... Seite 267
Wer sich den Weg in das „Chaos“ einmal als Grafik anschauen möchte, sollte im Internet einmal nach dem „Feigen-baumdiagramm“ googeln. Apropos „googeln“.
Große Zahlen - googol und gogolplex
Haben Sie gewusst, dass sich der Begriff „Google“ von dem Wort „googol“, einer speziellen Wortschöpfung für eine Zahl mit 100 Nullen (d. h. 10^100), ableitet? Damit lassen sich übrigens leicht weitere Potenzen bilden, z. B. 10^(10^100) - das Gogolplex, oder 10^(10^(10^100)), das Gogolplexplex. An dieser Stelle möchte ich mal eine Vermutung wagen, die ich selbstverständlich nicht beweisen kann: Unter den ersten Googolplexplexplexplexplex-Stellen der Zahl Pi werden sich in codierter Form, wie am Anfang dieses Buches beschrieben, einige wesentliche Absätze dieses Buches finden. Es hat aber keinen Zweck, danach zu fanden. Denn es gibt keinen einzigen Computer auf der Welt, der in der Lage wäre, irgendeine Zahl, die im Gogolplex-Bereich liegt, überhaupt Ziffer für Ziffer abzuspeichern. Und noch etwas, im überschaubaren Kosmos gibt es lediglich etwa 10^80 Protonen, d. h. eine Anzahl, die winzig klein ist gegenüber einem Gogol oder erst recht einem Gogolplex…
Hubble Deep Field...
Das überschaubare Universum
Doch was bedeutet „überschaubares Universum“? Gibt es Teile des Universums, die von uns nicht „überschaubar“ sind? Und hier wird es kompliziert, da der kosmische Raum sich über drei räumliche und eine zeitliche Dimension erstreckt. Die „Raumzeit“ kann nämlich „gekrümmt“ sein ähnlich wie eine zweidimensionale Fläche „gekrümmt“ sein kann. Ich will das hier nicht noch einmal näher ausführen. Nur so viel: Wie Albert Einstein 1915 in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie zeigen konnte, sind die „geradesten“ Linien, die zwei „Ereignisse“ (gegeben durch drei Raumkoordinaten und einen Zeitpunkt) miteinander verbinden können, „Geodäten“, entlang der man sich kräftefrei bewegen kann. Lichtstrahlen folgen im Vakuum z. B. einem solchen Weg.
Gekrümmte Raumzeit in der Nähe eines Schwarzen Lochs...
So ist ein statischer Raum denkbar, der ähnlich gekrümmt ist wie die Oberfläche einer Kugel. In solch einem Raum positiver Krümmung würde nach endlicher Zeit ein geradeaus ausgesandter Lichtstrahl nach einer „Umrundung“ an seinen Ausgangspunkt (quasi rücklings!) zurückkehren. Solch ein Raum wäre endlich (wie die endliche Oberfläche einer Kugel), aber ohne Grenzen (wie die Oberfläche einer Kugel). Es gibt aber auch Räume mit negativer Krümmung. Sie sind der Oberfläche einer Pseudosphäre analog (ein Ausschnitt sieht so etwa aus wie eine Sattelfläche) und genauso wie der flache „euklidische Raum“ unserer Erfahrung unendlich ausgedehnt. Doch was „krümmt“ nun diesen kosmischen Raum (genauer die Raumzeit)? Es ist die im Raum verteilte Energie in Form von Masse (Sterne, Galaxien) und Impuls. Die Frage nach der Geometrie des kosmischen Raumes ist deshalb im Wesentlichen eine Frage nach der Menge und Verteilung der Galaxien, die in ihm enthalten sind und muss deshalb durch Beobachtungen bestimmt werden. Der kosmische Raum hat aber noch eine unerwartete Eigenschaft, er expandiert nämlich. Man erkennt das daran, dass sich alle Galaxien von uns entfernen, und zwar umso schneller, je weiter sie von uns entfernt sind. Das ist ähnlich wie mit gleichmäßig verteilten Rosinen im Hefeteig eines Rosinenkuchens, der langsam „aufgeht“. Oder als zweidimensionales Analogon: Man male auf einem Luftballon gleichmäßig Punkte, welche Galaxien darstellen sollen. Bläst man ihn nun auf und stellt man sich als „Beobachter“ auf einem dieser Punkte vor, dann kann man auch hier beobachten, wie sich alle anderen entfernen - und zwar umso schneller, je weiter sie vom Punkt des Beobachters entfernt sind. Dieser Effekt, wieder auf den Kosmos übertragen, wird durch eine einfache Gesetzmäßigkeit beschrieben, die man das „Hubble-Gesetz“ nennt und welches eine Verbindung der Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien (die man anhand der Rotverschiebung ihrer Spektrallinien messen kann) und ihrer Entfernung herstellt.
