Mittwoch, 28. September 2011

Planet Mars (12) - Oberfläche - Grabenbrüche - Valles Marineris III


Entstehung des Valles Marineris
Eine Theorie, welche die Morphologie und die Entstehungsgeschichte des Valles Marineris in allen Aspekten befriedigend erklärt, gibt es noch nicht. Einigkeit besteht aber auf jedem Fall darin, daß es sich bei den Hauptgräben sowie dem Noctus Labyrinthus um tektonische Strukturen handelt, die mit der Aufwölbung des Tharsis-Plateaus etwas zu tun haben. Für die Ausformung, Ausweitung und Ausräumung der Chasmata haben dagegen neben horizontal wirkenden tektonischen Kräften Wasser (flüssig und in Form von Eis) und Wind sowie die Schwerkraft eine jeweils eigene Rolle gespielt. Insbesondere müssen in der Vergangenheit einmal riesige  Wassermengen geflossen sein, allein um die nördlichen Ausflußtäler mit ihren eindeutigen Fließstrukturen in das Chryse-Becken zu erklären. Dabei ist noch zu beachten, daß die meisten dieser landschaftsformenden Ereignisse in der Frühgeschichte des Mars stattgefunden haben (zumindest vor mehr als 2 Milliarden Jahren), da später die tektonischen Kräfte nachließen und auch das Klima zunehmend arider wurde.

Daß es im Bereich von Diapiren zu Aufwölbungen in der Lithosphäre kommt, ist ein von der Erde her bekanntes Phänomen. Dabei werden Spannungsfelder mit einer Horizontalkomponente aufgebaut, die, wenn die Zugkräfte den Gesteinszusammenhang übersteigen, zu radial ausgerichteten tektonischen Bruchstrukturen führen. Das Zentrum eines Plumes kann man deshalb im Prinzip über den Konvergenzpunkt der von ihm verursachten radialen Brüche identifizieren. Auf der Erde sind im Gegensatz zum Mars durch die Plattentektonik die Verhältnisse i.d.R. komplexer und die dabei entstehenden Bruchstrukturen kurzlebiger, da sie oftmals in relativ kurzer Zeit überformt werden. 

Im Bereich der Tharsis-Aufwölbung auf dem Mars haben sich die tektonischen Brüche bis heute gut sichtbar erhalten, so daß man ihre Lage mit den Mitteln der Fernerkundung sehr sicher bestimmen kann. Man hat dabei mehrere Spreizungszentren festgestellt, wobei im Zusammenhang mit dem Valles Marineris nur das Zentrum, welches fast mit dem Vulkan Pavonis Mons zusammenfällt, von Interesse ist. Eine dazu asymmetrische Bruchstruktur ist das Labyrinth der Nacht, wo die Oberfläche in eine netzartige Struktur aufgerissen wurde. Radial dazu, ausgehend von Pavonis Mons, setzen sich die beiden engeren Hauptgräben des Valles, Ius Chasma und Coprates Chasma, fort. Sie werden von weiteren, z.T. nicht mehr vollständig aufgebrochenen Grabenstrukturen (z.B. Coprates Catena) begleitet, die auch tiefere Bruchstrukturen im Tharsis-Plateau nachzeichnen. Im Prinzip hat man es hier mit Grabenbrüchen, ähnlich dem Oberrheingraben in Deutschland, zu tun. Nur daß die Ausmaße natürlich in keiner Weise vergleichbar sind: Entlang von tiefen und zueinander parallelen Brüchen sind bei andauernder Extension die mittleren Grabenteile mehrere 1000 Meter abgesunken, wodurch die sehr steilen Grabenkanten entstanden sind. Durch eine Vielzahl erosiver Prozesse (bei denen Hangrutschungen sowie der Einfluß von Wasser eine große Rolle gespielt haben muß) kam es im Lauf der Zeit zu Talerweiterungen, wie man es deutlich an dem ausladenden Charakter mancher Chasmata erkennen kann. 

Teile der Canyons des Valles Marineris müssen einmal Seen beherbergt haben, die einmal relativ plötzlich nach Osten abgeflossen sein müssen. Dabei entstanden die noch heute gut sichtbaren Fließstrukturen im Bereich von Capri und Eos Chasma sowie die Ausflußtäler Tiu und Simud Chasma, welche die riesigen Wassermassen in  das Chryse-Becken ableiteten. Diese wahrscheinlich katastrophalen Vorgänge haben irgendwann zwischen 3.7 und 3.0 Ga stattgefunden (NEUKUM, HARTMANN, 2001), wie Kraterzählungen in diesem Bereich ergeben haben.

