Mittwoch, 4. November 2015

Wieder etwas Interessantes: Über Inselbegabungen, goldene Schnitte und die Wissenschaft der Sindonologie

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Inselbegabungen - Savants

Zwar weiß man mittlerweile schon recht gut, wie dieses, „Gehirn“ genannte, ca. 1,3 kg schwere Stück Materie funktioniert. Es besteht aus rund 100 Milliarden Neuronen, die über rund 100 Billionen Verbindungen miteinander vernetzt sind.


Dazwischen tummeln sich noch in großer Zahl sogenannte Gliazellen, welche quasi die Energieversorgung der Neuronen sicherstellen. Die Verschaltung der Neuronen ist dabei nicht beliebig. Wenn es aber dabei zu Fehlbildungen kommt, dann ergeben sich daraus gewisse kognitive Behinderungen, aber manchmal (und oft damit verbunden), auch wahrlich erstaunliche Inselbegabungen. Beginnen wir mit dem Gedächtnis. Können Sie sich vorstellen, ca. 12.000 Bücher normalen Umfangs jederzeit und quasi wortwörtlich aus dem Gedächtnis (bei einer Fehlerquote von etwa 1%) wiedergeben zu können? 

Kim Peek - der „Rain man“



Kim Peek (1951-2009) konnte es. Sein Manko bestand lediglich darin, dass er den Sinn von deren Inhalt nicht zu erfassen in der Lage war. Kim Peek war ein allein kaum lebensfähiger Zeitgenosse, aber einer mit einem phänomenalen Gedächtnis. Er konnte Inhalte wortwörtlich wiedergeben, sekundenschnell zu beliebigen Jahrestagen die dazugehörigen Begebenheiten berichten und beherrschte darüber hinaus auch noch die Kunst des Kalenderrechnens in Perfektion (was für ein Wochentag war der 13. Juli 1746?).

Kim Peek (1951-2009)

Eine seiner Lieblingsbeschäftigungen war übrigens das Auswendiglernen von PLZ-Listen und Telefonbüchern. Er benötigte dazu für eine Seite nur wenige Sekunden… Wir normale Menschen wären froh, wenn wir nur einen Bruchteil des Gedächtnisses von Kim Peek zur Verfügung hätten. Aber wäre das wirklich so toll? Hat die Natur nicht vielleicht einen guten Grund dafür gehabt, unsere Gedächtnisleistung quasi auf Sparflamme zu fahren? 

Fotografisches Gedächtnis

Nehmen wir z. B. den russischen Gedächtniskünstler Solomon Schereschewski (1886-1958) oder die noch heute lebende Amerikanerin Jill Price. Die 1965 geborene Frau kann sich, beginnend mit dem Datum 5.2.1980, alle (und wirklich alle!) seitdem von ihr beigewohnten Ereignisse lückenlos und mit allen Details ins Gedächtnis zurückrufen. Es ist so, als ob Sie jemand fragt, was Sie am 23.04.1996 gegen 21.15 Uhr im Fernsehen gesehen haben - und Sie antworten nachweislich richtig „Da habe ich mir gerade mit meinem Hund Bobby den Film „Rain man“ angeschaut und ich erinnere mich, dass Charlie Babbitt, dargestellt von Dustin Hoffmann, im Casino von Las Vegas zusammen mit seinen Bruder Charly, der von Tom Cruise gespielt wurde, beim Black Jack saß. Auf dem Tisch links neben dem Fernseher stand übrigens meine blaupunktierte Blumenvase mit zwei gelben Narzissen und einer roten Tulpe…“. Interessant an diesem Fall ist, dass sich diese Inselbegabung ganz allmählich entwickelt hat und die Frau (im Gegensatz zu Solomon Schereschewski, der nicht einmal lesen konnte) ansonsten keine kognitiven Anomalien zeigt - sie arbeitet ganz normal als Geschäftsführerin einer privaten Bildungseinrichtung. Bis auf ihr phänomenales fotografisches Gedächtnis ist sie in Bezug auf andere geistigen Fähigkeiten so normal wie Du und ich. Und das wiederum ist bei Savants (so nennt man Menschen mit einer außergewöhnlichen Inselbegabung) eher ungewöhnlich. Die Frage, die sich hier der Wissenschaft stellt, ist die, was bei solchen außergewöhnlichen Menschen im Gehirn passiert und warum diese Fähigkeiten für „normale“ Menschen nicht erreichbar sind. Das hat übrigens zu dem Mythos geführt, wir normalen Menschen würden nur 10% der potentiellen Leistungsfähigkeit unseres Gehirns ausnutzen, was aber mittlerweile widerlegt ist. Genaugenommen ist eine solche Behauptung ziemlich sinnlos, da noch nicht mal bekannt ist, auf was sich diese 10% beziehen sollen. Inselbegabungen äußern sich am häufigsten in außergewöhnlichen Gedächtnis- und Rechenleistungen sowie in künstlerisch relevanten Begabungen, wie ein fotografisches Gedächtnis oder ein absolutes Gehör. Die meisten dieser Begabungen sind angeboren und gehen mit z. T. erheblichen Defiziten auf anderen Gebieten einher. So sind Savants häufig Autisten. Es gibt aber auch Fälle, wo sie plötzlich – z. B. nach einem Sportunfall – in Erscheinung traten. Der Amerikaner Orlando Serrel ist dafür der Prototyp, der als 10jähriger ungünstig von einem Baseball am Kopf getroffen wurde und seitdem ein „Kalendergedächtnis“ wie Jill Price besitzt. Gegenwärtig leben etwa 100 Menschen auf der Erde, die man als Savants bezeichnen kann. Sie sind also wahrlich dünn gesät. In der Wissenschaft haben es Savants in den allermeisten Fällen nicht weit gebracht (höchstens als Studienobjekte). 