Urknall und Hubble-Blase
Er impliziert, dass in der Vergangenheit einmal alle Entfernungen zwischen den Galaxien geringer waren als heute und dass man diese „Expansion“ - rückwärts betrachtet - bis zu einem singulären Punkt zurückverfolgen kann, den man gewöhnlich als „Urknall“ oder Big Bang bezeichnet. Mittlerweile weiß man sogar, dass dieser „Big Bang“ vor ziemlich genau 13,798 Milliarden Jahren stattgefunden hat.
Und genau dieser Umstand begrenzt für uns den Kosmos auf einen quasi endlichen Bereich, der durch einen Horizont begrenzt wird und der sich mit der Zeit immer weiter weg von uns verschiebt. Der Grund liegt in der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit, was bedeutet, dass ein Lichtstrahl in 13,798 Milliarden Jahren auch nur eine Strecke von 13,798 Milliarden Lichtjahren durchlaufen kann. Aber in Wirklichkeit ist der „Horizont“ aufgrund der Expansion des Weltalls noch um einiges größer. Man schätzt den Durchmesser dieses als „Hubble-Blase“ bezeichneten für uns zumindest prinzipiell überschaubaren Raumbereichs auf ca. 93 Milliarden Lichtjahre. Das ist das für uns „sichtbare Universum“. Und da es keinen „Mittelpunkt“ des Weltalls gibt, hat jede Galaxie ihre eigene Hubble-Blase. Auf diese Weise kann das Weltall wirklich unendlich groß sein und es ist eine gute Arbeitshypothese anzunehmen, dass es darin auch überall ähnlich aussieht (bei gleichem Weltalter sind ja auch alle Galaxien zeitlich gesehen gleichweit vom Urknall entfernt) - und zwar auch außerhalb unserer eigenen Hubble-Blase. In unserem zwar „endlichen“, aber unbegrenzten Luftballonmodell bedeutet das, dass seine Oberfläche relativ gleichmäßig mit „Galaxienpunkten“ belegt ist und es um jede Galaxie herum eine kreisförmige „Lichtfront“ gibt, welche den jeweiligen Horizont angibt und die sich mit einer zeitabhängigen "Geschwindigkeit" immer weiter in den kosmischen Raum hineinarbeitet und auf diese Weise immer mehr Galaxienpunkte in ihren Gesichtskreis geraten. Bläst man jetzt den Luftballon auf, dann lässt sich damit die kosmische Expansion simulieren und man erkennt, dass die Entfernung zum Horizont schneller anwächst als sich rein aus der Endlichkeit der Lichtgeschwindig-keit ergibt. Für die weitere Argumentation ist es hier aber nur wichtig zu verstehen, dass es hinter dem Horizont weiter geht - vielleicht sogar bis ins Unendliche.
