Samstag, 24. Oktober 2015

Zum Wochenende: Über Darwinismus im Automobilbau, über unsere aller "Eva", den "Zorn Gottes", das "Geldscheindrucken" und die Tulpomanie...

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Die Fotografie gehört sicherlich zu den wahrhaft großen Erfindungen der Menschheit. Ohne sie wüsste ich beispielsweise nicht, wie meine Urgroßeltern ausgesehen haben, als sie sich um 1900 in einem „Fotografieratelier“ in Görlitz ablichten ließen. 

Auch technische Geräte können aussterben

Heute ist quasi jeder ein Fotograf, seitdem der ursprünglicher Träger der Fotografie, zuerst die Fotoplatte, dann der Film, durch digitale Bildsensoren abgelöst worden ist und solch ein Bildsensor mittlerweile in jedem Handy steckt. 


Und kaum mehr jemand weiß (wenn er es in seiner Jugend nicht einmal selbst gemacht hat, aber dazu muss man wiederum schon wieder etwas älter sein…), wie man Filme entwickelt und daraus Papierbilder, ob nun in Schwarzweiß oder in Farbe sei dahingestellt, erzeugt. Das lehrt, dass nicht nur Tiere und Pflanzen selten werden, ja aussterben können, sondern auch weitverbreitete technische Geräte. Dazu gehört sicherlich auch die analoge Fotografie. Oder wer kann heute noch etwas mit einer 8 oder 5 ¼ oder auch 3 ½ Zoll Diskette anfangen. 


Ich hab davon noch eine ganze Anzahl archiviert mit Programmen, die ich damals, in den 1980er Jahren beispielsweise in Turbo-Pascal geschrieben habe. Nur ich habe keine Geräte mehr, mit der ich ihren Inhalt lesen könnte. Auch die Schallplatte ist (natürlich bis auf ihre „Liebhaber“) ein solches Auslaufmodell. Auch hier kann man beobachten, dass viele Menschen aus nostalgischen Gründen noch Teile ihrer Plattensammlung besitzen, das Abspielgerät, der Plattenspieler, aber längst den Weg allen Irdischen gegangen ist. Und auch die Schallplatte (auch eine geniale Erfindung!), die ich mir seinerzeit in Westberlin auf dem Kurfürstendamm für mein „Begrüßungsgeld“ gekauft habe, existiert noch heute bei mir in einen meiner Schränke (wen‘s interessiert - Mike Oldfield, „Incantations“) – aber anhören tu ich es mir auf Youtube, wenn mir danach ist. Und so finden sich schnell noch weitere „Produkte“, die es heute nicht mehr so ohne weiteres zu kaufen gibt – wie die schnöde Schreibmaschine, die im Vor-PC-Zeitalter (ja, das gab es wirklich!) in keinem Büro fehlen durfte. Für sie erfand man sogar eine „Löschfunktion“. Sie hieß „Tipp-Ex“ und machte das, was heute die „Entf“ bzw. Backspace-Taste für einen Buchstaben auch macht… 



Die Ahnenreihe des Automobils

Interessanterweise kann man an einzelnen Produkten mit etwas Phantasie so etwas wie evolutionäre Entwicklungslinien erkennen, die sich durchaus an die von Charles Darwin und Alfred Russell Wallace (1823-1913) entdeckten Gesetzmäßigkeiten halten. Nehmen wir z B. das Automobil. Heute gibt es dieses Fahrzeug in vielen „Arten“ (Autotypen), die sich in verschiedene Gattungen, Familien (z. B. PKW’s, LKW’s, Busse, …, Panzer) etc. einteilen lassen. Einige von ihnen sind bereits lange ausgestorben (wie das Phänomobil) und man kann sie nur noch, ähnlich der Skelette diverser Saurier, in Museen bewundern (Tipp: Verkehrsmuseum in Dresden). Andere entwickeln sich weiter, in dem die Ingenieure deren Form leicht ändern, den Cw-Wert verbessern (Luftwiderstand) oder den Motor optimieren etc. 


Das, was in der Natur der Kampf ums Dasein ist, ist in der Automobilbranche der Kunde mit seinen Vorstellungen, Ansprüchen und seinem Geldbeutel – und natürlich auch die Konkurrenz. Und Autotypen, die gravierende Mängel aufweisen – in dem z. B. regelmäßig die Bremsen versagen – sind zum Aussterben verurteilt, wenn sich die Mängel nicht grundsätzlich beseitigen lassen. Jede durchgehende Entwicklungslinie beginnt bekanntlich mit einer Urform, von der sich alle anderen Entwicklungslinien, die durch Aufspaltungen entstehen („Speziation“), ableiten lassen. Diese beim Automobil zu bestimmen, ist schwierig. Man könnte hier z. B. vom „Schlitten“ ausgehen, aus dem sich der „Wagen“ mit Rädern abgeleitet hat und deren primäre Antriebsquelle die Muskelkraft von Mensch und Tier war. Auch hier gibt es offensichtlich wie in der Biologie das Problem des „Last Universal Common Ancestor“ (LUCA). Nehmen wir einfach als primäres Merkmal die Antriebstechnik. Dann ergibt sich vielleicht folgende Reihe: Muskelkraft von Mensch und Tier, Wind, Dampfmaschine, Verbrennungsmotor, Propellerantrieb, Düsenantrieb, Elektromotor… Wind als Antriebsquelle nach Vorbild der Segelschiffe für Radwagen ist seit dem Beginn des 17. Jahrhundert überliefert. Die erste Dampf-Zugmaschine, die rund 5 km/h erreichte, wurde 1769 gebaut und zwar von dem Franzosen Nicholas Cugnot (1725-1804). Zwischenzeitlich gab es auch eine kurze Entwicklungslinie, bei der der Antrieb durch ein Uhrwerk realisiert wurde, die aber gleich mit Erscheinen ausgestorben ist. Einen Entwicklungsschub bekam das Automobil mit der Erfindung des Verbrennungsmotors und dessen Einsatz als Ersatz des Pferdes bei einer Kutsche. So beschäftigte sich der deutsche Erfinder Louis Tuchscherer (1847-1922) ab ca. 1880 mit der Entwicklung einer leichten Kutsche, für deren Antrieb ein einfacher Zweitaktmotor, welcher mit Petroleum betrieben wurde, herhalten sollte. 

Louis Tuscherer mit seinem Automobil

Der Maschinenbauunternehmer Carl Benz (1844-1929) erfuhr davon und ließ sich von Tuchscherer die „Kutsche ohne Pferde“ detailliert erläutern. Daraus entwickelte er dann ein eigenes Konzept, welches er „Tricycle“ nannte, da es auf drei Rädern fuhr und mit einem von ihm selbst konstruierten verdichtungslosen Zweitaktmotor angetrieben wurde. Die Patentanmeldung für diesen „Benz-Patent-Motorwagen Nr. 1“ leitete das eigentliche Zeitalter des Automobils ein. Tuchscherer ist darin (wie ich meine, zu Unrecht) nur noch eine Randnotiz. Seine Brauchbarkeit als Fortbewegungsmittel konnte jedoch erst ein Jahr später Gottlieb Daimler (1834-1900) nachweisen, der mit seiner Motorkutsche durchaus schon kürzere Strecken überwinden konnte. Da seine „Kutsche“ wie jede andere Kutsche auch, vier Räder besaß, gilt sie heute als „Urform des Automobils“ genauso wie der von ihm zusammen mit Wilhelm Maybach (1846-1929) kurz zuvor entwickelte „Reitwagen“ als Urform des Motorrads gilt. 


