Entwicklung der Polkappen
Daß das Klima des Mars nicht immer so war wie heute, ergibt sich sowohl aus einer Vielzahl von Beobachtungen seiner Oberflächenstrukturen als auch aus der Erkenntnis, daß gerade der Planet Mars (ihm fehlt ein stabilisierender Großmond) starken Änderungen bezüglich der Neigung seiner Rotationsachse zur Bahnebene ausgesetzt ist (zwischen 14° und 48°, LASKAR et.al. 2004). Letzteres hat ja besonders Auswirkungen auf jahreszeitliche Phänomene und damit das Potential, das Klimasystem des Planeten auf eine quasiperiodische bzw. chaotische Art und Weise umzukrempeln.
Änderung der Neigung der Rotationsachse des Mars im Verlauf der letzten 10 Millionen Jahre (nach Simulationsrechnungen). Der gegenwärtige Wert liegt bei 25.19°. Quelle Laskar, 2004
In diesem Abschnitt soll jedoch nur kurz und ohne allzuviel ins Detail zu gehen der Frage nachgegangen werden, ob sich die von den Himmelsmechanikern vorhergesagten Änderungen in den Bahnparametern und der Achsenneigung irgendwie in der Struktur, Lage und Ausdehnung der Polkappen widerspiegeln.
Asymmetrie der Lage der permanenten Polkappen bezüglich der Rotationsachse, Zeugen früherer Vereisungen
Schon den teleskopischen Beobachtern des Mars ist aufgefallen, daß die Zentren der permanenten Polkappen nicht mit den geographischen Polen zusammen fallen. Das Zentrum des PLDN inkl. der permanenten Wassereisauflage ist z.B. in Richtung 0° W versetzt, während das Zentrum der Südpolkappe einen entsprechenden Versatz in 180° W aufweist. Die einfachste Erklärung für diesen Sachverhalt scheint zu sein, daß sich beide Polkappen ursprünglich symmetrisch um die heutigen Polzentren gebildet haben, sich anschließend die Lage der Rotationsachse veränderte und schließlich im Zuge eines beginnenden Interglazials ein Abschmelzen eingesetzt hat. Diese noch recht grobe Arbeitshypothese kann als Grundlage für Detailuntersuchungen dienen, z.B. um anhand von Oberflächenmerkmalen die Ausmaße der Vereisungen in der Vergangenheit zu rekonstruieren. Entsprechende Untersuchungen sind mittlerweile verschiedentlich vorgenommen worden (z.B. Head et.al. 2000). Sie konnten alle eine größere polare Vereisung an beiden Polen feststellen. Eine genaue zeitliche Einordnung erweist sich aber prinzipbedingt als schwierig.
Am deutlichsten läßt sich noch das Gebiet einer vergangenen Eisbedeckung im Nordpolargebiet studieren. So findet man in Fortsetzung von Olympia Planitia eine Zone (Olympia Depression), die deutlich postglaziale Strukturen und Ablagerungen aufweist. Dazu gehören (um einmal das Vokabular irdischer Grundmoränenlandschaften zu verwenden) Oser, Drumlins, kleine kesselförmige Strukturen (Sölle?) sowie glaziale Rinnen.
Nordpolarkappe. Quelle NASA
Südpolarkappe.
Quelle NASA
An ihnen läßt sich in etwa die Grenze einer ehemaligen
Eisbedeckung ermitteln. Zieht man diese Regionen mit in das Gesamtbild ein,
dann erhält man eine zum gegenwärtigen Pol weitgehend symmetrische Polkappe,
die aus der heutigen permanenten Eisbedeckung, der mit Dünen bedeckten Olympia
Lobe und den Bereich der postglazialen Deposite besteht.
Nordpolkappe mit den heute abgeschmolzenen Bereichen. Sie umfassen das mit Dünen bedeckte Olympia Planitia (Olympia Lobe) sowie dessen südliche Randzone. Quelle K.E. Fishbaugh, J.W. Head 2001
Wann die Abschmelzung im Bereich der Olympia Lobe abgeschlossen war, läßt sich anhand der Oberflächenmorphologie (z.B. durch Zählung von Impaktkrater und durch Untersuchungen ihres Erosionszustandes) in etwa ermitteln. Es zeigt sich dabei, daß die Deposite der genannten Regionen so um die 150000 Jahre, auf jeden Fall aber jünger als 10 Millionen Jahre sein müssen (J.W.Head et. al. 2003). Dabei dokumentieren die geschichteten Ablagerungen eine äußerst feingliedrige Klimageschichte, die geradezu dazu einlädt, sie mit den zyklischen Veränderungen der Marsbahn und der Neigung der Marsachse im Sinn irdischer Milankovic-Zyklen zu korrelieren.
