Liest man Astronomielehrbücher aus dem 18. und dem frühen und mittleren 19.Jahrhundert (z.B. bei Google-Bücher), dann findet man kaum etwas darüber, was Sterne eigentlich sind, was sie leuchten läßt und - mit Ausnahme der Sonne - wie groß sie sind. Das ist auch verständlich, weil zu jener Zeit weder die theoretischen noch die instrumentellen Voraussetzungen für die Beantwortung der Frage, was Sterne physikalisch darstellen und wie sie funktionieren, zur Verfügung standen. So ist es auch nicht verwunderlich (und es klingt eigentlich nur vom heutigen Standpunkt aus kurios), daß man z.B. die Sonnenflecken als „Löcher“ in der glühend heißen Photosphäre der Sonne angesehen hat - durch die man den kühleren und dadurch dunkleren Sonnenkörper sehen konnte. Aber nach und nach begann man zu ahnen, daß Sterne (einschließlich der Sonne) in Wirklichkeit riesige glühende Gaskugeln unterschiedlicher Größe und Temperatur sind. Die erste wissenschaftliche Untersuchung, ob und inwieweit solche glühende Gaskugeln stabil sind und ob sie sich als Stern- (bzw. Sonnen-) Modell eignen, stammt von JONATHAN HOMER LANE (1819-1880). In seiner Arbeit „Über die theoretische Temperatur der Sonne aufgrund der Hypothese einer gasförmigen Masse, die ihr Volumen infolge ihrer inneren Wärme aufrecht erhält, und die den Gasgesetzen gehorcht, wie sie aus irdischen Versuchen bekannt sind“, die in der Juli-Ausgabe des American Journal of Science vom Jahre 1870 veröffentlicht wurde, zeigte er, daß in jedem Punkt des Sonneninneren die nach innen wirkende gravitative Anziehungskraft durch den nach außen wirkenden Gasdruck ausgeglichen werden muß, damit die Sonne über lange Zeit stabil bleibt. Er ging bei seinen Überlegungen von einer sehr einfachen Beziehung zwischen Druck und Dichte aus, die man unter der Annahme eines einatomigen Gases
schreiben kann (C ist eine Konstante). Außerdem ging er davon aus, daß die Dichte im Sonneninneren ungefähr das 1.4 fache der Dichte des Wassers beträgt. Mit diesen Annahmen berechnete er den Temperaturverlauf über den Radius der Sonne, um dadurch auf die (damals noch unbekannte) Temperatur der „Sonnenoberfläche“ schließen zu können. Obwohl sein prinzipielles Herangehen richtig war, hielten seine Ergebnisse späteren Untersuchungen und Beobachtungen nicht stand. Erwähnenswert ist aber eine weitere Erkenntnis, die in dieser Form zum ersten Mal von J.H.LANE ausgesprochen wurde und die intuitiv nicht unbedingt sofort einsichtig ist: Unter der Voraussetzung eines idealen Gases nimmt die Temperatur eines Sterns zu, wenn dieser Stern gravitativ bedingt kontrahiert. Diese wichtige Erkenntnis wurde später von WILLIAM THOMSON (Lord Kelvin,1824-1907) und HERMANN VON HELMHOLTZ (1821-1894) aufgegriffen, um eine erste Theorie der Energieerzeugung in Sternen zu etablieren. Dazu muß man wissen, das man zu jener Zeit (richtigerweise) davon ausging, daß Sterne durch eine gravitativ bedingte Kontraktion entstehen und zwar derart, daß sie im Laufe der Zeit immer kompakter, also dichter, werden (was, wie wir heute wissen, so nicht richtig ist). Die kompaktesten Sterne sollten damit auch die ältesten sein. Die Frage, ob diese Kontraktion mit einer „Kühlung“ des Sterns oder mit dessen Aufheizung einhergeht, konnten AUGUST RITTER (1826-1908) und Lord Kelvin aus einem Ergebnis aus Lane’s Arbeit zu Gunsten der Aufheizung eindeutig ableiten. Noch viele Jahre später sprach man in diesem Zusammenhang von „Lane’s Gesetz“.
Die Argumente, die J.H.LANE in seiner Arbeit verwendet hat, gelten im Prinzip noch heute und werden unter dem Begriff des hydrodynamischen Gleichgewichts zusammengefaßt. Er adaptierte aber auch den Begriff des konvektiven Gleichgewichts, welches auf WILLIAM THOMSON zurückgeht, um die Stabilität der Sonne zu erklären.
