Die großräumigen Strömungsverhältnisse einer Planetenatmosphäre lassen sich räumlich und zeitlich allein durch Beobachtungen nur sehr schwer aufklären. Die Methode der Wahl ist deshalb die numerische Modellierung in Form von „Allgemeinen Zirkulations-Modellen“ (General Circulation Models, GCM), die auf allgemein anerkannten Prinzipien der Aeronomie und deren physikalischen Gesetzmäßigkeiten beruhen. Numerische Modelle, die sich prinzipiell für alle sinnvollen Skalen (begrenzt z.B. nur durch die verfügbare Rechenkapazität und der Genauigkeit der Ausgangsdaten) entwickeln lassen, werden dann im Vergleich mit Meßwerten, die u.a. von Satelliten vor Ort gewonnen werden, sukzessive verbessert. Im Fall des Mars ergibt sich der methodische Vorteil, daß sich bereits bestehende Modelle, die für die Erdatmosphäre entwickelt wurden, relativ leicht auf den roten Planeten übertragen lassen: Die Rotationsperiode des Planeten ist mit 24 Stunden und 34 Minuten nur unwesentlich länger als die der Erde. Auch die Neigung der Rotationsachse in Bezug auf die Bahnebene ist mit der der Erde durchaus vergleichbar, was bekanntlich zu ausgeprägten Jahreszeiten führt. Darüber hinaus ist auch die Skalenhöhe der stabil geschichteten Atmosphäre mit der der Erde vergleichbar. Das ergibt im Großen und Ganzen ein Zirkulationssystem, das auf dem geostrophischen Gleichgewicht zwischen horizontalen Druckgradienten und Coriolis-Kraft beruht und deshalb dem irdischen in vielerlei Hinsicht stark ähnelt. Große Unterschiede gibt es insbesondere in den absoluten Druckverhältnissen (der Gasdruck auf der Marsoberfläche beträgt weniger als 1% des irdischen Luftdrucks), in der geringeren Schwerebeschleunigung und in der völlig andersgearteten chemischen Zusammensetzung der Marsatmosphäre. Außerdem dauert ein Marsjahr doppelt so lange als ein irdisches Jahr und auch die Bahnexzentrizität ist bedeutend größer, was wesentlichen Einfluß auf die Länge der Jahreszeiten hat. Weiterhin fehlen die Ozeane, die auf der Erde wichtige Wärmespeicher sind, auf dem Mars völlig, was wiederum den Vorteil hat, daß man die für die Erde typische komplexe Wechselwirkung zwischen Hydro- und Atmosphäre nicht modellieren muß. Dafür spielen die Polargebiete mit ihren Polkappen, die jahreszeitlich große Senken (Winter) oder Quellen (Sommer) von Kohlendioxid und Wasserdampf sind, eine sehr dominierende Rolle.
Was die Atmosphärenchemie und den Strahlungstransport in der Marsatmosphäre betrifft, braucht man für die Berücksichtigung der IR-Absorption im Wesentlichen nur die Absorptionsbanden von Kohlendioxid berücksichtigen. Das bedingt aber zugleich eine völlig andere Modellierung des Strahlungstransports im Vergleich zu den bedeutend komplizierteren irdischen Bedingungen. Einzigartig sind dagegen die auf dem Mars saisonal auftretenden globalen Staubstürme, durch die sehr viel mikroskopischer Feinstaub in die Atmosphäre gelangt und dessen Dynamik und Thermodynamik beeinflussen. Gerade die Modellierung dieses Phänomens stellt eine große Herausforderung an die Modellentwicklung dar.
In letzter Zeit werden in die Allgemeinen Zirkulationsmodelle der Marsatmosphäre mehr und mehr auch photochemische Reaktionszyklen in der Art, wie sie im vorangegangenen Kapitel behandelt wurden, eingebaut. Sie ergeben neue Einsichten über die Vorgänge, welche dem Mars eine langzeitstabile Kohlendioxidatmosphäre ermöglichen.