Anordnung tektonischer Gräben im östlichen Teil der Tharsis-Aufwölbung um den Vulkan Pavonis Mons (blau), der fast mit deren Spreizungs¬zentrum zusammen fällt. Das Valles Marineris zeichnet eine besonders ausgeprägte, radial zu Pavonis Mons verlaufende Grabenstruktur nach, die teilweise durch  fortschreitende Randerosion stark verbreitert ist.   Quelle Nature, McKenzie, Nimmo

Die Frage ist, wo die zur Ausformung dieser gigantischen Ausflußtäler notwendigen Wassermassen eigentlich hergekommen sind. Eine durchaus plausibel klingende Hypothese geht davon aus, daß das Wasser aus Grundeis stammt, welches damals das Gebiet der sich öffnenden Grabenbrüche bedeckte. Aufgrund der bereits erwähnten instabilen Lage der Rotationsachse des Mars könnten in der Vergangenheit auch heute äquatorial liegende Bereiche einmal eine den Polkappen ähnliche Eisbedeckung besessen haben, die irgendwie plötzlich aufgeschmolzen ist.


Auf dieser farbcodierten Höhenkarte (MOLA, MGS) sind eindrucksvoll die Ausflußstrukturen, ausgehend vom östlichen Ausgang des Coprates Chasma über Capri und Eos Chasma, zu erkennen, die in das westliche Simud Vallis und das etwas östlichere Tiu Vallis übergehen und schließlich in das Chryse Becken (Chryse Planitia) münden. Die flußähnliche Struktur rechts der Mitte ist  Ares Vallis. Sein Einzugsgebiet umfaßt u.a. Iani Chaos an der Nordgrenze von Margaritifer Terra.  Quelle NASA, JPL, MOLA, MGS, Google Mars

Die Wärmemenge, die dafür notwendig ist, kann nur durch vulkanische Prozesse aufgebracht werden. In Frage kommen dafür sogenannte Spaltenintrusionen, die man in der Geologie gewöhnlich als Dikes bezeichnet. Darunter versteht man plattenförmige Intrusionskörper, die diskordant zu ihrem Nachbargestein verlaufen und selbst auf der Erde eine beachtliche Länge (und Volumen) erreichen können (Beispiel Great Dyke in Simbabwe, 550 km lang, bis 12 km breit). Sie entstehen, wenn in tektonischen Spalten Magma aufsteigt und dessen Volumen ausfüllt. Ist es erstarrt, dann entsteht so etwas wie ein riesiger Gesteinsgang.

Derartige Intrusionskörper kommen hauptsächlich in Form vieler, mehr oder weniger parallel angeordneter Strukturen vor, die man als Dike-Schwärme bezeichnet. Sie besitzen oft einen Konvergenzpunkt, der das Zentrum einer Diapir-induzierten Aufwölbung darstellt. Auf der Erde ist der MacKenzie-Dike-Schwarm nordwestlich der Hudson-Bay mit am besten erforscht. Sein Konvergenzpunkt befindet sich über dem MacKenzie hot spot, von dem aus sich nach Süden und Südost tektonische Risse ausgebildet haben, die von unten mit magmatischen Intrusionen verfüllt worden sind. Die aus den Spalten ausgetretenen mafischen Laven haben dabei vor mehr als 1.27 Ga eine riesige, 2 bis 3 km mächtige Flutbasaltprovinz erschaffen.


Mackenzie-Dike-Schwarm auf dem westlichen Kanadischen Schild (Slave-Kraton). Quelle USGS

Eine ähnliche Konstellation kann man auch in den tektonischen Brüchen in der östlichen Tharsis-Region mit dem Schildvulkan Pavonis Mons als Konvergenzpunkt erkennen, vorausgesetzt man deutet sie etwas unkonventionell als Dike-Schwärme (Mackenzie, Nimmo, 1999).  Diese Interpretation bietet eine Anzahl von interessanten Möglichkeiten, die besonderen morphologischen Strukturen des Valles und seiner anschließenden Ausflußtäler zu erklären.

