Freitag, 18. Februar 2011

Essay: Weltraumwetter extrem - Gammastrahlungsausbrüche in der Sonnenumgebung

Es gibt Szenarien im Kosmos, da möchte man eigentlich nicht unmittelbar dabei sein. In Bezug auf das Thema dieses Essays betrifft das z.B. die bis vor kurzem noch geheimnisvollen Gammastrahlenausbrüche, die in ihrer Zerstörungskraft auf lebende Systeme als die Wasserstoffbomben des kosmischen Raumes bezeichnet werden können. Sie zeigen, daß der Kosmos im Allgemeinen ein sehr gefährlicher Ort für das Leben ist und wo es genaugenommen nur in sehr exotischen Refugien wie auf der Erde über Jahrmilliarden hinweg mehr oder weniger ungestört existieren kann. 

Gegen kosmische Einflüsse in Form intensiver Strahlungsburst, soweit sie ein bestimmtes Maß nicht übersteigen, ist der Planet Erde mehrfach geschützt. Das beginnt mit der verhältnismäßig dichten Atmosphäre (Stichwort Ozonschicht), setzt sich über die Magnetosphäre fort, die ein wirksames Schild gegenüber geladenen Teilchen (insbesondere die der Sonne) darstellt und endet an der Heliosphärengrenze, wo ein gewisser Schutz gegenüber geladenen Teilchen aus dem galaktischen und interstellaren Raum aufgebaut wird. Diese Schutzmechanismen können versagen, wenn es in unmittelbarer Nähe (wobei der Begriff „unmittelbar“ so zu fassen ist, daß der damit beschriebene Raumbereich von der Art der kosmischen Bedrohung, ob Nova-, Supernova-, oder Hypernovaausbruch sowie eines Gamma Ray Burst abhängt) zu einem kosmischen Ereignis mit extremer Energiefreisetzung kommt. Die galaktische Sterndichte in der Sonnenumgebung ist jedoch glücklicherweise so gering, daß – und das ist die gute Nachricht – die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses als äußerst gering einzustufen ist. Anders wäre es, wenn die Sonne im inneren Bulge-Bereich unserer Milchstraße ihre Bahn ziehen würde. Aufgrund der hohen Sterndichte hätten sich im Laufe der letzten Milliarden Jahren in dieser Zone immer wieder einmal Supernovaexplosionen in Sonnennähe ereignet, die sicherlich nicht ohne Folgen für die irdische Biosphäre geblieben wären. Aus diesem Grund halten es die Astrobiologen auch kaum für möglich, daß es im Kernbereich von Galaxien Sterne mit Planeten gibt, auf denen sich (höheres) Leben entwickelt hat: Oder kurz gesagt, der Bulge einer Galaxie liegt außerhalb der sogenannten galaktischen habitablen Zone, innerhalb der auf geeigneten Planeten dauerhaft Leben möglich sein sollte.

