TB: Seite 372
Die Offenbarung des Johannes
Nehmen wir z. B. die Bibel und darin das letzte Buch des Neuen Testaments, die Apokalypse (besser bekannt als die „Offenbarung des Johannes“). Macht man sich die Mühe und liest als nicht sonderlich kirchlich Angehauchter den Text, dann fragt man sich unweigerlich, was will uns der Autor (augenscheinlich ein christlicher Prophet) damit eigentlich sagen? Offensichtlich ist der Text hochgradig erklärungsbedürftig. Seine mystische Sprache, sein Kontext, der nur im Kontext der Zeit, wo er geschrieben wurde, überhaupt verständlich zu sein scheint, widerstrebt einer sofort einleuchtenden Interpretation. Und hier beginnt die Arbeit der Exegeten, der Bibelausleger. Je nach ihrer Herangehensweise deuten sie die Apokalypse als „Gegenwartskritik“ im Sinne der „Gegenwart“ zur Zeit des römischen Kaisers Domitian (51-96), der ein grausamer Christenverfolger war. Andere wiederum sehen darin eine Zukunftsvision, die in der Endzeit, im „Jüngsten Gericht“, enden wird. Die vom Propheten „gesehenen“ Katastrophen kündigen sie an und steigern sich bis zum Endgericht, dem dann das Reich Gottes folgt. Diese Interpretation ist sehr beliebt bei den Zeugen Jehovas und wird auch gern einmal künstlerisch verarbeitet, wie z. B. in dem US-amerikanischen Endzeitfilm „Das Siebte Zeichen“ von 1988 (wobei man sich über den künstlerischen Wert des Streifens durchaus streiten kann). Eine weitere Interpretation liest die „Offenbarung“ mehr als Heilsdrama, als den Kampf gegen die Unheilsmacht des absolut Bösen, welches im Sieg Gottes und der Errichtung seines ewigen Reiches gipfelt. Historisch gesehen lässt sich diese Interpretation als Gesellschaftskritik an den Zuständen des römischen Kaiserreichs auffassen, vor dessen zerstörerischem Einfluss Johannes die kleinasiatischen Gemeinden, die noch stark hellenistisch geprägt waren, warnen bzw. bewahren wollte. Aus der „Offenbarung des Johannes“ haben es auch aufgrund der Bibelübersetzung Luthers ein paar Redewendungen bis in die Alltagssprache geschafft. So das „Buch mit sieben Siegeln“, und „Das Alpha und das Omega“ (bzw. „das A und O“) aus dem Zitat
„Ich bin das Alpha und Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“.
Dieses „Omega“ hat sogar - als Endpunkt der Geschichte - Einzug in die wissenschaftliche Terminologie gehalten, als „Omegapunkt“.