Das Multiversum der Doppelgänger
Und das führt zu einigen interessanten Konsequenzen, die darin begründet liegen, dass jeder Teil des Raumes (z. B. der Inhalt unserer Hubble-Blase) selbst endlich und jede endliche Zahl bekanntlich klein gegenüber „Unendlich“ ist. Physikalisch gesprochen, lässt sich weiterhin jedes endliche Volumen durch die Anzahl der darin realisierbaren Quantenzustände beschreiben. Diese Zahl ist riesengroß, da man dabei auch alle möglichen Kombinationen berücksichtigen muss. Aber sie ist endlich und damit immer noch winzig klein gegenüber Unendlich. Um das etwas anschaulicher zu machen, stellen Sie sich ein riesiges Schachbrett vor, welches aus lückenlos aneinandergereihten 8x8 –Spielfeldern besteht. Auf jedem dieser Spielfelder sind 0 bis 32 Spielfiguren völlig zufällig (quasi ausgewürfelt) angeordnet. Nun können Sie sich die Frage stellen, wie weit muss man sich maximal von einem zufällig ausgewählten 64-Felder-Spielfeld wegbewegen, bis ich zu 100% sicher wieder ein 64-Felder-Spielfeld mit der identischen Figurenanordnung finde (Übungsaufgabe). Und was für das Schachbrett mit seinen Figuren gilt, gilt auch für die Quantenzustände in einem Volumen von der Größe der Hubble-Blase, welches „unser“ Universum darstellt. Also wo findet man im unendlichen (oder genügend großen, sollte es endlich sein) Kosmos wieder einen Raumbereich von der Größe einer Hubble-Blase, dessen Quantenzustand mit dem unsrigen ununterscheidbar ist? Eine entsprechende Überschlagsrechnung verrät es uns: etwas mehr als ein Gogolplex Meter (~10^(10^120) m).Und was bedeutet das?
Es bedeutet, dass in dieser Entfernung eine Welt zu erwarten ist, die sich in nichts von unserer unterscheidet. Dort sitzt ein Alter Ego von Ihnen, der mit Ihnen, lieber Leser vollkommen identisch ist, mit der gleichen Lebensgeschichte und den gleichen Erinnerungen, und liest diese Zeilen aus einem diesem Buch völlig identischem Buch. Verrückt, nicht wahr? Und in einem unendlich großen Universum mit den genannten Eigenschaften gibt es wieder unendlich viele Doppelgänger von uns allen – und nicht nur völlig identische, sondern auch in allen denkbaren Abweichungen. Die Wiederholung unserer Hubble-Blase ist natürlich eine Maximalforderung. Einen „Doppelgänger“ sollte man schon um einiges näher finden. So sollte sich ein Raumbereich mit einem Radius von 100 Lichtjahren in identischer Ausführung bereits in ca. 10^(10^92) Meter finden lassen. Und da ein Mensch noch um einiges kleiner ist, kann man einen perfekten Doppelgänger von ihm bereits in schlappen 10^(10^28) Meter Entfernung erwarten. Aber das ist immer noch weit hinter dem Horizont… Das Universum besteht nach diesen Überlegungen aus unendlich vielen „Hubble-Blasen“, die sich überschneiden und in ihrer Gesamtheit ein unendliches (oder sehr großes, wenn endliches) Multiversum bilden. Der Physiker Max Tegmark, der sich mit diesem Gegenstand ausführlich auseinandergesetzt hat, spricht in diesem Fall von einem Multiversum der Ebene 1.
Urknalltheorien
Denn die Wissenschaft hat in dieser Beziehung noch einiges mehr zu bieten. So ist es weiterhin ein Rätsel, wie es überhaupt zu so etwas wie einen „Urknall“ kommen konnte. Eine wichtige Entdeckung war in diesem Zusammenhang, dass es kurz nach dem ominösen Zeitpunkt Null (so ungefähr zwischen 10^-35 und 10^-30 Sekunden nach dem eigentlichen Urknall) zu einem enormen „Aufblähen“ des Raumes gekommen ist, den man „Inflation“ nennt. Sie beantwortet die Frage, warum das Universum so groß, so gleichförmig und so flach ist. Eine rapide Raumdehnung vermag nämlich diese und andere, ansonsten rätselhafte Eigenschaften auf einen Streich zu erklären. Da sie auch durch beobachtbare Implikationen gestützt wird, ist die kosmische Inflationsphase mittlerweile ein fester Bestandteil einer jeden Urknalltheorie. Man erkauft sich das aber – wenn man weiter denkt – durch andere Absonderlichkeiten. So wird z. B. in der Theorie der „ewigen chaotischen Inflation“ die Existenz und fortwährende Bildung neuer, parallel nebeneinander existierender Universen der Ebene 1 postuliert. In jedem dieser Universen – manche bestehen ewig, viele andere kollabieren sofort wieder – gelten andere Werte für die grundlegenden Naturkonstanten und nur in denen, wo sie zufällig Werte annehmen, die die Entstehung lebender Materie erlaubt, gibt es auch Beobachter. Und auch hier gibt es dann Universen (diesmal „Universen“ die Multiversen der Ebene 2 bilden), die unserem ähneln oder weitgehend gleichen und in denen es auch wiederum Doppelgänger von uns gibt. Und diese Universen, welche die Theorie vorhersagt, sind aus dem inneren unseres Universums heraus prinzipiell nicht einmal mehr nachweisbar. Noch verrückter, nicht wahr? Immer dort, wo empirische Daten fehlen oder nur schwer zu beschaffen sind oder man noch nicht einmal weiß, nach was man forschen soll, gedeihen verrückte Ideen und Theorien. Die Frage ist nur – und Niels Bohr stellte sie einst im Zusammenhang mit der Quantentheorie - ob die Idee oder Theorie wirklich auch verrückt genug ist, um wahr zu sein. Letztendlich entscheidet die Beobachtung oder das Experiment, ob eine Naturbeschreibung richtig ist oder falsch.