Gerade im ausgehenden 19.Jahrhundert hatte sich die Thermodynamik, die sich u.a. mit dem Verhalten von Gasen unter verschiedenen Temperatur- und Druckverhältnissen beschäftigt, zu einer auch unter dem Gesichtspunkt der praktischen Anwendungen wichtigen Wissensgebiet entwickelt. Um die Gesetze der Thermodynamik seinen Studenten näher zu bringen, hatte der an der Technischen Universität von München lehrende Professor für Physik und Meteorologie ROBERT EMDEN (1862-1940) genau diese Gesetze auf sogenannte „polytrope“ Gaskugeln angewendet ohne von Anfang an gleich zu wissen, daß er damit die Theorie des Sterninneren quasi begründete. Auf diese Weise entstand schließlich sein Buch „Gaskugeln: Anwendungen der mechanischen Wärmetheorie auf kosmologische und meteorologische Probleme“, welches 1907 erschien und noch heute als wegweisend für die Theorie der Sterne gilt. Er war ein Freund von KARL SCHWARZSCHILD (1873-1916), dessen Schwester er 1908 ehelichte. Wie bereits im Kapitel über die solare Photosphäre erwähnt wurde, lieferte KARL SCHWARZSCHILD wesentliche Erkenntnisse über die Strahlungstransportmechanismen der Sonnenatmosphäre, wobei es ihm gelang, aus dem Effekt der Randverdunklung auf den ursächlich dafür verantwortlichen radialen Temperaturgradienten zu schließen.
Ungefähr zur gleichen Zeit begann sich Sir JAMES HOPWOOD JEANS (1877-1946) mit der Physik der Sterne zu beschäftigen, wobei er u.a. die Bedingungen für den Kollaps einer ausgedehnten Gaswolke zu einem Stern entdeckte (Jeans-Kriterium).
Wie weit man mit einer Theorie des Sternaufbaus kommen kann auch ohne die Energieerzeugungsmechanismen, die zu der beobachteten Leuchtkraft der Sterne führen, zu kennen, zeigte 1926 ARTHUR STANLEY EDDINGTON (1882-1944) in seiner monumentalen und auch heute noch lesenswerten Monographie „The Internal Constituation of the Stars“.
In seinem Buch geht er vom hydrodynamischen Gleichgewicht polytroper Gaskugeln aus, wobei er zusätzlich begründet, warum die Näherung eines idealen Gases für die Sternmaterie eine sehr gute Näherung ist (vollständige Ionisation im Sterninneren). Durch die Verwendung der Rosseland’schen mittleren Opazität gelingt ihm eine adequate Beschreibung des Strahlungstransportes innerhalb eines Sterns ohne jedoch eindeutig sagen zu können, woher und auf welche Weise ein Stern seine Energie (die ja ursächlich für seine Leuchtkraft verantwortlich ist) bezieht. Daß die Energiequelle etwas mit der Umwandlung von Wasserstoff zu Helium und mit dem dabei auftretenden Massedefekt zu tun hat, hatten vor ihm bereits WILLIAM DRAPER HARKINS (1873-1951) und der französische Chemiker JEAN PERRIN (1870-1942) vermutet. Aber erst die konsequente Anwendung der Quantenmechanik auf dieses Problem (z.B. durch GEORGE GAMOW (1904-1968), Tunneleffekt; HANS ALBRECHT BETHE (1906-2005), Reaktionszyklen) hat endgültig klargestellt, das Sterne ihre Energie überwiegend durch Fusionsprozesse decken. Außerdem fand man damit auch einen Mechanismus, wie in den Sternen chemische Elemente höherer Ordnungszahl nach und nach aus Wasserstoffatomen aufgebaut werden können (Elementesynthese).
Als wichtigstes Ergebnis von Eddington’s Arbeiten gilt wohl seine theoretische Ableitung der Masse-Leuchtkraft-Beziehung für Hauptreihensterne. Sie verknüpft prinzipiell beobachtbare Größen wie Masse M und Leuchtkraft L mit spezifischen Modellparametern wie z.B. mittleres Molekulargewicht und Opazitätskoeffizient der stellaren Materie.