Genies

Dort sind eher „normale“ Hochbegabte – und ihre Steigerung, Genies, gefragt (das Wort leitet sich von ingenium ab, welches auch im „Ingenieur“ steckt). Die Einordnung in die Kategorie „Genie“ ist und war schon immer äußerst subjektiv, da hier nicht die reinen intellektuellen Fähigkeiten, sondern vielmehr die Schöpferkraft, die Fähigkeit, etwas Neues zu entdecken oder – technisch oder künstlerisch – zu erschaffen, die wesentliche Rolle spielt. Heute hat man gelegentlich versucht, den Begriff „Genie“ an einem relativ objektiven Maß, dem Intelligenzquotienten, festzumachen. So sind nach dieser Lesart alle Leute, deren IQ beispielsweise 130 übersteigt, „Genies“. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es geniale Verbrecher, geniale Heerführer, geniale Schauspieler, geniale Schriftsteller und ganz selten ab und an sogar geniale Staatsmänner gibt. Aber ein hoher IQ allein ist alles andere als ein „Genie-Indikator“ - er kann höchstens hilfreich auf dem Weg zu wahrer Genialität sein. So gibt es z. B. in New York das elitäre Hunter-College, in das nur Kinder aufgenommen werden, die bei einem standardisierten Intelligenztest wenigstens 130 Punkte erzielen. So gut wie alle Absolventen erreichten in ihrem Leben zwar fast immer äußerst einträgliche Positionen, aber keiner von ihnen fiel durch eine so außergewöhnliche Lebensleistung auf, dass er das Prädikat „Genie“ verdienen würde. Es muss also noch andere Charaktereigenschaften geben, die einen Begabten oder Talentierten zu einem „Genie“ mutieren lassen. Und das sind u. a. eine „göttliche Neugier“ (Albert Einstein), ein tiefes Interesse am Gegenstand, eine eiserne Ausdauer beim Verfolgen seiner Ziele (Johannes Kepler), „üben, üben, nochmals üben“ (Wolfgang Amadeus Mozart) und das Glück, seinen Interessen abseits von Alltagssorgen auch nachgehen zu können. Genial zu sein bedeutet aber oft auch, sich gegen herrschende Ansichten in der Gesellschaft zu stellen und entsprechende Konsequenzen tragen zu müssen.


Über den Geniestatus einiger bedeutender Menschen besteht mittlerweile gesellschaftlicher Konsens. Ich meine damit Menschen wie Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarotti, die ganz wesentlich unser Bild von der italienischen Renaissance geprägt haben. Unter den Naturwissenschaftlern fallen mir spontan Johannes Kepler, Isaak Newton, Gottfried Wilhelm Leibniz, Charles Darwin und Albert Einstein ein.


Unter den Künstler dürften Johann Sebastian Bach, Joseph Haydn und natürlich Ludwig van Beethoven unbestrittene Genies gewesen sein. Unter den Philosophen ist in dieser Hinsicht neben Plato und Aristoteles insbesondere Ludwig Wittgenstein mein persönlicher Favorit. Und auch unter den Mathematikern kann man eine außergewöhnliche Genie-Dichte beobachten, wie die Namen Joseph-Louis Lagrange, Leonhard Euler, Carl Friedrich Gauß, David Hilbert und in gegenwärtiger Zeit Gregory Perelman (ein wahrhaft außergewöhnliches Exemplar dieser Gattung!) beweisen. Alle hatten sie sicherlich irgendwie Talent, ob auf künstlerischem oder mathematischem Gebiet. Ihre „Genialität“ haben sie sich aber selbst hart erarbeiten müssen. Mit Talent allein bringt man es nicht mal im Sport sehr weit. Und selbst Talent ist erst einmal nur eine in den Genen angelegte Potentialität, die man durch Fleiß und Ausdauer sowie durch eine wohlwollende Förderung durch Eltern und Lehrer erst einmal ans Tageslicht befördern muss. 