Theorie und Empirie
Denn wie der berühmte Wissenschaftsphilosoph Karl Popper (1902-1994) festgestellt hat, können Theorien über irgendeinen Gegenstand niemals in letzter Konsequenz als „wahr“ angesehen werden – ihre „Wahrheit“ ergibt sich aus einer noch nicht gelungenen Falsifikation. Oder anders ausgedrückt: naturwissenschaftliche Theorien können niemals in letzter Konsequenz bewiesen, aber jederzeit durch die Empirie widerlegt werden. Das Experiment und die Beobachtung sind dafür die Instanzen, an der sich eine Theorie messen lassen muss. So ist es völlig legitim, dass man Theorien erfinden darf. Man muss sie dann aber auch an der Wirklichkeit messen. Gibt es dabei nur eine Diskrepanz, muss man entweder ihre Gültigkeit entsprechend einschränken (wie die klassische Mechanik auf Geschwindigkeiten, die klein gegenüber der Lichtgeschwindigkeit sind), sie entsprechend erweitern (Spezielle Relativitätstheorie) oder aber man kann sie gleich in die Tonne kloppen (wie die einst sehr populäre Phlogiston-Theorie). An dieser Stelle ist es vielleicht interessant, auf eine Theorie hin-zuweisen, die in dem 1960 erschienenen, von Eric M. Rogers verfassten Buch „Physik für den forschenden Geist“ (Physics for the Inquiring Mind, leicht im „Web“ zu finden) das Licht der Welt erblickte.
Die Dämonentheorie der Reibung
Sie hat den Anspruch, ein sehr schwieriges Phänomen, welches aber für die Technik von grundlegender Bedeutung ist, abschließend zu behandeln – die Reibung.
Diese Theorie lässt sich am besten in Form eines Dialogs eines Anhängers der Theorie (A) und eines Skeptikers (S) vorstellen. Es ist die „Demon theory of friction“. Beginnen wir also:
S: Ich glaube nicht an Dämonen.
A: Ich schon.
S: Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, wie Dämonen Reibung erzeugen.
A: Sie stellen sich gegen die Dinge und bringen sie zum Stillstand.
S: Ich kann auch auf der rauesten Tischfläche bei bestem Willen keine Dämonen erkennen.
A: Sie sind zu klein und außerdem völlig durchsichtig.
S: Auf rauen Flächen ist die Reibung stärker.
A: Dort gibt es ja auch mehr Dämonen.
S: Wenn ich aber Öl dazugebe, verringert sich die Reibung.
A: Öl verjagt ja auch die Dämonen.
S: Wenn ich nun aber den Tisch poliere, dann wird die Reibung geringer und ein Ball rollt weiter.
A: Sie putzen ja damit auch die Dämonen weg. Es stemmen sich dann weniger gegen den Ball und der Ball kommt erst nach einer größeren Strecke zum halt.
S: Aber eine schwerere Kugel erzeugt mehr Reibung und es knirscht beim Rollen.
A: Es stemmen sich halt mehr Dämonen dagegen und ihre Knochen zerbersten, was deutlich zu hören ist.
S: Wenn ich einen Ziegel auf den Tisch lege und ihn mit wachsender Kraft gegen die Reibung zu schieben versuche, dann wird er sich bis zu einer Grenze nicht bewegen, da die Reibung jeweils die von mir ausgeübte Kraft aufhebt.