Auch beinhaltete sie bereits neben dem Motor noch einige andere, bahnbrechende Innovationen – z. B. die Vorderradlenkung in Form der Achsschenkellenkung. Damit war das Eis gebrochen und auch andere Erfinder und Ingenieure begannen sich mit dem lukrativen Geschäft des Automobilbaus zu beschäftigen. 1892 meldete Rudolf Diesel (1858-1913) seinen heute nach ihm benannten (und durch VW mittlerweile in Mißkredit geratenen) Motor an. Und selbst Elektromotoren hielten Einzug in den Fahrzeugbau und um das Jahr 1900 erreichte dieser Antrieb, der von Batterien gespeist wurde, einen durchaus beträchtlichen Marktanteil. Und so entstand als Kompromiss aus verschiedenen Anforderungen so etwas wie ein „Grundmodell“, von dem ausgehend die Diversifikation des Automobils in „Funktionsreihen“ begann: Fahrzeuge für den privaten Personentransport mit der Zielvorgabe einer immer größeren Geschwindigkeit bei wachsendem Fahrkomfort, Fahrzeuge zum Transport einer Vielzahl von Personen (Busse), Lastkraftwagen zum Gütertransport und spezielle Militärfahrzeuge (Tanks). Und jede dieser „Funktionsreihen“ spaltete sich wieder in Entwicklungslinien auf, die durch Innovationen weitergeführt wurden oder sich als Sackgassen erwiesen und damit quasi „ausstarben“. Wenn wir also einen heutigen Mittelklassewagen betrachten, dann vereinigt er in sich die Innovationen einer langen Ahnenreihe, die sich problemlos bis zur Pferdekutsche zurückverfolgen lässt. 


Und noch eine Beobachtung ist interessant, weil sie so auch in der belebten Welt vorkommt. Unter ähnlichen Umweltbedingungen führt die natürliche Optimierung durch Mutation und Auslese zu ähnlichen Designlösungen, wie die Formen von Haien, Ichthyosauriern, Pinguinen und Delphinen beweisen. Auch die genannten Mittelklassewagen ähneln sich heute immer mehr in ihrer Form und Ausstattung und man muss schon manchmal gezielt nach dem Herstellerlogo Ausschau halten, um sie auseinanderhalten zu können. Die Ähnlichkeiten zwischen der Evolution technischer Dinge und der Evolution des Lebens sind jedoch nur vordergründig – dazu sind die Unterschiede doch viel zu groß. Die Baupläne der Automobile werden als Zeichnungen und Dokumente in Archiven oder auf Datenträgern wie Festplatten etc. (und temporär in den Hirnen von Ingenieuren) aufbewahrt. Der „Bauplan“ eines Lebewesens ist in jedem Grundbaustein des Lebens, in einer Zelle, in Form der Gene enthalten. So wie man durch die Auswertung archivierter Dokumente und Baupläne die Entwicklung eines Automobils nachvollziehen kann, so kann man durch die Analyse der Gene auch etwas über die Entwicklungsgeschichte eines Lebewesens erfahren. 

Die mitochondriale Eva


So z. B. dass sich ausnahmslos alle heute lebenden Menschen in einem bestimmten Sinn auf eine einzige „Urmutter“ – die mitochondriale Eva genannt wird – zurückführen lassen. Wie das denn, werden sie sich nun fragen? Dazu muss man wissen, dass es in einer menschlichen Zelle zwei Arten von Erbsubstanz gibt, die einmal im Zellkern in zwei Sätzen (je einer von Mutter und Vater) lokalisierte humane DNA und zum anderen die in einem einzigen ringförmigen Chondriom lokalisierte mitochondriale DNA, die sich in den „Kraftwerken“ der Zellen, den Mitochondrien, befindet. Und auf die kommt es im Folgenden an, denn sie wird nur in der weiblichen Linie des Stammbaums vererbt (maternale Vererbung). Genauso wie jede andere „Erbsubstanz“ ist sie zufälligen Änderungen ausgesetzt, d. h. es treten Mutationen auf, wobei die Mutationsrate im Fall der mitochondrialen DNA sehr konstant ist. Deshalb lässt sie sich besonders gut als „genetische Uhr“ verwenden. Angenommen, es tritt in einem möglichst für die Phänotypausprägung uninteressanten Teil der DNA eine Mutation auf, dann wird sie im Fall der Mitochondrien-DNA auf alle weiblichen Nachkommen übertragen, wodurch sie sich dann von Generation zu Generation in der Gesamtpopulation anreichert. Über den „Anreicherungsgrad“ lässt sich dann mittels eines Verfahrens, welches man Koaleszenzanalyse nennt, der ungefähre Zeitpunkt in der Vergangenheit bestimmen, wo dieses spezielle Allel das Licht der Welt erblickte. Man kann aber auch rein rechnerisch eine DNA-Sequenz herleiten, auf der die gesamte Variationsbreite der heute lebenden Menschen beruht. Die Trägerin genau dieser DNA-Sequenz wird als „Mitochondriale Eva“ bezeichnet und sie lebte vor ungefähr 175.000 ± 50.000 Jahren in Afrika. Natürlich war das damals nicht die einzige Frau. Aber die Entwicklungslinien aller ihrer anderen Zeitgenossinnen sind auf ihrem Weg in die Zukunft irgendwann erloschen. So gesehen stammen wir alle von dieser einzigen Frau ab. Wenn man jetzt noch das Phänomen der Populationstrennung hinzunimmt, dann kann man mittels der Koaleszenzanalyse ungefähr bestimmen, wann die ersten Menschen den Kontinent Afrika verlassen haben (vor 52.000 ± 28.000 Jahren) und wann die Diversifikation des Homo sapiens über die ganze Welt (d. h. vor etwa 38.500 Jahren - entspricht ~2000 Generationen) ihren Anfang nahm. 

Besiedlung Amerikas

Vor ~15.000 Jahren begann dann die Besiedlung des zuvor menschenleeren Kontinents Amerika durch Asiaten über die durch die Eiszeit trockengelegte Beringstraße. Diese Landbrücke wird von den Geographen als „Beringia“ bezeichnet und stellte damals eine von Großsäugern (Mammuts, Moschusochsen, Rentiere etc.) besiedelte tundraähnliche Graslandschaft dar. Wahrscheinlich folgten die Menschen diesen Herden und gelangten so von Sibirien aus nach Alaska, von wo sie dann in südlicher Richtung weitermarschierten. 


