Sonntag, 13. Februar 2011

Essay: Warum ist die Astrologie keine Wissenschaft?

Es ist wol diese Astrologia ein närrisches Töchterlein … aber lieber Gott | wo wolt jhr Mutter die hochvernünftige Astronomia bleiben | wenn sie diese jhre närrische Tochter nur hette | ist doch die Welt viel närrischer | und so närrisch | daß deroselben zu jhrer selbst frommen diese alte verständige Mutter die Astronomia durch der Tochter Narrentaydung | … | nue eyngeschwatzt und eyngelogen werden muß | Auch sind sonsten der mathematicorum salaria so seltsam und gering, daß die Mutter gewißlich Hunger leiden müßte, wenn die Tochter nichts erwürbe.

Johannes Kepler,  Tertius interveniens, das ist die Warnung an etliche Theologos, Medicos und Philosophis, Frankfurt/M. 1610 


Als „Astrologie“ wird gemeinhin die esoterische Vorstellung bezeichnet, daß sich aus den Positionen von Himmelskörpern (insbesondere der Planeten) zur Geburt eines Menschen dessen Schicksalswege und Persönlichkeitsmerkmale vorhersagen lassen. Diese „volkstümliche“ und auch heute noch sehr populäre Lehre ist in ihrer „ernsten“ Form viel komplexer als man gemeinhin denkt, wenn man in Boulevardblätter Horoskope liest. Sie selbst hat eine sehr lange Geschichte, die bis zu den Babylonier und Assyrer zurückreicht und wurde erst zu Beginn der Neuzeit (zumindest in der alten Welt) von der Astronomie methodisch getrennt. Die meisten Astronomen des ausgehenden Mittelalters und beginnenden Neuzeit waren auch anerkannte Astrologen und in der damaligen akademischen Ausbildung wurde Astronomie und Astrologie fast immer zusammen gelehrt. 

Die erste große Kodifizierung der Astrologie mit dem Versuch, physikalische Wirkübertragungsmechanismen auf das Schicksal der Menschen zu postulieren, stammt von CLAUDIUS PTOLEMÄUS (um 100 bis 175). In seinem Werk Tetrabiblos (die „vier Bücher“, um 150 n.Chr.) gelingt ihm eine Zusammenfassung der hellenistischen astrologischen Vorstellungen, die er mit der Vorhersage astronomischer Erscheinungen wie spezielle Planetenkonstellationen, Mondphasen, Verfinsterungen etc. verbindet. Dabei wird ihm, wie auch vielen seiner Nachfolger, die fatalistische Natur der Astrologie durchaus klar, die in ihrer konsequenten Form jede freie Willensentscheidung verhindert. Dieses Dilemma der klassischen Astrologie konnte in der Folge nur abgeschwächt, aber nie vollständig gelöst werden und stellt in der aufgeklärten Welt auch heute noch das wichtigste Gegenargument für eine astrologische Weltsicht dar (Warum unterscheiden sich die Lebenswege und Charaktere von Zwillingen, die unter den gleichen „Sternzeichen“ geboren wurden, oft fundamental?).

Erste Zweifel an der erklärten Funktionsweise der Astrologie kamen in der Renaissance, als z.B. GIOVANNI PICO DELLA MIRANDOLA (1463-1494) seine in seinen Disputationes adversus astrologiam beschriebenen statistischen Untersuchungen über astrologische Wettervorhersagen versus „wahres Wetter“ veröffentlichte. Auch JOHANNES KEPLER (1571-1630), der einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Lebensunterhaltes mit der Erstellung von Horoskopen bestreiten mußte, hatte gewisse Zweifel an der schicksalhaften Bedeutung der Sterne, ohne daß er die Astrologie jedoch gleich ablehnte.

Die stärksten Gegenargumente in Bezug auf die Astrologie ergeben sich nicht aus ihrer mangelnden empirischen Bestätigung, sondern aus ihrer inneren logischen Struktur und sind damit erkenntnistheoretischer Natur. Die Frage ist, ob es überhaupt logisch möglich ist, die Astrologie mit einem Inhalt zu versehen, der die von ihr behauptete Einflußnahme der Gestirne auf die menschlichen Charaktereigenschaften in eine nachvollziehbare und überprüfbare Wirkungskette überführt, auf die wiederum die von KARL POPPER (1902-1994) formulierten Anforderungen an eine wissenschaftliche Theorie angewendet werden kann. Diese Frage muß vom wissenschaftlichen Standpunkt aus verneint werden.  Das erkennt man bereits daran, daß die Astrologie mit Symbolen und Beziehungen zwischen ihnen arbeitet, die sich, wenn man sie genauer betrachtet, als künstliche Konventionen erweisen und wie Dogmen behandelt werden (z.B. Tierkreiszeichen). Es ist z.B. hochgradig unverständlich, warum gerade die Sternbilder des Tierkreises im Zusammenspiel mit den Planeten, mit Sonne und Mond, die sich gerade darin aufhalten, irgendwelche Wirkungen auf Menschen ausüben sollen und andere auffällige Objekte wie z.B. das Sternbild Orion oder der Stern Sirius nicht. Es ist deshalb richtig, trotz der wissenschaftlichen Methodologie, die sich Astrologen beim Erstellen von Horoskopen bedienen, hier von einer Pseudowissenschaft zu sprechen. Diese Einschätzung ist schon deshalb geboten, weil die Astrologie immanent resisdent gegen intersubjektive Überprüfbarkeit ist und auch jegliche Offenheit gegenüber empirische Falsifizierbarkeit vermissen läßt.

Das große Interesse an der Astrologie in der heutigen Zeit läßt sich aus dem Wunsch jedes Menschen erklären, etwas über sein künftiges Schicksal zu erfahren. Die Antwort der Wissenschaft ist eher nüchtern. Komplexe Systeme, wie z.B. die menschliche Gesellschaft, in die jedes Individuum eingebunden ist, sind prinzipiell nicht prognostizierbar. Hier bietet die Astrologie eine scheinbare Lebenshilfe, was man durchaus nicht immer kritisch sehen muß. Dort wo naturwissenschaftliche Bildung unterentwickelt ist oder fehlt, was für den größten Teil der Menschheit zutrifft, wird man sich im Alltagsleben natürlich mehr von esoterischen als von naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten leiten lassen. Und dafür ist ein Horoskop ein ideales Mittel.



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