Die Omegapunkt-Theorie
Als erstes als Zielpunkt aller evolutionären Entwicklungen an sich (z. B. im Sinne des Theologen und Philosophen Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955)) und zum anderen als möglicher Endpunkt einer kosmologischen Entwicklung des gesamten Universums. Die „Omegapunkttheorie“ gibt sich als physikalische Theorie aus, die auf der Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins beruht und einen sogenannten „Big Crunch“ am Ende der Entwicklung unseres Universums vorhersagt. Dessen Eintreten hängt entscheidend von der mittleren Dichte der gravitativ wirksamen Energie (=Masse) des Kosmos ab. Übersteigt sie einen kritischen Wert, dann kommt die kosmische Expansion irgendwann zum Stehen und der „Kosmos“ geht in eine Kollapsphase über, die wiederum nach einer endlichen Zeit in einem „Big Crunch“ endet. Und genau hier wird von dem amerikanischen Physiker Frank J. Tipler der „Omegapunkt“ angesiedelt. Nur leider zeigen alle Beobachtungen, dass es (wahrscheinlich) nie zu einem „Big Crunch“ kommen wird, denn das Expansionsverhalten unseres Kosmos zielt auf eine „ewige“ Expansion hin - die Expansionsrate nimmt nämlich nicht ab, sie ist auch nicht konstant, sondern nimmt stetig zu. Für diese Entdeckung haben die Astronomen Saul Perlmutter, Brain P. Schmidt und Adam Riess 2011 den Nobelpreis für Physik erhalten. Was enthält nun die „Omegapunkt-Theorie“, welche Frank J. Tipler 1994 in seinem vielbeachteten und durch seinen Titel „Die Physik der Unsterblichkeit – Moderne Kosmologie, Gott und die Auferstehung der Toten“ auch schnell zu einem Bestseller gewordenen semipopulären Buch entwickelt hat? Tipler konstruiert darin ein Szenario, mit dem er letztendlich, quasi mit dem Anspruch einer naturwissenschaftlichen Grundlage, die „Wiederauferstehung“ eines jeden von uns – und zwar als „Simulation“ in einem kosmischen Computer – vorhersagt mit der Aussicht auf ein „ewiges Leben“, so wie es die christliche Religion ja auch verheißt. Viele Teile des Buches, soweit sie nicht mit theologischem Vokabular durchmischt sind und sich auf rein wissenschaftliche Teilaspekte wie z. B. Poincarès Theorem der Wiederkehr oder den „Wärmetod“ des Weltalls beziehen, sind durchaus auch für einen Physiker aufschlussreich und regen zum Nachdenken über den Gegenstand an (Hinweis: es ist keine leichte Kost!). Das Gesamtgebäude jedoch, welches der Autor darauf aufbaut, erscheint dann doch ziemlich krude und kann vom wissenschaftlichen Standpunkt aus nicht einmal ansatzweise ernst genommen werden. Die Ausgangsintention scheint eher so gewesen zu sein, dass eine Art „Glaubensinhalt“ vorgegeben wurde (das „Reich Gottes“ nach dem „Jüngsten Gericht“ gemäß der Apokalypse) und der Autor sich scheinbar ernsthaft gefragt hat (obwohl man das bei so einer fachlichen Koryphäe wie Frank J. Tipler eigentlich kaum glauben mag), wie die Natur (Kosmos) beschaffen sein muss und was der Mensch tun muss, damit dieser „Glaubensinhalt“ „am Ende der Zeit“ erfahrbar „wahr“ wird. Die Vermengung zwischen naturwissenschaftlicher Argumentation und eschatologischer Vorgaben, wie sie sich beispielsweise in monotheistischen Religionen wiederfinden, machen jedenfalls die Lektüre nicht einfacher. 2008 hat er übrigens nachgelegt: „Die Physik des Christentums: Ein naturwissenschaftliches Experiment“. Darin will er zeigen, dass alle „Wunder“ des Christentums naturwissenschaftlich erklärbar sind – von der „Jungfrauengeburt“ über den Spaziergang Jesus über das Wasser des Sees Genezareth bis hin zur Entmaterialisierung des Körpers von Jesus. Die „Lösungen“, die er dabei anbietet, sind aber derart grotesk (er erklärt z. B. das Wandeln Jesus über das Wasser mit einem Neutrinostrahl, der sich unter den Füßen Jesus bildet und nach „unten“ gerichtet ist – einfacher ging es wohl nicht? Wie wär’s mit einem Flyboard?), dass man irgendwann aufhört zu lesen. Von einigen Christen, besonders aus der Kreationistenszene, euphorisch begrüßt, wurde es von seinen Fachgenossen (z. B. Lawrence Krauss, der ansonsten auch gern „spekuliert“) als barer Unsinn bezeichnet, welches der hohen fachlichen Reputation des Verfassers überhaupt nicht gerecht wird (er ist immerhin Professor für mathematische Physik an der Tulane University in New Orleans, der anerkannte Beiträge beispielsweise zur Kosmologie geliefert hat).
