Astrometrie
Planeten und Stern bewegen sich nicht um das Zentrum des Sterns, sondern um ihren gemeinsamen Masseschwerpunkt (Baryzentrum). Beobachtet man die Eigenbewegung eines solchen Systems an der Himmelskugel, dann macht sich dieser Vorgang in einer mehr oder weniger wellenförmigen Bahn bemerkbar. Man kennt das von vielen Doppelsternen. Da die Masse der Planeten klein ist gegenüber der Sternmasse, ist die Amplitude der Abweichung auch nur sehr gering. Um ein Gefühl für die Erfolgsaussichten dieser Methode für die Suche nach extrasolaren Planeten zu bekommen, soll die maximale Winkelabweichung ∆ϑ abgeschätzt werden. Aus rein geometrischen Überlegungen und dem Schwerpunktsatz (angenommen, man schaut direkt auf die Bahnebene des Planeten) ergibt sich sofort:
wobei a die große Halbachse der Bahn des Planeten und R dessen Entfernung zur Erde ist.
Um z.B. einen einzelnen Planeten von Erdmasse bei einem Stern von 1 Sonnenmasse (Abstand 1 AE) in einer Entfernung von lediglich 10 pc nachzuweisen, muß man in der Lage sein, eine Amplitude in der Eigenbewegung von ∆ϑ=0.3 μ " aufzulösen. Das ist selbst mit interferometrischen Methoden mit den größten heute zur Verfügung stehenden Teleskopen nicht machbar. Ein Planet von Jupitermasse liegt dagegen bei einem solchen Stern durchaus in der Reichweite des VLTI (Very Large Telescope Interferometer), das auf dem Mt. Paranal im Einsatz ist. Man erwartet, daß man bei diesem Interferometer den Fehler in der Winkelauflösung auf unter 50 μ" (Mikrobogensekunden) drücken kann. Richtig interessant könnte diese Methode jedoch erst bei zukünftigen Satellitenprojekten werden, wo die Meßgenauigkeit im Mikrobogensekundenbereich liegen wird. Das Weltraumteleskop DARWIN der ESA, das genau zu diesem Zweck konzipiert war, wird leider nicht gebaut, da diese für 2015 geplante Mission 2007 gestrichen wurde.
Der große Vorteil der astrometrischen Suchmethode liegt u.a. darin, daß sich damit nicht nur die Massensumme MStern+MPlanet bestimmen läßt (wie es gewöhnlich bei Doppelsternen der Fall ist), sondern die beiden Einzelmassen selbst. Das ist möglich, da sich in diesem Fall die große Halbachse a aus Messungen der Radialgeschwindigkeit und ∆ϑ aus der „Wackelbewegung“ des Sterns an der Himmelssphäre ableiten läßt. Die Masse des Sterns leitet man aus dem Sterntyp (der sich aus spektroskopischen und photometrischen Merkmalen ergibt) ab und die Entfernung R ergibt sich aus Messungen der Parallaxe. Ist die Masse des Planeten bekannt, kann natürlich auch der Inklinationswinkel seiner Umlaufbahn berechnet werden.
Die große Zeit der Astrometrie bei der Suche nach Exoplaneten hat noch nicht begonnen. Erst wenn es gelingt, optische Interferometrie im kosmischen Raum zu installieren (wie es für die nächste Dekade vielfach geplant ist), wird diese Methode zur Methode der Wahl werden, wenn es darum geht, auch erdähnliche Körper um nahe Sterne zu entdecken. Bis heute (2010) konnte jedoch noch kein einziger Planet durch eine „Wackelbewegung“ des Muttersterns entdeckt werden. Die 2009 von der NASA bekanntgegebene mutmaßliche Entdeckung eines Planeten um den extrem schwachen Stern Van Biesbroeck 10 (Vb 10) im Sternbild Aquila mit astrometrischen Mitteln konnte in der Folgezeit nicht bestätigt werden. Daß die Methode aber funktioniert, beweist die erfolgreiche Massebestimmung der drei Planeten, die sich um den Stern Gliese 876 bewegen. Die Eigenbewegung dieses mit der Radialgeschwindigkeitsmethode entdeckten Planetensystems wurde über zwei Jahre hinweg mit dem Fine Guidance Sensors des Hubble Space-Teleskops gemessen, woraus - zusammen mit den Radialgeschwindigkeitsdaten - die ungefähren Massen der beiden Exoplaneten des nur 15 Lichtjahre entfernten Sterns bestimmt werden konnten.