Defizite im Bildungssystem

Leider ist das heutige (deutsche) Bildungssystem dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen, da es in den letzten Jahrzehnten von der Politik immer mehr auf Durchschnittlichkeit ausgerichtet wurde. In solch einem Bildungssystem haben es einseitig begabte Schüler schwer, da sie angehalten werden, in den Fächern, die ihnen nicht liegen, besonders viel Zeit und Mühe zu stecken um zumindest den Durchschnitt zu erreichen, anstatt sie in den Fächern zu fördern, die ihnen besonders liegen, um dort perfekt zu werden. Gerade die Entindividualisierung der Schule, wo es kennzifferngemäß um Klassen- und Schuldurchschnitte geht und in der jeder „mitgenommen“ werden muss, lässt die Freiräume für Phantasie, originelles Denken - also das, was einen Freak ausmacht - immer mehr schrumpfen. Dabei ist gerade individuelle Förderung besonderer Talente vonnöten, um auch in Zukunft genügend Menschen zu haben, die den kulturellen und wissenschaftlich-technischen Fortschritt vorantreiben. Ein weiteres Problem der heutigen Zeit scheint mir zu sein, dass Bildung immer mehr mit „Zensuren“ gleichgesetzt wird. So gibt es die interessante Beobachtung, dass sich in den Jahren von 2006 bis 2012 die Zahl der 1,0-Abiturienten (Zensurendurchschnitt!) in der Bundeshauptstadt Berlin vervierfacht hat. Dem steht entgegen, dass sich die Hochschulen immer mehr über das Fehlen vieler Grundfertigkeiten - beginnend schon bei einem vernünftigen schriftlichen Ausdruck inkl. fehlerfreiem Schreiben - beklagen und sie in dieser Hinsicht mittlerweile Spezialkurse für einen Teil ihrer Studierenden anbieten müssen, um diese Defizite möglichst schnell auszugleichen. Eine genauere Analyse dieses Sachverhalts hat ergeben, dass zu dieser Notenverschiebung zu einem immer besseren Durchschnitt nicht die wachsende Intelligenz der Schüler und die besonderen pädagogischen Fähigkeiten der Lehrer beigetragen hat, sondern in erster Linie die von den Kultusministerien schleichend betriebene Absenkung im Niveau des Lehrstoffs. Und das hat offensichtlich Methode, denn die politischen Vorgaben nach „sozialer Gerechtigkeit“ bedingt vordergründig, dass das Abitur quasi immer einfacher wird, denn es soll ja kein Privileg von Besserlernenden und Besserwissenden mehr sein, denn schließlich sollen es alle Schüler bekommen. 

Abitur oder Matura

Die Idee, für den Zugang zu einer höheren Schule eine einheitliche Zugangsvoraussetzung zu schaffen, die von den Hochschulen zu akzeptieren ist, stammt übrigens aus Preußen. So wurde das Abitur als höchster preußischer Schulabschluss als sogenanntes „Abiturregiment“ bereits im Jahre 1788 gegen nicht unerhebliche Widerstände aus Adel und Kirche eingeführt. Seine spätere humanistische Ausprägung geht auf Wilhelm von Humboldt (1767-1835) und Johann Wilhelm Süvern (1775-1829) zurück, die dem Abitur eine geisteswissenschaftlich-sprachliche und mathematisch-naturwissenschaftliche Ausrichtung gaben. Ab 1834 wurde in Preußen eine bestandene Abiturprüfung Pflicht, um an einer Universität studieren zu dürfen.

Ganz großes Kino...

Frauen konnten übrigens erst ab 1896 ihr Abitur ablegen. Einzelne Promotionen von Frauen (die freilich allesamt Ausnahmen waren) gab es an einigen deutschen Hochschulen (insbesondere Göttingen) schon im 19. Jahrhundert. Ein reguläres Studium mit einem entsprechenden Abschluss wurde aber erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach und nach möglich. Insbesondere in der Medizin begannen Frauen nach und nach Fuß zu fassen, während sie in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern noch eher die Ausnahme blieben. Eine dieser Ausnahmen war Emmy Noether (1882-1935), die ab 1903 in Erlangen Mathematik studiert und anschließend - als zweite Frau überhaupt in Deutschland - auch in diesem Fach promovierte.


Ihr erster, noch von David Hilbert und Felix Klein unterstützter Habilitationsversuch an der Göttinger Universität scheiterte zwar noch an der konservativen Gesetzgebung des Kaiserreichs, was sie aber nicht daran hinderte, in Hilberts‘ Namen Vorlesungen zu halten. Erst nach dem ersten Weltkrieg konnte sie sich schließlich 1919 habilitieren und damit eine zumindest nichtbeamtete Professur erlangen. Ihr mathematisches Spezialgebiet war die sogenannte Invariantentheorie und die moderne (abstrakte) Algebra. 

Das Noether-Theorem

Den Physikern ist sie insbesondere durch das Noether-Theorem bekannt, welches ein grundlegendes Theorem mit weitreichenden Anwendungen in der Theoretischen Physik darstellt. Bei ihm lohnt es sich ein wenig zu verweilen, ohne es hier jedoch auch nur ansatzweise umfänglich würdigen zu können. Ein Schlüsselbegriff in diesem Theorem ist der Begriff der Invariante. Darunter versteht man eine Größe, die sich auch dann nicht ändert, wenn sich eine damit assoziierte mathematische Struktur oder sich ein durch eine solche mathematische Struktur beschriebenes physikalisches System ändert. Die Energie ist solch ein Beispiel.


