Freitag, 18. August 2017

Düstere Visionen der Vergangenheit: Zittau inmitten eines Kohlelochs...


Aufnahme: Werner Schorisch, Zittau

In meinem Beitrag über das alte und neue Zittauer Rathaus habe ich die im "Schinkel-Stil" errichtete Baugewerkeschule erwähnt, die Mitte des 19. Jahrhunderts eine begehrte Bildungsstätte gewesen ist. Jährlich mußten sich deren Schüler einer öffentlichen Prüfung unterziehen, deren Ergebnisse in einem Jahrbuch veröffentlicht wurde. Im Jahrbuch von 1843, deren sperriger Titel "Programm der königlichen Gewerbeschule und Baugewerkenschule zu Zittau zu der am 27. 28. 29. März 1843 zu haltenden Prüfungen" findet man den bemerkenswerten Aufsatz "Beiträge zur Kenntnis der Zittauer Braunkohle" von Hermann Preßler. Darin wird eine sehr detaillierte chemisch-mineralogische Untersuchung der hießigen, damals noch im Untertagebau gewonnenen Kohlen vorgestellt und die Möglichkeiten für deren Nutzung herausgearbeitet. Über den Kohleabbau selbst sowie über die Orte, wo der Abbau stattgefunden hat, erfährt man dagegen nur wenig aus diesem Aufsatz. Dazu muß man wissen, daß in der Oberlausitz Kohle erst ab etwa 1800 überhaupt zu Heizzwecken verwendet wurde. Der Grund war, daß die Grundherrschaften ihre Wälder schonen wollten, denn es wurde bis dahin ausschließlich mit Holz und Reisig geheizt. Die Braunkohle fand lediglich in zerkleinerter Form als Dünger in der Landwirtschaft Verwendung. Erst die zunehmende Industrialisierung, die auch der oberlausitzer Textilindustrie Dampfmaschinen bescherte, benötigte Kohle bzw. Koks wegen ihres hohen Heizwertes als Brennstoff. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie dann schon in sehr großen Mengen zur Elektrizitätserzeugung benötigt.

Daß es im Zittauer Becken Braunkohle gibt, ist schon lange bekannt. Interesse an einem Abbau datieren aber erst auf das Jahr 1799, als erste Bohrungen unter Leitung des Freiberger Schichtmeisters Mehner zur Erkundung der Lage der Flöze veranlaßt wurden. Sie waren dahingehgend erfolgreich, daß sich 1810 in Olbersdorf eine "Sozial-Mineralbergwerkschaft" gründete, die an mehreren Stellen Braunkohle im Untertagebau förderte. Am bekanntesten wurde das Braunkohlenwerk auf dem Kaltenstein. Es befand sich ungefähr dort, wo die nun nicht mehr existente Jugendherberge gestanden hat. Das sogenannte "Kaltenberggut" wurde 1835 an den Zittauer Stadtschreiber Ernst Conrad Weidisch verkauft, welcher hier zwei Jahre später ein "Braunkohlenwerk" erbauen ließ. Mit der Untertage geförderten Kohle betrieb er ein Kalkwerk sowie eine Ziegelei, um Zittau und Umgebung mit dringend benötigten Baumaterial zu beliefern, denn immer noch waren die ein Dreiviertel Jahrhundert zurückliegenden Kriegsschäden noch nicht völlig beseitigt. Da man aber noch keine große Erfahrungen mit Kohlebrennöfen hatte, brannten sowohl 1841 als auch 1844 alle Öfen ab. Trotz dieser Rückschritte wurde Conrad Weidisch als großer Unternehmer gefeiert und erhielt für seine Verdienste von der sächsischen Regierung eine stattliche Prämie von 400 Talern.


Zur Hochzeit des Kohleabbaus auf dem Kaltenstein arbeiteten rund 20 Bergleute in den Schächten, die bis in ca. 50 m Tiefe getrieben wurden.Das war eine lebensgefährliche Arbeit, denn Braunkohle ist ein nicht sehr festes Material und außerdem gab es von Anfang an große Probleme mit der Bewetterung. So gab es allein zwischen 1817 und 1863 insgesamt 14 tödliche Unfälle, die zum größten Teil auf "Stickluft" zurückzuführen sind. Außerdem wird über einige Todesfälle durch plötzlichen Wassereintritt berichtet.

