Mittwoch, 17. August 2011

Zoll- und Geleitburg Karlsfried bei Lückendorf im Zittauer Gebirge

Vorige Woche Sonntag wollten wir mal sehen, ob es stimmt, daß im Zittauer Gebirge schon die Pilze in Menge wachsen. Also auf in Richtung Lückendorf um auf der Höhe der ehemaligen Burg Karlsfried die dazu notwendigen Erkundungen einzuziehen. Aber es war nix. Zwar konnte man den Eindruck gewinnen, daß es demnächst einmal zu einer Pilzschwemme kommen könnte, aber Pilze, die ich gewöhnlich in meinen mitgebrachten Korb verfrachte, waren Fehlanzeige. So gelangten wir auf einen Trampelpfad durch Adlerfarnbestände, der uns schnurstracks auf eine Felsengruppe führte, dessen Spitze uralte Mauerreste zeigte. Zwar war ich schon oft hier oben, aber es ist immer wieder schön einen Ort zu besuchen, der irgendwie einen Hauch von Geschichte ausstrahlt und uns in eine Zeit zurück versetzt, wo das Königreich Böhmen (zu der damals auch die Oberlausitz gehörte) unter der Regentschaft des Kaisers Karl IV eine wahre Blütezeit erlebte, die aber bereits ein dreiviertel Jahrhundert später durch die unseglichen Hussittenkriege wieder zunichte gemacht wurde. 


Heute weiß keiner mehr, wer die Pläne dieser ehemals doch recht ansehnlichen Burg erstellt haben mag, wer die Handwerker und Steinbrecher waren, die sie innerhalb weniger Jahre erbauten und was sich wohl die Raubritter aus dem Geschlecht der Wartenberger hinter ihren Mauern sich erzählten und planten, als sie die Feste übernommen hatten. Was also hat sich über die Burg Karlsfried neben den wenigen Mauerresten bis in unsere Tage überliefert? Darüber möchte ich jetzt etwas erzählen.

Die Oberlausitz war zur Zeit Karls IV eine Grenzmark, abgetrennt vom böhmischen Kernland mit der Kaiserstadt Prag durch das damals noch sehr unwirtliche und nur von wenigen Wegen durchschnittene Lausitzer Gebirge. Von hier aus gelangten Waren von Zittau aus über den Gabler Paß in das Herz Böhmens. In der Oberlausitz trafen sich Handelswege vom süddeutschen Rhein über Leipzig bis nach Schlesien (Via Regia) mit Handelswegen, die von Norden nach Süden führten. Sie begründeten zusammen mit der Förderung des Patriziertums durch den Kaiser in Prag den Reichtum der „Sechs Städte“ der Oberlausitz, die sich im Jahre 1346 zu einem Bund zusammenschlossen. Zittau hatte, was den Handel betraf, eine besondere Bedeutung. Von hier aus verzweigten sich zwei Wege nach Böhmen – einmal die Leipaer Straße, die unweit am Oybin mit seiner imposanten Burg- und Klosteranlage vorbei führte und zum anderen die Gabler Straße, die über den Lückendorfer Paß ihren Weg nach Böhmen nahm. Auf beiden „Straßen“ kann man heute noch entlang wandern. Damals waren „Straßen“ allenfalls teilweise befestigte Wege, wo Pferdekarren mehr oder weniger mühselig vorankamen. So unterscheidet man z.B. in der Oberlausitzer Grenzurkunde von 1241 Pfade, Steige, Wege und die genannten „Straßen“. Während Steige und Wege sich über die Jahrhunderte veränderten oder verschwanden, waren die „Straßen“ eine feste Größe im Verkehr jener Zeit. Straßen waren aber auch immer ein gefährliches Pflaster. Der lokale Adel, der meist in Opposition zum Kaiserhaus und zu den Städten stand, bemächtigte sich ihrer und lebte oft ganz gut von Raub und Schutzgeld. Andererseits waren die „Straßen“ die wichtigsten Lebensadern und Einnahmequellen der Städte. Straßen wurden befestigt, ausgebaut, „Steige“ und „Wege“ geschliffen, um den Verkehr besser überwachen zu können. Aus Straßen wurden „Geleitstraßen“, die von bewaffnetem Begleitpersonal geschützt wurden. Finanziert wurde das alles durch Wegzölle, die vom Kaiser erhoben, aber an die Städte verpachtet werden konnten. Solche Zollstellen wurden oftmals an speziellen Schutz- und Geleitburgen eingerichtet. Die rechtlichen Grundlagen dafür waren bis ins Einzelne ausgearbeitet und codifiziert. Fuhrleute wußten genau, welche Wege sie nehmen durften, wo sie (z.B. an steilen Paßstraßen) Unterstützung und Geleitschutz bekommen und wieviel sie dafür an den Zollstationen zu löhnen hatten. Wer sich der Zollpflicht widersetzte und dabei erwischt wurde, sollte nach des Kaisers Geheiß zur Strafe jeweils ein Rad vom Wagen abgenommen werden.