5.1 Auswirkung des Jupiters auf die Position der Sonne (die Zahlen koinzidieren mit den Jahren 2000 bis 2050). Die untere Grafik zeigt die Bewegung der Sonne um den Schwerpunkt des Sonnensystems unter Berücksichtigung aller 9 Planeten. © Nature
Astrometrie mittels optischer Interferometrie
Die Untersuchung von Exoplaneten ist ein durchaus anspruchsvolles Betätigungsfeld der optischen Interferometrie (siehe Band 1, Abschnitt 4). Das Ziel ist es, optisch Planeten von ihrem Mutterstern zu trennen, d.h. eine möglichst große Teleskopöffnung zu erzielen, um die dazu notwendige Winkelauflösung zu erreichen. Aufgrund des hohen technischen und auswertungsspezifischen Aufwandes ist diese Methode jedoch weniger zur Entdeckung neuer Exoplaneten geeignet. Vielmehr stellt sie eine probate Methode dar, bereits bekannte Exoplaneten bzw. Exoplanetensysteme quasi „im Detail“ zu untersuchen. Wenn dabei weitere Exoplaneten (oder vielleicht sogar Exoplanetenmonde) entdeckt werden, ist das ein durchaus erwünschter Nebeneffekt.
Als Beispiel für einen optischen Interferometer, der auch in der Exoplanetenforschung eingesetzt wird, soll hier in erster Linie das VLTI (Very Large Telescope Interferometer) mit seinen Zusatzgeräten AMBER (Astronomical Multiple BEam Recombiner), MIDI (Mid-InfrareD instrument of the VLT Interferometer) und PRIMA (Phased Referenced Imaging and Micro-arcsecond Astrometry) genannt werden. Mit ihrer Hilfe sollte es möglich sein (und erste Ergebnisse stimmen optimistisch), zumindest Exoplaneten der Jupiterklasse getrennt abzubilden, zu vermessen und vielleicht sogar spektroskopisch zu untersuchen.
ESPRI
Von den ehrgeizigen Exoplaneten-Forschungsprogrammen mit dem VLT und dem VLTI befindet sich ESPRI (Exoplanet Search with PRIma) z. Z. in der Erprobungsphase (2010). Es verwendet PRIMA am VLTI, arbeitet im infraroten K-Band und realisiert eine überaus präzise Differential-Astrometrie. Mit dieser Technik sollte es möglich sein, jupiterähnliche Objekte (in bezug auf Masse und Abstand zu einem sonnenähnlichen Mutterstern) bis zu einer Entfernung von 10 pc problemlos nachzuweisen und ihre Bahnen vermessen zu können. Interferometrische Astronomie kann dadurch, daß sie die projezierte Bahn eines Exoplaneten an der Himmelskugel ermitteln kann, den gravierenden Mangel der Radialgeschwindigkeitsmethode, nämlich die Masse des Planeten weitgehend unbestimmt zu lassen (die Bahnneigung i zur Sichtlinie ist aus Radialgeschwindigkeitsmessungen nicht ableitbar), beheben. Dazu muß der Planet selbst nicht einmal optisch vom Stern getrennt werden. Es reicht dabei aus, die Bewegung des Schwerpunktes des Systems über einen längeren Zeitraum (analog zur klassischen Astrometrie) zu verfolgen, um anhand der auf diese Weise ermittelten Bahnkurve auf den oder die Planeten des Systems schließen zu können. Zusammen mit Radialgeschwindigkeitsdaten läßt sich dann nicht nur die Massensumme, sondern die Einzelmassen von Stern und Planeten bestimmen, die ja schon für sich allein wichtige astrophysikalische Kenngrößen sind.
Radialgeschwindigkeitsmethode
Mit modernen Spektrographen können durch den Dopplereffekt verursachte Linienverschiebungen in Sternspektren sehr genau bestimmt werden. Daraus resultiert eine Methode zum Nachweis von Exoplaneten, die der Beobachtung und näherungsweisen Bestimmung der Bahnelemente von spektroskopischen Doppelsternen weitgehend analog ist.