Der Bergbau am Kaltenstein begann ab 1845 zunehmend unter der Konkurrenz der anderen, günstiger gelegenen Bergwerke zu leiden und wurde deshalb 1863 gänzlich eingestellt. Der jedoch immer mehr ansteigende Bedarf an Kesselkohle (und auch die Bevölkerungentdeckte zunehmend die Braunkohle als Heizmaterial) ließ weitere Berbauversuche lukrativ erscheinen. 

Insbesondere die seit den 80ziger Jahren des 19. Jahrhunderts vom Reichenberger Kohleabbau-Verein betriebenen Schächte in Hartau waren recht ergiebig und ließen den Abbau an vielen anderen Stellen (z.B. Kaiserfelder, Kummersberg) nicht mehr rentabel betreiben.

Neben Olbersdorf, Hartau und Zittel (heute in Polen und weggebaggert) gab es auch auf dem Kummersberg bei Zittau Kohleschachtanlagen.

Aber nicht nur Braunkohle wurde gewonnen. In der schwefelreichen Kohle bildeten sich u.a. Mineralisationen aus Markasit (Schwefelkies) und Raseneisenstein. Gerade der Schwefelkies, der in der Oberbank besonders häufig vorkommt, wurde mit der Kohle gefördert und in der Olbersdorfer Vitriol- und Alaunsiederei, die bis 1895 bestand, verarbeitet. 

Das Zittauer Braunkohlevorkommen, welches sich in nordöstlicher Länge über knapp 16 km erstreckt und zum größten Teil auf polnischer Seite liegt, ist im mittleren Tertiär, im Miozän (~23 Millionen Jahren), entstanden. Dazu muß man wissen, daß am Ende der Oberkreide (~63 Millionen Jahren) der Lausitzer Granit mit aufliegender kreidezeitlicher Sandsteinplatte entlang der sogenannten Lausitzer Überschiebung um über 100 m angehoben wurde (der Teil, der heute nördlich des Zittauer Gebirges liegt!). Nach Abtragung der Sandsteinplatte (der Sandstein, der hinter der Verwerfung liegt und heute das Zittauer Gebirge mit Töpfer, Ameisenberg, Oybin und Jonsdorfer Felsenstadt bildet, haben sich im Schutz dieser Verwerfung erhalten) kam es im Tertiär im Zuge der Öffnung des Eger-Grabens (siehe hier) zu verstärkten vulkanischen Aktivitäten, denen wir den Hochwald und die Lausche sowie die vielen kleinen Basalt- und Phonolithkuppen des Gebirgsvorlandes verdanken. Im Miozän begann sich schließlich das Zittauer Becken wieder zu senken, wobei es eine durch die Entwässerung des naheliegenden Gebirges bedingte Sumpflandschaft bildete, die u.a. mit Sumpfzypressen und mächtigen Mammutbäumen bewachsen war.  Aus diesen und anderen Bäumen sind dann schließlich nach Sedimentabdeckung die Zittauer Braunköhlenflöze entstanden. 


Die tertiäre Schichtenfolge, wie man sie heute noch in der Grube Turow (Türchau) besichtigen kann, läßt sich in zwei Zyklen einteilen. In Bezug auf die Kohle kann man deutlich ein ca. 13 m mächtiges Unterflöz (in Olbersdorf in ca. 85 m Tiefe) und ein davon mit Sedimenten (insbesondere Basalttuffe und Feinsande) getrenntes Hauptflöz (bestehend aus über 30 einzelnen Flözhorizonten, die eine Oberbank und (getrennt durch Tone, sogenannter "Leitletten") eine etwas weniger mächtige Unterbank bilden) unterscheiden. Das Hauptflöz besitzt eine Mächtigkeit von 35 bis 50 m. Nur dieses wurde in Olbersdorf abgebaut. In der Grube Turow hat man seit einigen Jahren auch das Unterflöz erreicht, dessen Kohlen qualitätsmäßig höherwertiger sind.


Geologisch interessant ist, daß es bereits in ferner Vergangenheit in den Flözen Schwehlbrände gegeben hat. So gelangte im Bereich des Zittauer Burgberges im Burgteich (dort, wo heute das "Gründungsdenkmal" von Zittau steht) die Kohle bis knapp unter die Oberfläche und wurde dort, wahrscheinlich durch Blitzschlag, gezündet. Bei diesem Flözbrand wurde der den Flöz umgebende Ton wie  Ziegel gebrannt. Auf diese Weise entstand ein sehr hartes Material, daß sich als äußerst widerstandsfähig gegenüber Verwitterung erwiesen hat. Es blieb quasi stehen, während die Umgebung über die Jahrtausende hinweg abgetragen wurde. Auf diesem Hügel wurde dann um 1230 herum eine kleine Holzburg erbaut, aus der sich dann später die Stadt Zittau entwickelte. Heute ist davon nichts mehr zu sehen und auch der "Burgberg" ist nicht mehr sonderlich eindrucksvoll.