Um zu verstehen, warum Gammastrahlungsausbrüche so extrem gefährlich sind, muß man erst einmal verstehen, wie es eigentlich dazu kommt. Eine einigermaßen plausible Theorie geht davon aus, daß eine ihrer Ursachen in der Vereinigung zweier Neutronensterne liegt (eine andere Möglichkeit besteht im Kernkollaps eines supermassiven Sterns in Form einer Hypernova), die bei diesem Prozeß gemeinsam zu einem Schwarzen Loch kollabieren. Die Dynamik dieses Prozesses stellt sich dabei in etwa und ohne zu sehr ins Detail zu gehen wie folgt dar:
  • Zwei Neutronensterne mit einer Masse um jeweils ~ 1.5 Sonnenmassen bewegen sich um ihren gemeinsamen Schwerpunkt, wobei kontinuierlich Gravitationswellenstrahlung emittiert wird, die dem Doppelsternsystem Energie entzieht. Dabei entsteht eine Spiralbewegung, die dazu führt, daß sich beide Objekte immer schneller immer mehr annähern, bis sie sich irgendwann einmal berühren. Genau zu diesem Zeitpunkt treten die Vorgänge auf, die zu einer massiven Emission hochenergetischer Gammaquanten führen.
  • Bei der Vereinigung der beiden kompakten Objekte entstehen entlang der magnetischen Achse zwei entgegengesetzt gerichtete Strahlungskegel (Jets) geringem Öffnungswinkel, über die extrem energiereiche Gammastrahlung emittiert wird. Liegt die Erde zufällig innerhalb dieses Strahlungskegels, dann beobachtet man einen Gammastrahlenblitz. Dieser „Blitz“ ist sehr kurz (nur wenige Sekunde bis höchstens ein paar Minuten), kann dabei aber eine Intensität erreichen, die der Leuchtkraft von einigen Hundert Millionen von Galaxien entspricht. Obwohl diese Energie wahrscheinlich nur entlang dieser engen Strahlungskegel emittiert wird, kann die darüber freigesetzte Strahlungsleistung den Wert von 10^44 W deutlich übersteigen (Quasare erreichen eine Strahlungsleistung von maximal 10^40 W).
Der Gammablitz selbst entsteht sekundär durch Stoßwellen, die mit nahezu Lichtgeschwindigkeit durch das Gas der Umgebung rasen und dabei Photonen über den inversen Compton-Effekt in den hochenergetischen Gamma-Bereich (E>250 keV) puschen. Er wird durch einen langandauernden Strom hochenergetischer kosmischer Partikelstrahlung gefolgt, welcher die eigentliche Gefahrenquelle für lebende Systeme darstellt, da er in der Lage ist, die genannten „Schutzschilde“ zu überwinden.

Erdsatelliten beobachten ungefähr einen Gammablitz pro Tag, die in ihrer Gesamtheit nahezu gleichverteilt über den Himmel auftreten, was ein sicheres Indiz dafür ist, daß sie extragalaktischen Ursprungs sind. Die Statistik sagt auch aus, daß die Wahrscheinlichkeit, daß solch ein Ereignis in absehbarer Zeit in unserer eigenen Milchstraße auftreten könnte, nahezu Null ist. Andererseits kennt man in der Milchstraße einige wenige Doppelpulsare, die aus zwei Neutronensternen bestehen und die zumindest potentielle Kandidaten für einen Gammastrahlungsausbruch in unserer Nachbarschaft sind. Außerdem kennt man noch eine kleine Anzahl extrem massereicher Sterne (z.B. WR 104 im Sternbild Schütze), die über kurz oder lang als Super-oder Hypernova explodieren werden.  Und es gibt sogar nach Meinung einiger Paläontologen Hinweise darauf, daß das Massenaussterben am Ende des Zeitalters des Ordoviziums (d.h. vor 440 Millionen Jahren), dem  über 100 Familien mariner Organismen zum Opfer gefallen sind (Tiere und Pflanzen auf dem Land gab es zu dieser Zeit noch nicht), durch die Wirkungen eines Gammastrahlungsausbruchs in unserer Galaxie verursacht wurde (A.Melott, 2004). 

Jetzt etwas Science Fiction. Was würde also passieren, wenn es in der Umgebung unserer Sonne (d.h. in einem Raumbereich mit einem Durchmesser von 8000 Lichtjahren) zu einem solchen Gamma Ray Burst kommen sollte? 

