In Görlitz findet z.Z.die Landesausstellung "Via Regia" statt - eine höchst sehenswerte Ausstellung im sogenannten Kaisertrutz, der ehemals Teil der neuzeitlichen Befestigungsanlagen der Sechsstädte-Stadt Görlitz gewesen ist. Darüber allein gäbe es natürlich sehr viel zu berichten. In diese Landesausstellung eingebunden ist auch das Schlesische Museum, genau gegenüber der "Justizia" - eine der bekanntesten Statuen am Seiteneingang des Görlitzer Rathauses (von 1591).
Bei dem Besuch dieses Museums ist mir u.a. folgende Urkunde aufgefallen, über die ich hier etwas ausführlicher berichten möchte.
Es handelt sich um die Proklamation der Abtrennung der preußisch besetzten Landesteile von Sachsen im Jahre 1815, wie er von den Siegermächten über das napoleonische Frankreich auf dem Wiener Kongreß diktiert wurde. Nur auf diese Weise kamen die nördlichen Teile der Oberlausitz zu Preußen, welche später verwaltungsrechtlich zu Schlesien geschlagen wurden. Dieser Teil der Oberlausitz wurde anschließend im Unterschied zur "Sächsischen" "Preußische" Oberlausitz genannt. Nur hieraus ergibt sich der Umstand, daß es in Görlitz ein "Schlesisches Museum" und eine überall sichtbare Rückbesinnung auf "Schlesien" und "Niederschlesien" gibt, deren östliche und nördliche Grenze der Fluß Bober bildet.
Ohne die ganze Vorgeschichte rezipieren zu wollen, möchte ich als Ausgangspunkt nur darauf hinweisen, daß sich der sächsische König Friedrich August I (1750-1827) als Rheinbundsmitglied mit Hilfstruppen auf Seiten der Franzosen am Krieg gegen Preußen und Rußland beteiligt hat, was ihm im Frieden zu Tilsit u.a. ehemals preußische Gebiete um Cottbus einbrachte (gut, nicht umsonst. Sachsen mußte im Gegenzug Landesteile, z.B. das Mansfelder Land, an Westfalen abgeben). Nach dem großen Pyrrhussieg Napoleons 1812 in Rußland ("Brand Moskaus") und dessen verlustreichen Rückmarsch nach Sachsen (N. kam dabei an unserer "Napoleonslinde" bei Zittau vorbei), befahl Friedrich August, daß sich seine Truppen von Napoleon absetzten, während er zugleich Geheimverhandlungen mit den Osterreichern aufnahm, die im österreichisch-sächsischen Vertrag vom 20. April 1813 endeten. Alles das machte den sächsischen König nicht gerade bei seinem ehemaligen Verbündeten Frankreich sowie seinen "Zwangsfeinden" Preußen und Rußland beliebt. Bei Letzteren insbesondere auch deshalb, weil der König wieder seinen Verpflichtungen als Rheinbundmitglied nachkam und seine Truppen und seine Festungen (Torgau) Napoleon zur Verfügung stellte. Anschließend kam es zu der bekannten Schlacht bei Bautzen (21./22. Mai 1813), bei der die Franzosen siegten. Sachsen wurde also wieder zum Kriegsschauplatz und die berühmte Völkerschlacht bei Leipzig (16. bis 19. Oktober 1813) besiegelte das Schicksal Sachsens endgültig. Friedrich August wurde gefangen gesetzt und Sachsen wurde ein russisches Generalgouvernement unter dem Fürsten Repnin. Während dieser Zeit hat Sachsen sehr gelitten, da es einmal für die Besetzung und zum anderen für Reparationszahlungen aufkommen mußte. Ein noch größeres Unglück zeichnete sich zwei Jahre später ab - Napoleon war endgültig geschlagen und saß mittlerweile auf Elba fest - denn die Siegermächte wollten Sachsen zu Preußen schlagen (genauer, das russische Generalgouvernement in Sachsen sollte von Preußen übernommen werden), wobei der König von Sachsen mit einem kleinen Stückchen Land im Rheingau abgespeist werden sollte. Da jedoch Friedrich August sich mit allem ihn zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen wehrte und er dabei unerwartete Unterstützung von den Engländern erhielt, rückte man von dem Plan wieder ab. Es lief also alles auf eine Teilung Sachsens hinaus, die ihm am 12. März 1815 in Preßburg zur Kenntnis gegeben wurde: "... daß ohne Verzug diejenigen Landesteile Sachsens, welche unter preußischer Hoheit kämen, von denjenigen getrennt werden sollten, welche dem König blieben; daß Preußen für immer Besitz nehmen werde von demjenigen Theile Sachsens, welcher ihm überlassen worden, und Dasjenige, welches dem König von Sachsen bliebe, unterdessen der provisorischen Regierung des Königs von Preußen unterworfen bleiben solle." Es blieb am Ende Friedrich August gar nichts anderes übrig, als dem zuzustimmen. Auf diese Weise gelangte der nördliche Teil der Oberlausitz zu Preußen. Die "Landeskinder" wurden darüber durch die im Schlesischen Museum ausgestellte Proklamation unterrichtet. Da das Lesen altdeutscher Schrift bei vielen mittlerweile zu großen Schwierigkeiten führt, hier der Wortlaut in Abschrift:
Erste Seite
Des Allerdurchlauchtigsten, Großmächtigsten Königs von Sachsen etc. verordneter Oberamtshauptmann im Markgrafthum Oberlausitz und Hofrath,
Ich, Ernst Carl Gotthelf von Kiesenwetter,
auf Reichenbach und Zschillichau,
füge sämmtlichen Gerichtsobrigkeiten und Einwohnern des Markgrafthums Oberlausitz hierdurch zu wissen, daß zwischen Ihro Königl. Majestät von Sachsen etc. und Ihro Königl. Majestät von Preußen, ein Traktat am 18ten May dieses Jahres abgeschlossen und am 21ten May ratificieret, auch in Verfolg desselben von Ihro Königl. Majestät von Sachsen unterm 22ten desselben Monats eine Eides- und Pflicht-Entlassungs-Akte ausgestellt worden, welche wörtlich folgenden Inhalts sind:
Friedens-Tractat
zwischen
Ihro Königl. Majestät von Sachsen etc.