Ihre Zahl dürfte nicht allzu groß gewesen sein, denn es gibt nur wenige archäologische Artefakte, die eindeutig von diesen, als Paläoindianer bezeichneten Menschen stammen. Eine der wenigen Fundplätze befindet sich in Texas am Buttermilk Creek. Dort fand man eine größere Anzahl von Steinwerkzeugen aus Feuerstein, deren Fundumstände auf ein Alter im Bereich zwischen 14.000 und 15.000 Jahre schließen lassen. Erst einmal in Amerika angekommen, besiedelten sie schnell sowohl den Nord- als auch den Südkontinent. Denn ein ähnlich alter Fundort (datiert nach der Radiokarbonmethode auf ein Alter von ca. 12.000 bis 14.000 Jahren) befindet sich in Chile, am Monte Verde, und wurde 1977 entdeckt. Es handelt sich dabei um einen Wohnplatz in Form einer zeltähnlichen Struktur, die einer kleinen Gruppe von Jägern und Sammlern als Aufenthaltsort diente. Nochmals rund 2000 Jahr jünger ist schließlich ein Fundplatz auf Feuerland, wo man um 1930 herum in einer Höhle Abfälle in Form von Tierknochen. pflanzlichen Resten und Steinwerkzeugen von einst dort lebenden Menschen ausgegraben hat. In den folgenden Jahrtausenden entstanden aus diesen ersten Einwanderern zumindest in Mittel- und Südamerika großartige Kulturen (jedenfalls gemessen an ihren architektonischen und künstlerischen Hinterlassenschaften), deren Überreste den heute dort lokalisierten Staaten beachtliche Einnahmen aus dem Tourismusgeschäft garantieren. Ich meine hier insbesondere die Azteken, die Maya, die Olmeken und die Inkas. Was die Azteken und die Inkas betrifft, so standen beide Kulturen in ihrer größten Blüte, als eine zweite Einwanderungswelle nach Amerika einsetzte - ursächlich bedingt durch die Reisepläne eines aus Genua stammenden Seefahrers mit Namen Christoph Kolumbus (1451-1506), der im Auftrag der spanischen Krone in „verkehrter“ Richtung die begehrten Gewürzinseln Südasiens erreichen wollte. Was er damals noch nicht wusste, war, dass ihm auf dem Weg dahin ein ganzer Kontinent den Weg versperren würde. Er selbst hat nie erfahren, dass er einen neuen Kontinent entdeckt hat und glaubte deshalb „Indien“ vorgelagerte Inseln entdeckt zu haben. Und dieser Irrtum lebt noch heute im Begriff der „Westindischen Inseln“ fort, obwohl in der Nähe der Kleinen und Großen Antillen sowie der Inselgruppe der Bahamas nun wirklich weit und breit nichts von „Indien“ zu bemerken ist. 

Amerigo Vespucci


Erst Amerigo Vespucci (1451-1512) schnallte, dass er es hier mit einem neuen Kontinent zu tun hat - Amerika halt, benannt nach seinem Vornamen... Die Entdeckung der ersten, Amerika vorgelagerten Inseln im Jahre 1492 setze eine Entwicklung in Gang, die einige seefahrende Staaten Europas in nie dagewesenen Reichtum und die amerikanischen Hochkulturen der Azteken (Mexiko) und der Inka (Peru) innerhalb von nur wenigen Jahrzehnten in den absoluten Niedergang stürzten. 

Cortés und Pizarro

Dieser Niedergang wird i. d. R. mit zwei Namen verbunden, mit Hernán Cortés (1485-1547), was die Eroberung Mexikos betrifft, und Francisco Pizarro González (1476-1541), dem Eroberer des Inkareiches. Über die Ereignisse, die zu diesem erstaunlichen und überaus schnellen Niedergang der Azteken und Inkas geführt haben, hat der amerikanische Historiker William Hickling Prescott (1796-1859) zwei bemerkenswerte Bücher geschrieben, die es sowohl stilistisch als auch von der Spannung her mit jeden besseren Abenteuerroman aufnehmen können. Es sind „Die Geschichte der Eroberung von Mexiko“ und die „Geschichte der Eroberung von Peru“, die es bei Interesse auch heute noch zu lesen lohnt (z. B. als kostenloses EBook bei Google Books). Dazu ist es interessant zu wissen, dass Prescott auf einem Auge ganz und auf dem anderen aufgrund seiner intensiven Studien so gut wie blind war. Trotzdem brachte er es mit übermenschlicher Kraft mittels eines „Noctographen“ genannten Schreibrahmens fertig, geschichtliche Werke mit Nachwirkung zu schreiben - wie die beiden genannten. 


Wenn vielleicht auch nicht mehr alle Details der historischen Forschung entsprechen, so vermitteln sie doch überaus anschaulich die Geschehnisse, die es quasi einer Handvoll zu allen entschlossenen Abenteurern erlaubten, angetrieben von ihrer Gier nach Gold, zwei Weltreiche nachhaltig zu zerstören. 

Aguirre, der Zorn Gottes

Ein Prototyp solcher Abenteurer (und ein besonders Unangenehmer dazu) war sicherlich der Baske Lope de Aguirre (1511-1561), der im Zuge Pizzaros nach Peru gelangte und von dort aus versuchte, das im noch völlig unbekannten Amazonasgebiet vermutete „Goldland“ (Eldorado) zu suchen. Seine Amazonasexpedition, die 1559 in Lima ihren Anfang nahm und ihn zusammen mit rund 300 spanischen Konquistadoren und entsprechenden indianischen Hilfskräften bis an den Mittellauf des Amazonas und von dort zu dessen Mündung in den Südatlantik führte, wurde das Vorbild für einen bemerkenswerten Film von Werner Herzog, der die Stimmung und Dramatik einer solchen Expedition sehr gut wiederzugeben vermochte. Ich meine „Aguirre, der Zorn Gottes“ mit dem unvergessenen Klaus Kinsky (1926-1991) in der Hauptrolle. Er hält sich dabei zwar nur wenig an die historisch überlieferten Fakten, zeigt aber andererseits sehr deutlich, wie der Menschenschlag ausgesehen haben mag, der sich solchen existenzbedrohenden Abenteuern unter der Befehlsgewalt eines charismatischen, aber - wie hier - auch manisch-irren Führers ausgesetzt hat. Klaus Kinsky war in dieser Beziehung ohne Zweifel die Idealbesetzung. Man ist fast geneigt zu sagen, er konnte sich hier quasi selbst spielen. Neben dem gefahrvollen Abstieg von den Höhen der Anden bis hinunter in das schwüle, vor Feuchtigkeit dampfende Amazonastiefland (an Originalschauplätzen gedreht!) und der Floßfahrt auf dem tobenden Oberlauf des Urwaldflusses dürfte der namensgebende Monolog Aguirres (Klaus Kinsky) im Gedächtnis geblieben sein: „Ich bin der Zorn Gottes. Die Erde, über die ich gehe, sieht mich und bebt. Wer aber mir und dem Fluss folgt, wird unerhörten Reichtum erlangen.“ Ja, die Antriebsfeder der Konquistadoren war nichts anderes als die Gier nach Reichtum, die Gier nach Gold. 


