Dienstag, 19. März 2013

Der tote Fisch aus Fukushima


Eine kleine Pressemeldung aus Japan hat kurz nach dem 2. Jahrestag der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe (über 16000 Tote), die auch zu einem überaus ernsten Störfall im KKW Fukushima Daiichi geführt hat, zu einer besorgniserregenden Schlagzeile im deutschen Blätterwald geführt. Aus der Pressemitteilung

"Tokyo Electric Power Co. said Friday it detected a record 740000 becquerels per kilogram of radioactive cesium in a fish caught in waters near the crippled Fukushima Daiichi Nuclear Power Station"

hat Welt-Online die Schlagzeile

„7400-fache Dosis Cäsium in Fisch aus Fukushima“

gemacht und wir wollen uns hier fragen, was diese Worte bedeuten und - noch wichtiger - beim Leser bewirken sollen. Was sie bewirken soll, ist eigentlich sofort klar, denn es heißt weiter ",,, wurde ein mit 740000 Becquerel Cäsium pro Kilo belasteter Fisch gefangen...". Diese große Zahl klingt fast lebensbedrohend und soll offensichtlich unterstreichen, wie gefährlich es auch heute, zwei Jahre nach dem Reaktorunglück noch ist, dort, in Fukushima, leben zu müssen. Jemand (und das dürften die meisten Leser des Artikels sein), der die Maßeinheit Becquerel nicht kennt und der deshalb auch keine Vergleichswerte im Hinterkopf hat, wird über diese Schlagzeile erschüttert sein und vielleicht sogar jeden "Kernkraftbeführworter" einen Urlaub in Fukushima wünschen – man braucht nur die Kommentarbereiche zu derartigen Artikeln zu lesen. Und genau diese Art von Berichterstattung, verbunden mit unterschwelliger Panikmache sowie bewußt fehlenden Vergleichen (die auch einen Laien eine Einschätzung der beschriebenen Situation erlauben würde), hat Deutschland "ganz demokratisch" einer zukunftsgerichteten Spitzentechnologie beraubt - und zwar nicht nur physisch - durch das Abschalten der modernsten Kernkraftwerke der Welt, sondern auch ideologiegetriebenen, in dem Forschung und Lehre auf diesem Gebiet immer mehr administrativ behindert wird. 

Was hat es also mit dieser Meldung (ich beziehe mich dabei immer auf die Fassung von Welt Online) auf sich? Als erstes muß man sich im Geiste die betont unglückliche Formulierung des Autors etwas zurechtrücken und den Fakt wie folgt beschreiben: „In der Nähe des KKW‘s von Fukushima (wo eh das Angeln nicht erlaubt ist), so berichtet der Kraftwerksbetreiber (!), wurde ein Fisch gefangen, bei dem eine Aktivität von 740000 Bq/kg ausgeht, die auf (radioaktives) Cäsium zurückzuführen ist,“ Das mitgelieferte Bild soll wahrscheinlich einen solchen Fisch zeigen. Meiner Meinung nach kann es sich dabei aber nur um eine Goldforelle (Oncorhynchus aguabonita) handeln – woraus gleich die Frage folgt, wie diese wohl aus den Flüssen Kaliforniens in das Hafenbecken von Fukushima Daiichi gelangt sein mag. Aber wahrscheinlich wollten die Redakteure nur ein passendes Bild zu ihrer Meldung hinzufügen…Schaut man in den Originalquellen nach, dann wird es sich wohl bei dem ominösen Fisch um ein Exemplar aus der Familie der Grünlinge (also groppenartige, bodenbewohnende Fische, die um Japan sehr häufig sind) handeln. Diese nehmen mit dem Bodenschlamm sehr viel radioaktives Cäsium-137 auf und akkumulieren es eine Zeitlang in ihrem Muskelfleisch. Alle extrem stark kontaminierte Fische aus der Gegend waren offensichtlich Grünlinge, wobei der ursprüngliche Rekord bei ca. 510000 Bq/kg lag. Diese Fische lebten alle in der Nähe eines Wasserabflusses des KKW’s in das dortige Hafenbecken. 