A: Natürlich stemmen sich die Dämonen gerade so stark dagegen, dass sich der Ziegel trotz der von ihnen aufgewendeten Kraft nicht bewegt. Allerdings sind ihre Kräfte nicht unbegrenzt und ab einem Punkt kollabieren sie.
S: Wenn ich aber stark genug anschiebe und den Ziegel in Bewegung setze, tritt Reibung auf, der den Ziegel in seiner Bewegung bremst.
A: Ist logisch, denn wenn die Dämonen kollabiert sind, dann werden sie von dem Ziegel zermahlen. Es sind ihre zermalmten Knochen, die sich der gleitenden Bewegung des Ziegels entgegensetzen.
S: Ich kann sie aber nicht spüren.
A: Reiben Sie mit ihrem Finger auf dem Tisch.
S: Reibung folgt aber gewissen Gesetzen. So ist experimentell erwiesen, dass die Reibung den gleitenden Ziegel mit einer geschwindigkeitsabhängigen Kraft bremst.
A: Selbstverständlich wird immer die gleiche Anzahl von Dämonen zermahlen, ganz gleich, wie rasch man über sie hinwegfährt.
S: Wenn ich mit einem Ziegel immer wieder über den Tisch fahre, dann ist die Reibung jedes Mal die gleiche. Die Dämonen wären doch schon beim ersten Mal zermahlen worden.
A: Bedenken Sie, Dämonen vermehren sich unglaublich rasch.
S: Und dann gibt es doch auch noch andere Reibungsgesetze. Die Bremsung ist z. B. proportional zum Druck, mit dem beide Oberflächen aneinandergepresst werden.
A: Dämonen leben in den Poren der Oberfläche. Ein höherer Druck fordert eine größere Anzahl von ihnen heraus. Sie stemmen sich dann dagegen und werden zermahlen. Dämonen funktionieren genau wie die Kräfte, die Sie bei ihren Experimenten gefunden haben.
Nach diesem Schema (haben Sie es durchschaut?) kann man selbstverständlich noch viele andere „Theorien“ zur Erklärung spezieller Phänomene erfinden. Sie sind künstlich, bieten dabei so gut wie keinen Bezug zu weiteren damit im Zusammenhang stehenden physikalischen Prozessen und sie lassen sich auch nur bedingt mathematisch fassen. Kurz gesagt, solch eine Theorie ist überflüssig, aber keinesfalls nutzlos – denn sie ist zumindest unterhaltsam, weshalb ich sie hier auch vorgestellt habe… Trotzdem möchte ich abschließend die Aufmerksamkeit auf die „Darbietungsform“ der Dämonentheorie der Reibung lenken.
Quaestio disputata
Dabei handelt es sich um eine als „Quaestio“ benannte Methode der Disputation, die im Mittelalter von den Scholastikern genutzt wurde, um solche auch heute noch nicht völlig gegenstandslos gewordenen Fragen wie „Was ist größer: die Freude des Wolfes, wenn er das Lamm erblickt, oder die Angst, von der das Lamm angesichts des Wolfes befallen wird“ oder die praktisch wichtigere „Ist es gesund, sich einmal monatlich zu betrinken“ einer Klärung zuzuführen. Derartige Fragen nennt man auch „scholastische Fragen“. Sie wurden an den frühen europäischen Universitäten mit großem Ernst und Eifer in Rede und Gegenrede unter strenger Beachtung logischer Gesetze diskutiert – und oft auch so in Briefen, Abhandlungen und Dissertationen festgehalten. So entstand die Literaturgattung der Quaestio, der sich selbst Galileo Galilei in seinem „Dialogo sopra i due massimi sistemi“ (Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme, 1632) noch bediente.
