Sonntag, 7. September 2014

Ein Blick nach Niederschlesien und die Grafschaft Glatz - Teil 1

Ein Gastbeitrag von Björn Ehrlich, Zittau-Hörnitz

Die Wojewodschaft Niederschlesien (Dolny Śląsk) ist im äußersten Südwesten Polens gelegen und grenzt an Deutschland und Tschechien. Das ehemals zu Deutschland gehörende Gebiet fiel bekanntlich im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs an Polen. Die ehemalige Grafschaft Glatz, wir wollen sie Glatzer Land nennen, ist Bestandteil dieser Region. Ebenso wie das Riesengebirge, welches ein bedeutender Standort für den Tourismus Polens darstellt, bietet das Glatzer Land eigentlich die gleichen guten Voraussetzungen hinsichtlich der landschaftlichen Schönheiten und des Vorhandenseins kulturellen Erbes. Allein, es scheint sich noch nicht herumgesprochen zu haben. Gleichwohl ist anzumerken, dass die wirtschaftliche Entwicklung noch nicht den Stand erreicht hat, wie es in anderen Regionen Polens oder Tschechiens der Fall ist, jedenfalls mit Blick auf die eigene Wahrnehmung. Trotzdem ist uns angenehm aufgefallen, dass es in den letzten Jahren einen deutlichen Fortschritt gegeben hat, gemessen an der Sanierung der Städte und der privaten Bautätigkeit im ländlichen Bereich.

Die Grafschaft Glatz war seit ihrer Erhebung von den Turbulenzen ihrer Zeit stark betroffen : Hussittenkriege, Rekatholisierung, Dreißigjähriger Krieg, Schlesische Kriege, in deren Ergebnis die Grafschaft von Habsburg an die Preußische Krone fiel, und nicht zuletzt der Zweite Weltkrieg, nach dem ihr Bestand erlosch. Dennoch erlangten die herrschenden Familien beachtlichen Wohlstand, wohl zu ungunsten der armen Bevölkerungsschichten. Wir erinnern uns an den Aufstand der Schlesischen Weber und die Bauernaufstände. Ausdruck des besonderen Reichtums des Adels und des damit verbundenen kulturellen Status waren die für diese relativ kleine Region zahlreichen Schlösser. In Ihrem Buch 'Schlösser und Herrenhäuser in der Grafschaft Glatz' stellen die Autoren Franke/Schulze über 50 Standorte mit Herrensitzen vor, die teils von beträchtlicher Größe und prachtvoll ausgestattet waren. Über 40 sind schon völlig oder so gut wie verschwunden. Etwa 30 seien noch zu retten.

Die verlorenen Reste dieser Bauten lösen Sprachlosigkeit aus, wenn man sie heute sieht. Nach dem Krieg wurden diese Liegenschaften häufig von Staatsgütern bewirtschaftet oder zu sozialen Zwecken genutzt, so dass wenigstens - wenn auch nicht fachgerecht im denkmalpflegerischen Sinne - noch Erhaltungsmaßnahmen vorgenommen wurden. Nach 1989 wurden diese Immobilien an eine Art Treuhandgesellschaft (Agencja Rolna) übertragen, unter deren Regie der Totalverfall eintrat. Das einst prächtige Schloß Niederrathen (Ratno Dolne) zum Beispiel wurde an einen Privatinvestor veräußert, der es abbrennen ließ. Das Konzept ist schwer nachvollziehbar. Bekannt wurde z.B., dass sich die Stiftung Save Europe’s Heritage des britischen Trohnfolgers (ist er es wirklich ?), Prinz Charles, zur Sanierung des Schlosses Scharfeneck (Dwór Sarny) in Obersteine (Ścinawka Górna) bereit erklärt hat. Die Informationen sind spärlich, aber offenbar wurde das Vorhaben abgeblasen, weil der Verkäufer einen spekulativen Kaufpreis erzielen wollte. Eigentümerin war nach Franke/Schulze die Agencja Rolna. Für die britischen Denkmalschützer hat sich das Projekt Niederschlesien damit vorerst erledigt und das bemitleidenswerte Schloss verfällt vollends.