Und dabei spielte ein mythisches Land, angesiedelt in Südamerika, eine wichtige Rolle: Eldorado. Dort sollte es Gold im Überfluss geben. Es „entstand“ um das Jahr 1541 quasi als Gerücht und entwickelte dann ein bemerkenswertes Eigenleben bis es schließlich um 1800 durch Alexander von Humboldt (1769-1859) endgültig in das Reich der Fabeln zurückverwiesen wurde. Das Land gibt es nicht, es gab es nicht, aber der Name ist geblieben, ob nun als geflügeltes Wort, als Orts- oder Kneipenname, als Automarke oder auch als Filmtitel (man denke nur an John Wayne), sei dahingestellt. Der „echte“ Aguirre konnte sich – natürlich ohne überhaupt ein Anzeichen für dieses „Goldland“ gefunden zu haben – bis zur Mündung des Amazonas durchschlagen und über den Umweg der Besetzung der Isla de Margarita (Kleine Antillen), wo er sich eine Zeitlang als Alleinherrscher aufspielte, in das heutige Venezuela fliehen. Bei seinem Versuch jedoch, zu Fuß mit seinen übrig gebliebenen Getreuen wieder nach Peru zu gelangen, wurde er von königstreuen Truppen gestellt und nach der Gefangennahme von seinen eigenen Anhängern erschossen – wahrscheinlich mit einer Arkebuse („Hakenbüchse“). 

Hakenbüchsen


Das war die von den Konquistadoren ausschließlich benutzte Feuerwaffe, mit der rund 20 mm große Kugeln verschossen werden konnten. Dieses „Gerät“, verursachte mehr wegen des Knalls, den es bei einem Schuss verursachte, Angst und Schrecken, als durch dessen Treffsicherheit. Deshalb war es bei Kriegshandlungen meist nur sinnvoll, wenn eine ganze Batterie zugleich feuerte. Danach mussten die Schützen häufig sofort in den Nahkampf übergehen, da kaum Zeit zum Nachladen (es waren mit Schwarzpulver betriebene Vorderlader) blieb. Der Name „Hakenbüchse“ kommt übrigens daher, weil das teilweise über 2 Meter lange Schussgerät ursprünglich einen am Rohr angebrachten „Haken“ besaß, mit dem man die Büchse „einhaken“ konnte (z. B. an einer Mauer, wenn der Schuss beispielsweise von einer Burgmauer herunter erfolgte), um den teilweise enormen Rückstoß abzufedern. 

Schwarzpulver

Der erste systematische militärische Einsatz von Schwarzpulver als „Schießpulver“ bei einer offenen Feldschlacht fand übrigens während des sogenannten Hundertjährigen Krieges (zwischen 1337 und 1453) statt. Verschossen wurden dabei verschiedene Arten von Kanonenkugeln (oft aus Stein oder Metall) mittels „Feuertöpfen“, wie man die ersten Kanonen nannte. Ihr Vorteil war, dass sie die Reichweite von Langbögen (der gefürchtetsten Kriegswaffe jener Zeit) um einiges übertraf. Zur gleichen Zeit kamen auch schon die sogenannten „Donnerbüchsen“ auf, die aber nur schwer zu handhaben und extrem zielungenau waren. Aber immerhin konnte man damit auf eine Entfernung von ca. 100 m die Rüstung eines Ritters durchschlagen. Als Treibmittel bzw. Explosivstoff kam dabei eine spezielle Mischung aus Kalisalpeter (genauer Kaliumnitrat), Holzkohle und Schwefel zum Einsatz. Später wurde kolportiert, dass diese „Erfindung“ von einem Mönch aus Freiburg mit Namen Bertold Schwarz (man sagt, um 1359) stammen soll, was aber nicht belegt ist und auch zeitlich mit dessen erstmaliger Verwendung nicht zusammen passt. Sicher ist dagegen, das Roger Bacon (1218-1292), ein gelehrter englischer Franziskanermönch, die Rezeptur bereits kannte, denn er beschrieb im Jahre 1266 die Herstellung von „Schwarzpulver“ in seinem Werk „Opus maius“. Wo er das Rezept wiederum her hat, entzieht sich jedoch bis heute der Kenntnis der Geschichtswissenschaften. Schwarzpulver jedenfalls gab es bereits im 11. Jahrhundert in China. Wie man sich leicht denken kann, nahm ab dem 14. Jahrhundert der Bedarf an Schwarzpulver massiv zu. Dessen Herstellung wurde damit zu einem lukrativen (aber auch gefährlichen) Geschäft. 

Pulvermühlen

Sie oblag sogenannten „Pulvermühlen“, die damals an geeigneten Orten wie Pilze aus dem Boden schossen. Ihre Aufgabe bestand darin, die „Zutaten“ Salpeter, Schwefel und Holzkohle entsprechend fein zu zermahlen und im richtigen Verhältnis zu mischen. Das Ergebnis (das Schwarz- oder Schießpulver) wurde schließlich in Fässer und Säcke gefüllt und über Zwischenhändler verkauft. Fast alle Pulvermühlen waren übrigens Wassermühlen, die außerhalb von Ortschaften in Waldtälern angelegt wurden. Man erkennt sie u. a. an einem oft hufeisenförmigen Schutzwall um die Mühle, der angrenzende Wirtschafts- und Wohngebäude bei eventuell auftretenden „Explosionen“ schützte - und damit musste man alle Jahrzehnte einmal rechnen.


Wenn eine solche Mühle „zersprang“, dann war das verständlicherweise sehr auffällig und wurde deshalb oft in Chroniken vermerkt. Heute erinnern bis auf einige Ausnahmen nur noch Orts- und Wegbezeichnungen an ihre ehemaligen Standorte. Interessant ist vielleicht noch zu erwähnen, dass für besonders hochwertiges Schwarzpulver ausschließlich Holzkohle aus dem Holz des Faulbaums (Frangula alnus, die Futterpflanze der Raupe des Zitronenfalters) verwendet wurde, da sie einen sehr geringen Ascheanteil aufweist. Für diesen „Baum“, der eher ein Strauch ist, hat sich deshalb in manchen Gegenden auch der Name „Pulverholz“ erhalten. Im Zusammenhang mit dem Schießpulver hat sich im Deutschen auch eine Anzahl von Redewendungen ergeben, die man auch heute noch emsig gebraucht. Wenn man sich beispielsweise in eine gefährliche Lage begibt, dann „sitzt“ man quasi auf einem Pulverfass. Wenn man bei einem Radrennen als Radfahrer immer nur hinter seinem Vordermann hinterherschlaucht, ohne selbst Führungsarbeit zu übernehmen, da macht man nichts anderes, als „sein Pulver trocken zu halten“. Und wer kein Pulver riechen konnte, der war schlicht feige. Möchte man dagegen „durch die Blume“ jemanden als dumm und einfältig charakterisieren, dann reicht es meistens aus, ihm zu unterstellen, „dass er das Pulver nicht erfunden hat“. Hinter diesen jedermann bekannten Redewendungen ist der Sinnzusammenhang mit dem Schießpulver noch leicht erkennbar. Es gibt aber auch Redewendungen, die jedermann bekannt sind und die jedermann gebraucht, ohne dass man weiß, woher sie eigentlich stammen oder aus welchem Sinnzusammenhang sie abzuleiten sind. Nehmen wir mal das unter manchen Arbeitnehmern gern gebrauchte Wort vom „blaumachen“. Was es bedeutet, weiß jeder: heute mal der Arbeit fernbleiben... Und wenn das ein „Montag“ ist, spricht man vom „blauen Montag“. Die wahrscheinlichste Deutung bezieht sich auf den arbeitsfreien Montag vor dem Faschingsdienstag, an dem nach der mittelalterlichen Kleiderordnung auch farbige Gewänder - insbesondere in Indigoblau - getragen werden durften, die sonst nur Sonntagen vorbehalten waren. So wurde der Fastenmontag zu einem „blauen Montag“ und die sich daraus ergebende Redewendung eine Bezeichnung für einen arbeitsfreien Tag. Aber auch andere Deutungen sind im Umlauf. 