Als Kaiser Karl IV die „Straße über den Gebler“ zur Reichsstraße machte, befahl er zu deren Sicherung und als Zollstation im Jahre 1357 oberhalb des „Ausspanns“ (dort, wo heute der „Mühlstein“ des Mühlsteinberges liegt) eine Zoll- und Geleitburg zu errichten. Man nutzte dazu geschickt eine nahe der Straße befindliche Felsgruppe aus, auf die aus Stein und Holz unter der Aufsicht des Bösiger Burggrafen Ulrich Tista von Liebstein ein durchaus respektabler Bau errichtet wurde. 

Wie die Burg einmal ausgesehen hat, ist nur in Rudimenten bekannt. Im Zittauer Ratsarchiv hat sich eine Zeichnung erhalten, aus der man entnehmen kann, daß sie zwei Tortürme und einen Bergfried besessen hat.


Von dem rechten Wartturm ist nur noch ein nicht mal ein Meter hoher Rest erhalten geblieben. Er hatte ehemals einen quadratischen Grundriß von ungefähr 3x3 Meter. Der Torturm mit der Zugbrücke, die einst eine Felsenspalte überbrückte und die den Zugang zum Burghof ermöglichte, ist vollständig verschwunden. Weiterhin findet man, wenn man sich die Trampelpfade zur Burg hinauf begibt, noch einzelne unbedeutende Mauerreste, die man dem ehemaligen Bergfried zuordnen kann. Am höchsten Punkt findet man auch die Reste des zweiten Turms, in dessen Mauerritzen heute die Mauerraute (ein Farn) wuchert. Von diesem Turm konnte man früher die gesamte Gabler Straße bis nach Zittau überblicken. Heute ist das aufgrund der hohen Buchen, welche die Sicht z.T. verdecken, nicht mehr möglich. Zur Hochzeit der Burg war natürlich der gesamte Baumbestand herum gerodet und zu einer Palisade, die den Zollhof umgab, verarbeitet worden. Die Mauern, welche die Burg an ihren Flanken schützte, sind nicht mehr vorhanden. Nur einzelne, metergroße Reste, kann man noch an den Hängen liegen sehen. Mit etwas Aufmerksamkeit findet man auch noch einen kleinen, fast verschütteten und deshalb völlig unzugänglichen Keller im Bereich des zweiten Turms. Im 19. Jahrhundert hat man die Burgstätte nach Altertümern abgesucht, aber nicht viel gefunden. Man fand lediglich unbedeutende Kachelreste eines Ofens, ein paar wenige böhmische Groschen, geprägt zur Zeit Wenzel II sowie metallische Reste von Waffen wie Lanzenspitzen, von Streitbeilen sowie ein paar Hufeisen. 

Über die Erbauung der Burg haben wir nur Kunde von dem Zittauer Stadtschreiber Johann von Guben, in dessen Chronik man lesen kann:

Do noch M.CCC lvij. Iar, v. kal. Augusti, liz Keiser Karil buwen Karlzvried, daz vf dem gebirge; daz buwete eyn ritter, der hiz Ulrich Cista, vm daz, daz arme lute deste sichire czogen obir daz gebirge.

Weitere Aufzeichnungen aus anderen Quellen bestätigen noch mal das Jahr 1357 als Jahr des Baubeginns. Von der ursprünglichen Intention hatte die Burgbesatzung zwei Aufgaben. Einmal mußte sie den Wegezoll (der u.a. auch Naturalien in Form von Hafer für die Pferde sein konnte) eintreiben und zum anderen die Fuhrleute bis zum Tor der Stadt Gabel schützend begleiten. Von der Zittauer Seite wurden zusätzliche Gespanndienste angeboten, um die schweren Wagen über den Steilanstieg (die Haarnadelkurve gab es damals noch nicht) von der Johannisquelle bis zum „Ausspann“ zu bringen. Das muß bei ungünstigen, nassen Wetter eine furchtbare Tortur für Pferd und Mensch gewesen sein. Deshalb hatte ein Mäzen im Jahre 1392 der Stadt Zittau nicht unbedeutende Geldmittel vermacht für den Zweck, die Gabler Straße mit einer Steinpflasterung zu versehen. Ihm zu Ehren wurde ein Steinkreuz gestiftet und auch errichtet. 