Nehmen wir ein reibungsfreies Pendel. Der Pendelkörper schwingt in einem Schwerefeld hin und her, wobei er bei der Aufwärtsbewegung an potentieller Energie gewinnt, die kinetische Energie jedoch im gleichen Maße abnimmt. Bei der Abwärtsbewegung dreht es sich um. Der Pendelkörper wird immer schneller, bis seine Geschwindigkeit und damit seine kinetische Energie am tiefsten Punkt maximal werden. Die Summe aus beiden Energiearten bleibt jedoch während des gesamten Pendelvorgangs immer erhalten. Man sagt auch, dass für die Invariante „Energie“ ein Erhaltungssatz gilt. Und warum das so ist, hat Emmy Noether herausbekommen. Dazu untersuchte sie Symmetrien in einem mehr abstrakteren Sinne und entdeckte dabei, angewendet auf physikalische Systeme, dass es zu jeder kontinuierlichen Symmetrie immer eine dazugehörige Erhaltungsgröße gibt. „Kontinuierlich“ heißt hier u. a., dass sich die Naturgesetze nicht ändern, wenn ich meinen Versuchsaufbau von irgendeinem Ort A im Universum zu einem beliebigen Ort B verfrachte. Diese Symmetrie, die aufgrund der Homogenität des Raumes besteht, impliziert nach dem Noether-Theorem z. B. den Impulserhaltungssatz. Sind obendrein noch die Naturgesetze unabhängig von der Raumrichtung, dann führt das zur Drehimpulserhaltung. Er gilt deshalb nur in sogenannten isotropen Räumen. Angenommen, die Naturgesetze würden von der Zeit abhängen. Dann brauchte man heute vielleicht weniger Energie, um einen Liter kaltes Wasser zum Sieden zu bringen als noch gestern oder vorgestern. Ein fähiger Ingenieur könnte dann auf die Idee kommen, aus diesem Unterschied Kapital zu schlagen, in dem er quasi Energie aus dem Nichts kreiert. So etwas wurde aber noch niemals festgestellt. Selbst wenn man viele Hundert Millionen Lichtjahre entfernte Galaxien beobachtet, deren Licht aufgrund der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit auch vor vielen Hundert Millionen Jahre emittiert wurde, findet man, dass dort zu jener Zeit die gleichen Naturgesetze herrschten wie auch heute bei uns. Physikalisch ist das ein Zeichen für die Homogenität der Zeit (kein Zeitpunkt ist gegenüber einem anderen ausgezeichnet) und aus dem Noether-Theorem folgt daraus der berühmte, von Robert Mayer (1814-1878) im Jahre 1842 erstmals formulierte Energieerhaltungssatz. Die Erhaltungssätze der klassischen Mechanik ergeben sich damit zwingend aus fundamentalen Eigenschaften des physikalischen Raumes sowie der Zeit. Und diese Erkenntnis haben wir Emmy Noether zu verdanken. Noch viel mehr als in der klassischen Mechanik spielen Symmetrien in der modernen Elementarteilchenphysik, eine Domäne der Quantenphysik, eine Rolle. Ja man kann sogar sagen, dass sich die Theorie überhaupt erst auf der Grundlage spezifischer Symmetrien formulieren lässt, die wiederum die bei Elementarteilchenwechselwirkungen beobachteten Erhaltungsgrößen (Quantenzahlen, verschiedene Ladungen, Parität (Spiegelungsinvarianz), Spin) deduzieren. Besonders interessant wird es, wenn unter gewissen Bedingungen bestimmte Symmetrien nicht mehr gelten, d. h. sie „gebrochen“ sind. Das ist beispielsweise der Fall, wenn das „Spiegelbild“ eines physikalischen Vorgangs nirgendwo in der Natur realisiert ist. Und genau eine solche Verletzung der Spiegelsymmetrie wurde 1956 von Tsung-Dao Lee und Chen Ning Yang entdeckt. Vielleicht erinnern Sie sich, ich habe darüber bereits im Zusammenhang mit dem Ozma-Problem berichtet (wie erkläre ich einem Außerirdischen per Funk, wo rechts und wo links ist). 

Symmetrie und Schönheit

Landläufig wird der Begriff „Symmetrie“ kaum mit Physik, dafür aber eher mit „Schönheit“ in Zusammenhang gebracht. Etwas, ein Ding, ein Lebewesen oder ein Muster, welches eine Symmetrie aufweist, erscheint als angenehm und ausbalanciert, kurz als schön.


Das Faible für symmetrische Dinge ist dabei vollkommen unabhängig von irgendeinem Kulturkreis (höchstens die Ausprägung), denn überall findet man die Bevorzugung von symmetrischen Mustern, ob bei der Verzierung von Alltagsgegenständen oder bei der Errichtung von Bauten und Tempeln. Die Gleichsetzung von Symmetrie und Schönheit scheint demnach weniger dem Verstand oder einer erlernten kulturellen Tradition zu entspringen, als vielmehr vom Gefühl bestimmt zu werden. Das Gegenteil von Symmetrie ist Asymmetrie. Und auch sie hat ihre ganz eigenen Reize. 

Der Goldene Schnitt

So kann man eine Strecke nur auf eine Weise symmetrisch teilen, aber auf unendlich viele Male so, dass der rechte Teil mit dem linken nicht in Deckung gebracht werden kann. Aber eine Teilung sticht bei diesen unzähligen asymmetrischen Teilungen hervor, weil sie uns irgendwie einzigartig erscheint. Dazu muss man die Strecke so in zwei Teile teilen, dass der kleinere Teil sich zum größeren genauso verhält wie der größere Teil zum Ganzen. Diese spezielle Teilung wird als Proportio divina bezeichnet. Seit dem 18. Jahrhundert hat sich dafür der Begriff des „Goldenen Schnittes“ durchgesetzt.