Daß diese These nicht weit hergeholt ist, erkennt man, wenn man das Länge zu Breite-Verhältnis (Aspekt) von irdischen Dikes (die i.d.R. kürzer sind) mit denen der genannten tektonischen Gräben auf dem Mars vergleicht. Es zeigt sich gerade in diesem Parameter eine große Übereinstimmung, die eine Deutung dieser Strukturen als Spaltenintrusionen durchaus nahelegt. Wenn das in einer Spalte aufsteigende Magma die Oberfläche nicht erreicht, wird es, wenn es aufgrund der Abkühlung schrumpft, auf der Oberfläche einen flachen und schmalen Graben hinterlassen, der sich bis auf das zu geringe Aspektverhältnis kaum von gewöhnlichen tektonischen Gräben unterscheiden läßt. 

Die Interpretation der radial zu Pavonis Mons angeordneten „Schwärme“ von langen Gräben als Dikes führen in etwa zu Folgendem, hier nur vereinfacht wiedergegebenen Szenario: 

Ausgangspunkt
Vor mehr als drei Milliarden Jahren (im Noachian und frühen Hesperian) war der Bereich der Tharsis-Aufwölbung mit einer dicken Permafrostschicht bedeckt, die sehr viel Wasser (man schätzt ~ 20%) enthalten hat. Ursache könnte eine für die Vereisung dieses Gebietes günstige Lage der Rotationsachse des Planeten gewesen sein. Hinweise darauf liefern die in den Chasmatas gefundenen geschichteten Sedimente. 

Unter dem Vulkan Pavonis Mons befindet sich ein aufsteigender Ausläufer des Tharsis-Plumes, der von unten gegen die Lithosphäre drückt und dabei horizontal wirkende Zugkräfte im Gesteinsverbund erzeugt.

Dikes-Bildung und Aufschmelzung des Grundeises
Werden die Zugkräfte so groß, daß der Gesteinsverbund diesen Kräften nicht mehr widersteht, dann bilden sich eine Vielzahl von radial zum hot spot angeordnete tektonische Brüche, die sich weiten und in die sehr schnell basaltische Magmen aus der darunter liegenden Magmakammer eindringen um schließlich lange, plattenartige Intrusionskörper entstehen zu lassen – Dikes. In manchen Bereichen können dabei aber auch „klassische“ Grabenbrüche entstehen, wo deren innerer Teil in das frei werdende Volumen absinkt. Aber auch hier sind an den Brüchen Intrusionen möglich und wahrscheinlich.

Die in den Spalten aufsteigenden Magmen mit einer Temperatur von ~1500 K stellen ein großes oberflächennahes Wärmereservoir dar, daß in der Lage ist, im Laufe ihrer Abkühlungszeit eine große Menge Wasser aus dem Permafrostboden in ihrem Einflußbereich aufzuschmelzen. Dieses Schmelzwasser könnte sich u.a auch als Seen in den damals noch abflußlosen Tälern des Valles Marineris angesammelt haben.

Angenommen, das Vallis Marineris ist die Oberflächenrepresentation eines riesigen Dikes von ca. 3000 km Länge mit einem Volumen in der Größenordnung von 10^6 km³, dann sollte sein Wärmeinhalt ausreichen, auch unter Marsbedingungen eine große Menge Grundeis (wie es in den Permafrostböden der gemäßigten Breiten auch heute noch vorhanden ist) aufzuschmelzen und über mehrere Millionen Jahre flüssig zu halten. Vergleicht man die spezifische Wärme und die spezifische Schmelzwärme von Wasser (cEis = 2220 J kg^(-1)  K^(-1); LS=333 kJ kg^(-1))  mit der von Basalt (cB=1200 J kg^(-1)  K^(-1); LS=560 kJ kg^(-1)), dann kann man abschätzen, daß die Wärmemenge, die bei der Abkühlung einer basaltischen Intrusion von ca. 1500 K auf 200 K freigesetzt wird völlig ausreicht, um ungefähr die vierfache Masse dieser Intrusion an Eis zu schmelzen.  

