Donnerstag, 8. Oktober 2015

Die kleiderfressende Motte und das Massaker auf dem Marsfeld sowie eine Sternstunde der Menschheit

Die bücher- und kleiderfressende Motte

In Schriften aus dem 13. Jahrhundert wird aber bereits auf die bücherzerstörende Wirkung von „Motten“ hingewiesen. Echte „Motten“ galten aber in erster Linie als Zerstörer von Textilien, die zur Aufbewahrung und nur gelegentlichen Nutzung in Kleiderschränken oder anderen geschlossenen Behältnissen gelagert wurden. Und solch ein „Kleiderbehältnis“ hat irgendwann einmal die winzig kleine Kleidermotte (Tineola bisselliella) als neuen Biotop erkoren (ihre Raupe lebte ursprünglich in Vogelnestern) und sich damit zum Feind der Menschen gemacht. 


Selbst die Assyrer vor mehr als 2800 Jahren hatten es schon mit diesem Schädling zu tun bekommen. Seitdem zieht sich durch die Geschichte der Mode auch die Geschichte der Mottenbekämpfung, die mit der Erfindung der Mottenkugel Ende des 19. Jahrhunderts einen ersten Höhepunkt erreichte. 

Naphthalin

Das Zaubermittel hieß Naphthalin, ein weißer, aus Teer extrahierter Stoff, der nach – ja was schon – Mottenkugeln riecht. Und diesen Geruch vertragen die Mottenraupen nicht und gehen daran ein. Den Vorteil mottenraupenfraßlochfreier Garderobe musste man sich mit mottenkugelriechender Kleidung erkaufen, weshalb man schon bald nach Alternativen Ausschau hielt. 


Die „Chemie“ war in dieser Beziehung sehr erfolgreich, und moderne Textilien beinhalten oftmals bereits Substanzen, die den Kleidermotten den Appetit verderben. Aus diesem Grund ist es heute auch nicht mehr üblich, Kleider und Röcke den Winter oder den Sommer über (je nach Kleidungsart) „einzumotten“. Und nur den Lepidopterologen stimmt es traurig, dass dieser kleine Schmetterling langsam immer seltener wird. 

Der Rock und das darunter...

Als „Rock“ wurde im Mittelalter gewöhnlich ein Obergewand mit Ärmeln, welches sowohl von Männlein als auch von Weiblein getragen wurde, bezeichnet. Und zwar nicht etwa, weil es „stein-farben“ war, wie ein Anglist vielleicht vermuten würde, sondern weil sich dieser Begriff von dem althochdeutschen „roc“ (=Gespinst) oder „ruc“ (=“spinnen“) ableitet. Vor dem Aufkommen der Hose (bei Männern) oder des Höschens (bei Frauen), war er bei der minderbemittelten Kaste des Volkes neben langen Strümpfen oftmals das einzige Kleidungsstück und reichte bei den Herren bis etwa zum Knie und bei den Frauen bis zu den Fußknöcheln. Darunter wurde gewöhnlich nichts getragen, ein Sachverhalt, der bekanntlich in früheren Zeiten bei den Schotten bei kriegerischen Auseinandersetzungen als psychologische Waffe eingesetzt wurde. Der Rock, und zwar der Damenrock, genaugenommen dasjenige, was er zu verbergen suchte, erlangte genau zwei Jahre nach dem Sturm auf die Bastille, dem Auslöser der Französischen Revolution, sogar eine gewisse weltpolitische Bedeutung. 

Das Massaker auf dem Marsfeld

Ich meine damit das furchtbare Massaker auf dem „Feld der Föderation“, allgemein „Marsfeld“ (Champs de Mars) genannt, am 17. Juli 1791 in Paris. An diesem, wie die Geschichtsschreiber berichten, ausnehmend schönen Tag, war eine Massenversammlung der republikanischen Partei angesetzt, bei der das Volk aufgerufen wurde, ihre Unterschrift unter ein Memorandum zur Entthronung des gefangengesetzten Königs Ludwig XVI. zu setzen.