Wann die Methode der Quaestio genau entstanden ist, lässt sich mit Sicherheit nicht sagen. Sie hat sich seit dem 6. Jahrhundert (A. M. S. Boethius, ungefähr 480-526 n. Chr.) ganz allmählich entwickelt bis sie schließlich kanonisiert fester Bestandteil der universitären Ausbildung wurde. Die früheste namentliche Erwähnung findet sich übrigens in den Statuten der Pariser Universität, die aus dem Jahre 1215 stammen. Sie wurde im Anschluss an eine Vorlesung (lectio) als Disputation zwischen Lehrer und Student bzw. zwischen zwei Studenten (d. h. als Widersprechender und Antwortender, oben „S“ und „A“) in erster Linie zur Festigung des Lehrstoffs und zur Schulung des logischen Denkens als quaestio disputata abgehalten. Auch die mündliche Prüfung zur Erlangung eines akademischen Grades erfolgte in Form eines zumeist öffentlichen wissenschaftlichen Streitgesprächs. Noch Martin Luther wollte übrigens mit seinen 95 Thesen solch ein öffentliches Streitgespräch quasi erzwingen, was bekanntlich wegen der Brisanz des Themas nicht so richtig gelang, aber schließlich zur Reformation führte. Doch zurück zur „Quaestio“. Ihr Hauptgegenstand waren die „Heiligen Schriften“, also die Schriften der Bibel, der Kirchenväter und der antiken Philosophen. Daraus wurden die jeweiligen Fragestellungen abgeleitet, die dann einer Disputation zugeführt wurden. Im Falle der Quaestio bestand sie immer aus drei Teilen, an denen neben dem Hochschullehrer jeweils ein Opponens und ein Respondens beteiligt waren. Die Aufgabe des Einen bestand darin eine Aussage zu formulieren, die dann im Wechselgespräch zwischen These und Gegenthese einem Fazit zugeführt wurde. Heute kommt wohl eine klassische Podiumsdiskussion, bei der Leute mit Verstand diskutieren, dieser Methodik noch am nächsten. Ein Nachteil aus heutiger Sicht war lediglich, dass bei dieser durchaus wissenschaftlichen Methode die Voraussetzung – z. B. das Zitat eines Kirchenvaters oder eine Zeile aus der Bibel – niemals in Zweifel gezogen wurde, was dann zu den aus heutiger Sicht (zumindest für Nicht-Theologen) absonderlichsten Schlussfolgerungen geführt hat. Questiones waren aber natürlich nicht nur der Theologischen Fakultät vorbehalten. Besonders schöne „Blüten“ (d. h. „Fragestellungen“ bzw. sogar Dissertationsthemen) haben sich aus der Medizinischen Fakultät erhalten. Sie trugen dazu bei, dass dieses Wissensgebiet eher einen Rückschritt nahm, als dass dort fortschrittlichere Ideen, die z. B. die eines Galenos von Pergamon (um 130-215 n. Chr.) übertrafen, entwickelt wurden. Hier eine kleine Auswahl von Themen, mit denen sich die damaligen akademischen Ärzte beschäftigten und in Folge den Spott der Humanisten auf sich zogen: „Hat Gott den menschlichen Schädel als Sitz des Gehirns oder eher als Fenster für die Augen geschaffen?“ – „Gleicht der Embryo mehr der Mutter oder eher mehr dem Vater?“ – „Verursachen Ausschweifungen Glatzköpfigkeit?“ - „Ist es der Gesundheit förderlich, wenn man nur von Wasser und von Brot lebt?“ – „Ist das Weib ein unvollkommeneres Geschöpf als der Mann?“ etc. pp. Diese Themen (bis auf das erstere) wurden übrigens – was schriftlich belegt ist – allesamt mit der nötigen Ernsthaftigkeit im 14. und 15. Jahrhundert an der Pariser Universität abgehandelt.
Das scholastische Problem der Allmächtigkeit
Bruce allmächtig...
Es gab aber durchaus in der Scholastik Themen, die auch heute noch von Interesse sind. Nehmen wir einmal die in theologischen Kreisen nicht ganz unwichtige Frage, ob der „Allmächtige“ auch wirklich allmächtig ist. Dieses Problem lässt sich auf eine einfache und jedermann verständliche Frage herunterbrechen und die da – ganz in scholastischer Tradition – wie folgt lautet:
„Kann Gott als ein allmächtiges Wesen einen so schweren Stein erschaffen, dass er ihn selbst nicht hochheben kann?“.