Die großräumige Zirkulation ähnelt in ihren Grundzügen denen der Erde. Genauso wie die Erde, wird die Marsatmosphäre „von unten“ geheizt und bildet meridionale Hadley-Zellen aus, deren Dynamik durch die Corioliskraft gestört wird. Da Ozeane fehlen und auch die Dichte der Atmosphäre im Vergleich zur Erde sehr gering ist, sind die Zirkulationsmuster im Großen und Ganzen gleichförmiger und werden im hohen Maße durch den starken Temperaturgradienten entlang der Längengrade bedingt. Außerdem sind wegen der fehlenden Pufferwirkung großer Wasserreservoire und der schlechten Wärmeleitfähigkeit der Gesteine die Temperaturgegensätze zwischen Tag und Nacht, Pol und Äquator und zwischen den Jahreszeiten sehr extrem. So werden im Sommer die höchsten Temperaturen nicht am Äquator, sondern am subsolaren Punkt (dort wo zu Mittag die Sonne im Zenit steht) erreicht. Da dieser Punkt jahreszeitlich breitenabhängig zwischen den Wendekreisen wandert, wird im gleichen Maße die einzelne, äquatoriale Hadley-Zelle mit verschoben mit der Konsequenz, daß die warme Äquatorialluft in niedere Breiten der jeweiligen Sommerhemisphäre transportiert wird. Dort können sie dann zyklonale und antizyklonale Wirbel ausbilden. Die Messungen der Viking-Lander zeigen, daß damit verbundene Wetterfronten mit einer überraschend konstanten Periode von ungefähr 3 Tagen die Landeplätze jeweils überstrichen haben. Ein Meteorologe auf dem Mars hätte zwar einen sehr langweiligen Job, aber seine Vorhersagegenauigkeit wäre wahrscheinlich um einiges besser als das seiner Kollegen auf der Erde.
Weitere wichtige Mitspieler bei der Verteilung von Energie in der Marsatmosphäre sind atmosphärische Wellen, die gewöhnlich als Rossby-Wellen bezeichnet werden. Sie sind, wie bei der Erde, mit mäandernden, ostwärts gerichteten Starkwindzonen („Jetstreams“) assoziiert. Von ihnen können sich kleinskalige Turbulenzen lösen, die sich u. U. dynamisch zu Tief- und Hochdruckgebieten entwickeln. Zyklone besitzen bekanntlich die Fähigkeit, Luftmassen anzuheben, wodurch sie sich abkühlen. Ist diese Luft mit Wasserdampf gesättigt (was im Bereich der Pole oft der Fall ist), dann kann es u.U. in 4 bis 5 km Höhe zur Wolkenbildung kommen. Aus ihnen fallen sogar vereinzelt feine Eiskristalle, wie optische Messungen des Phoenix-Landers ergeben haben. Es ist also nicht falsch, von einem Schneefall auf dem Mars zu sprechen.
Eine weitere Komponente im Zirkulationssystem des Mars sind die thermischen Gezeiten (thermal tide). Sie sind u. a. die Konsequenz der geringen Wärmeaufnahmefähigkeit der dünnen Kohlendioxidatmosphäre sowie der Eigenschaft des CO2-Moleküls, sehr effektiv Wärme im IR abzustrahlen. Aufgrund der rapiden und sehr starken Abkühlung auf der Nachtseite des Planeten bildet sich dort eine Zone sehr niedrigen Luftdrucks aus. Die Druckdifferenz zwischen Tag- und Nachtseite treibt dann zonale Ausgleichsströmungen an, wobei warme Luft von der Tag- auf die Nachtseite transportiert wird. Diese „thermischen Gezeiten“ des Mars sind aufgrund des sehr großen Temperaturgradienten in der Troposphäre (~100 K) zwischen der Tag- und Nachtseite viel intensiver als die der Erde.
Eine Besonderheit der Dynamik der Marsatmosphäre besteht in den sogenannten saisonalen Kondensationsflüssen. Darunter versteht man meridionale Strömungen, deren Ursache im Auskondensieren von - während der Wintermonate der entsprechenden Hemisphäre liegt. Durch den Niederschlag von Trockeneis verliert die Atmosphäre im Bereich der Polkappen an Substanz, was mit einer Reduktion des Gasdrucks einhergeht. Die dabei entstehenden Druckdifferenzen versuchen dann diese „Kondensationsströmungen“ auszugleichen.
