu schauen, ob ein Patient zuckerkrank ist oder nicht. Schmeckte der Harn süßlich, dann ja, schmeckte er nicht, dann nein. Lange Zeit glaubte man, dass Harnstoff ein Stoff ist, der nur in Organismen durch die ihnen innewohnende „Lebenskraft“ hergestellt werden kann.

Friedrich Wöhler und der Harnstoff
Dann schüttete aber eines Tages Friedrich Wöhler (1800-1882) Silbercyanat und Ammoniumchlorid zusammen und erhielt wie durch ein Wunder Harnstoff. Das brachte ihm 1828 den Professorentitel und damit verbunden ein gesichertes Einkommen ein. Heute gilt dieses Jahr 1828 als Geburtsjahr der „Organischen Chemie“. Mit der „vis vitalis“ war es damit vorbei. Also nix mit „Lebenskraft“.




1 Kommentar:

  1. Eine interessante Schilderung. Teilweise mir noch unbekannte Fakten! Danke

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