Klimaänderungen durch Änderung der Bahnparameter
Auf dem Mars existieren Klimazyklen, die denen der irdischen Milankovic-Zyklen analog, jedoch um einiges stärker ausgeprägt sind. Sie legen fest, ob die Polkappen in der Tendenz anwachsen oder schrumpfen. Während die Zeitskalen durchaus vergleichbar sind, gibt es wesentliche Unterschiede in den Amplituden. So hat in den letzten 10 Millionen Jahren die Bahnexzentrizität der Erde ungefähr zwischen 0 und 0.06 geschwankt. Beim Mars lag der Bereich zwischen 0 und 0.12. Die Neigung der Erdachse (=Schiefe der Ekliptik) variierte zwischen ~22° und ~24.5°, beim Mars zwischen ~14° und ~48° (siehe z.B. J. Touma, J. Wisdom, 1993). Diese Zyklen unterschiedlicher Periode überlagern sich und führen zu „erdgeschichtlich“ kurzfristigen Klimaänderungen aufgrund wechselnder saisonaler Einstrahlungsbedingungen (auch die Dauer der Jahreszeiten in den beiden Hemisphären ändert sich mit den Bahnparametern gemäß dem 2. Keplerschen Gesetz).
Grob kann man die Auswirkung der Achsenneigung, die ja für saisonale Effekte die Hauptverantwortung trägt, auf das Klima wie folgt beschreiben:
30° - 35° Achsenneigung
Höhere Einstrahlung führt in den Sommermonaten zu einer verstärkten Wassereis-Sublimation im Bereich der permanenten Eiskappe und damit zu einer Erhöhung des Wasserdampfgehaltes in der Marsatmosphäre (d.h. die Atmosphäre wird auch dichter). Da sich gleichzeitig die Zone, in der Wassereis im Boden stabil ist, in Richtung Oberfläche sowie in Richtung Äquator verschiebt, kann sich dort im Laufe der Zeit ein Teil der überschüssige Feuchtigkeit im Winter absetzen und den Eispanzer dauerhaft vergrößern. Außerdem erwartet man das verstärkte Auftreten von globalen Staubstürmen, die einmal die Bodentemperaturen saisonal erniedrigen als auch Staubpartikel in großer Zahl mit dem Eis zusammen ablagern.
20° - 30° Achsenneigung
Eine Achsenneigung in diesem Bereich führt zu einer völligen Sublimation von Eis in den Randbereichen der polaren Eiskappe, deren Durchmesser auf diese Weise schrumpft und über dem Permafrostboden eine trockene, isolierende Deckschicht hinterläßt. Da der Wasserdampfgehalt in der Atmosphäre wieder geringer wird, entspricht das quasi einer Austrocknung der polarnahen (30° - 60° Breite) Gebiete. Die Oberfläche ist dann bevorzugt äolischen Abtragungsprozessen ausgesetzt, was lokal zu den beobachteten ausgedehnten Dünenfeldern führt.
Eiszeiten auf dem Mars
Die Mehrzahl der vorliegenden Untersuchungen ist mit der Hypothese vereinbar, daß die Ausdehnung und Mächtigkeit der (permanenten) Polkappen ein sich quasiperiodisch wechselndes Phänomen sind. Deshalb ist es auch gerechtfertigt, analog zur Erde, von sich abwechselnde glaziale und interglaziale Epochen zu sprechen. Damit erschöpfen sich aber auch schon die Ähnlichkeiten.
Änderung der Achsenneigung des Mars über die letzten 3 Millionen Jahre (die Kurve geringer Amplitude um 23° entspricht der Erde und dient dem Vergleich). Die untere Darstellung gibt die maximale Poleinstrahlung für beide Pole (in %; wenn die Sonne genau über dem Pol steht – 100%) für die letzte Million Jahre an. Nach dieser Darstellung befindet sich der Mars gerade in einem Interglazial mit einer minimalen permanenten Polkappenausdehnung. Quelle Head et.al. Nature 2003
Auf dem Mars fehlt beispielsweise ein ausgedehnter Ozean, der bekanntlich auf der Erde ein riesiges Wärmereservoir darstellt welches im Zusammenspiel mit Meeres- und Luftströmungen, der momentanen Verteilung der Land- und Wassermassen sowie der sich entsprechend der Milankovic-Zyklen ändernden Einstrahlungsverhältnissen Einfluß auf die Entwicklung der polaren Eiskappen nimmt. Darüber hinaus spielt Staub im Gegensatz zum Mars auf der Erde so gut wie keine Rolle beim Aufbau von Eisdepositen. Auf der Erde nähren sich Gletscher von Niederschlag in Form von Schnee, den es so auf dem Mars nicht geben kann.