und
Ihro Königl. Majestät von Preußen etc.
abgeschlossen und unterzeichnet
zu Wien den 18, und ratificiert am 21. May 1815
Im Namen der heiligen und untheilbaren Dreyeinigkeit!
Seine Majestät der König von Sachsen einerseits, und seine Majestät der König von Preußen andererseits, beseelt von dem Verlangen, die Bande der Freundschaft und des guten Einverständnisses, welche zwischen Ihren beiderseitigen Staaten so glücklich bestanden haben, zu erneuern, und angelegentlich bemüht, zur Wiederherstellung der Ordnung und der Ruhe in Europa durch Beziehung der auf dem Wiener Congreß stipulierten Gebiets-Ausgleichungen beizutragen, haben Bevollmächtigte ernannt, um einen Friedens- und Freundschafts-Vertrag zu verhandeln, abzuschließen und zu unterzeichnen, nämlich Seine Majestät der König von Sachsen den Grafen Friedrich Albrecht von Schulenberg, Ihren Kammerherrn, Ritter des Ordens des H. Johannes von Jerusalem, und Hans August Fürchtegott von Globig, Ihren Kammerherrn, Hof- und Justizrath und Geheimen Referentarius.
...Letzte Seite
Artikel 25.
Gegenwärtiger Vertrag soll ratificiert, und die Ratificationen innerhalb der Zeit von drey Tagen, oder wenn es geschehen kann, noch früher, ausgewechselt werden.
Zu Urkunde haben die respectiven Bevollmächtigten denselben unterzeichnet und mit ihren Wappen besiegelt.
Geschehen Wien, den 18. May 1815.
(L. S.) Graf Schulenburg.
(L. S.) von Globig.
(L. S.) Fürst Hardenberg.
(L. S.) Freiherr von Humboldt.
An die Bewohner des abgetretenen Theils des Königreichs Sachsen.
Durch den am 18ten dieses Monats abgeschlossenen und am 21ten desselben ratificierten Friedenstractat zwischen Mir und den Kaiserl. Oesterreichischen, Kaiserl. Russischen und Königl. Preußischen Höfen habe Ich in die Abtretung desjenigen Theils Meiner Erbstaaten gewilligt, über welchen auf dem Congresse zu Wien verfügt worden war, und wobey zugleich festgesetzt wurde, daß Mir nur gegen Meine Einwilligung in die verlangten Cessionen der übrige Theil Meiner Erbstaaten zurückgegeben werden sollte.
Während Meiner langen Regierung hat nur die Fürsorge für das Wohl der Mir anvertrauten Unterthanen Mich in allen Meinen Handlungen geleitet. Der Erfolg aller menschlichen Unternehmungen ruht in der Hand Gottes. Meine Bemühungen, so schmerzliche Opfer abzuwenden, sind vergeblich gewesen. Ich soll von euch scheiden, und das Band muß getrennt werden, das durch eure treue Anhänglichkeit Mir und meinem Hause so theuer war, und auf welches seit Jahrhunderten das Glück meines Hauses und eurer Vor-Eltern sich gründete. Zufolge der den verbündeten Mächten ertheilten Zusage entlasse Ich euch, ihr Unterthanen und Soldaten der von mir abgetretenen Provinzen eures Eides und eurer Pflichten gegen Mich und mein Haus, und Ich empfehle euch, treu und gehorsam zu seyn eurem neuen Landesherrn.
Mein Dank für eure Treue, Meine Liebe und Meine heißen Wünsche für euer Wohl werden euch stets begleiten.
Laxenburg, den 22. May 1815
Friedrich August
Erst um 1820 wurden im preußischen Teil der Oberlausitz 4 Landkreise gebildet, die dann zu Schlesien geschlagen wurden. Traditionell hat die Oberlausitz in ihrer langen Geschichte nie zu Schlesien gehört. Die Vergrößerung Schlesiens nach Westen über den Queis hinaus ist das Resultat der Befreiungskriege und damit ein reines Kind des 19. Jahrhunderts.
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