Aufgrund der Geometrie eines Dikes (diskordant zur Umgebung aufrechtstehende Gesteinstafel) bildet sich entlang dessen Längsachse (=Grabenverlauf) auf der Oberfläche ein Bereich mit einem erhöhten Wärmefluß aus, der zu einem rechts und links der Achse abfallendem Temperaturfeld führt. Dieses Temperaturfeld und dessen zeitliche Entwicklung kann mathematisch simuliert werden, um unter mehr oder weniger plausiblen Annahmen (z.B. Wasseranteil und Schichtstärke des Permafrostbodens oder der Grundeisbedeckung) die Produktionsrate von flüssigem Wasser als Funktion der Abkühldauer des Dikes zu berechnen. Entsprechende Untersuchungen zeigen, daß dieser Mechanismus durchaus in der Lage ist, die Volumina an flüssigem Wasser zu erzeugen, um die nach anderen Verfahren bestimmten Flußraten in den Engtälern der Canyons (im Bereich des Mangala Valles ca. 2∙10^7  m³ s^(-1) bei einem Gesamtvolumen von ~2000 km³; Baker, 1982) zu erklären. Das relativ plötzliche Aufschmelzen von Permafrostboden und Grundeis durch Erwärmung von „unten“ scheint überhaupt „die Ursache“ der Entstehung von kollapsartigen Depressionen (soweit sie nicht direkt mit Brüchen zusammenfallen) mit anschließenden Ausflußtälern auf dem Mars gewesen zu sein. Auch die „Optik“ dieser Strukturen ist mit dieser Hypothese sehr gut vereinbar (siehe Kapitel „Ausflußtäler“). 

Analysiert man die Ausflußtäler, die in das Chryse-Becken münden, genauer, dann kommt man zu dem Schluß, daß sie nicht durch einen kontinuierlichen Abfluß entstanden sein können, sondern daß mehrere, episodische Ereignisse mit kurzzeitig extrem großen Flußraten (Karsei Vallis bis 10^9 m³ s^(-1)) für ihre Entstehung verantwortlich waren. Im Bereich des Valles Marineris ist es deshalb denkbar, daß sich in den vormals abflußlosen Gräben aus dem Schmelzwasser zuerst große Seen gebildet haben, die dann bei Durchbrüchen (z.B. über Coprates Chasma) plötzlich abgeflossen sind. Es ist möglich, daß sich dieser Vorgang mehr-mals wiederholt hat. Ob dieses Szenario aber auch wirklich zutrifft, müssen zukünftige Untersuchungen zeigen. 

Eine der großen Überraschungen der Mariner 9 –Mission von 1971 war die Entdeckung flußähnlicher Talstrukturen auf dem staubtrockenen Planeten, deren Interpretation zu einer wahren Herausforderung der Mars-Geologie werden sollte. Man konnte sich damals einfach noch nicht vorstellen, daß Wasser diese Flußtäler (die sich morphologisch aber durchaus von gewöhnlichen irdischen Flußtälern unterscheiden) einst in den Untergrund eingeschnitten hat, weshalb man versuchte, erst einmal andere Erklärungsmöglichkeiten in Erwägung zu ziehen. Das Spektrum reicht dabei beginnend mit vulkanischen Ursachen über die Erosion durch austretendes flüssiges Kohlendioxid bis zum Instabilwerden von Hydrokarbonatlagerstätten.  Heute gilt als sicher, daß in der Marsvergangenheit Wasser und Eis neben Vulkanismus, Impakte und Wind zwei der wesentlichsten landschaftsformenden Elemente auf der Oberfläche dieses Planeten waren.

Die Interessantesten und in ihren Parametern auch verstörendsten Zeugen aus jener Zeit sind die sogenannten „Outflow Channels“, die man an verschiedenen Stellen des Mars, am eindrucksvollsten aber im Bereich des Chryse-Beckens (wahrscheinlich eine ehemalige Impaktstruktur mit einem Durchmesser von über 1500 km) auffinden kann. Es spricht sehr viel dafür, daß sich in dieses Becken vor mehr als 3 Milliarden Jahren einmal katastrophenartig riesige Mengen von Wasser ergossen haben. Die Fließstrukturen, die diese Fluten dabei hinterließen, sind in unterschiedlicher Ausprägung bis heute erhalten geblieben und berichten von dieser Zeit. Die Erkenntnis, daß Wasser die auf den Satellitenaufnahmen sichtbaren Fließstrukturen erzeugt hat, wirft aber zugleich eine Vielzahl neuer Fragen über die Entwicklungsgeschichte des roten Planeten auf. Dazu gehört auch die spannende Frage, ob in jener fernen Vergangenheit, als flüssiges Wasser unter damals offensichtlich gemäßigten Klimabedingungen existieren konnte, auch die Entstehung von Leben möglich war. 

Nächstes Mal: Outflow Channels

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