Man findet ihn an Bauwerken, auf Gemälden und auf vielfältige Weise in der lebenden Natur realisiert. Untersucht man ihn genauer, dann erkennt man, dass er durch eine irrationale Zahl (1+Sqrt(5))/2 ~ 1.6180339887498948482045868343656... dargestellt werden kann. Sie ist keine transzendente Zahl wie Pi, sondern eine algebraische Zahl, da sie sich mit Zirkel und Lineal auf der Zahlengerade konstruieren lässt. Und sie ist auch zugleich die „irrationalste“ Zahl, die es gibt, denn sie lässt sich mit dem einfachsten denkbaren Kettenbruch berechnen (er enthält als Ziffern nur Einsen). Das was der Mensch unbewusst seit Jahrtausenden in seine Kunst- und Bauwerke einfließen lässt, hat die lebende Natur in vielfältiger Weise vorgemacht. Nehmen wir z. B. unseren Arm. Die Länge der Hand und die Länge des Unterarms entsprechen in ihrer Teilung dem Goldenen Schnitt. Nehmen wir ein Efeu-Blatt. Hier verhält sich die längste Blattader zur Kürzesten wie der längere Abschnitt zum kürzeren des Goldenen Schnitts. Und so kann man unzählige Beispiele finden, bei denen irgendwie der Goldene Schnitt in Erscheinung tritt: Anordnung von Blättern an einer Pflanze, Zapfen von Nadelgehölzen, Muschel- und Schneckenschalen, Proportionen bei Tieren usw. Selbst in der Astronomie, genauer in der Himmelsmechanik, spielt der Goldene Schnitt eine gewisse Rolle. Wie Sie vielleicht wissen, befindet sich zwischen der Marsbahn und der Jupiterbahn eine Zone, in der sich besonders viele kleine Planeten (Planetoiden) aufhalten. Diesen Bereich nennt man deshalb auch Planetoidengürtel. Ihre Bahnen lassen sich über längere Zeiträume nicht genau vorhersagen, da sie von den anderen Planeten des Sonnensystems – insbesondere von dem massereichen Jupiter – „gestört“ werden. Das führt dazu, dass die Verteilung der Planetoidenbahnen in dieser Zone nicht gleichmäßig ist, sondern sich bei bestimmten Sonnenabständen häufen oder auch auffällige Lücken bilden, in denen man so gut wie keine Planetoiden findet. 

Kirkwood-Lücken und KAM-Theorem

Diese „Lücken“ werden übrigens nach dem amerikanischen Mathematiker und Astronomen Daniel Kirkwood (1814-1895) „Kirkwood-Lücken“ genannt. Berechnet man nun das Verhältnis aus Umlaufszeit eines Planetoiden und Umlaufszeit des Störkörpers( hier der Planet Jupiter), dann stellt man fest, dass sich die Positi-onen der Lücken mit jeweils den Verhältnissen zweier kleiner ganzen Zahlen wie z. B. 2:1, 3:1, 5:2 … zusammenfallen. Man spricht in diesem Fall von Bahnresonanzen oder Kommensurabilitäten. Bei einer 3:1 –Resonanz bewegt sich beispielsweise ein Planetoid genau 3mal um die Sonne wenn sich Jupiter einmal um die Sonne bewegt. In diesem Fall nähern sich beide Himmelskör-per stets am gleichen Ort ihrer Umlaufbahn und ziehen sich dort gravitativ am stärksten an.


Das ist so, als ob man auf einer Schaukel immer dann, wenn sie ihren höchsten Punkt erreicht, wieder Schwung holt. Auf diese Weise schaukeln sich die von Jupiter verursachten Störungen systematisch auf – eine Resonanz eben. Der Planetoid wird also im Laufe der Zeit seine Bahn-parameter ändern, bis er eine neue, nichtresonante Bahn einnimmt oder nahe an einem größeren Planeten vorbeizieht und dabei u. U. aus dem Sonnensystem geschleudert wird. In der Tendenz werden also auf diese Weise die Resonanzlücken geleert. Damit sind die radialen Positionen der Planetoidenbahnen am stabilsten, in denen das genannte Umlaufsverhältnis ein Verhältnis von einer irrationalen Zahl zu einer ganzen Zahl ist, also z. B. Sqrt(2):1 oder Pi:2. Eine genaue Analyse dieses Sachverhalts wurde im letzten Jahrhundert von den Mathematikern Andrei N. Kolmogorow (1903-1987), Vladimir I. Arnold (1937-2010) und Jürgen Moser (1928-1999) durchgeführt. Nach ihren Ergebnissen, die im sogenannten KAM-Theorem niedergelegt sind, sind die stabilsten Bahnen im Planetoidengürtel genau diejenigen, bei denen das Resonanzverhältnis genau dem des Goldenen Schnitts entspricht, also ~1,618:1 beträgt. 

Der Goldene Schnitt in der Fotografie und der Malerei

Auch das in besseren Digitalkameras im Live-View-Modus einblendbare 3x3-Raster hat mittelbar etwas mit dem Goldenen Schnitt zu tun. Es wird hier angenähert durch 1/3 zu 2/3 (deshalb nennt man das auch „die Drittel-Regel“) und hilft Objekte auf dem Foto so zu positionieren, das sie einen möglichst harmonischen Anblick beim Betrachter erzeugen.