Neben den Geleit- und Zollaufgaben sollte die Burg auch Sitz eines Landvogtes werden, der für die Sicherheit und Gerichtsbarkeit des Zittauer Landes zu sorgen hatte. Einige von ihnen haben sicherlich eine gewisse Zeit auf Karlsfried auch gewohnt. 

Von 1364 sind Urkunden überliefert, die beweisen, daß Karl IV Karlsfried gegen eine gewisse Pacht der Stadt Zittau überlassen hat, die nach diesem Vertrag auch die Zölle als Einnahmen verbuchen durfte. Johann von Guben fand diese Angelegenheit so erwähnenswert, daß er ein paar Zeilen in seiner Chronik dafür erübrigte:

Anno Domini M.CCC. lxiiij wart desin scheppin vnd rathe dy lantvoygthy vnd di pflege desez wychbildes vnd dy huzere Karlsfrede vnd ouch Owyn vnd dy czolle beyde in der stat vnd uf dem Gebler bevolen czu Budissin, vnd mussten alle iare geben dor von vnd ouch von landgobe CCC schock, vnd daz war in der wochen nach phingsten.

1366 wurde dann dieser Vertrag erweitert, in dem auch die Landvogtei den Zittauern überlassen wurde. Außerdem wurde Zittau zur Unterhaltung des (heute nicht mehr existenten) Kaiserhauses an der Wasserpforte, der Burg und des Klosters Oybin und von Karlfried (dem „newen hus“) für jeweils zwei Jahre verdonnert. Daraus kann man schlußfolgern, daß mit diesem Vertrag die kaiserliche Geleitmannschaft  der Burg Karlsfried durch eine Zittauer ersetzt worden ist. Auf jeden Fall muß sich die Angelegenheit für die Zittauer Bürger zu einem Verlustgeschäft entwickelt haben, denn die Zolleinnahmen deckten in der Summe nicht einmal annähernd die an den Kaiser zu zahlende Pacht, wie von Guben resigniert notiert.

Die nächsten Jahrzehnte wurden die Pachtverträge immer wieder verlängert, wobei sich die Bedingungen und auch die verantwortlichen Zittauer Landvögte laufend änderten. Das ging bis 1412, dem Jahr, in dem König Wenzel die Zittauer Landvogtei an den Landvogt von Budissin und Görlitz, Hinko Berka von Duba, verpfändete. Daraus entwickelte sich in der Folgezeit eine einzige Landvogtei für die gesamte Oberlausitz, was sich im nachhinein noch als großer Vorteil herausstellen sollte. Mit diesen Ereignissen verlor jedenfalls Karlsfried rapide an Bedeutung. Ihre Leitung wurde an einen Landeshauptmann mit einer kleinen Besatzung übergeben, die dort ihren Zoll- und Geleitdiensten nachkamen. Doch dann kam der Feuertod des Reformators Jan Hus (6.Juli 1415 in Konstanz), die einige Jahre später zu den Hussittenkriegen führten. Sie erreichten auch das Zittauer Land, als im Jahre 1420 eine kleine Streitmacht von Hussitten, die über die Leipaer Straße anmarschiert war, vergeblich versuchte, den Oybin zu erobern. Ein Jahr später, im Mai 1421, näherte sich eine weitere hussittische Streitmacht unter Jan Ziska von Trocnov persönlich der Oberlausitz, diesmal über die Gabler Straße. Er versuchte, wie man einem Brief des Zittauer Rates an den Rat von Lauba entnehmen kann, vergeblich den Karlsfried einzunehmen. Zuvor wurde nämlich dort die Stammbesatzung durch eine kriegserfahrene Besatzung des Sigmund von Wartenberg (der in Tetschen residierte) ausgetauscht. Nach dieser Niederlage ließen jedenfalls die Hussitten erst einmal die Oberlausitz in Ruhe. 