Auch hier wird ausgenutzt, daß sich das System Stern - Planet(en) um den gemeinsamen Schwerpunkt im Raum bewegt. Bei günstiger Bahnlage (ideal ist es, wenn man ziemlich genau auf die Kante der Bahnebene des Planeten schaut) beobachtet man eine geringfügige Blauverschiebung der Spektrallinien, wenn sich der Stern auf uns zu und eine geringfügige Rotverschiebung, wenn er sich radial von uns wegbewegt. Die Ursache für diese periodische Wellenlängenänderung ist - wie bereits erwähnt - der Dopplereffekt (Christian Doppler (1803-1853)):
(vr radiale Komponente der Bahngeschwindigkeit um das Baryzentrum, c Lichtgeschwindigkeit)
Dopplereffekt
Genaugenommen ist der Dopplereffekt ein relativistischer Effekt, der nur bei Radialgeschwindigkeiten, die klein sind gegenüber der Vakuumlichtgeschwindigkeit, in die klassische Form (5.2) übergeht. Da sich Planeten stets mit „nichtrelativistischen“ Geschwindigkeiten auf ihrer Bahn bewegen, kann man in diesem Fall immer mit der allgemeinen Dopplerformel (hier für die Frequenz f aufgeschrieben) arbeiten:
f ' beobachtete Frequenz; f von der Quelle emittierte Frequenz; v Relativgeschwindigkeit zwischen Beobachter und Quelle
Im relativistischen Fall gilt dagegen
wobei β=v⁄c der Lorentzfaktor und ϑ der Winkel zwischen dem Geschwindigkeitsvektor v der Quelle und dem Beobachter ist (d.h. der radialen Komponente vr von v). Radialgeschwindigkeit bedeutet dann entweder ϑ=0 (Quelle bewegt sich in Richtung Beobachter) oder ϑ=π (Quelle bewegt sich vom Beobachter weg).
Unter Vernachlässigung des Lorentz-Faktors β² erhält man aus (5.4):
Der „transversale“ Anteil, der sich aus der Zeitdilatation ergibt, spielt bei nichtrelativistischen Geschwindigkeiten keine Rolle, d.h. er kann komplett vernachlässigt werden.
Beispiel
Wie groß ist nun die Wellenlängenänderung ∆λ für ein konkretes Beispiel? Betrachten wir dazu wieder das vereinfachte System Sonne - Jupiter aus einer Entfernung von 10 pc. Um die Frage zu beantworten, müssen als Erstes zwei Größen bestimmt werden:
- Wie weit ist der Sonnenmittelpunkt vom Schwerpunkt des Systems Sonne - Jupiter entfernt?
- Wie groß ist die mittlere Geschwindigkeit der Sonne auf dieser Bahn?
Nach dem Schwerpunktsatz gilt:
Das entspricht, aus einer Entfernung von 10 pc betrachtet, einem maximalen Elongationswinkel von 5.2∙10^(-4) Bogensekunden.
Die Summe der Bahngeschwindigkeiten von Sonne und Jupiter (in km/s) erhält man durch Anwendung des 3. Keplerschen Gesetzes (I/3.55 ):
Das Verhältnis vSonne/vJupiter ist aufgrund des Schwerpunktsatzes gleich dem Verhältnis mJupiter/MSonne, woraus für die Sonne eine Geschwindigkeit von 1.3∙10^(-2) km/s auf ihrer Bahn um den gemeinsamen Schwerpunkt folgt. Die erwartete Wellenlängenverschiebung ∆λ liegt deshalb im sichtbaren Licht in der Größenordnung von 3∙10^(-5) nm. Um diese Verschiebung nachzuweisen, benötigt man nach (I/4.30) einen Spektrographen mit einem spektralen Auflösungsvermögen von R=λ⁄Δλ≈2.3∙10^7 bei 700 nm. Dieser Wert liegt ungefähr an der Nachweisgrenze (R≈10^8 ) der heute in der astronomischen Forschung verwendeten Spektrographen.
Diese kurze Rechnung lehrt mehreres: 1. Die Radialgeschwindigkeitsmethode ist im Prinzip unabhängig davon, wie weit der zu untersuchende Stern von der Erde entfernt ist und 2. massereiche Planeten mit kurzen Umlaufperioden sind offensichtlich leichter zu detektieren als solche mit längeren Umlaufperioden.