So ist es immer günstig, das Objekt, welches das Foto dominieren soll (z. B. ein Gesicht oder eine Blume) in einen der zwei Schnittpunkte der oberen Linie zu positionieren. Bei Landschaftsaufnahmen sollte dagegen die untere Linie mit dem (mathematischen) Horizont oder mit der oberen Kante des Wasserspiegels eines Sees zusammenfallen. Bekannt ist auch die Regel: Zwei Drittel Land, ein Drittel Himmel. Ich denke, damit dürfte das Prinzip klar sein. Diese Regel ist genaugenommen nur eine Adaption der gleichen Regel, wie sie schon seit Jahrhunderten in der Malerei angewendet wird. Viele berühmte Maler wie Raffael und Tizian haben sich zwar eingehend mit dem Goldenen Schnitt auseinandergesetzt, nahmen aber oftmals aus künstlerischen Gründen Abweichungen von den Idealproportionen in Kauf. 

Albrecht Dürer

Eine größere Abhandlung, in der u. a. auch die Proportio divina eingehend behandelt wird, stammt von Albrecht Dürer (1471-1528). Hier ist insbesondere seine postum erschienene Schrift von 1528 zu nennen, die den Titel „Vier Bücher von menschlicher Proportion“ trägt und als Dürers‘ Proportionalitätslehre bekannt ist. Albrecht Dürer, sicherlich einer der berühmtesten Söhne Nürnbergs, wurde am 21. Mai 1471 geboren. Mit 16 Jahren wurde er Azubi bei dem Maler Michael Wohlgemut und begab sich ab 1490 auf die obligatorische Wanderschaft, bei der er u. a. Basel, Straßburg und Venedig besuchte. Im Jahre 1495 ließ er sich dann als selbständiger Meister in seiner Heimatstadt nieder und wurde dort als Zeichner, Maler und Kupferstecher der wohl vielseitigste deutsche Künstler seiner Zeit. Das 1498 veröffentlichte Holzschnittwerk der Apokalypse trägt schon seinen ganz persönlichen Stil. Ungefähr zu der gleichen Zeit entstand im Auftrag des Kurfürsten Friedrich des Weisen von Sachsen (dem Protegé Luthers), der Dreikönigsaltar der Schlosskirche zu Wittenberg. Im Jahre 1506 unternahm Dürer seine zweite Studienreise nach Italien, die ihn in Venedig mit Gentile Bellini sowie dem jungen Tizian zusammenführte. Dort entstand auch das Bild „Rosenkranzfest“, welches sich heute in der Nationalgalerie in Prag befindet. Ab 1511 entstanden eine Vielzahl von Kupferstichen, Handzeichnungen und Holzstichen, von denen „Ritter, Tod und Teufel“, „Melancholie“ und der „Heilige Hieronymus im Gehäuse“ sowie die „Große“ und die „Kleine Passion“ die wohl bekanntesten sind. Hier offenbarte sich nicht nur die Meisterschaft Dürers, sondern auch seine Kunst, Bildinhalte quasi zu komponieren. Nehmen wir nur den Kupferstich „Melancholie“.


Hier sieht man einen Engel in Gestalt einer stattlichen Frau inmitten des Instrumentariums irdischen Handwerks und Forschens mit niedergeschlagener Miene sitzen. Ein Stundenglas an der Wand sowie eine Glocke mahnen an die Vergänglichkeit alles Irdischen. Ein magisches Zahlenquadrat mag darüber hinaus auf die geheimen Beziehungen hinweisen, die im unendlichen Kosmos ihre Geltung haben und sich doch dem menschlichen Geist entziehen. Bewacht wird sie von einem müden Hund unterhalb eines abgestumpften Parallelepipeds als Symbol der Treue. Es scheint, dass eine endgültige Interpretation dieses Kupferstichs in den Maßen 24x18,8 cm mit seinem geheimnisvollen Inhalt kaum möglich ist – denn jede Zeit hat ihre eigene und Albrecht Dürer selbst kann man nicht mehr fragen. Die letzte Periode seines Schaffens begann mit dem Jahre 1520. Es führte ihn zusammen mit seiner Frau nach Antwerpen, wo er dem Einzug Karls V. beiwohnte. Hier porträtierte er u. a. den Maler Bernard van Orley (auch „Raffael der Niederlande“ genannt, 1491-1542), wobei dieses einprägsame Porträt, welches schon manche Briefmarke zierte, heute in der Gemäldegalerie „Alte Meister“ in Dresden besichtigt werden kann.


In diesem Zusammenhang ist es interessant zu wissen, dass es lange Zeit unter den Fachleuten eine Meinungsverschiedenheit um den Urheber eines Gemäldes gegeben hat, vom dem man lange völlig uneins war, ob es von Dürer oder von van Orley stammte. 

