Der Wittigberg (Smědavská hora) erscheint mir ziemlich geheimnisumwittert, weil er nicht an das Wegenetz des Isergebirges angeschlossen ist und keine nennenswerten Hinweise in der Literatur zu finden sind. Außerdem ist er von Moor, der Wolfswiese (Vlčí louka) umgeben. Mit den Skiern war ich bereits einmal oben, aber im Winter herrschen andere Verhältnisse als in der schneelosen Jahreszeit. Unsere Tour beginnt natürlich am Wittighaus (Smědava), führt uns zunächst auf den Siechhübel (Jizera), zur Tschihanlwiese (Na Čihadle), der Friedländer Zinne (Frydlantske Cimburi) und den Mittagssteinen (Polední kameny), die ihren Namen angeblich dadurch erwarben, dass aus Sicht der Bewohner von Weißbach (Bílý Potok) die Sonne zu Mittag über ihnen stand. Zu unserer Tour erzählt sich die folgende Geschichte ganz gut, die unter dem Titel „Meine erste Bergpartie in das Isergebirge“ im Jahrbuch des Deutschen Gebirgsvereines für das Jeschken- und Isergebirge, Ausgabe 1905, erschien. Wer des Lesens müde ist, überspringe diese Zeilen ganz einfach (aber die Story ist zu einem gewissen Grade ganz heiter und typisch).
„Von Raspenau ging die Fußwanderung an, wir wollten erst nach Wittighaus, uns dort mit einem guten Imbiß kräftigen und sodann den Siechhübel „nehmen“. Im Anfang ging alles vortrefflich; es war ein wunderbarer Morgen, etwas neblig, aber die Sonne drang schon teilweise mit ihren Strahlen durch die Nebelmassen. Nach einer Stunde der Wanderung stellte sich bei mir schon der Hunger ein, ich brachte auch gleich einen »Neger« ums Leben, und dann kam der Durst! Und da griff ich in meiner Verblendung zum ,,Doppelkümmel!“ Aber je höher wir emporstiegen, umso größer wurde der Durst, umso geringer aber auch die »Kümmelmenge« und als wir in das gastliche Wittighaus einkehrten, war ich schon in einer sonderbaren Verfassung, die sich mit dem Ausdrucke „schwamrig“ einigermaßen bezeichnen läßt.
Wie mir innerlich zu Mute war, ließ ich meinen Freunden nicht merken und als mich diese zum Tafeln einluden, bemühte ich mich, ein möglichst heiteres Gesicht zu machen, wodurch es mir auch gelang, sie über meinen wahren Zustand hinwegzutäuschen. Meine Begleiter sprachen tüchtig zu und nach Verlauf einer kurzen Zeit blieb von den dargebotenen Speisen wenig übrig, nur ich hatte fast gar nichts gegessen.
Wir sagten bald den gemütlichen Räumen lebewohl und begannen nun den Aufstieg zum Siechhübel. Meine Freunde heiter und wohlgemut voran, ich zagend und langsam hinterher; ich wurde zwar oft angetrieben und ermuntert, doch die Angst, die mich wegen des Ausganges der Partie erfaßt hatte, wollte nicht weichen und ließ mich nicht recht froh werden. Dazu der schlechte Weg über Stock und Stein, durch Gestrüpp und allerhand Buschwerk; es war dies für mich noch ungeübten und damals etwas ängstlichen jungen Menschen eine wahre Höllenqual.
Ich hatte nur den Gedanken, wenn wir nur schon oben wären. Und als wir endlich oben waren, da wünschte ich, ach, wenn wir nur schon wieder unten wären! Die Aussicht war ja wirklich reizend, wenn ich auch nicht viel davon gesehen habe, denn mein Hauptaugenmerk war der Sonne zugewendet und ich berechnete im stillen, wie lange uns das Tagesgestirn noch bescheinen würde, ehe die rabenschwarze Nacht hereinbricht, vor der mir am meisten bangte.