Während der Wintermonate wird es an den Marspolen so kalt (unter 150 K), daß bis zu 20% des atmosphärischen Kohlendioxids ausfrieren und sich auf der Marsoberfläche ablagern. Die Marsatmosphäre verliert also im gleichen Maße an Substanz. Steigen die Temperaturen im Frühjahr wieder, dann sublimiert das Trockeneis und der Atmosphärendruck nimmt wieder zu: Der aufmerksame Astronom auf der Erde kann in seinem Fernrohr das „Abschmelzen“ der Polkappen beobachten. Dabei verhalten sich die beiden Polkappen etwas unterschiedlich. Da die Herbst- und Wintermonate auf der Nordhalbkugel kürzer sind, bleibt die von Trockeneis bedeckte Nordpolkappe stets etwas kleiner als die Südpolkappe. Die Ursache für diesen Effekt liegt an der starken Exzentrizität der Marsbahn. Kurz gesagt: Auf der Südhalbkugel sind Frühling und Sommer kurz und heiß und der Herbst und Winter lang und kalt. Auf der Nordhalbkugel ist es genau umgekehrt. Die Südpolkappe erreicht in etwa 45° südlicher Breite ihre maximale Ausdehnung, während die Nordpolkappe kaum über 50° nördlicher Breite hinausreicht.
Die durch den -Zyklus bedingten Druckänderungen liegen nach den Messungen der Viking-Lander zwischen 200 Pa und 300 Pa.
Staubstürme auf dem Mars
Daß es auf dem Mars riesige Staubstürme gibt, ist seit langem bekannt. Die ersten Beobachtungen gehen auf den französischen Astronomen Honore Flaugergues (1755-1835) zurück, der 1796 „gelbliche Wolken“ mit seinem Fernrohr auf der Marsoberfläche wahrnahm. Während der Opposition von 1924 bemerkte der deutsche Astronom Kasimir Graff (1878-1950), daß die Marsatmosphäre nur im Marshochsommer klar und durchsichtig erscheint. Davor und danach können viele bekannte Oberflächendetails wie z.B. die Große Syrte nur angetrübt oder gar nicht im Fernrohr gesehen werden. Da die eintrübenden Wolken eine deutliche rötliche Färbung aufweisen, kann es sich dabei nur um aufgewirbelten Sand oder Staub handelt.
Als 1971 Mariner 9 den roten Planeten erreichte und die an diesem Projekt beteiligten Wissenschaftler auf die ersten Detailaufnahmen der Marsoberfläche warteten, wurden sie enttäuscht. Ein Staubsturm machte die Marsatmosphäre quasi undurchsichtig und nur die großen Tharsis-Vulkane blickten wie Inseln aus dem Staubozean hervor. Erst einen Monat später hatte sich der Staub soweit abgesetzt, daß Mariner 9 mit der fotografischen Kartierung der Marsoberfläche beginnen konnte. Im Jahre 2001 ergab sich dann die Gelegenheit, die Entstehung und Entwicklung eines außergewöhnlich starken Staubsturms, der selbst auf der Erde mit bescheidenen Amateurteleskopen auszumachen war, im Detail zu untersuchen.
Aufnahmen des Mars mit dem Hubble Space Telescope. Links 10. Juni 2001 – die Atmosphäre ist noch klar. Etwas über zwei Monate später (4. September 2001, rechts) ist der gesamte Planet in feinem rötlichen Staub gehüllt. Quelle NASA
Eine Aufnahme des Hubble-Weltraumteleskops vom 26. Juni zeigt, wie sich ein Staubsturm im Bereich des Hellas-Beckens entwickelt. Bereits drei Wochen später hat er den gesamten Planeten in eine detaillose Kugel verwandelt. Die Ausbreitung dieses Sturms konnte mit Hilfe des IR-Wärmeemissions-Spektrometers (TES) von Mars Global Surveyor im Detail dokumentiert werden. Es zeigte sich, daß es sich dabei nicht um ein einziges, sich ständig vergrößerndes Phänomen handelt. Vielmehr führte das lokale Ereignis in der Hellas-Region zur Entstehung weiterer
Stürme, die oft viele tausend Kilometer voneinander entfernt waren und die sich später zu einem globalen Staubsturm vereinigten. Erst einige Monate danach klangen sie ab und die Oberflächendetails des Mars wurden wieder sichtbar.