Ein weiteres wichtiges Forschungsgebiet Ende der 20iger und Anfang der 30iger Jahre stellten die bereits von AUGUST RITTER diskutierten Sternpulsationen dar, wie sie für viele Arten von veränderlichen Sternen charakteristisch sind (z.B. RR Lyrae-Sterne, Delta-Cepheiden u.a.). Auch auf diesem Gebiet hat ARTHUR STANLEY EDDINGTON Pionierarbeit geleistet, in dem er den sogenannten Kappa-Mechanismus als Ursache für die Pulsationen (insbesondere der für die kosmische Entfernungsbestimmung sehr wichtigen Delta-Cepheiden) identifiziert hat.
Mit dem Einzug der Quantenmechanik und der Quantenstatistik in die theoretische Astrophysik konnte man sich zu Beginn der 30iger Jahre des vorigen Jahrhunderts auch den damals noch sehr „exotischen“ Sternen, zu denen die Weißen Zwerge gehören, zuwenden. Zwar war klar, daß diese Sterne eine ungeheure Massedichte aufweisen mußten. Durch welche Kräfte sie aber stabil gehalten werden, konnte auch EDDINGTON nicht beantworten. Die Lösung gelang dem damals noch jungen SUBRAHMANYAN CHANDRASEKHAR (1910-1995), der 1930 auf seiner Seereise von Madras nach England unter der Annahme eines entarteten Elektronengases die Grenzmasse von Weißen Zwergsternen berechnete, die seitdem als Chandrasekhar-Grenze bekannt ist. Für diese und weitere bahnbrechende Arbeiten erhielt er 1983 den Nobelpreis für Physik.
Ein gewisser erster Abschluß der Theorie des inneren Aufbaus der Sterne wurde Mitte der 30iger Jahre des vorigen Jahrhunderts erreicht. Als wichtigster Repräsentant ist hier der schwedische Astronom BENGT GEORG DANIEL STRÖMGREN (1908-1987) zu nennen, der sich besonders mit der chemischen Zusammensetzung der Sterne beschäftigte. Außerdem etablierte sich nach und nach die Theorie der Sternatmosphären, mit deren Hilfe es auf spektroskopischen Wege möglich war, Elementehäufigkeiten und andere, auch für die Theorie des inneren Aufbaus der Sterne wichtige Daten aus konkreten Beobachtungen ausgewählter Sterne (z.B. der Sonne) abzuleiten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierten sich die Arbeiten auf noch ungelöste Teilprobleme der Sternphysik (z.B. Schalenbrennen) sowie auf Fragen, die mit der Synthese von Elementen schwerer als Helium in bestimmten Sterntypen zu tun haben. Zu erwähnen ist die sogenannte B2FH-Theorie (1957, benannt nach den Anfangsbuchstaben der Autoren MARGARET und GEOFFREY BURBIDGE, WILLIAM ALFRED FOWLER (1911-1995) und FRED HOYLE (1915-2001)), welche die Entstehung chemischer Elemente durch spezielle Kernfusionsprozesse zum Inhalt hat (z.B. 3 -Prozeß zur Synthese von Kohlenstoff).
Mit der Verfügbarkeit von immer höherer Rechenkapazität und Rechenleistung aufgrund der rasanten Entwicklung der elektronischen Rechentechnik seit Beginn der 60iger Jahre des vorigen Jahrhunderts konnten zum ersten Mal Sternmodelle anhand der bekannten physikalischen Gesetze im Detail in vertretbarer Zeit berechnet werden. Damit wurde es möglich, auch Entwicklungsprozesse, wie sie im Hertzsprung-Russel-Diagramm manifestiert sind, auf numerischen Wege zu verfolgen und damit zu neuen Einsichten auf dem Gebiet der Sternentwicklung zu gelangen. In Deutschland haben auf diesem Gebiet insbesondere die Göttinger Gruppe um RUDOLF KIPPENHAHN und ALFRED WEIGERT Pionierarbeit geleistet.
Mit der Entdeckung der Pulsare im Jahre 1967 durch JOCELYN BELL und ANTONY HEWISH gelangten wieder die Endstadien der Sternentwicklung in den Blickpunkt der Astrophysiker. Ihre theoretische Beschreibung erwies sich als ungleich komplizierter als die von gewöhnlichen Hauptreihensternen oder sogar Weißen Zwergen, da sowohl relativistische Effekte als auch experimentell kaum verifizierbare Zustandsgleichungen von Kernmaterie berücksichtigt werden müssen. Die Theorie von Neutronen - und sogar „Quarksternen“ stellen heute quasi das „Frontend“ der Theorie des inneren Aufbaus der Sterne dar. Gerade auf diesem Gebiet gibt es eine besonders enge Verzahnung zwischen relativistischer Astrophysik und der Physik der Elementarteilchen.
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