Meine begeisterten Freunde machten mich auf all’ die schönen Bilder der Natur aufmerksam, auf das aus weiter Ferne zu uns herüberblickende Riesengebirge, auf die herrliche Rundsicht, auf die durch den Neuschnee wie verzuckert aussehenden Hänge, Wälder und Gebirgsrücken, das sich alles zu einem lieblichen Bilde vereinte, das ich aber alles nur mit halbem Auge betrachtete.
Nachdem sich meine Begleiter an den Naturschönheiten genug ergötzt hatten, wurde der Abstieg angetreten, der aber beschwerlicher vor sich ging als der Aufstieg. So lange wir den Weg noch sehen konnten, ging es wohl an, aber es dauerte nicht lange, dunkelte es, und in der zunehmenden Dunkelheit verfehlten wir noch den Weg. Wir suchten und suchten, gingen von links nach rechts, dann wieder zurück, bergab, dann wieder bergan, jeder der »Hochtouristen« wollte es besser wissen, wo man wieder zum Wege käme, und so mußten wir lange herumirren, ziel- und planlos, und Stunden unnütz vergeuden. Während dieses Herumirrens mußte bei mir die sogenannte »Bergkrankrankheit« infolge des genossenen Alkohols zum Ausbruch gekommen sein, denn ich zitterte am ganzen Körper, kalter Schweiß trat mir auf die Stirne, meine Beine wollten den Dienst versagen, ich stürzte häufig und blieb an Ästen hängen, die mir das Gewand zerrissen; bei einem Falle in ein Loch zerbrach mein »derber Stock«, meinen Plaid verlor ich mehreremale und vollständig mutlos geworden durch das Herumirren, legte ich mich endlich auf die Erde und wollte da liegen bleiben, bis der neue Tag anbräche, selbst auf die Gefahr hin, daß ich mein Ende finde. Der «Doppelkümmel« hatte jedenfalls meinen Zustand verschuldet und ich möchte behaupten, daß er die Hauptursache dieser »Bergkrankheit« war. Zwei meiner wackeren Freunde verließen mich aber in dieser »schweren Stunde« nicht, sie sprachen mir zu, halfen mir wieder auf die Beine, nahmen mich unter ihren Arm, der eine links, der andere rechts, und das war sehr gut, denn als wir beim nächstenmale stürzten, fiel ich wenigstens nicht allein. Der dritte der Freunde dagegen brummte etwas von »liegenlassen«, ,,Schwindel«, "verhätschelter Bursche“ usw. auf das ich aber gar nicht antwortete und alles geduldig hinnahm.“
Da kann man nur sagen: selbst verschuldetes Leid. Wer vergreift sich schon am Doppelkümmel? Mit unserer Stammmarke Borovička ist uns das noch nicht passiert. Den Abstieg vom Siechhübel bestreiten wir über einen unmarkierten Weg in Richtung Knieholzwiese. Und wie es der Zufall so will kommt uns ein Mensch entgegen, ausgerechnet von der Bergwacht, der uns darauf hinweist, dass wir uns im Reservat befinden und hier eigentlich nichts zu suchen haben. Er beließ es aber mit einer Warnung, vielleicht dem Umstand Rechnung tragend, dass wir in deutlicher Überzahl waren. Zur Entschuldigung sei angefügt, dass wir uns des Umstandes nicht bewusst waren, sonst hätten wir wohl den Wanderweg benutzt.