Flözbrände gab es noch in den 70ziger Jahren des vorigen Jahrhunderts im Bereich der polnischen Grube Turow, genauer in der abgesoffenen "Zittel"-Grube an der Straße von Kleinschönau nach Reichenau (heute weggebaggert). Dort bildeten sich am Grubenrand sowas wie Fumarolen mit schönen gelben Schwefelausblühungen. Aus "Zittels Grube" hatte ich mir seinerzeit als Schüler Schwefel besorgt...

Nachdem der Braunkohlebergbau zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in Olbersdorf nur noch durch das Untertage-Bergwerk "Glück auf" (als einzige von ehemals 6) fortgeführt wurde, aber 1906 mit dem Elektrizitätswerk Olbersdorf ein regionaler Großabnehmer entstand, entschloß man sich, den Abbau "über Tage" zu versuchen. Die Technik, um das Deckgebirge abzutragen, war mittlerweile verfügbar. Im März 1911 wurde der Untertagebau endgültig eingestellt, nachdem bereits schon ein Jahr davor mit der Anlage eines Tagebaus in unmittelbarer Nähe der alten Förderstätte (südlicher Stadtrand von Zittau) begonnen wurde. Der Tagebaubetrieb wurde bis 1938 aufrechterhalten und dann wieder eingestellt. Der Grund für die Einstellung war der Konkurrenzdruck der Hirschfelder Kohlegrube ("Herkules"), die das Kraftwerk Hirschfelde belieferte. 1925 fiel der Hauptabnehmer der Olbersdorfer Braunkohle, das Elektrizitätswerk Olbersdorf, weg, da es geschlossen wurde. Und die Bevölkerung heizte lieber mit Briketts als mit der nach Schwefel stinkenden und stark rußenden Braunkohle.


1945 ging als Folge des verlorenen Krieges die Hirschfelder Kohlegrube an Polen, die sie heute als "Grube Turow" noch immer betreibt und damit das Kraftwerk Turow mit Heizmaterial beliefert. So wurde für den Weiterbetrieb des Kraftwerkes Hirschfelde (und später des Kraftwerkes Hagenwerder) die Wiederaufnahme des Tagebaubetriebs in Olbersdorf notwendig. Da die Grube bereits abgesofffen war, wurde 1946 unter Befehl der sowjetischen Kommandantur das Restloch wieder ausgeplumpt und 1947 die Kohleförderung unter schwierigsten Bedingungen wieder aufgenommen. Immerhin benötigte allein das Elektrizitätswerk Zittau täglich rund 300 Tonnen davon, um genügend elektrischen Strom für die Stadt und das Umland zu erzeugen. Bereits 1951 arbeiteten in Olbersdorf wieder rund 500 Kumpel in der Kohle. Der Tagebau wurde immer größer, die Kohleproduktion immer mehr gesteigert, um die "entwickelte sozialistische Gesellschaft" mit Primärenergieträger zu versorgen. Im Winter wie im Sommer wurden in den Heizwerken der Betriebe Braunkohlen verfeuert und feiner Flugstaub der tonhaltigen Aschen legte sich auf Wäsche und Autos. Ich erinnere mich noch, wenn man im Winter mit seinen "Brettln" über die verschneiten Äcker des Kummersberges gleitete, man deutlich die Spuren der Ende der Siebziger Jahre noch häufigen Hasen sehen konnte - weil ihre Tapsen mit Rußpartikelchen der industriellen Braunkohleheizanlagen zugeweht waren...


Eine von der Bevölkerung durchaus als katastrophal wahrgenommene Entwicklung zeichnete sich Mitte der achtziger Jahre ab, als die von unseren damaligen "Wirtschaftsführern" beschlossenen Pläne für den weiteren Ausbau des Tagebaustandortes Olbersdorf bekannt wurden. Als erstes traf es den Ort Olbersdorf selbst, den man quasi zur Devastierung frei gab. Zuerst mußte die 1883 erbaute Dorfkirche weichen (1985). Die Umsiedlung der Bewohner erfolgte in Plattenbauten des Oberdorfes, die 1988 entstanden sind. Daß das Neubaugebiet ästhetisch nicht so recht in die Vorgebirgslandschaft passte, war damals kein Thema.