Versucht man rein logisch diese Frage auf seine Antwortalternativen abzuklopfen, bemerkt man sehr schnell, dass es sich hierbei um ein Paradoxon handelt. Kann er nämlich einen solchen Stein erschaffen, ist er nicht allmächtig (er kann ihn ja nicht hochheben). Wenn Gott jedoch einen solchen Stein nicht erschaffen kann, so kann er gemäß der Fragestellung auch nicht allmächtig sein. Man kann es drehen und wenden wie man will, ohne scholastische Gedankenakrobatik lässt sich das Paradoxon nicht auflösen – und Gott kann demnach bereits aus logischen Gründen keinesfalls allmächtig sein. Der Begriff „Allmächtiger“ kann man deshalb durchaus als Anmaßung betrachten. Aber Spaß beiseite. Das Paradoxon lässt sich durchaus vermeiden, wenn man es etwas umformuliert. Man muss nur ein konkretes Gewicht des Steins vorgeben (so groß es auch sein mag). In diesem Fall gilt nämlich die Aussage: Ja, er kann einen mit diesem Gewicht erschaffen und ja, er kann den Stein mit genau diesem Gewicht heben. Und natürlich würde heute niemand mehr auf solch eine Fragestellung kommen, denn ein Gewicht ist bekanntlich eine schwerefeldbedingte Kraft die nur Sinn macht, wenn eine Masse unter die Wirkung eines Schwerefeldes gerät. Man ist heute geneigt, Scholastiker aufgrund ihrer teilweisen bizarren Fragestellungen zu belächeln. Aber damit wird man ihnen und ihrer Zeit nicht gerecht. Die scholastische Methode geht ursprünglich auf Aristoteles zurück und bedeutet, dass man versucht, wissenschaftliche bzw. theologische Fragestellungen dadurch zu lösen, indem man rein theoretisch und nur der Logik verpflichtet Argumentationsketten aufbaut, die sich entweder auf eine Aussage der antiken Koryphäen (oder Kirchenlehrer) logisch stringent zurückführen lassen oder bei der man zeigen kann, dass dies durch begriffliche Unklarheiten nicht möglich ist. Man denke dabei an die kolportierte Geschichte, nach der einst Galileo Galilei seinen universitären Kollegen sowie hohen Kirchenvertretern in seinem selbstgebauten Fernrohr die von ihm kurz zuvor entdeckten Jupitermonde zeigen wollte und sich die meisten unter ihnen mit dem Hinweis darauf weigerten, durchs Fernrohr zu schauen, weil darüber bei Aristoteles nichts zu lesen sei. Das mag uns heute befremdlich erscheinen. Aber in der Scholastik galt Empirie nicht viel.
Einheit von Lehre und Forschung
Was sich aber im Schatten dieser Methode entwickelt hat und heute noch fortlebt, ist die Einheit von Forschung und Lehre, die Vorlesung als probate Methode der Wissensvermittlung, die Prüfung und Disputation als Voraussetzung für die Erlangung akademischer Grade sowie – nicht zu unterschätzen – die akademische sowie die Lehrfreiheit (ach so, Bachelor und Master habe ich noch vergessen). Was dagegen überwunden wurde, ist u. a. der unbedingte Autoritätenglaube, die Verachtung der Empirie und – was mit das Wichtigste ist – höhere Schulen sind keine reinen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, (christliche) Männervereine mehr.
Die Vagantenliteratur
Im mittelalterlichen Universitätsmilieu tummelten sich natürlich nicht nur wissbegierige Jünglinge, sondern auch jede Menge ruheloser Zeitgenossen, die sich in den städtischen Spelunken viel wohler fühlten als in den Colleges der Professoren. Meist waren es abgebrochene Studenten, Angehörige der niederen Geistlichkeit, die keine Herde gefunden hatten, sowie eine Vielzahl dichtender und musizierender Vagabunden. Von ihren literarischen und musikalischen Ergüssen hat sich Einiges bis in die Gegenwart erhalten. Man spricht in diesem Fall von einer sogenannten Vagantenliteratur. Das bekannteste (aber nicht älteste) davon ist heute vielen bekannt, nach dem dieser Schatz künstlerisch von Carl Orff (1895-1982) gehoben und bekannt gemacht wurde.
Carmina Burana
Ich meine die Liedersammlung „Carmina Burana“, die im Jahre 1803 in der Bibliothek des Klosters Benediktbeuern in Bayern aufgefunden wurde. Diese Sammlung von Liederhandschriften enthält Texte von fast ausschließlich anonymen Literaten, die im Zeitraum zwischen dem ausgehenden 11. Jahrhundert und dem 13. Jahrhundert gelebt haben und den Vaganten zuzuordnen sind.