740000 Bq bedeutet erst einmal nur, daß pro Sekunde 740000 Beta-Zerfälle des Cäsium-Isotops Cs-137 stattfinden. Diese Zahl sagt für sich genommen erst einmal gar nichts aus. Man muß sie auf etwas beziehen – hier auf ein Kilo „Fisch“. Dann läßt sich nämlich leicht ausrechnen, wieviel Cs-137 sich in diesem einem Kilogramm „Fisch“ befinden. Dazu muß man lediglich die spezifische Aktivität von einem Gramm Cäsium-137 kennen, was uns sofort „Wolfram Alpha“ verrät: 3.214 TBq/g. Ein Kilo von dem genannten Fisch enthält also 230 ng (Nanogramm) Cäsium-137. Die Frage, die sich nun stellt, ist Folgende: ist das noch gesund oder wird man daran unweigerlich sterben? Eine Aussage darüber läßt sich nur machen, wenn man die Strahlendosis berechnet, die man bei Incorporation von 1 kg dieses Fisches (z.B. zerlegt in eine Vielzahl von Sushi-Röllchen) zusätzlich zur natürlichen Radioaktivität ausgesetzt wird. Unter „Dosis“ versteht man in diesem Zusammenhang die Energie, welche beim Zerfall von Cäsium-137 in Form von ionisierender Beta-Strahlung (Elektronen) an ihr Umgebungsvolumen abgegeben wird. Sie wird in Joule pro Kilogramm gemessen. Die Maßeinheit dafür ist das Gray (Gy). 

Was aber viel mehr interessiert, ist die biologische Wirkung der Strahlung, ausgedrückt durch die sogenannte Äquivalentdosis, Sie wird in Sievert (Sv) angegeben. Um sie zu bestimmen, bedient man sich eines Umrechnungsfaktors, der als Dosiskonversionsfaktor bezeichnet wird und für Cäsium-137 1.3x10^-8 Sv/Bq beträgt. Damit läßt sich nun die Dosis des mit 740000 Bq strahlenden Fisches ermittel: Dosis=Dosiskonversionsfaktor*Aktivität*Masse des Fisches. Das bedeutet, wenn das Kilo Fisch vollständig von mir verspeist wird, ich eine zusätzliche Dosis von 9.62 mSv erhalte. Um diesen Wert richtig interpretieren zu können, sind Vergleichswerte notwendig. Und dazu muß man wissen, daß die durchschnittliche (natürliche+künstliche) Strahlenbelastung der Bevölkerung in Deutschland pro Person und Jahr bei ~4.1 mSv liegt. Der Fisch erhöht demnach mein Jahrespensum ungefähr um das Doppelte. Man sollte also nicht allzuoft – am besten jedoch gar nicht – einen so stark kontaminierten Fisch verzehren. Ursächlich daran sterben wird man davon aber sicherlich nicht, es sei denn, man erstickt an einer seiner Gräten (soll alles schon vorgekommen sein).

Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß die (spezifischen) Aktivitätsgrenzwerte (also die Becquerel-Werte pro kg Lebensmittel) von Staat zu Staat unterschiedlich festgelegt werden. In Deutschland gilt als Belastungsgrenze für Erwachsene 600 Bq/kg, in Japan wurde sie nach der Tsunami-Katastrophe mit Kraftwerksunfall zur Beruhigung der Bevölkerung auf 100 Bq/kg herabgesetzt. Das erklärt die obige Schlagzeile. In den USA (und ich glaube auch in Norwegen?) rechnet man mit 1200 Bq/kg. Die Frage ist nun, was ist ein vernünftiger Grenzwert? Ich denke, der europäische Grenzwert von 500 Bq/kg ist ein Wert, mit dem man gut leben kann. Ein kleinerer Grenzwert, so wie der „Angstgrenzwert“ in Japan, erscheint auf dem ersten Blick natürlich als besser. Aber man muß bedenken, daß selbst eine Gesundheitsgefährdung bei einer Aktivität von 1000 Bq/kg in keinster Weise bewiesen ist. Radonheilbäder (z.B. Bad Kreuznach) werben sogar mit einer Aktivität von 300000 Bq pro m³ Atemluft für Inhalationskuren. Macht man den Grenzwert zu klein, dann kann es dazu führen, daß bestimmte Lebensmittel – in Fukushima schwach belastete Fische – einfach weggeschmissen werden, obwohl sie genossen die Jahresdosis des Verbrauchers nur marginal erhöhen (siehe Science, Bd. 338, S. 480, 2012). 

In diesem Zusammenhang muß noch auf den weithin unbekannten Fakt hingewiesen werden, daß ein großer Teil der natürlichen Strahlungsbelastung eines Menschen (so um die 10000 Bq) von ihm selbst ausgeht und zwar in erster Linie von radioaktiven Kalium-40 in seinen Knochen. Das bedeutet also – und ist sicherlich auch eine Schlagzeile der obigen Art wert – daß ein gut gefülltes Fußballstadion immerhin mit ca. 400 Millionen Bq strahlt. Hoffentlich erfährt das niemals C.R. (die mit den 16000 Super-GAU-Toten in Japan bei Facebook). Sonst wollen vielleicht die „Grünen“ auch noch die Fußballstadien stillegen… 

Wenn man unaufgeregt und auf den Füßen der Tatsachen die gegenwärtige radiologische Situation der Gegend um das KKW Fukushima einschätzt und mit anderen Weltgegenden vergleicht, dann relativiert sich die ganze Panikmache, siehe z.B.  hier...

www.wincontact32.de

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