Natürlich stellt sich die Frage, welchem Zweck die Immobilien nach einer Sanierung dienen sollen. Schwer vorstellbar, dass eine Landschaft aus Luxushotels und Begegnungszentren aus dem Boden schießt. Wer soll das bezahlen? Die Auslese ist aber bereits durch Unterlassung erfolgt und so kann man den Investoren an den verbliebenen sanierungsfähigen Standorten, z.B. in Grafenort (Gorzanów) oder Mittelwalde (Międzylesie) nur viel Glück wünschen. 

Nun zu den guten Nachrichten. Die Reise in das Glatzer Land führt – je nach Route – östlich des Hirschberger Tales durch eine zauberhafte Mittelgebirgslandschaft, entweder durch das Waldenburger Bergland oder auf der südlichen Trasse vorbei an der Adersbach-Weckelsdorfer Felsenstadt (Adršpašsko-Teplické skály) und den Braunauer Wänden (Broumovské stěny). Das Glatzer Land selbst wird wiederum umschlossen von sechs Mittelgebirgen: Eulengebirge (Góry Sowie), Heuscheuergebirge (Góry Stołowe), Habelschwerdter Gebirge (Góry Bystrzyckie), Glatzer Schneegebirge (Masyw Śnieżnika), Bielengebirge (Góry Bialskie), Reichensteiner Gebirge (Góry Złote). Man kann sich hier unendliche Betätigungsfelder für Aktivreisende aller Couleur vorstellen und es ist unmöglich, an dieser Stelle eine umfassende Darstellung abzugeben, auch mangels ausreichender eigener Erfahrungen. Es ist eine liebenswürdige Landschaft, die es wert ist, erkundet zu werden. Nicht nur die ehrgeizige Erwanderung des Schneebergs (Śnieżnik Kłodzki), der Hohen Eule (Wielka Sowa) oder der Heidelkoppe (Borowkowa) mit herrlichem Rundblick befriedigen die Erwartungen, auch Kleinode wie der Heuscheuer, das Hochtal entlang der Wilden Adler (Dzika Orlica), die kleinen, sich in den Bergen verlaufenden Täler und die Hanglagen entlang der Gebirge, von denen der weite Blick über das Glatzer Land schweift, machen den Aufenthalt zu einem schönen Erlebnis. Auch die alten Kurbäder Landeck (Lądek-Zdrój), Kudowa (Kudowa-Zdrój), Reinerz (Duszniki-Zdrój), Altheide (Polanica-Zdrój) oder Langenau (Długopole-Zdrój) putzen sich wieder heraus. 

Zunehmend etabliert sich auch das Übernachtungsgewerbe. Vielleicht ist es im Glatzer Land die richtige Wahl, in einer Agrotourismus - Herberge unterzukommen. Auf dem Land sind hier die alten dörflichen und landwirtschaftlichen Strukturen noch zu erkennen, die hierzulande durch Großraumwirtschaft schon lange verschwunden sind. Wer das Glück hat, eine Herberge zu finden, wie Lerchenfeld, wird dermaßen gut umsorgt, dass man auch gerne ein paar Schlechtwetter-Tage in Kauf nimmt. 


Blick über Rückers (Szczytna)


Blick zum Schneegebirge


Im Habelschwerdter Gebirge



Im Hochtal der Wilden Adler





Bielendorf (Bielice)


Die Biele


Landschaft um Winkeldorf





Markt Bad Landeck 2008


… und 2014


In Glatz


Ansichten von Habelschwerdt







Wallfahrtskirche Albendorf


… mit Heuscheuergebirge


Im Heuscheuergebirge



Kirche Altgersdorf (Stary Gierałtów)


Kirche in Winkeldorf (Kąty Bystrzyckie)


Ansicht von Wartha mit Glatzer Neiße


Ansicht von Gabersdorf (Wojbórz)


Kirche in Droschkau


Kirche in Heinzendorf (Skrzynka)


Kirche in Kunzendorf (Trzebieszowice)


Reste des Schlosses Reyersdorf (Radochow)

Sanierungswürdiges Schloss Grafenort (Gorzanów)


Schloss Niederrathen (vor dem Brand)


Klägliche Reste des Schlosses Wölfelsdorf (Wilkanów)



Sanierungswürdiges Schloss Scharfeneck


Sanierungsfall Schloss Mittelwalde



Pension Lerchenfeld


Abend über der Grafschaft Glatz




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de Interessante Blogs Blog-Webkatalog.de - das Blogverzeichnis