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Die Offenbarung des Johannes
Nehmen wir z. B. die Bibel und darin das letzte Buch des Neuen Testaments, die Apokalypse (besser bekannt als die „Offenbarung des Johannes“). Macht man sich die Mühe und liest als nicht sonderlich kirchlich Angehauchter den Text, dann fragt man sich unweigerlich, was will uns der Autor (augenscheinlich ein christlicher Prophet) damit eigentlich sagen? Offensichtlich ist der Text hochgradig erklärungsbedürftig. Seine mystische Sprache, sein Kontext, der nur im Kontext der Zeit, wo er geschrieben wurde, überhaupt verständlich zu sein scheint, widerstrebt einer sofort einleuchtenden Interpretation. Und hier beginnt die Arbeit der Exegeten, der Bibelausleger. Je nach ihrer Herangehensweise deuten sie die Apokalypse als „Gegenwartskritik“ im Sinne der „Gegenwart“ zur Zeit des römischen Kaisers Domitian (51-96), der ein grausamer Christenverfolger war. Andere wiederum sehen darin eine Zukunftsvision, die in der Endzeit, im „Jüngsten Gericht“, enden wird. Die vom Propheten „gesehenen“ Katastrophen kündigen sie an und steigern sich bis zum Endgericht, dem dann das Reich Gottes folgt. Diese Interpretation ist sehr beliebt bei den Zeugen Jehovas und wird auch gern einmal künstlerisch verarbeitet, wie z. B. in dem US-amerikanischen Endzeitfilm „Das Siebte Zeichen“ von 1988 (wobei man sich über den künstlerischen Wert des Streifens durchaus streiten kann). Eine weitere Interpretation liest die „Offenbarung“ mehr als Heilsdrama, als den Kampf gegen die Unheilsmacht des absolut Bösen, welches im Sieg Gottes und der Errichtung seines ewigen Reiches gipfelt. Historisch gesehen lässt sich diese Interpretation als Gesellschaftskritik an den Zuständen des römischen Kaiserreichs auffassen, vor dessen zerstörerischem Einfluss Johannes die kleinasiatischen Gemeinden, die noch stark hellenistisch geprägt waren, warnen bzw. bewahren wollte. Aus der „Offenbarung des Johannes“ haben es auch aufgrund der Bibelübersetzung Luthers ein paar Redewendungen bis in die Alltagssprache geschafft. So das „Buch mit sieben Siegeln“, und „Das Alpha und das Omega“ (bzw. „das A und O“) aus dem Zitat
„Ich bin das Alpha und Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“.
Dieses „Omega“ hat sogar - als Endpunkt der Geschichte - Einzug in die wissenschaftliche Terminologie gehalten, als „Omegapunkt“.