Dazu war eine hölzerne Tribüne aufgebaut worden, wo die Petition auf dem „Altar des Vaterlandes“ zur Unterzeichnung auslag. Das war natürlich nicht im Sinne der Royalisten, weshalb sich eine gewisse angespannte Lage eingestellt hatte. Hinauf zur Tribüne führte eine breite hölzerne Treppe, welche die zur Unterschrift bereiten Bürger – und Bürgerinnen mit ihren langen Röcken (und nichts darunter) – emporsteigen musste. Und das „nichts darunter“ interessierte zwei junge Männer, die sich deshalb schon recht früh, ausgestattet mit Proviant und einem kleinen Fässchen Wein (es waren ja Franzosen), unter diese Treppe begaben und in die sie, zwecks einer besseren Sicht, zuvor ein paar Löcher gebohrt hatten. Aber die Unternehmung ging gründlich schief. 

Da werden Weiber zu Hyänen

Ein paar Frauen entdeckten die Voyeure und begannen sie ganz arg zu verdreschen gemäß der Schiller’schen Erkenntnis, dass bei sowas „...Weiber zu Hyänen…“ werden. Inzwischen verbreitete sich in Blitzeseile das Gerücht, dass man unter der Treppe zwei royalistische Spione mit einem Fass voller Pulver entdeckt habe, die den „Altar des Vaterlandes“ in die Luft sprengen wollten. Jetzt mischten sich auch wütende Männer in die Händel ein, aber nicht mit Füßen und Fäusten, wie es die Damen taten, sondern gleich mit einem Messer in der Hand. Nach einer Version des Geschehens stach man die beiden nieder, schnitt ihnen die Köpfe ab, steckte diese auf Stangen und trug sie triumphierend über den Platz. Nach einer anderen und glaubhafteren Version hat man sie ohne viel Federlesen einfach an der nächsten Laterne aufgehängt. Der damit verbundene Aufruhr alarmierte das royalistisch eingestellte Militär unter Marie-Joseph Motier, Marquis de La Fayette (1757-1834), welches dann auch von der aufgebrachten Menschenmenge – alle Republikaner - mit Steinen beworfen wurden. Und irgendwann löste sich der erste Schuss. Und kurze Zeit später lagen über hundert von ihnen (nach neueren Forschungen sollen es höchstens 50 gewesen sein) tot um den „Altar des Vaterlandes“ herum. Der Rest ist schnell erzählt. La Fayette verlor seine Reputation unter dem Volk, Danton floh nach England, Desmoulins und Marat in den Untergrund. Viele weitere wurden in Gewahrsam genommen. Und am 21. Januar 1793 wurde schließlich Ludwig XVI. und am 16. Oktober des gleichen Jahres auch seine Frau Marie-Antionette (die mit dem Kuchen) von dem berühmten und wegen seiner Kunstfertigkeit hoch angesehenen Pariser Henker Charles-Henry Sanson mittels der von einem heute vom Namen her immer noch bekannten Arzt erfundenen Maschine enthauptet. Es ist sicherlich amüsant sich auszumalen, was passiert wäre, wenn damals die Damen bereits Unterwäsche und kürzere Röcke getragen hätten… 

Sternstunden der Menschheit

Es gibt immer wieder auf den ersten Blick unbedeutende Ereignisse, welche die Weltgeschichte in die eine oder andere Richtung umzulenken vermögen. Eine spezielle Gruppe derartiger Ereignisse hat Stefan Zweig (1881-1942) einmal „Sternstunden der Menschheit“ genannt. Sein gleichnamiges schmales Büchlein von 1927 bzw. (die Erweiterung) von 1943 sollte eigentlich jeder einmal gelesen haben. Ich möchte hier nur drei „Sternstunden“ kurz erwähnen, die mich besonders stark beeindruckt haben: „Die Eroberung Byzanz’s“ im Jahre 1453 durch Sultan Mehmed II.; „Leo Tolstois Tod“ und der „Kampf um den Südpol“ – die tragische Geschichte des Polarforschers Robert Falcon Scott (1868-1912).

