Sonntag, 17. April 2011

Essay: Das Gehirn in der Nährlösung...

Im 18. Jahrhundert gab es den sogenannten "Gelehrten" als Beruf. Das waren meist mehr oder weniger wohlhabende Personen, die sich, frei von materiellen Sorgen, geistigen und wissenschaftlichen Dingen widmen konnten und damit in ihrer Gesellschaft ein gewisses Prestige aufbauten. Ich möchte hier nur kurz an Johann Burckhard Mencke aus Leipzig erinnern, der von 1674 bis 1732 lebte. Sein größtes Verdienst war die Herausgabe der dreibändigen "Scriptores rervm Germanicarvm praecipve Saxonicarvm", die dem  Geschichtsforscher noch heute wichtiges Quellenmaterial liefert. Das soll aber nicht das Thema sein. Es geht vielmehr um einen Satz aus seinem 1716 erschienenen Werk "Charlataneria eruditorum" (ja, Burckhard Mencke hat mit dem Wort "Scharlatan" den deutschen Sprachschatz nicht unwesentlich erweitert!). Dort heißt es: "...Daß Sie die Einzigen in der Welt sind; jedewede anderen würden nur existieren in deren eigenen Gedanken ...". Womit wir bei einem Paradox angelangt sind, welches ich Ihnen kurz beschreiben möchte.

Also von vorn. Jeder von uns besitzt einen Computer, und Forschungsinstitute Supercomputer, deren Rechenleistung mittlerweile die 2.5 Teraflop-Grenze überschritten haben. Und diese Rechenleistung wird (entsprechend dem Moor'schen Gesetz) in der Zukunft weiter steigen. Mit ihrer Hilfe kann man auf der Grundlage bekannter Naturgesetze und leistungsfähiger mathematischer Verfahren hochkomplexe Vorgänge simulieren, die einem experimentellen Zugang nur schwer oder gar nicht zugänglich sind. Ich denke hier an die Wettervorhersage, an die Simulation von Atombombenexplosionen oder sogar um die Simulation des "Urknalls" und der sich daraus ergebenden kosmischen Strukturbildungsprozesse. Offensichtlich können Naturerscheinungen in beliebiger Komplexität mathematisch simuliert werden, wenn die dazu benötigte Rechenleistung zur Verfügung steht (dieser Satz ist so nicht ganz richtig, da sowohl die Mathematik (Gödels Theorem) als auch die Physik (Quantenmechanik) dem prinzipielle Grenzen setzt, aber wir wollen das mal außer Acht lassen).


Und nun ein weiterer Schritt. Uns Menschen macht unser Gehirn aus. Alles, was wir mit unseren Sinnesorganen wahrnehmen, gelangt in Form elektrischer Impulse in unser Gehirn und läßt darin die Welt entstehen, von deren von uns unabhängigen Existenz wir zutiefst überzeugt sind. Licht der Sonne, welches eine Rose reflektiert, gelangt durch die Linse unserer Augen auf die Netzhaut, wo ein verkehrt herum angeordnetes, verzerrtes und verkleinertes Bild dieser Rose entsteht, welches von Rezeptoren in Form von Stäbchen und Zäpfchen über komplexe biochemische Vorgänge in elektrische Signale umgewandelt wird. Diese Signale laufen in Nervenbahnen in das Gehirn, wo es das Bild der Rose entzerrt und in einen dem Bewußtsein zugänglichen Sinneseindruck umwandelt. Weitere elektrische Nervenimpulse treffen gleichzeitig von den Zellen der Nasenschleimhaut ein und wir vernehmen einen feinen Rosenduft zu spüren. Und wenn unsere Finger sich am Stachel der Rose verletzen, so registriert auch das unser Gehirn in Form wohldefinierter schwacher Nervenimpulse. Alle diese elektrischen Pulse können heute gemessen werden. Und nur diese elektrischen Impulse sind es, die in unserem Gehirn eine Welt entstehen lassen, die uns "Denken" und "Handeln" lassen und unser gesamtes Gefühlsleben bestimmen. 

Und jetzt stellen wir uns vor, daß unser Gehirn in einem Laboratorium in einer delikaten Nährbrühe schwimmt und alle einlaufenden Nerven an einen Supercomputer angedockt sind, welcher die "Außenwelt" simuliert und zwar so, daß jede einzelne der Millionen einlaufenden Nerven mit dieser Maschine verbunden ist und diese Maschine genau die gleichen Impulse produziert, wie es gewöhnlich die Sinnesorgane tun. Und daß diese Maschine gerade eine Rose simuliert mit ihrer typischen Form, ihrer satten roten Farbe, den wohlfeilen Duft und den Stacheln an ihrem Stengel sowie auch die Hand, die sie hält. Und daß diese Maschine dabei genau die gleichen schwachen Impulse produziert, wie sonst die Sinnesorgane. Und daß sie diese Impulse diesmal an keinen Monitor und auch an keinen Lautsprecher sendet, sondern über die angeschlossenen Nervenbahnen an ihr Retortengehirn in der delikaten Nährbrühe. Dann entsteht in diesem "Retortengehirn" die eindeutige Illusion einer Rose in ihrer satten roten Farbe, ihrem Duft und den Stacheln an ihrem Stengel. Und wenn Sie (d.h. ihr Gehirn in der delikaten Nährbrühe) dabei noch Vogelgezwitscher hören und sie im Hintergrund blaue Berge sehen und über sich weiße Wolken an einem blauen Himmel, dann ist das auch nur eine Illusion und Folge der Simulation. Selbst wenn Sie spüren (und das scheinbar willentlich veranlaßt haben), wie ihre Hand durch ihre Haare streicht, so ist das nur Simulation. Und das verstörendste daran ist, es gibt für Sie (und für mich etc.) keine Möglichkeit, unsere reale Existenz und die einer Existenz als "Retortengehirn" irgendwie zu unterscheiden. Und die große philosophische Frage, die daran hängt (siehe Eingangszitat von Johann Burckhard Mencke), ist die: Durch was können wir sicher sein, daß so etwas wie eine "Außenwelt" wirklich existiert?   

Die Quintessenz dieser Überlegungen ist, daß wir keinesfalls sicher sein können, daß eine Außenwelt existiert, daß sich unser Bewußtsein in einem Gehirn befindet und daß sich dieses Gehirn in einem Körper befindet. Es handelt sich um  ein prinzipielles Problem, welches mit den Mitteln der Wissenschaft offensichtlich nicht zu lösen ist (jede wissenschaftliche Erkenntnis, die wir in uns aufnehmen, kann natürlich in dem hier beschriebenen Sinn auch "simuliert" sein). 

Sie halten das alles für Unsinn? Ich auch. Aber denken Sie einmal darüber nach. Und schauen Sie sich gelegentlich wieder mal den Film "Matrix" an...

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1 Kommentar:

  1. Im letzten Heft "Spektrum der Wissenschaft" (5/11) gibt es einen passenden Artikel zum Thema:

    "Was können wir von der Welt wissen?"

    Lesen lohnt sich ...

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