Die Omegapunkt-Theorie
Als erstes als Zielpunkt aller evolutionären Entwicklungen an sich (z. B. im Sinne des Theologen und Philosophen Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955)) und zum anderen als möglicher Endpunkt einer kosmologischen Entwicklung des gesamten Universums. Die „Omegapunkttheorie“ gibt sich als physikalische Theorie aus, die auf der Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins beruht und einen sogenannten „Big Crunch“ am Ende der Entwicklung unseres Universums vorhersagt. Dessen Eintreten hängt entscheidend von der mittleren Dichte der gravitativ wirksamen Energie (=Masse) des Kosmos ab. Übersteigt sie einen kritischen Wert, dann kommt die kosmische Expansion irgendwann zum Stehen und der „Kosmos“ geht in eine Kollapsphase über, die wiederum nach einer endlichen Zeit in einem „Big Crunch“ endet. Und genau hier wird von dem amerikanischen Physiker Frank J. Tipler der „Omegapunkt“ angesiedelt. Nur leider zeigen alle Beobachtungen, dass es (wahrscheinlich) nie zu einem „Big Crunch“ kommen wird, denn das Expansionsverhalten unseres Kosmos zielt auf eine „ewige“ Expansion hin - die Expansionsrate nimmt nämlich nicht ab, sie ist auch nicht konstant, sondern nimmt stetig zu. Für diese Entdeckung haben die Astronomen Saul Perlmutter, Brain P. Schmidt und Adam Riess 2011 den Nobelpreis für Physik erhalten. Was enthält nun die „Omegapunkt-Theorie“, welche Frank J. Tipler 1994 in seinem vielbeachteten und durch seinen Titel „Die Physik der Unsterblichkeit – Moderne Kosmologie, Gott und die Auferstehung der Toten“ auch schnell zu einem Bestseller gewordenen semipopulären Buch entwickelt hat? Tipler konstruiert darin ein Szenario, mit dem er letztendlich, quasi mit dem Anspruch einer naturwissenschaftlichen Grundlage, die „Wiederauferstehung“ eines jeden von uns – und zwar als „Simulation“ in einem kosmischen Computer – vorhersagt mit der Aussicht auf ein „ewiges Leben“, so wie es die christliche Religion ja auch verheißt. Viele Teile des Buches, soweit sie nicht mit theologischem Vokabular durchmischt sind und sich auf rein wissenschaftliche Teilaspekte wie z. B. Poincarès Theorem der Wiederkehr oder den „Wärmetod“ des Weltalls beziehen, sind durchaus auch für einen Physiker aufschlussreich und regen zum Nachdenken über den Gegenstand an (Hinweis: es ist keine leichte Kost!). Das Gesamtgebäude jedoch, welches der Autor darauf aufbaut, erscheint dann doch ziemlich krude und kann vom wissenschaftlichen Standpunkt aus nicht einmal ansatzweise ernst genommen werden. Die Ausgangsintention scheint eher so gewesen zu sein, dass eine Art „Glaubensinhalt“ vorgegeben wurde (das „Reich Gottes“ nach dem „Jüngsten Gericht“ gemäß der Apokalypse) und der Autor sich scheinbar ernsthaft gefragt hat (obwohl man das bei so einer fachlichen Koryphäe wie Frank J. Tipler eigentlich kaum glauben mag), wie die Natur (Kosmos) beschaffen sein muss und was der Mensch tun muss, damit dieser „Glaubensinhalt“ „am Ende der Zeit“ erfahrbar „wahr“ wird. Die Vermengung zwischen naturwissenschaftlicher Argumentation und eschatologischer Vorgaben, wie sie sich beispielsweise in monotheistischen Religionen wiederfinden, machen jedenfalls die Lektüre nicht einfacher. 2008 hat er übrigens nachgelegt: „Die Physik des Christentums: Ein naturwissenschaftliches Experiment“. Darin will er zeigen, dass alle „Wunder“ des Christentums naturwissenschaftlich erklärbar sind – von der „Jungfrauengeburt“ über den Spaziergang Jesus über das Wasser des Sees Genezareth bis hin zur Entmaterialisierung des Körpers von Jesus. Die „Lösungen“, die er dabei anbietet, sind aber derart grotesk (er erklärt z. B. das Wandeln Jesus über das Wasser mit einem Neutrinostrahl, der sich unter den Füßen Jesus bildet und nach „unten“ gerichtet ist – einfacher ging es wohl nicht? Wie wär’s mit einem Flyboard?), dass man irgendwann aufhört zu lesen. Von einigen Christen, besonders aus der Kreationistenszene, euphorisch begrüßt, wurde es von seinen Fachgenossen (z. B. Lawrence Krauss, der ansonsten auch gern „spekuliert“) als barer Unsinn bezeichnet, welches der hohen fachlichen Reputation des Verfassers überhaupt nicht gerecht wird (er ist immerhin Professor für mathematische Physik an der Tulane University in New Orleans, der anerkannte Beiträge beispielsweise zur Kosmologie geliefert hat).
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