Die oben am Beispiel des Jupiter-Sonne-Systems veranschaulichten Überlegungen gelten nur, wenn man genau auf die Kante der Bahnebene des Jupiters schaut oder anders ausgedrückt, der Inklinationswinkel i = 90° beträgt. Nur in diesem Fall ist der maximale radiale Anteil der Umlaufgeschwindigkeit gleich der Umlaufgeschwindigkeit selbst. Allgemein gilt jedoch:
m Planetenmasse, M Sternmasse, T Umlaufsperiode, vr Radialgeschwindigkeit
Da i gewöhnlich unbekannt ist (es sei denn, der Begleiter wandert in Sichtlinie vor dem Stern vorbei, wodurch sich seine Helligkeit kurzzeitig verringert, siehe Transitmethode), kann man genaugenommen keine verläßlichen Planetenmassen aus den spektroskopisch bestimmten Radialgeschwindigkeitskurven ableiten.
Radialgeschwindigkeitskurven
Was man von der Erde aus messen kann, sind die Radialgeschwindigkeitsänderungen des Muttersterns bei dessen Bewegung um den Schwerpunkt des Exoplanetensystems. Dieser gemeinsame Schwerpunkt von Stern und Planet wird gewöhnlich als Baryzentrum bezeichnet. Er bewegt sich in sehr guter Näherung mit gleichförmig geradliniger Geschwindigkeit VBa ) durch den Raum.
Zur Beschreibung der Bahn eines einzelnen Planeten um einen Stern ist aber erst einmal ein Koordinatensystem mit dem Stern als Zentrum (ein sogenanntes „astrozentrisches“ Bezugssystem) besser geeignet. Dieses Koordinatensystem wird durch drei zueinander orthogonale Einheitsvektoren ei, ej,ek aufgespannt, wobei ei und ej in der Bahnebene des Exoplaneten liegen und ek senkrecht darauf steht. Letzterer zeigt die Richtung des Bahndrehimpulsvektors L des Exoplaneten an. Der Vektor ei zeigt in Richtung des Periastrons, d.h. in Richtung des Bahnpunktes, welcher dem Stern am nächsten liegt.
In diesem Koordinatensystem läßt sich jetzt die Bahn eines Exoplaneten als zeitliches Fortschreiten von dessen Ortsvektor r unter Nutzung der Keplerschen Gesetze beschreiben (siehe auch Band I, Kapitel 3). Dazu wird erst einmal der Winkel φ zwischen der Linie Stern-Periastron und dem Radiusvektor r eingeführt, die als „wahre Anomalie“ bekannt ist. Dann gilt für die Bahnellipse (I/3.62):
mit (siehe I/3.43 und I/3.44)
wobei e die Bahnexzentrizität und a die große Bahnhalbachse ist. Der Vektor der Bahngeschwindigkeit v ergibt sich dann nach Differentation von (5.9) unter Berücksichtigung von (I/3.55) zu
Die zeitliche Änderung des Winkels φ ist durch folgende Beziehung gegeben:
Damit ist die Bewegung des Exoplaneten in der durch die Einheitsvektoren ei und ej aufgespannten Ebene hinreichend beschrieben.
5.2 Bewegung der beiden Massen m (Exoplanet) und M (Stern) um ihr gemeinsames Schwerezentrum O‘
Da der Exoplanet selbst i.d.R. nicht direkt gesehen werden kann, muß a) das astrozentrische Koordinatensystem in ein baryzentrisches Koordinatensystem überführt werden. Darin ergibt sich eine mit dem Exoplaneten synchronisierte Bewegung des Sterns auf einer formähnlichen Ellipsenbahn um das Baryzentrum O‘. Und b) muß noch die Projektion dieser Bahn auf die Himmelskugel erfolgen, da von der Erde aus nur diese Projektion der Bahn direkt beobachtbar ist (zumindest solange die Neigung i der Bahnebene zur Sichtlinie unbekannt ist).