Sie enthält eine Vielzahl deftiger Spott- und Liebeslieder, eine Anzahl Kneipengesänge, aber auch zwei längere, als Theaterstücke konzipierte Texte gehören dazu. Dabei ist die Sprache teilweise so deftig, dass einige Lieder wohl heute auf dem Index jugendgefährdender Schriften gelandet wären – würde die Jugend Latein oder Mittelhochdeutsch verstehen. Andernfalls wäre die Carmina Burana heute nur einigen interessierten Literaturwissenschaftler bekannt, hätte sich ihrer nicht der Komponist Carl Orff (1895-1982) angenommen.
Er nahm sich eine Auswahl der Lieder vor, ordnete sie thematisch in drei Kategorien und vertonte sie völlig neu, denn wie die Lieder einst geklungen haben, war weder ihm noch irgendeinem anderen bekannt. Und damit gelang ihm mit der Erstaufführung im Jahre 1937 auch gleich der große Wurf. Das Eingangslied „Fortuna Imperatrix Mundi“ (Fortuna, Herrscherin der Welt) ist ein Ohrwurm, den heute wirklich jeder kennt, auch wenn er ihn vielleicht der Carmina Burana nicht direkt zuordnen kann. „O Fortuna“ ist jedenfalls vielfältig adaptiert worden, darunter auch von Gruppen der Musikrichtung Rock und Pop (Linkin Park), Gothic Metal (Therion, Nota Profana) und Middle Ages (Gregorian). Unvergessen ist auch der Flashmob im Wiener Westbahnhof am 23. April 2012, den es sich bei Youtube auf jeden Fall anzusehen lohnt (man achte auf die Gesichter der Passanten).
Sie enthält eine Vielzahl deftiger Spott- und Liebeslieder, eine Anzahl Kneipengesänge, aber auch zwei längere, als Theaterstücke konzipierte Texte gehören dazu. Dabei ist die Sprache teilweise so deftig, dass einige Lieder wohl heute auf dem Index jugendgefährdender Schriften gelandet wären – würde die Jugend Latein oder Mittelhochdeutsch verstehen. Andernfalls wäre die Carmina Burana heute nur einigen interessierten Literaturwissenschaftler bekannt, hätte sich ihrer nicht der Komponist Carl Orff (1895-1982) angenommen.
Er nahm sich eine Auswahl der Lieder vor, ordnete sie thematisch in drei Kategorien und vertonte sie völlig neu, denn wie die Lieder einst geklungen haben, war weder ihm noch irgendeinem anderen bekannt. Und damit gelang ihm mit der Erstaufführung im Jahre 1937 auch gleich der große Wurf. Das Eingangslied „Fortuna Imperatrix Mundi“ (Fortuna, Herrscherin der Welt) ist ein Ohrwurm, den heute wirklich jeder kennt, auch wenn er ihn vielleicht der Carmina Burana nicht direkt zuordnen kann. „O Fortuna“ ist jedenfalls vielfältig adaptiert worden, darunter auch von Gruppen der Musikrichtung Rock und Pop (Linkin Park), Gothic Metal (Therion, Nota Profana) und Middle Ages (Gregorian). Unvergessen ist auch der Flashmob im Wiener Westbahnhof am 23. April 2012, den es sich bei Youtube auf jeden Fall anzusehen lohnt (man achte auf die Gesichter der Passanten).
Codex Manesse
Neben der Liederhandschrift aus Benediktbeuern besitzt Deutschland eine noch berühmtere Liederhandschrift, die unter dem Namen „Codex Manesse“ bekannt und im Original nur selten einmal (wie die Turiner Sindone) zu sehen ist.
Ihr Versicherungswert beträgt 50 Millionen Euro. Sie wird in der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt, kann aber jederzeit als Faksimile im Internet eingesehen werden und führt uns in die Zeit der Minnesänger zurück.
Ihr Versicherungswert beträgt 50 Millionen Euro. Sie wird in der Universitätsbibliothek Heidelberg aufbewahrt, kann aber jederzeit als Faksimile im Internet eingesehen werden und führt uns in die Zeit der Minnesänger zurück.
...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen