Dienstag, 28. Mai 2019

Erinnerungen an Kalabrien, Teil 1

Ein Gastbeitrag von Björn Ehrlich, Zittau-Hörnitz

Auf der recht schmalen Halbinsel, wo sich die mal kargen, mal dicht bewaldeten Gebirgslandschaften Pollino, Catena Costiera, Sila, Serre und Aspromonte in den meist blauen Himmel strecken, ist kein Ort mehr als 50 km vom nächsten Strand entfernt. Schneebedeckte Gipfel oder mit Oliven und mit Wein begrüntes sanftes Küstenhügelland bilden gefällige Kulissen für die beiden Meere, die hier von kleinen Felsbuchten und dort von weitläufigen sandigen Gestaden gesäumt und von mancher Anhöhe sogar auf einen Blick zu sehen sind. In allen fünf Provinzen imponieren obendrein antike Ruinen, byzantinische Kirchlein, normannische Kathedralen und staufische Kastelle, prächtige barocke Adelsdomizile und spannende Museen. (Kalabrien & Basilikata, Michael-Müller-Verlag, 2016)

Diesen abgelegenen Teil Italiens, sozusagen die Stiefelspitze, war uns bisher völlig unbekannt, so dass wir uns zu einer Reise dahin entschlossen. Kurzum, es war ein tolles Erlebnis. Nach langer Überlegung entschieden wir uns, den Werbungen der Reiseliteratur zu trotzen und unser Quartier an der Ostküste aufzuschlagen, genauer gesagt in dem historischen Bergdorf Badolato. Es stellte sich heraus, dass dies eine überaus glückliche Entscheidung war. 

Besieht man sich die Landkarte, wird man Bedenken bekommen, angesichts der langweiligen, gradlinigen Ostküste, an der sich ein schmuckloser Ort an den anderen reiht. Aber im Hinterland locken die Berge und das hügelige verkarstete Gelände zwischen Küste und diesen Gebirgen befriedigt alle Sehnsüchtige, die man als Reisender im Gepäck hat, insbesondere, wenn diese Lagen im Frühjahr noch grünen und sich ein bunter Blütenteppich darüber ausbreitet. 

An das Gebirge geschmiegt oder auf den Hügeln erkennt man schon aus der Ferne die kleinen idyllischen Bergdörfer, die einen zwar bei näherer Betrachtung hinsichtlich ihrer derzeitigen Beschaffenheit zum Grübeln veranlassen (viele Häuser stehen zum Verkauf (vendesi!) oder sind in beklagenswertem Zustand, aber gerade das macht den morbiden Charme dieser Lokalitäten aus, durch deren alte Gassen wir so gerne schleichen. Am besten vor oder nach Ende der Siesta (12:30 – 16:00 Uhr), weil sich in dieser Zeit kaum ein Rad mehr dreht. Die kleinen Läden, die meisten Bars, aber leider auch die historischen Gemäuer, die der Urlauber so gerne besuchen möchte, haben da geschlossen. Da muss der Deutsche sich auch nicht darüber aufregen, denn gerade deshalb fährt er ja in den Süden, um nämlich das entspannte Leben in diesen Gebreiten selbst in vollen Zügen zu genießen. Und machen wir uns nichts vor: in der Hitze, die während er Sommermonate dort herrscht, möchte der Teutone mit Sicherheit auch selbst nicht arbeiten. Das schützt ihn aber nicht davor, die Volkswirtschaft der Staaten im Süden Europas mit einheimischen Maßstäben zu messen und wenn es geht, auf die „faulen Südländer“ mit dem Finger zu zeigen. Die Gehässigkeit gegenüber den Griechen ist uns ja noch in bester Erinnerung.

Wem der Sinn nur nach einem Badeurlaub steht, wird sicher Alternativen in nördlicheren Breiten finden, denn der Reiseaufwand, um nach Kalabrien zu gelangen, ist in der Tat nicht gerade gering. Hier erwarten einen zwar zwischen Reggio und Crotone fast 200 km Sandstrand, der mit wenigen Richtungsänderungen wie mit dem Lineal gezogen daliegt und die Gestade markiert, er findet glasklares Wasser, in welches er im Sommer, wahrscheinlich ohne eine Miene zu verziehen, hinein springt – aber sonst findet er wenig Amüsantes in den Küstenorten. Etwas anders sieht es an der Westküste aus, wo die gepriesenen historischen Touristenzentren Pizzo, Tropea oder Scilla liegen, die über einen gewissen Charme verfügen, damit aber an die Riviera, die Amalfiküste oder das Cilento (Regionen, die wir gesehen haben) nicht heran reichen. Auch die Möglichkeiten zu Ausflügen ins Hinterland sind im Verhältnis zur Westküste begrenzt. Eher lässt man sich da zu einem Bootstrip zu den Äolischen Inseln, vielleicht auch nach Sizilien verleiten. 

Abschließend noch eine Reisewarnung: die Straßen und der Verkehr darauf sind in höchstem Maße gewöhnungsbedürftig. Schon bei der Anreise nach Badolato, die wir uns leider vom Navi empfehlen ließen, wurden wir durch Straßensperrungen aufgehalten und gerieten überflüssigerweise auf straßenähnliche Pisten, die wohl besser zu sperren wären. Mir jedenfalls trieb es augenblicklich den Angstschweiß aus den Poren, denn ich hatte gerade einen nagelneuen Fiat-Tipo-Mietwagen in Empfang genommen (ein „dreckiger Diesel“, nebenbei gesagt, mit besten Fahreigenschaften), der mir von Anbeginn mehr als leid tat. Aber letztendlich brachten wir das Gefährt heil, aber ein wenig verdreckt zurück. Ferner muss man sich an die Auslegung der Verkehrsregeln gewöhnen. In den Ortschaften fährt man auf Blickkontakt und außerhalb dienen die zugegebenermaßen etwas kleinlichen Geschwindigkeitsbeschränkungen lediglich als Orientierung, selbst in Anwesenheit der Carabinieri. Bloß bei Geschwindigkeitskontrollen kann es brenzlig werden. Ansonsten ist alles gut.

Die Bilder verteilen wir 3 Teile mit kurzen Anmerkungen. Dabei werden immer wieder einmal Aufnahmen von unserem herrlichen Urlaubsort Badolato eingestreut.


Badolato. 1997 landeten an der Küste vor Badolato 800 kurdische Flüchtlinge, die von der gemeinde aufgenommen wurden und in dem verfallenden mittelalterlichen Dorf untergebracht wurden. Dafür wurden von der EU Fördermittel ausgereicht, die in die Substanz des alten Ortes investiert wurden und dem Dorf Impulse zu einem neuem Aufschwung gaben.













Santa Caterina, ein Nachbarort Badolatos





Stilo, herrlicher Bergort mit byzantinischer Kirche





Bivongi, in dem Haus mit der Nummer 61 möchte ich nicht wohnen


Gerace. Bergort in herrlicher Umgebung mit Kastell und normannischer Kathedrale













Bergdorf Siderno. Bei vielen Dörfer / Städte ist ein Teil an der Küste gelegen, der andere Teil imbergigen Hinterland. So auch Siderno.







Roccella Ionica. Schmuckloser Küstenort mit beachtlicher Burganlage



Bagnara, Fischerdorf an den Hängen des Aspromonte an der Westküste






Scilla. Fischerort an der Westküste, Vorzeigeort und Zentrum des Schwertfischfangs. 











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