Drei Jahre später sollte aber alles anders werden. Der erfahrene Heerführer Botzko von Podibrad marschierte mit über 8000 Fußsoldaten und mehr als 700 Berittenen wieder „über den Gebler“ in die Oberlausitz ein. Da die Zittauer Ratsherren annahmen, daß die hussitische Gefahr gebannt sei, hatten sie (nach dem die Wartenberger die Burg wieder verlassen hatten) nur eine kleine Besatzung von 12 Mann auf dem Karlsfried belassen. Vor der Burg, auf der Zittauer Seite, hatten sich Bürgerwehren verschanzt, welche in einem offenen Scharmützel die Hussitten aufhalten wollten. So begann am 25. Januar 1424 die Schlacht am Karlsfried. Wie man sich denken kann, waren die Zittauer dieser Streitmacht haushoch unterlegen. Ein Nachfolger Johann von Guben notierte dazu in der Zittauer Chronik:

Item Anno Domini CCCCXXiiij jahre an der bekerung fente Pauls, quam der Botzko mit viiC pferden vnd viijM drabanten of das gebirge den Gebeler, vnd daz quome her von hern Heyntczen von Donyn, der den seinen iren hering zu Petersdorf liß nehmen; dokegen wir aus iczlichem hawse einen man isgesamt hatten, das gebirge czu weren, nach dem vns land vnd stete vortrost hatten vns hulfe czu thun, die vns also nicht geschach. Doselbist treib er die vnsern abe, der vil dermort wurden vnd dorczu lvj gefangen, vnd mit glubden seyner trewe, vnd ere einen, genant Sleffer, der selbst elfe vf dem Karlsfride quome, abteydingt, die mitgefangen wurden, das wart vsgebrannt vnd den gefangen wurden ire funfczen ader sechczehen die nazen abgesnyten, die beide dawmen abgehauwen vnd die andern alle vorbrant; vnd also herschte derselbe Botzko drei tage vmb diese stat vnd brante die Harte gancz abe, dor jnne er sein leger hatte vnd tatt merklichen schaden mit brand vnd nome czu Albersdorff vnd czu Groth vnd sust wo er mochte.

Die geschundene Burg jedenfalls wurde kurz danach, d.h. noch im gleichen Jahr 1424, unter dem ausdrücklichen Befehl Kaiser Sigismunds von den Sechsstädten ausgebessert und verstärkt und unter einer neuen, erfahreneren Mannschaft unter Hauptmann Conrad von Quossau wieder in Bereitschaft versetzt. Kleinere Hussittenhaufen wagten dann nicht mehr, die Gabler Straße zu nutzen. Größere Kampfverbände, z.B. die von 1427 unter Andreas Prokop, zogen an der Burg vorbei, ohne daß sie jemals noch eingenommen werden konnte.

1434 war endlich der Hussittenspuk vorbei. Karlsfried erfüllte wieder ihre friedliche Funktion als Zoll- und Geleitburg, bis sie 1439 in den Besitz Johanns von Wartenberg auf Blankenstein gelangte. Einige Jahre zuvor, 1433, führte die Hinrichtung eines Mitgliedes der Wartenberger Familie in Zittau (Vierteilung) zur „Wartenberger Fehde“. Dadurch, daß die Familie Wartenberg Zugriff auf die feste Burg auf dem Gebler erhielt, bekam sie unerwartet eine vorzügliche Basis für Raubzüge in das Zittauer Umland. Der für Zittau lebenswichtige Handel nach Böhmen kam weitgehend zum Erliegen und der Schaden für Zittau im Besonderen und für die Sechsstädte im Allgemeinen war enorm.  Die Fehde erreichte 1441 ihren Höhepunkt und die Sechsstädte verpflichteten Heinrich Berka von Duba (der auf der Burg Mühlstein residierte), das jetzt gefürchtete Raubnest Karlsfried einzunehmen. Dazu sollte es aber nicht mehr kommen, da es gelang, einen förmlichen Friedensschluß mit den Wartenbergern zu erreichen. Sie verließen das Raubnest und die Zittauer begannen im Sommer 1442 als Konsequenz daraus die Burg abzureißen, wie auf einer Rechnung zu lesen ist:

Dominica ante Margarete als die stete das newe Hauß lißen brechin den mauern vnd drabanten czu lone vnd czu zerunge 4 Sco. Gr.

Damit war nach noch nicht einmal 100 Jahre die Geschichte dieser Burg zu Ende. Sie wurde später immer mal wieder als Steinbruch genutzt, um z.B. billig Steine für die Lückendorfer Kirche (1690) zu bekommen. Die letzten wesentlichen Steinreste wurden schließlich 1721 abgetragen und für den Hausbau in Zittau verwendet. Seitdem kann man anhand der wenigen verbliebenen Mauerresten kaum noch erahnen, daß hier eine Burg stand, die Jan Ziska mit seinem einen, damals noch sehenden Auge, erblickte und vergeblich belagerte.

Und auf dieser Burg habe ich am Sonntag gestanden, und eine dort wachsende, mir noch unbekannte Glockenblume fotografiert. 




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