Die Pläne, die man mit der Erweiterung des Tagebaues hatte, waren für Zittau beängstigend: Zittau sollte nämlich nur noch als flaschenförmige Landbrücke mit der Kernstadt in der Mitte erhalten bleiben. Rundherum nur noch das Braunkohleloch und Abraumhalden.


Blau gekennzeichnet die Lage der geplanten Tagebaue; rot die Lage des 1985 bestehenden Grubengeländes

Das Abbaugebiet Nord grenzte südlich an die Bahnlinie Dresden - Zittau - Reichenberg (d.h. die gesamte Nordvorstadt wäre weggebaggert worden) und das Gebiet innerhalb der Linie Weinau - Neißepfeiler bis Drausendorf, Radgendorf, Eckartsberg, Hasenberg, Mittelherwigsdorf und zurück entlang der B96 wäre ausgekohlt worden. Auf der Südseite hätte sich das Loch entlang der Mandau über die gesamte Südvorstadt nach Hartau bis zum Gebirgsrand erstreckt. Hartau und Eichgraben sowie große Teile des Niederdorfes von Olbersdorf wären verschwunden. Nur eine schmale Trasse, welche die Straße nach Oybin / Jonsdorf trägt, sollte erhalten bleiben. Kurz gesagt, Zittau hätte eine ähnliche Katastrophe wie am 23. Juli 1757 getroffen, nur währe es kein plötzlicher Tod, sondern ein langes Siechtum geworden. Durch die "Wende" wurde aber alles ganz anders. 

Aufnahme: Werner Schorisch, Zittau

"Nur für den Dienstgebrauch!" Diese Karte zeigt die Grenzen der geplanten Tagebauerweiterung, die Zittau zu einer Insel inmitten des Kohlelochs gemacht hätte...


1990 erfolgte ein Ministerratsbeschluß, der die endgültige Stillegung des Tagebaus ermöglichte. Bereits ein Jahr später erfolgten erste Sicherungs- und Renaturierungsmaßnahmen. Aus dem Tagebaurestloch wurde der "Olbersdorfer See", der insbesondere durch die 2. Sächsische Landesgartenschau im Jahre 1999 auch außerregional bekannt wurde. Heute stellt das Gebiet ein wahres Kleinod dar, welches Menschen und Natur viel Platz für Freiräume bietet. 

Aufnahme: Werner Schorisch, Zittau

Ein Teil des Sees gehört den Wasservögeln, die sich in reichlicher Zahl hier angesiedelt haben. Auf den ehemaligen Abraumhalden kann man heute wieder Braun- und Schwarzkehlchen und hoch in der Luft Bussarde und Rohrweihen beobachten. 


Im Sommer lädt der See zum baden und die Wege zu Radtouren und zum Joggen ein. Allein schon deshalb war die Wende mit all ihren Problemen, die sie den Menschen der Region gebracht hat, ein wahrer Segen.

Aufnahme: Werner Schorisch, Zittau

Panorama Olbersdorfer See. Und hier noch mal ganz groß (Achtung: u.U. längere Ladezeiten!)

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4 Kommentare:

  1. Toller Artikel: interessant, informativ und unterhaltsam. Vor allem die alten Fotos und Pläne sind spannend (woher kriegt man das?)

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  2. Das Lob über den Artikel-Text gebe ich gern an den Bloger Mathias Scholz weiter. Von mir sind in diesem Falle lediglich die Fotos.
    Was die alten Dokumente betrifft, so haben wir hier in Zittau z.B. im "Altbestand" der Christian Weise Bibliothek einen wunderbaren Fundus, aus dem man auch zu diesem Wissensgebiet schöpfen kann. Viele Grüße Werner

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  3. Die Altvorderen wussten es, die beiden Autoren dieses Artikels zeigen es - Zittau steht auf zwei mächtigen Braunkohle-Flözen.
    Kennen die Befürworter von möglichen Bau- oder Neubaumaßnahmen an der Mandau-Kaserne die hohen Risiken des dortigen Baugrundes (mit möglichen Torflinsen und Braunkohleschichten)? Auch unterirdisch warten immense Kosten auf einen Investor!

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  4. Sehr schöner, informativer Beitrag! Es ist interessant zu sehen, wie schnell die Natur Wunden, wie den Olbersdorfer See, auch wieder schliessen kann. (Es wäre noch zu überprüfen, wie gut dieses "Schliessen" wirklich funktioniert hat, aber auf den ersten Blick erkennt man von den ganzen Erdarbeiten südlich von Zittau kaum noch etwas.)

    Thomas Fester

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