Lokaler Staubsturm, aufgenommen vom Viking 2–Orbiter. Derartige Stürme dauern meist nur wenige Tage und treten hauptsächlich in Tiefebenen auf, wo die Gasdichte größer ist als in höheren Regionen, was den Transport der Staubpartikel vereinfacht. Manchmal vereinigen sich mehrere kleine „Stürme“ zu einem „großen“ Sturm, der dann im ungünstigsten Fall den ganzen Planeten „einstauben“ kann. Quelle NASA
Der Staub, der während eines solchen Sturms aufgewirbelt und in die Atmosphäre verfrachtet wird, ist außergewöhnlich fein, in der Größe vergleichbar mit den Rußpartikeln im Rauch einer Zigarette (ca. 1 μm). Deshalb dauert es auch oft mehrere Wochen, bis er sich nach Abklingen des Windes wieder auf der Marsoberfläche abgesetzt hat. Auf diese Weise wird der Staub sehr gleichmäßig über den Planeten verteilt. Man erkennt das daran, daß die chemische Zusammensetzung des Staubes an den verschiedenen Landeplätzen der Marssonden weitgehend identisch ist. Während eines starken Sturms wird der Staub bis in eine Höhe von ~50 Kilometern aufgewirbelt und von Winden mit Geschwindigkeiten mehr als 100 km/h über den Planeten verteilt. Äolische Prozesse stellen aus diesem Grund zumindest z.Z. den wichtigsten Erosionsfaktor auf dem Mars dar.
Zeitliche Entwicklung des Staubgehalts der Marsatmosphäre während des globalen Staubsturms, der von Mitte Juni bis Ende August 2001 auf dem Mars tobte. Die Messungen erfolgten mit dem Thermal Emission Spectrometer an Bord des Mars Global Surveyors und wurden u.a. aus der Temperaturverteilung abgeleitet. Blaue Farbtöne kennzeichnet klare, rote dagegen staubige Luft. Quelle NASA
Ein wichtiges Ergebnis der TES-Messungen des Mars Global Surveyor ist, daß sich die stauberfüllte Atmosphäre im Äquatorbereich insbesondere in ihren oberen Schichten stark erwärmte (bis über 20°C, Strahlung wird vom Staub absorbiert und danach an das umgebende Gas abgegeben, das sich dadurch erwärmt), während sich die Temperaturen im bodennahen Bereich signifikant verringerten. Der Grund dafür liegt in der hohen Opazität der Staubwolken, die das Durchdringen der Sonnenstrahlen und damit die Erwärmung der Marsoberfläche effektiv verhindern. Übrigens, auf der Erde hat man in einem anderen Zusammenhang für diese Erscheinung einmal den Begriff „Nuklearer Winter“ geprägt... Diese Abkühlung der Oberfläche ist wahrscheinlich auch ein Grund dafür, daß nach einiger Zeit die Stürme abklingen und letztendlich wieder verschwinden.
Globale Staubstürme entstehen interessanterweise nicht jedes Jahr auf dem Mars, was eine genaue Klärung ihrer Entstehungsmechanismen erschwert. Nach Meinung einiger Planetenforscher scheinen hier einige subtile Rückkopplungsmechanismen zwischen Staubgehalt der Atmosphäre, den großräumigen Strömungsverhältnissen und der saisonal sich ändernden Einstrahlung der Sonne zu wirken. Auch die Größe und Ausdehnung der Polkappen scheint eine Rolle zu spielen.
Nächstes Mal: Die Marsatmosphäre IV - Kleinräumige Zirkulation
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