Der grundlegende Mechanismus, der die Eisdeposit-Bildung auf dem Mars steuert, besteht in der Sublimation von Wassereis (was den Wasserdampfgehalt der Atmosphäre erhöht) und in der Ablagerung von Staubpartikeln, an denen Wasserdampf kondensiert ist (wodurch Wasserdampf der Atmosphäre wieder entzogen wird). Dabei unterscheiden sich je nach klimatischer Situation die „Sublimationsgebiete“ von den Regionen, wo Feuchtigkeit sich niederschlägt bzw. Staub mit Feuchtigkeit abgelagert wird.
Glazial
„Kaltzeiten“ koinzidieren mit einer im Mittel hohen Achsenneigung (i>30°), die dazu führt, daß Wassereis aus den hochpolaren Regionen durch verstärkte Sublimierung in Wasserdampf überführt wird. Dieser Wasserdampf gelangt durch atmosphärische Strömungen in mittlere Breiten, wo er dann zusammen mit Staub in einem ringförmigen Gürtel abgelagert wird. Auf diese Weise entstehen, bedingt durch schnelle Wechsel von i={25°±10°}, die aus vielen einzelnen Schichten bestehenden PLD’s. Da die Wechsel zwischen höherer und geringerer Achsneigung sehr schnell vonstatten gehen (P~200000 Jahre), kann die Erosion in den Zeiten geringer Achsneigung die Schichten nur z.T. abtragen bzw. modifizieren (J.W. Head et.al. 2003).
Interglazial
„Warmzeiten“ fallen mit relativ kurzen Zeiträumen (~600000 Jahre im Gegensatz zu ~1.8 Millionen Jahre eines Glazials) mittlerer Achsenneigung (i~24°) zusammen. Während dieser Zeit, die durch eine relativ geringer Variation der Achsenneigung charakterisiert ist, verlieren die mittleren Breiten durch Diffusion und Sublimation im Zuge von Erosionsprozessen zunehmend an Feuchtigkeit, die in die Atmosphäre überführt wird („Austrocknung“ der mittleren Breiten zwischen 30° und 60°). Diese Feuchtigkeit schlägt sich in der Tendenz an den Polen nieder, wo die (permanenten) Wassereiskappen entsprechend langsam wieder an Mächtigkeit gewinnen (die Größenordnung liegt dabei bei einigen 10 m).
Die massive Umverteilung von Eis entsprechend der Milankovic-Zyklen konnte mittlerweile an einem 3-dimen-sionalen Klimamodell des Mars (Francois Forget et.al.) weitgehend bestätigt werden. Es zeigt sehr deutlich, wie sich die breitenabhängige Eisverteilung auf dem Mars im Laufe der Zeit periodisch ändert. Damit erklären sich jetzt auch relativ zwanglos die Vielzahl glazialer Strukturen, die z.B. im Bereich der Tharsis-Hochebene und der dort befindlichen großen Vulkanbauten (Arsia Mons, Pavonis Mons, Ascraeus Mons sowie Olympus Mons) gefunden wurden (siehe z.B. Neukum et.al. 2004). Auch sind danach im Untergrund der mittleren Breiten noch große Eisreservoire zu erwarten.
Die Abfolge von Glazialen und Interglazialen wird auf dem Mars über die Veränderung der Neigung der Rotationsachse (weißer Pfeil) gegenüber der Senkrechten zur Bahnebene (gestrichelte Linie) gesteuert. Ist die Neigung groß, verliert die permanente Polkappe jedes Jahr wenige Zentimeter Eis durch Sublimation, d.h. sie wird in der Tendenz instabil. Die dadurch in die Atmosphäre gelangte Feuchtigkeit wird dann in die gemäßigten Regionen abgelagert. Nimmt die Neigung ab, erfahren die mittleren Breiten einen Verlust an Feuchtigkeit und die Eisbedeckung der Polkappen nimmt wieder zu. Quelle Brown University, NASA