In der Tinte sitzen

Oder nehmen wir noch ein anderes Sprichwort, dessen Sinn sich uns sofort erschließt, dessen Herkunft aber kaum jemandem bekannt sein dürfte: „In der Tinte sitzen“. Die Redewendung taucht zum ersten Mal in den Predigten eines gewissen Johann Geiler von Kaysersberg (1445-1510) aus Schaffhausen auf, dessen Intention und Broterwerb im Halten von derben Predigten bestand, die er aufzeichnen und drucken ließ.


Er gilt auch als ein geistiger Wegbereiter des Hexenwahns in Deutschland, was nicht zu seinen ansonsten vom Humanismus geprägten Ansichten zu passen scheint. In seinen Predigten, die das „Narrenschiff“ von Sebastian Brant (1457-1521) betreffen, findet sich dann die Zeile „Du bist voller sünd, du steckst mitten in der tincten“. Daraus wurde dann der Spruch, der den Jammer ausdrückt, der einen befällt, sobald die Probleme über den Kopf zu wachsen drohen. Hier spielt wahrscheinlich die Eigenschaft einer guten Tinte, fest zu haften und nur schwer abwaschbar zu sein, eine Rolle. Seitdem der Mensch nicht mehr mit einem keilförmigen Griffel auf Tonplatten schreibt, verwendet er „gefärbtes Wasser“ (denn das bedeutet „tincta aqua“), um seine Gedanken auf papierähnlichen Materialien wie Papyrus oder Pergament niederzuschreiben. Aus dem lateinischen Wort „tincta“ entstand dann das althochdeutsche „tincte“ (das noch in Tinktur weiterlebt), bis irgendjemand schließlich das „c“ vergaß - und das Wort „Tinte“ war geboren. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte man eine Vielzahl verschiedener Tinten, aber die wichtigste und schließlich am häufigsten verwendete basierte auf den runden Kugeln, die im Spätsommer manche Eichenblätter zieren. Es handelt sich bei ihnen um die Gallen der Eichengallwespe (Cynips quercusfolii).


Man hat sie früher in großen Mengen gesammelt um daraus einen Sud herzustellen, der zu einem beträchtlichen Teil aus Gallussäure besteht und den man mit Eisen(II)-Sulfat und etwas Gummi arabicum vermengte. Dabei entstand eine dunkle Flüssigkeit, mit der sich mit Schreibfedern (z. B. angespitzten Federkielen) sehr gut schreiben ließ. Beim Trocknen der Tinte entsteht dann durch Oxidation aus dem zweiwertigen Eisen tiefdunkles dreiwertiges Eisen, welches zusammen mit der Gallussäure eine tiefschwarze Komplexverbindung ergibt. Schriftstücke, die mit einer derartigen Eisengallustinte geschrieben werden, zeigen einen besonders schönen Kontrast zum weißen Papier. Aber natürlich waren in den Schreiberstuben der mittelalterlichen Klöster oder in den königlich-kaiserlichen Kanzleien auch andersfarbige Tinten in Gebrauch. So gab es rote Tinten, die aus dem Sekret von Purpurschnecken gewonnen wurden. Mönche wiederum entwickelten teure Gold- und Silbertinten, mit denen neben Illustrationen meist nur die Anfangsbuchstaben neuer Absätze künstlerisch gestaltet wurden. 

Codex Argenteus


Eine Ausnahme ist hier der „Codex Argenteus“, eine Abschrift der sogenannten, in gotischer Sprache geschriebenen Wulfila-Bibel aus dem 6. Jahrhundert. Hier fanden ausschließlich Silber- und Goldtinten Verwendung. Diese Tinten waren natürlich sehr teuer. Noch teurer sind heute bestimmte Markentinten für Tintenstrahldrucker, deren Literpreise teilweise jenseits von Gut und Böse liegen - aber, zur Beruhigung, an den Preis von einem Liter Skorpionsgift (~24 Millionen €) noch lange nicht heranreichen. Hinter diesen Preisen (insbesondere für die farbigen Druckertinten) stehen nicht unbedingt die Herstellungs- und Entwicklungskosten, sondern auch eine clevere Geschäftsidee: Man mache den Tintenstrahldrucker möglichst billig (als Kaufanreiz), und kassiere später an den Verbrauchsmaterialien (Tintenpatronen, Spezialpapiere) ab. Aber diese Geschäftsidee funktioniert nur noch teilweise (es gab mal eine Zeitlang Tintenspritzer, die waren nur unwesentlich teurer als ihr Satz Tintenpatronen), seitdem der Handel mit Nachfüllsets und Billigtinten floriert. 

Druckköpfe von Tintenstrahldrucker

Will man jedoch qualitativ hochwertige Ausdrucke von Fotografien erhalten, dann sollte man doch lieber auf die Originaltinten des Druckerherstellers zurückgreifen, da sie meist in Kombination mit dem Druckkopf entwickelt werden. Solch ein Druckkopf mit seinen nur wenige 10 µm großen Düsen, aus denen programmgesteuert die winzigen Tintentröpfchen auf das Papier gespritzt werden, ist reinste Hochtechnologie. Mittlerweile existieren mehrere Funktionstypen von Druckköpfen, von denen der von der Firma Epson entwickelte Piezo-Druckkopf in seiner Funktionsweise besonders instruktiv ist.