Ist Ri der Vektor vom Baryzentrum O‘ zum Stern mit der Masse M und der Vektor R2 vom Baryzentrum zum Exoplaneten der Masse m, dann muß nach dem „Schwerpunktsatz“
gelten. Diese Gleichung impliziert, daß die beiden Vektoren R1 und R2 entgegengesetzt gerichtet sind und der Abstand zwischen Stern und Exoplanet r= R1+R2 beträgt. Deshalb kann man
schreiben. Im einzelnen bedeuten diese Beziehungen, daß sich die Halbachsen der Bahnellipsen von M und m um O‘ um das Masseverhältnis m/(M+m) voneinander unterscheiden, ansonsten aber ähnlich sind. Auch die jeweiligen Bahngeschwindigkeiten im baryozentrischen System verhalten sich entsprechend der Masseverhältnisse:
Wie bereits erwähnt, „sieht“ man von der Erde aus lediglich die Projektion der Bahnellipsen von Stern und Exoplanet auf die Himmelskugel. Deshalb ist es sinnvoll, ein neues orthogonales Koordinatensystem mit den Einheitsvektoren ex,ey und ez einzuführen, bei dem ez entgegengesetzt der Blickrichtung gerichtet ist und die beiden Vektoren ex und ey eine Tangentialebene zur Himmelsphäre um den Koordinatenurspruch aufspannen. Ein solches spezielles Koordinatensystem wird gewöhnlich als ein Herschel-System bezeichnet. Die Lage der durch ex und ey definierten Achsen wird durch die Lage der Bahnellipse des Exoplaneten festgelegt und zwar derart, daß die x-Achse in Richtung des absteigenden Knotens bezüglich der Bahnellipse und ihrer Projektion auf die Himmelssphäre zeigt. Die y-Achse zeichnet dagegen die senkrecht auf x stehende Halbachse der projizierten Bahnellipse auf die Himmelskugel nach.
Mathematisch bedeutet das, daß die „astrozentrischen“ Einheitsvektoren bezüglich des Herschel-Systems Komponenten besitzen, die von der Neigung i der Bahnebene des Exoplaneten zur Sichtebene und vom Winkel ω abhängen, der bis auf einen Summanden π dem Argument des Periastrons (Winkel vom aufsteigenden Knoten zum Periastron, ω+π) entspricht (man beachte, die x-Achse zeigt im Gegensatz zu den Verhältnissen im Sonnensystem hier in Richtung der Verbindungslinie aufsteigendem zu absteigendem Knoten). Mit diesen Prämissen ist es leicht, die Komponenten der astrozentrischen Einheitsvektoren in das neue System zu transformieren:
Mit ihrer Hilfe lassen sich die Bahngeschwindigkeiten (5.11) in „projizierte“ Bahngeschwindigkeiten im Herschel-System umrechnen, wobei sich folgende Geschwindigkeitskomponenten in Bezug auf die Achsen dieses Systems ergeben:
Spektroskopisch zugänglich ist nur die z-Komponente (Radialgeschwindigkeit), die sich je nach deren Richtung in Bezug zum Beobachter als Rot- oder Violettverschiebung der Spektrallinien bemerkbar macht.
Nach Umrechnung in das baryzentrische System und unter Berücksichtigung von (5.15) ergibt sich für die Radialgeschwindigkeit des Sterns, der aufgrund des Exoplaneten eine „Wackelbewegung“ um das Baryzentrum des Systems ausführt, folgende Beziehung:
Sie läßt sich natürlich auch auf N Planeten, die einen Stern umkreisen, erweitern, wodurch sich signifikante Kurvenverläufe vr*(t) ergeben, die von den Bahnparametern und Massen dieser Planeten abhängen. Oder anders ausgedrückt, aus dem beobachteten zeitlichen Verlauf der Radialgeschwindigkeit eines Sterns (der sich bekanntlich spektroskopisch bestimmen läßt) kann man auf die Existenz sowie auf einige Parameter eines fremden Planetensystems schließen und zwar ohne die Planeten selbst beobachten zu können. Das macht unter anderem die Stärke der Radialgeschwindigkeitsmethode zur Suche nach Exoplaneten aus.