Erstaunt waren wir, dass trotz geringen Touristenverkehrs der Kiosk „Horska stanice Knajpa“ geöffnet hatte, so dass wir mit kurzer Erfrischung weiterzogen zur Tschihanlwiese, die sich unterhalb des Schwarzen Berges (Černá hora) ausbreitet. Es handelt sich um ein typisches Hochmoor, über welches man sich von zwei eingerichteten Aussichtsplattformen Übersicht verschaffen kann. Die Farbspiele im Licht dieses Herbsttages waren faszinierend. Um die Tschihanlwiese ranken sich auch verschiedene Sagen
„Vom Tschihanlteich
Um ihn zu finden, muß man die Tschihanlwiese (Birk- oder Moorhuhnwiese) suchen. Sie ist ein beliebter Balzplatz, der sich dort zahlreich ansammelnden Birkhähne und ähnelt ganz den beiden Isermoorwiesen. Auch die Tschihanlwiese besteht aus Torfmoor und wird von mehreren Teichen unterbrochen. Der große davon heißt Tschihanlteich. Von ihm sagt man, daß er keinen Grund habe und daß er unterirdisch mit grossen Gewässern verbunden sei. Ein Holzhauer habe einst einen Bohrer hineinfallen lassen, der erst in Sorau in der Niederlausitz wieder zum Vorschein gekommen sei. Einst jedoch erscheint der Tag, an dem der Teich auslaufen und den ganzen unteren Teil des Friedländer Bezirkes unter Wasser setzen wird. Die gewaltigen Felsen des Nußsteines stürzen dann ins Tal und der große kommt gerade dorthin zu liegen, wo sich heute der Marktplatz der Stadt Friedland befindet.“
Als Höhepunkt der heutigen Tour wird von den meisten Wanderfreunden der nun folgende Abschnitt empfunden. Es geht hinüber zur der Friedländer Zinne und den Mittagssteinen, jenen Felsbastionen am Nordrand des Gebirgsplateaus, die hier steil in das Tal der Wittig abfallen. Von den Felsen bieten sich herrliche Aussichten über das Tal und zum Massiv der Tafelfichte sowie während des Anstiegs zu den Mitttagssteinen über die gesamte Nordflanke des Isergebirges. Nur Mutige wagen heute angesichts des tosenden Herbststurmes den Aufstieg zu der kreuzbekrönten Zinne.
Von den Mittagssteinen erkennt man bereits den breiten Rücken des Wittigberges. Man sieht eine Schneise an seiner Nordseite. Über dieselbe führt der unmarkierte Pfad zum Gipfel des Berges, den er kerzengerade passiert und auf der anderen Seite wieder verlässt. Ovalrund dehnt sich das Plateau aus. Es ist moorig und von Krüppelkiefern sowie abgestorbenen Stämmen überzogen. Zwei Felsgebilde bedecken den Gipfel. Auf dem sogenannten Blaubeerstein (Borůvkový kámen) kann man sich in ein Gipfelbuch eintragen. Von Zeit zu Zeit zieht es also auch andere Bergwanderer hier herauf. Am 23. April 1992 kam es an den Hängen des Wittigberges zu einem Flugzeugunglück, als zwei französische Flugzeuge, die humanitäre Hilfe für Polen transportierten, bei schlechten Wetterverhältnissen abstürzten. Beide Besatzungen (4 Personen) fanden den Tod.
Bleibt uns noch der Rückzug zum Wittighaus. Die traditionsreiche Hütte liegt am Pass, über den die Straße von Weißbach zur Desse (Souš)-Talsperre führt. Das erste Chalet wurde 1842 gebaut. Es brannte 1932 ab und wurde bis 1935 erneuert. Zur Zeit wird es allerdings abgerissen. Bis 2023 soll, wie wir hören, eine neue Herberge errichtet werden. In der tschechischen Wikipedia lesen wir dazu: „Im Oktober 2021 wurde die Touristenunterkunft vom Eigentümer, offenbar unter dubiosen Umständen, abgerissen und soll durch ein Luxus-Spa ersetzt werden.“. Bis auf weiteres versorgt ein Kellerrestaurant, welches unter einer Bodenplatte vor der Ruine des Wittighauses eingerichtet ist, die Touristen.
Die GPS-Daten zu dieser Tour findet man hier.
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