Er nutzt einen speziellen festkörper-physikalischen Effekt aus, der 1880 von Jaques und Pierre Curie an Turmalin-Kristallen entdeckt und piezoelektrischer Effekt genannt wurde. Es ist eine Eigenschaft aller ferroelektrischer Kristalle (sie besitzen eine sehr große Dielektrizitätszahl), die sich in Richtung einer ihrer polaren Kristallachsen elektrisch aufladen, sobald sie unter Zug- oder Druckbelastung geraten. Insbesondere bestimmte Keramiken können durch Anwendung dieses Effektes durch Anlegen einer Wechselspannung mit deren Frequenz expandiert und kontrahiert werden. Und genau das wird bei einem Piezo-Druckkopf (genauer einer Düse in solch einem Druckkopf) ausgenutzt. Eine Düse aus piezoelektrischer Keramik, an dem ein Spannungsimpuls angelegt wird, verringert ihr Volumen, wobei mit hoher Geschwindigkeit ein Tintentröpfchen die Düse verlässt (typische Geschwindigkeit 10 m/s). Der folgende Spannungsimpuls vergrößert das Volumen, in welches dann aus dem Tank durch Kapillarwirkung Tinte nachfließen kann. Auf diese Weise lässt sich quasi ein Trommelfeuer aus Tintentröpfchen erzeugen, wobei sich „Feuerfrequenzen“ von bis zu 150.000 Tröpfchen pro Sekunde und Düse erreichen lassen. Durch Variation der Impulsamplitude kann darüber hinaus auch noch die Größe der Tintenspritzer gesteuert werden. Seitdem man aber Druckköpfe analog zu elektronischen Schaltkreisen mittels spezieller Ätzverfahren in riesiger Stückzahl zu Cent-Preisen herstellen kann (bei ihnen wird die Tinte in einem winzigen Hohlraum schlagartig erhitzt, wodurch sie sich ausdehnt und aus der Düse spritzt), sind sie mittlerweile zum Bestandteil der Tintenpatronen selbst und damit zu Wegwerfartikeln geworden. Piezodruckköpfe sind derweil nur noch hochwertigen Tintenstrahldruckern (die mittlerweile auch die stiftbasierten Plotter in den Ingenieur- und Konstruktionsbüros abgelöst haben) vorbehalten, wo es auf eine besonders exakte Ausrichtung des Druckkopfes ankommt. 

Geldscheine drucken

Haben Sie übrigens schon gewusst, dass moderne Tintenspritzer ganz passabel (von der Farbqualität, nicht den Sicherheitsmerkmalen) Geldscheine drucken können wenn sie denn könnten? Mittlerweile haben entsprechende Drucker und Kopierer – damit der Druckerbesitzer erst gar nicht auf diese naheliegende Idee kommt und sich strafbar macht, entsprechende Erkennungssoftware integriert, die entweder das Ausdrucken komplett oder zumindest teilweise verhindern. Das gilt übrigens auch für eine gewisse Zahl von Bildbearbeitungsprogrammen (z. B. Photoshop), die sich beispielsweise weigern, Euro- oder Dollarscheine zu bearbeiten… In dieser Hinsicht hat es der altehrwürdige Beruf des Geldfälschers trotz moderner Technik immer noch schwer – wenn er lediglich Heimarbeiter und nicht Betreiber einer entsprechend gut ausgestatteten Druckerei ist. Aber auch auf diesem Gebiet des kriminellen Broterwerbs gab es früher – und gibt es auch heute noch wahre, ja, man ist fast geneigt zu sagen, begnadete Künstler. Ein solcher Künstler flog beispielsweise wegen einer Unachtsamkeit (oder Dummheit, je nachdem, wie man es sehen möchte) im Jahre 2006 in Köln auf, wie damals eine ganze Anzahl von Gazetten zu berichten wussten. Es begann mit einem Baggerfahrer auf einem Müllplatz. Als er nun so für sich hinbaggerte wie an jedem anderen Arbeitstag auch, zog auf einmal seine Baggerschaufel ein paar Säcke aus dem Müll (es waren am Ende sieben), aus denen es in großer Zahl zerschnippselte Dollar-Banknoten rieselte!


Dass sich für diese Säcke und deren Fundumstände sofort die Kriminalpolizei zu interessieren begann, braucht nicht weiter betont zu werden. Insbesondere deren Spezialisten für Falschgeld, Unterabteilung Dollarblüten, waren sofort von der hohen grafischen Qualität der Fundstücke (obwohl sie offenbar als Fehldrucke entsorgt werden sollten) begeistert. Einer von diesen Spezialisten äußerte sogar gegenüber einem Journalisten die Meinung, dass man die Fälschungen von den Originalen nur anhand des verwendeten Druckpapiers sicher unterscheiden könne. Und es stimmte. Der Fälscher war ein Meister seines Fachs, als Lithograph und Grafiker angesehen („Andy Warhol aus Köln“) und hat es mit diesen Fähigkeiten sogar zu einem Eintrag in der Wikipedia gebracht. Von der örtlichen Sparkasse besorgte er sich eines Tages eine 100 $ Banknote, die er einscannte (damals ging das noch problemlos) und deren Seriennummer er anschließend mit einem Grafikprogramm veränderte. Auf der Grundlage der entstandenen Bilddatei erstellte er schließlich nach vielen Versuchen hochwertige Druckplatten für seine private Offsetdruckmaschine. Aber da hatten die Ermittlungsbehörden bereits ein Auge auf ihn geworfen, denn er hatte zusammen mit den Test- und Fehldrucken auch gleich Schriftstücke mit Name und Anschrift in den bereits erwähnten Müllsäcken entsorgt. So konnte man ihn sogleich observieren und ihm in Ruhe eine Falle stellen, in dem man ihm elegant eine Kaufinteressentin für die Dollarblüten unterjubelte. Der Rest ist schnell erzählt. Er wurde just in dem Moment, als er falsche Dollar für echte Euros verkaufen wollte, verhaftet, seine Fälscherwerkstatt durchsucht und aufgelöst und nach dem Gerichtsverfahren erwartete ihn eine mehrjährige Haft - denn wenn es ums Geld geht, kennt die Obrigkeit bekanntlich keine Gnade. Und das war schon immer so. Falschmünzerei gibt es, seitdem es Geld gibt. Wurde man Falschmünzern habhaft, drohte ihnen bis in die frühe Neuzeit hinein fast immer die Todesstrafe. Mit dem Aufkommen der Banknoten entwickelte sich deren Fälschung fast zu einer Schattenwirtschaft. So schätzt man, dass um das Jahr 1861 herum in den Vereinigten Staaten ungefähr die Hälfte des im Umlauf befindlichen Papiergeldes Fälschungen waren. Nach Beendigung des Bürgerkrieges unternahm deshalb der Staat große Anstrengungen, um die Hoheit über das Geld nicht zu verlieren. Ein spezieller Geheimdienst machte die Fälscherwerkstätten ausfindig und führte die Geldfälscher der in dieser Beziehung nicht gerade zimperlichen Justiz zu. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war dann dieses „fiskalische“ Problem erst einmal weitgehend gelöst. 

Echte Blüten

Dass das Überschwemmen eines Landes mit Falschgeld durchaus zu ernsthaften wirtschaftlichen Problemen führen kann, zeigt der Fall des Portugiesen Artur Virgílio Alves dos Reis (1898-1955).