5.3 Radialgeschwindigkeitskurve des M4-Zwergsterns Gliese 876 im Sternbild Aquarius. Er ist nur etwa ein Drittel so groß wie die Sonne und wird nach heutigem (2010) Kenntnisstand von mindestens 3 Exoplaneten umkreist, von denen zwei der Jupiterklasse angehören. Die Abbildung zeigt die Radialgeschwindigkeitskurve, welche die Existenz des Exoplaneten Gliese 876b verrät (G.W.MARCY et.al. 1998)
5.4 Radialgeschwindigkeitskurve des Sterns 51 Peg, aufgenommen mit dem Spektrographen SARG des italienischen 3.58 m Spiegelteleskops auf La Palma / Kanarische Inseln
5.5 Radialgeschwindigkeitskurve des sonnennahen (20.4 Lj) roten Zwergsterns Gliese 581. Bei ihm konnten bis jetzt (2010) 4 planetare Begleiter (darunter den kleinsten bisher bekannten Exoplaneten) nachgewiesen werden.
Radialgeschwindigkeitskurven multipler Exoplanetensysteme
Die Erweiterung von (5.17) auf ein System aus N Exoplaneten führt zu folgenden Gleichungen (Beauge, Ferraz-Mello, Mitchenko, 2008):
wobei man Fj als Massenfunktion des Exoplanetensystems bezeichnet. Ihr kommt eine zentrale Rolle zu, wenn es zu entscheiden gilt, ob es sich bei dem beobachteten Stern wirklich um ein Exoplanetensystem oder vielmehr um einen spektroskopischen Doppelstern handelt. Die Größe nj beschreibt die mittlere Bewegung des Exoplaneten j gemäß des dritten Keplerschen Gesetzes (I/3.55) mit (n=2π)⁄T.
Massenfunktion
Obwohl man Exoplaneten im Regelfall mit den heute verfügbaren Methoden nicht direkt sichtbar machen kann (Winkelabstand zum Mutterstern, Helligkeitsdifferenz), lassen sich aus Radialgeschwindigkeitsmessungen doch eine Anzahl von Parameter ermitteln, über die man sich ein Bild über ein Exoplanetensystem machen kann. Insbesondere gilt es zu klären, ob es sich bei dem Begleiter wirklich um einen Exoplaneten oder um einen massearmen Begleiter, z.B. einen Braunen Zwergstern, handelt. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Massenfunktion. Sie stellt eine Beziehung zwischen den Systemmassen und beobachtbaren Größen wie Umlaufsperiode T und maximale Radialgeschwindigkeit vr,max her. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden, wobei nur der Zweite Bedeutung für die Exoplanetenforschung hat. Bei einem spektroskopischen Doppelstern, wo die Massen der beiden Sterne i.d.R. vergleichbar sind, sind manchmal die Spektrallinien beider Sterne im Sternspektrum identifizierbar. Wenn das der Fall ist, können daraus die Radialgeschwindigkeitskurven beider Sterne individuell bestimmt werden. Exoplaneten hinterlassen jedoch keine spektralen Signaturen im Spektrum ihres Muttersterns, so daß man nur deren Radialgeschwindigkeitskurve ermitteln kann. In diesem Fall gilt für die Massensumme des Systems Stern-Exoplanet
Die linke Seite dieser Gleichung stellt die Massenfunktion dar, während die rechte Seite nur beobachtbare Größen enthält. Da man für einen Planeten m<<M ansetzen kann, läßt sich (5.21) auch auf die Form
bringen. Ist die Sternmasse M durch andere Methoden bestimmbar, dann läßt sich über diese Beziehung prinzipiell bis auf den Unsicherheitsfaktor sin i die Exoplanetenmasse m abschätzen.
Obwohl i aus spektroskopischen Messungen allein nicht bestimmbar ist, lassen sich anhand dieser Größe doch einige Aussagen treffen, die besonders für statistische Fragestellungen von Bedeutung sind. Fällt die Bahnebene des Exoplaneten mit der Tangentialebene zur Himmelskugel zusammen (i=0°), dann besitzt der Bahngeschwindigkeitsvektor des Sterns offensichtlich keine Komponente in Richtung des Beobachters. Exoplaneten mit i um 0° sind mit der Radialgeschwindigkeitsmethode prinzipiell nicht detektierbar. Ist i=90°, dann entspricht die maximale Radialgeschwindigkeit der Bahngeschwindigkeit des Sterns bei seinem Weg um das Baryzentrum des Systems. Liegt i dagegen irgendwo zwischen diesen beiden Extremwerten, dann läßt sich aufgrund der Gleichverteilung der Lage aller denkbaren Bahnen im Raum der Anteil, der auf ein bestimmtes Intervall von cos i entfällt, ausrechnen. Die Wahrscheinlichkeit, daß man eine Bahn detektiert, bei der man nahezu auf deren Pol blickt, ist nun mal geringer als die Wahrscheinlichkeit, daß man eher „schräg“ auf die Bahn schaut. Das bedeutet bei einem Grenzwinkel von i=30° (sin 30°=0.5), daß in 87% der Fälle (cos 30°≈0.87) i irgendwo im Bereich zwischen 30° und 90° liegt. Die Wahrscheinlichkeit eine Bahn zu finden, deren i-Wert kleiner als 30° ist, beträgt dagegen nur 13%. Beobachtet man genügend viele Exoplanetensysteme, dann wird der Verlauf der Funktion m sin i ein statistisches Maß für das Massespektrum der Exoplaneten sein.