Das Turiner Grabtuch

Bei diesem Gemälde handelt es sich um eine Kopie des Grabtuchs von Turin, welches man heute fast sicher Bernard van Orley als Urheber zuordnet, der es im Jahre 1516 gemalt haben soll. Viel interessanter – und natürlich mysteriöser – ist natürlich das Original selbst, welches seit 1578 in Turin in der Basilika San Giovanni aufbewahrt wird. Es handelt sich dabei um ein 4,36 Meter langes und 1,10 Meter breites Leinentuch, auf dem – kaum sichtbar – die Negativabbildung eines offensichtlich gekreuzigten Menschen abgebildet ist. Die einen halten dieses Tuch für das Tuch, in welches Jesu Christus nach der Kreuzabnahme zur Bestattung eingewickelt wurde und andere für ein Artefakt aus dem späten Mittelalter. Um es kurz zu machen, die Sache ist noch nicht entschieden. Für beide Interpretationen führen Fachleute Gründe, Beweise und Plausibilitäten an, wobei aber eine Tendenz in Richtung „Artefakt“ zu beobachten ist. Die erste Interpretation ist sehr theologisch geprägt, die zweite stützt sich mehr auf objektive wissenschaftliche Untersuchungen des Grabtuchs. Die katholische Kirche, die es ansonsten mit Echtheitszertifikaten von Reliquien nicht sonderlich genau nimmt, nimmt in diesem besonderen Fall jedoch eine gewisse indifferente Haltung ein, in dem sie dem Grabtuch die von vielen Gläubigen geforderte Einstufung als Reliquie verweigert, aber die Anbetung als Ikone zulässt. Ganz unabhängig davon birgt dieses Stück Leinen immer noch eines der großen wissenschaftlichen Rätsel der Menschheit. 

Sindonologie

Um es zu lösen, wurde eigens eine neue, interdisziplinäre Wissenschaftsdisziplin begründet, die Sindonologie (altgriechisch sindon – das Leichentuch). Aber was macht nun das eigentliche Geheimnis des Turiner Grabtuchs aus? Normal betrachtet ist nämlich kaum etwas darauf zu erkennen. man erahnt höchstens die Umrisse eines Menschen, die umso deutlicher erscheinen, je weiter man vom Tuch zurücktritt. Aber die große Überraschung, die das Tuch von einem Kultobjekt zu einem wissenschaftlichen Forschungsobjekt machte, datiert auf das Jahr 1898, als der Fotograf Secondo Pia die ersten Aufnahmen davon machte.



Und seine Fotoplatten zeigten – ein Positiv! Auf einmal waren das Antlitz und der Körper eines geschundenen Mannes, der alle Merkmale einer Kreuzigung trug, deutlich zu erkennen. Damit hatte niemand gerechnet. Darauf folgte ab 1900 eine Anzahl von Untersuchungen, die im Jahre 1978 in einer Probeentnahme zur Altersbestimmung mittels der Radio-Carbon-Methode gipfelte. Das Ergebnis war für die Anhänger der These, dass es sich beim Turiner Grabtuch um das „echte Grabtuch“ Jesu Christi handelt, erschütternd. Danach muss das Leinen irgendwann zwischen 1260 n. Chr. und 1390 n. Chr. gewebt worden sein. Heute ist man sich da nicht mehr ganz so sicher, ob nicht doch mögliche Verunreinigungen die Datierung beeinflusst haben könnten. Da weitere Probeentnahmen vom Eigentümer der Sacra Sindone nicht erlaubt werden, ist es fraglich, ob sich in naher oder fernerer Zukunft das Datierungsproblem abschließend wird klären lassen. Die Deutung der Entstehungsweise des Bildes erschwerte sich noch mehr, als man bei der genauen Prüfung der fotografischen Aufnahmen mittels moderner Bildanalysemethoden feststellte, dass in ihnen eine 3D-Information des Dargestellten enthalten ist. Das nährte ungemein die Zweifel darüber, dass es sich bei dem Grabtuchabbild um ein von einem (dann aber wahrlich genialen!) Künstler gemaltes Bild handelt. Außerdem müsste dieser Künstler zumindest eine Ahnung davon gehabt haben, was eine Negativabbildung ist. Aber das kann man einem Menschen, der im späten Mittelalter bzw. der aufkommenden Renaissance gelebt hat, wohl kaum zugestehen. So sind auch heute noch alle Deutungsversuche darüber, wie das Bild auf das Leinen gelangt ist, hoch spekulativ. Was aber ohne Frage besonders erstaunlich ist, ist, dass man auf dem Positiv unweigerlich das Gesicht Jesus‘, so wie es in seiner Physiognomie seit Jahrhunderten in der Kirchenmalerei und Ikonographie wiedergegeben wird, zu erkennen glaubt. Natürlich weiß kein Mensch, wie Jesus von Nazareth einmal ausgesehen hat. Es existieren darüber weder in den Evangelien noch in den Apokryphen zum neuen Testament irgendwelche Angaben darüber. Aber auffällig ist, dass diese spezielle Physiognomie offensichtlich erst im 14. Jahrhundert n. Chr. auftauchte und man geneigt ist, sie mit dem 1357 nachweislich zum ersten Mal öffentlich in Lirey bei Troyes präsentiertem Leichentuch in Verbindung zu bringen. Die letzte öffentliche Ausstellung des Grabtuches in Turin fand 2015 statt. Jetzt muss man bis frühestens 2025 warten, um die im Jahre 1997 beinahe einem Brand zum Opfer gefallene originale Textilie mit eigenen Augen besichtigen zu können. Aber bis dahin ist noch einige Zeit und man kann gespannt sein, was die Sindonologen noch an Neuem herausfinden werden. Dreh- und Angelpunkt der wissenschaftlichen Erforschung des Turiner Grabtuchs war und ist dessen genaue Datierung. Hierbei ergeben sich einige Ansätze, mit denen man einmal die Plausibilität angenommener Datierungen (Todesjahr Christi) überprüfen kann und sich zum anderen „absolut“ die Herstellung des Tuches zeitlich eingrenzen lässt. 