Seine geniale Idee war es, Falschgeld mit den gleichen legalen Druckplatten von einer legalen Gelddruckerei drucken zu lassen, mit der auch die offiziellen „echten“ Geldscheine gedruckt worden sind. Das Problem, was dabei zu lösen war, lässt sich stark verkürzt wie folgt beschreiben: Er musste unter großer Geheimhaltung, ausgestattet mit einer plausiblen Geschichte und einer größeren Zahl zwar gefälschter, aber notariell beglaubigter Verträge das Druckhaus für Banknoten („Waterlow and Sons“ in London) überzeugen, die gewünschte Anzahl von Banknoten (in diesem Fall Escudo-Scheine mit dem Konterfei von Vasco da Gama) für seinen fiktiven Auftraggeber zu drucken – und zwar mit den gleichen Druckplatten, mit dem das Druckhaus zuvor einen Auftrag der Bank von Portugal ausgeführt hatte.


Die Sache war so raffiniert eingefädelt, dass die Aktion völlig geheim und vollkommen glatt über die Runden gegangen ist. Der einzige Nachteil war (und was ihm schließlich zum Verhängnis wurde), dass die Geldscheine die gleichen Seriennummern hatten wie die bereits in Portugal im Umlauf befindliche legale Charge. Nach der Auslieferung der 200.000 500 Escudo-Banknoten gelang es dos Reis eine beträchtliche Anzahl davon in Portugal in Umlauf zu bringen, was natürlich irgendwann aufgefallen ist. Denn die Zahl der Fälschungen erreichte fast die Zahl der legalen Banknoten mit dem gleichen Nominalwert. Stichproben ergaben aber, dass alle Scheine offensichtlich echt waren. Die wunderbare Geldvermehrung ließ sich einfach nicht erklären – und man beschloss in einer übereilten Aktion alle 500 Escudo-Scheine aus dem Verkehr zu ziehen. Das führte aber zu großem Unmut unter der Bevölkerung, weshalb diese Aktion ganz schnell wieder abgeblasen wurde. Mittlerweile stellte aber der Falschgeldexperte Luís Alberto Campos e Sa fest, dass offensichtlich einige der Seriennummern doppelt vorhanden waren. Und so gab es Order an die Banken, dass sie alle entsprechenden Banknoten, die sich in deren Besitz befanden, nach der Seriennummer zu sortieren haben. Auf diese Weise wurde das Ausmaß langsam sichtbar – und dieses führte dann schnell auf die Spur von Artur Virgílio Alves dos Reis, der dann noch, bevor er sich ins Ausland absetzen konnte, verhaftet wurde. Ihn traf dann zwar nicht das Los mittelalterlicher Falsch-münzer – sie wurden oft in siedendes Öl geworfen. Aber 20 Jahre Gefängnis waren dann doch noch für ihn drin (15 Jahre saß er davon wirklich ab). Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis ließ er sich, nach dem er Angebote einiger großer Banken abgeschlagen hatte, als Kaffeepflanzer in Angola nieder und wurde ein gläubiger Protestant. Artur Virgilio Alves dos Reis starb dort 1955 völlig verarmt. Seine „Banknotenblase“ brachte im Jahre 1925 Portugal als Staat in eine große Bedrängnis. Dieses Ereignis war sicherlich auch maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass sich im Jahre 1932 aus der Militärdiktatur (seit 1926) ein faschistischer Staat unter António de Oliveira Salazar (1889-1970) entwickelt hat, der erst 1974 durch die „Nelkenrevolution“ hinweggefegt wurde. Apropos „Nelken“. 

Die Tulpenblase

Nicht mit „Nelken“, sondern mit „Tulpen“ hatte eine andere Bankenkrise zu tun, die als Platzen einer ersten wirklich großen Finanz- und Spekulationsblase in die Bankengeschichte eingegangen ist. Sie betraf auch nicht Portugal, sondern die Niederlande, und zwar in den Jahren 1637 / 1638. Und so kam es dazu: Die Niederlande gelten noch heute als das Land der Tulpen. Wenn man im Frühling durch das flache Land reist (insbesondere die Gegend um Keukenhof ist hier zu nennen), fallen einen überall die farbenprächtigen Tulpenfelder auf.


Sie zeugen von einer besonderen Vorliebe der Holländer für diese ursprünglich aus der Türkei (Osmanisches Reich) und Iran (Persien) stammenden Zierblume, die es mittlerweile – durch den Fleiß holländischer Gärtner – in unüberschaubar vielen Farb- und Mustervarianten ihrer Blüten gibt. Nachdem sie Mitte des 16. Jahrhunderts nach Mitteleuropa gelangte, dort die ersten Schlossgärten (z. B. in Wien) zierten und man deren Zwiebeln leicht an Interessierte verteilen bzw. verkaufen konnte, wurde sie schnell zu einer begehrten Handelsware. Viele Gärtner, besonders in den Niederlanden, begannen verschiedene Tulpen-Varianten untereinander zu kreuzen um auf diese Weise neue, zuvor noch nie gesehene Farb- und Mustervarianten zu züchten. Irgendwann begannen Blumenliebhaber immer mehr Geld für Tulpenzwiebeln auszugeben. Es entstand eine Schwärmerei, die sich darin äußerte, dass wohlhabende Bürger eigene Tulpengärten anlegten, sich zu Vereinen und Tauschgemeinschaften zusammenschlossen und sich daraus ein reger Handel mit Tulpenzwiebeln entwickelte, die umso höhere Preise erzielten, je raffinierter die Form der Blüten, ihre Farbe und ihre Farbmuster waren. Tulpenzwiebeln mauserten sich in manchen Kreisen zuerst zu Sammelobjekten, dann immer mehr zu einer neuen Art von Wertanlage, die sich durch Züchtung weiter leicht vergrößern ließ. Der Tulpenhandel wurde Anfang des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden zu einem schnell wachsenden Wirtschaftsfaktor. Die ersten farbigen Versteigerungskataloge wurden gedruckt (die sogenannten „Tulpenbücher“), manche Kriminelle finanzierten sich durch den Diebstahl von Tulpenzwiebeln (was wiederum dem Sicherheitsgewerbe Auftrieb gab), und – etwa ab 1634 – entdeckten schließlich Spekulanten die Tulpenzwiebel als ideales Spekulationsobjekt.


Nun begannen auf einmal Finanzjongleure Tulpenzwiebeln aufzukaufen – nicht etwa, um ihre eigenen Gärten im Frühjahr mit farbenprächtigen Tulpen zu schmücken, sondern um sie bei Versteigerungen mit Gewinn weiterverkaufen zu können. Bereits 1623 erzielten einzelne Zwiebeln besonders seltener Tulpen bis zu 1000 Gulden. Das entsprach etwa dem sechsfachen Jahresverdienst eines einfachen Handwerkers zu jener Zeit. Mit den Preisen entwickelte sich die Tulpe vom Liebhaberobjekt zum Statussymbol. mit dem sich in gewissen Kreisen wunderbar angeben ließ (so wie heute mit einem Porsche). Eine Zwiebel der gleichen Sorte Tulpen, die 1623 noch 1000 Gulden kostete („Semper Aurora“), kostete im Jahr 1629 bereits 5000 Gulden. Und die Preise stiegen weiter. Immer mehr wohlhabende Leute steckten ihr Geld in Tulpenzwiebeln, die sie bei den damals häufigen Auktionen ersteigerten. Bald gab es Tulpen-Derivate, es wurden Anteilscheine auf Tulpenzwiebeln ausgegeben, kreative "Wertpapiere" auf Tulpenbasis wurden erfunden und wenn man genügend Gulden hatte (für drei Tulpenzwiebeln einer besonders seltenen Farbvariante konnte man in Amsterdam ein ganzes Haus kaufen), konnte man auch handelbare Bezugsrechte erwerben. Man erfreute sich nicht mehr an einer aufgeblühten Tulpe, sondern presste sie (natürlich ohne Zwiebel), um dem Käufer zu zeigen, was er im Folgejahr von seinem Kauf zu erwarten hatte. Das war wiederum die Basis für Termingeschäfte, bei denen man bereits mit Zwiebeln handeln konnte, die noch in der Erde steckten. Neben den Sortenbezeichnern steckten Schilder mit den Schuldscheinen der zukünftigen Eigner der Zwiebeln im Boden der Tulpenbeete. Das konnte natürlich nicht lange gut gehen. Irgendwann fanden sie nämlich keine Käufer mehr, die entsprechend viel Geld aufbringen konnten – die „Tulpenblase“ platzte. Und genau das geschah im Jahr 1637.


Die Auktionserlöse blieben immer mehr unter dem festgelegten Einstiegswert bis dann schließlich keine der angebotenen Tulpenzwiebeln mehr den Betrag erzielte, zu der sie einst erworben wurden. Der Preisverfall erfolgte so rasant, dass viele davon Betroffene von einem Tag zum anderen ihr ganzes Vermögen verloren – und wenn sie zuvor die Tulpenzwiebel auf Pump gekauft hatten, waren sie auf einmal in der Schuldenfalle gefangen. Dieser Crash begann die ganze Wirtschaft der Niederlande zu gefährden, so dass sich die Regierung zu der Verfügung veranlasst sah zu sagen, dass Tulpen nicht mehr als Spekulationsobjekte, sondern nur noch als normale Waren zu betrachten sind, die in bar bezahlt werden müssen. Die Entstehung der Preisblase, die mit dieser „Tulpomania“ verbunden war, wurde wahrscheinlich durch eine inflationäre Geldpolitik begünstigt. Denn in Holland trafen sich die Geldströme von Gold und Silber aus ihrem ausgedehnten Kolonialreich, um hier umgemünzt zu werden. Diese wachsende Geldmenge, die sich besonders in den Händen reicher Kaufleute ("Pfeffersäcke") konzentrierte, suchte einfach nach Anlegemöglichkeiten. Und hier traf es zufällig die Tulpe, die sich in Form, Farbe und Zeichnung von allen anderen damals zu Zierzwecken gezogenen Blumen unterschied. Der unvermeidliche Crash hatte durchaus einschneidende Auswirkungen auf die Volkswirtschaft der damaligen Niederlande (es wird von vielen Konkursen in den Jahren 1637/38 berichtet). Es kam auch vermehrt zu Selbstmorden. Jemand, der zuvor noch „stinkreich“ war, sah sich in der Gosse wieder, wie es ein bekannter Börsenspekulant einmal formuliert hat. Aber der Crash hielt sich wahrscheinlich trotzdem in Grenzen, da er durch die Wirtschaftskraft in den Kolonien weitgehend aufgefangen werden konnte. Aber als Lehrbuchbeispiel für einen Börsencrash, bei dem eine Spekulationsblase platzt, kann er heute immer noch dienen. Man braucht nur die "Tulpe" durch "Immobilie" oder "Dotcom" zu ersetzen, und man ist in der Gegenwart angekommen. Holland ist auch heute noch das „Tulpenland“ schlechthin, obwohl es mittlerweile von ausländischen Tulpenproduzenten, die insbesondere aus Afrika stammen, stark unter Druck gesetzt wird. So kam es im Jahre 2002 zu einem empfindlichen Preisverfall, bei der in den Niederlanden einige Tulpenproduzenten Pleite gegangen sind. Ohne Zweifel sind die holländischen Gärtner bis heute „die“ Tulpenzüchter an sich geblieben. Jedes Jahr kommen zu den rund 1200 Sorten, die regelmäßig angebaut werden, neue hinzu. 

Tulpenmosaikvirus

Schon immer besonders begehrt sind mehrfarbige Sorten, deren Blütenblätter unterschiedlich farblich „geflammt“ sind (sogenannte „Rembrandt-Tulpen“). Als sie zum ersten Mal in Holland auftraten, haben sie nicht unwesentlich zur Entstehung der Tulpomanie beigetragen.


Denn sie entstanden „plötzlich“ und nicht gezielt durch Züchtung. Tulpenzwiebeln, die zuerst nur einfarbige Tulpen geliefert hatten, zeigten auf einmal Farbwechsel bis hin zu den genannten „geflammten“ Farbmustern. Was man damals noch nicht wissen konnte – die Tulpen litten an einer Virusinfektion, so ähnlich wie auch der Mensch hin und wieder an einer Grippeinfektion leidet (und was man ihm gewöhnlich auch unschwer ansehen kann). Dieses Virus, das den „wertvollen“ Farb- und Musterwechsel bewirkt, ist das Tulpen-Mosaikvirus. Es gehört zur großen Gruppe der Potyviren - langgestreckte Proteinhüllen, die eine RNA umschließen und die von Blattläusen von Pflanze zu Pflanze übertragen werden. Einmal in eine Pflanzenzelle eingedrungen, programmieren sie wie alle Viren deren Proteinbiosyntheseapparat um mit dem Ziel, möglichst viele Kopien von sich selbst zu erzeugen. Bei vielen Pflanzen ergeben sich dabei mosaikartige Schadbilder auf deren Blättern, weshalb man auch von Mosaikviren spricht (ein häufig untersuchtes Virus ist hier beispielsweise das Tabakmosaikvirus). Bei Tulpen ergeben sich dagegen Farbwechsel der Blütenblätter bis hin zu den flammenartigen Einfärbungen, die seinerzeit die Tulpenzwiebeln so wertvoll machten. Andererseits schwächt solch eine Vireninfektion natürlich auch nachhaltig die davon betroffene Pflanze, so dass manche wertvolle Sorte wie, z. B. die legendäre „Semper Augustus“, mittlerweile ausgestorben ist. Zur Zeit der Tulpomanie wurde für eine „Semper Augustus“ - Zwiebel immerhin bis zu 10.000 Gulden, d. h. der Gegenwert eines kleinen Hauses, bezahlt. Heute kann man „geflammte“ Tulpen für wenig Geld bereits im Baumarkt erstehen. Hier handelt es sich jedoch um echte Züchtungen und nicht mehr um schwerkranke Pflanzen... 

Giftpflanzen

Aber nicht nur Pflanzen können „schwerkrank“ werden, sondern Mensch und Tier auch von bestimmten Pflanzen, die man deshalb schlicht „Giftpflanzen“ nennt.
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