5.6 Minimalmasseverteilung von 167 Exoplaneten mit m sin i < 15 Jupitermassen
Herausforderungen und Grenzen der Messung von Radialgeschwindigkeitskurven
Ungefähr seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts steht den Astronomen das beobachtungstechnische Instrumentarium zur Verfügung, um erfolgreich durch Messung von Radialgeschwindigkeitskurven Planeten bei anderen Sternen entdecken zu können. Die Methode selbst hat sich schon früher bei der Beobachtung spektroskopischer Doppelsterne bewährt, bei denen aber die Genauigkeitsanforderungen in Bezug auf die zu messenden Radialgeschwindigkeiten bei weitem nicht so hoch sind. So gesehen spielt sich der Nachweis von Exoplaneten in einer ganz anderen Liga ab als die Beobachtung spektroskopischer Doppelsterne. Der mittlere Fehler einer Radialgeschwindigkeitsmessung (entspricht einer winzigen Verschiebung einer Spektrallinie um ihre Nominalwellenlänge) darf für diesen Zweck einige Metern pro Sekunde nicht übersteigen. Dazu ist ein instrumentelles spektroskopisches Auflösungsvermögen von R~10^6-10^8 erforderlich, die beispielsweise mit modernen Echelle-Spektrographen erreicht werden. Gerade an diese Spektrographen werden sehr hohe Anforderungen an Stabilität und Empfindlichkeit gesetzt. Um die Meßgenauigkeit zu erhöhen, leitet man oft das Sternlicht durch eine sogenannte Jodzelle (sie enthält gasförmiges Jod unter genau festgelegten Druck- und Temperaturbedingungen), bevor es den Eintrittsspalt des Spektrographen erreicht. Auf diese Weise wird eine Vielzahl weiterer Absorptionslinien auf das Sternspektrum aufgeprägt, die als präzise und unbeeinflußte Referenzlinien dienen. Man kann damit u.a. Apparateeffekte wie thermische Längenänderungen im Spektrographen, Verbiegungen etc. sehr gut beherrschen, welche sonst die Genauigkeit der Messungen herabsetzen würden.
Der Spektrograph und das Teleskop sind aber nur ein Glied in der Nachweiskette. Nicht jeder Stern ist für die Suche nach Exoplaneten geeignet. Ein „idealer“ Stern muß ausreichend hell sein (Signal-Rauschverhältnis), muß eine Vielzahl schmaler Absorptionslinien besitzen (deshalb sind heiße Hauptreihensterne früher Spektraltypen, vielleicht ab F5 V, nicht für diese Methode geeignet), sollte nur wenig rotieren (Rotationsverbreiterung der Spektrallinien) und auch anderweitig eine stabile Sternatmosphäre besitzen (also nicht pulsieren oder auf eine andere Weise außergewöhnlich aktiv sein). Hauptreihensterne in Form von Roten Zwergsternen sowie sonnenähnlichen Sternen sind die besten Kandidaten für die Radialgeschwindigkeitsmethode.
Aufgrund einer unteren theoretischen Grenze für die spektroskopische Geschwindigkeitsmessung (sie liegt bei ungefähr 1 m/s und ist u.a. durch das sogenannte Photonenrauschen bedingt) erlaubt die Radialgeschwindigkeitsmethode insbesondere die Entdeckung von Planeten der Jupiterklasse (1 bis 15 Jupitermassen), während sich erdähnliche Planeten damit nur schwer detektieren lassen.
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