Von einer Sekunde zur anderen würde ohne Vorwarnung die hochenergetische Gammastrahlung auf die obere Erdatmosphäre treffen, die sie aber nicht durchdringen kann. Vielmehr würde die Energie der Gammaquanten über viele Stufen durch Stöße in Teilchenschauer umgewandelt werden, die mit fast Lichtgeschwindigkeit in die tieferen Schichten der Erdatmosphäre rasen und dabei entlang ihres Weges eine intensiv blau leuchtenden Kegel aus Cherenkov-Strahlung erzeugen. Am Himmel würde man deshalb in Richtung der Gammastrahlenquelle für eine gewisse Zeit einen etwa doppelt vollmondgroßen und auch etwa gleich  hellen runden blauen Fleck wahrnehmen. Obwohl die Gammastrahlung nicht bis zum Erdboden vordringen kann, wäre ihre Wirkung bereits jetzt fatal: Durch photochemische Prozesse würde innerhalb kürzester Zeit ein Umbau in der Chemie der oberen Atmosphäre erfolgen und zwar derart, daß die Ozonschicht weitgehend verlorengeht und riesige Mengen von Stickoxiden entstehen. Sie sind in der Lage, sich an Aerosole zu binden, die wiederum sehr effektiv Sonnenlicht im optischen Spektralbereich absorbieren (Stichwort Smog). Damit ändert sich kurzfristig der Strahlungshaushalt der Erde, was letztendlich zu einer globalen Abkühlung gemäß dem Szenario des „nuklearen Winters“ führen würde. Damit aber nicht genug. Wenn die Aerosole in der unteren Troposphäre ausgewaschen werden, entsteht Salpetersäure und damit saurer Regen mit all seinen fatalen Folgen für die Pflanzenwelt. Saurer Regen, Verlust des Schutzschildes gegenüber der UV-Strahlung der Sonne sowie ein rapider Temperaturabfall würden allein schon die meisten Ökosysteme an Land zusammen brechen lassen. Aber es kommt noch schlimmer. Die ultimative Gefahr für das Leben auf der Erde ist jedoch die intensive und extrem energiereiche Partikelstrahlung, die dem Gammastrahlungsimpuls ein paar Tage später folgt und viele Monate anhalten kann. Deren Energie ist so gewaltig, daß  (was die geladene Komponente betrifft) die Teilchenströme das Erdmagnetfeld mühelos überwinden können. Abgebremst in der Erdatmosphäre entwickeln sie gewaltige Schauer von Sekundärteilchen (z.B. Myonen), die einige Hundert Meter des Erdbodens und vielleicht sogar einige Tausend Meter der Ozeane durchdringen können und dort alles höhere Leben töten oder zumindest stark schädigen würde. Außerdem käme es durch Kernwechselwirkungen zur Bildung von einer Vielzahl von radioaktiven Stoffen mit unterschiedlicher Halbwertszeit, die allein schon für Jahrtausende die Erde unbewohnbar machten.
  
Sehr wesentlich dafür, ob das Leben auf der Erde einen solchen Ausbruch überleben kann, hängt auch von der Richtung der einfallenden Partikelstrahlung (und natürlich in erster Linie von deren Intensität respektive Entfernung der Quelle) ab. Wenn sich der Ort des Gammastrahlenausbruchs über eine der beiden Pole der Erde befindet, dann könnte der Erdkörper selbst die jeweils andere Hemisphäre zumindest teilweise abschirmen. Befindet sich dagegen die Gammastrahlenquelle im Bereich des Himmelsäquators, dann spielte die Erde die Rolle eines Brathähnchens, das am Spieß drehend von allen Seiten gleichmäßig gegrillt wird … Keine wirklich beruhigende Aussicht.

Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit, daß dieses Szenario einmal wahr werden könnte, so extrem gering, daß man sich darüber eigentlich (bis auf das akademische Interesse) keine weiteren Gedanken zu machen braucht. Das Beispiel Ordovizium (wenn denn das vor 440 Millionen Jahren stattgefundene Massenaussterben ursächlich wirklich etwas mit einem Gammablitz zu tun gehabt hat) zeigt aber, daß sogar sehr weit entfernte (einige kpc) violente kosmische Ereignisse einem belebten Planeten durchaus gefährlich werden kann. Wenn man also abschätzen möchte (z.B. anhand der Drake-Gleichung), wie viele „Zivilisationen“ es im zugänglichen Weltall gibt, muß man auch das Auftreten derartiger katastrophaler Weltraumwetterereignisse mit ins Kalkül einbeziehen.

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