... wenn nicht bleibt der Ruhm? - Robert Falcon Scott


Was bleibt, was bleibt nach dem Tode, wenn nicht bleibt, wenn nicht bleibt der Ruhm? – Große Tat, großes Menschentum!“ heißt es in dem Song von „Stern Meißen“ aus dem Jahre 1976, die sich von dieser Geschichte inspiriert fühlten (der Text, der leicht im Internet zu finden ist, stammt übrigens von Kurt Demmler). Robert Falcon Scott war genauso wie sein Widersacher Roald Amundsen (1872-1928) kein Anfänger in Polardingen, als er am 1. November 1911 seinen Marsch ohne Wiederkehr in Richtung Südpol antrat. Er hatte zu diesem Zeitpunkt zusammen mit Edward Adrian Wilson (1872-1912) und Ernest Shackleton (1874-1922) schon einmal den Versuch unternommen, den Südpol zu erreichen. Während der sogenannten Discovery-Expedition (benannt nach dem Schiff, welches sie in die Antarktis trug) überschritt er immerhin den 82. südlichen Breitengrad, was damals ein Rekord war. Wenn einer den Südpol erreichen konnte, dann wer, wenn nicht er. Und so bereitete er sich und seine Begleiter, darunter wieder der Ornithologe Edward A. Wilson, auf eine neue Expedition vor, die als „Terra-Nova-Expedition“ (auch hier war wieder das Schiff der Namensgeber) in die Geschichte der Polarforschung eingegangen ist. Sie verlief dahingehend erfolgreich, dass Scott und seine drei Gefährten (Edward A. Wilson, Henry R. Bowers und Edgar Evans) am 17. Januar 1912 ihr Ziel, den Südpol, erreichten. Aber dort war bereits knapp 5 Wochen zuvor der Norweger Roald Amundsen im Rahmen der Amundsen-Fram-Expedition (am 14. Dezember 1911) angekommen und hatte als Zeichen seines Erfolges die norwegische Fahne gehisst. Der Rückweg der Briten über das Ross-Schelfeis gestaltete sich danach desaströs und endete mit dem Tod der letzten drei Expeditionsteilnehmer um den 29. März 1912, nach dem Edgar Evans bereits zuvor an den Folgen eines Unfalls (er fiel in eine Gletscherspalte und erlitt eine Gehirnerschütterung, von der er sich unter den strapaziösen Bedingungen der Antarktis nicht mehr erholt hat) verstorben war. Dieser Rückmarsch über 1000 Kilometer lässt sich sehr gut rekonstruieren, da Robert Scott regelmäßig Tagebuch geführt hatte, welches man später, im November 1912, zusammen mit seinen sterblichen Überresten auffand. In der Folgezeit wurde diese Expedition als tragisches Wettrennen zwischen Scott und Amundsen verklärt und in vielerlei Art literarisch verarbeitet. „Was bleibt nach dem Tode, wenn nicht bleibt, wenn nicht bleibt der Ruhm?“, heißt es, wie gesagt, bei „Stern Meißen“. Die in das Eis des antarktischen Rosseis-Schilds eingeschlossenen Leichen von Scott, Wilson und Bowers werden durch die Gletscherdrift wahrscheinlich um das Jahr 2270 in das Rossmeer entlassen. 

Der Walfänger „Terra nova“

Ihre heutige Position ist unbekannt. Interessant ist auch die Geschichte des von der Scott-Expedition verwendeten, polartauglichen Seglers „Terra nova“, eines ehemaligen Walfängers. Sie war insgesamt fast 60 Jahre in den Polarmeeren beider Hemisphären unterwegs, bis sie dann 1943 bei einer Kollision mit einem Eisberg vor Grönland sank (die 24-köpfige Besatzung konnte damals von der US-Küstenwache gerettet werden).
...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de Interessante Blogs Blog-Webkatalog.de - das Blogverzeichnis