Radiokarbondatierung

Zu den Letzteren gehört die sogenannte Radiokarbondatierung, wie sie heute in der archäologischen- und Geschichtsforschung wegen ihrer recht hohen Zuverlässigkeit und Zeitauflösung fast schon standardmäßig angewendet wird. Ihr Prinzip ist nicht schwer zu verstehen. Die Schlüsselbegriffe sind Isotope, radioaktiver Zerfall und Halbwertszeit. Als Erstes muss man wissen, dass das Element Kohlenstoff – eine Grundlage jeglichen Lebens – in der Natur in drei Isotopen vorkommt, die sich durch die Anzahl ihrer Neutronen unterscheiden und bei denen eines, C14, mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren instabil ist. „14“ bedeutet hier die Massezahl, also die Summe aus der Protonenzahl (bei Kohlenstoff immer 6) und der Neutronenzahl eines Atomkerns. Die Isotope C12 und C13 sind dagegen stabil, wobei uns hier nur das Isotop C12 zu interessieren braucht. Dadurch, dass das Isotop C14 in der oberen Atmosphäre der Erde infolge der kosmischen Strahlung immer wieder neu gebildet wird, hat sich zwischen Neubildung und Zerfall gewissermaßen ein Gleichgewicht eingestellt, so dass die Konzentration an diesem Isotop in der Erdatmosphäre im Wesentlichen über längere Zeiträume konstant bleibt. Diese Konzentration liegt dabei ungefähr bei einem C14-Atom auf rund eine Billion C12-Atome. Diese Atome liegen dabei in erster Linie gebunden in CO2-Molekülen vor, die ja bekanntlich ein Ausgangsstoff für die Photosynthese der grünen Pflanzen darstellt. Solange also eine Pflanze wächst und gedeiht, nimmt sie sowohl C12 als auch C14 in einem der Isotopenzusammensetzung der Luft identischen Verhältnis auf, fixiert den darin enthaltenen Kohlenstoff und verwendet ihn zum Aufbau eigener Substanzen wie z. B. verschiedener Kohlenhydrate. Dasselbe C12/C14-Verhältnis wird sich auch bei Tieren einstellen, die Pflanzen fressen (z. B. Antilopen) und Tieren, die Tiere fressen (z. B. Löwen). Kontinuierlicher Futternachschub hält auch bei ihnen zu ihren Lebzeiten das C12/C14-Verhältnis konstant. Das ändert sich, wenn eine Pflanze oder ein Tier stirbt. Dann beginnt die radioaktive Uhr zu klicken, denn die C14-Atome zerfallen langsam und das C12/C14-Verhältnis verändert sich proportional zu der seitdem verstrichenen Zeit. Indem man also das Verhältnis zwischen C14 und C12 in einer Probe misst, lässt sich das Alter bestimmen – je weniger C14, desto älter ist die Probe. Die einfachste Methode, das Kohlenstoff-Isotopenverhältnis zu bestimmen, ist es, einen Geigerzähler daran zu halten und die Radioaktivität der Probe zu messen. Dazu sind aber größere Mengen entsprechenden organischen Materials notwendig. Deshalb spielt diese Methode meist nur noch in physikalischen Praktika in naturwissenschaftlichen Studiengängen eine Rolle. Moderne Verfahren (von denen es Einige gibt) beruhen hauptsächlich auf Massenspektrometrie, wie z. B. die AMS-Methode (AMS steht hier für Accelerator Mass Spectrometry). Dabei werden einzelne Atome einer in den gasförmigen Zustand überführten Probe ionisiert und durch elektrische und magnetische Felder beschleunigt und dabei in ihre Isotope (die ja eine unterschiedliche Masse besitzen) getrennt und deren Anteile bestimmt. Dazu reichen gewöhnlich winzige Mengen des zu analysierenden Kohlenstoffs aus, um das wichtige C12/C14-Verhältnis und damit letztendlich das Alter der Probe zu ermitteln. Im Falle des Turiner Grabtuchs gewann man aus einem 7 cm x 10 cm großen Stoffstreifen insgesamt 12 Proben und aus allen, in verschiedenen Forschungsinstituten durchgeführten Datierungen, ein Herkunftsalter (als die Leinpflanzen für das Tuch geerntet wurden) von 691 ± 31 Jahre berechnet. Die Reichweite, dieser von Williard Frank Libby (1908-1980, Nobelpreis 1960) entwickelten Methode, liegt maximal bei ~10 C14-Halbwertszeiten und reicht damit gerade einmal bis in das mittlere Pleistozän. Für die Datierung von Saurierknochen ist die Radiokarbonmethode nicht geeignet. 

Dendrochronologie

Auch nicht ganz so weit in die Vergangenheit, aber immerhin bis ~10.000 v Chr., kommt man mit den speziellen Methoden der Dendrochronologie. In ihrem Namen steckt das griechische Wort „dendron“, was so viel wie „Baum“ bedeutet - und mit ihr lassen sich Holzbauten, aber auch Schiffe, deren Holzplanken und Kiel-hölzer noch gut erhalten sind, z. T. bis auf das Fälljahr der ent-sprechenden Stämme datieren.
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1 Kommentar:

  1. Eine sehr interessante Abhandlung, gerade die Aussagen vom derzeitigen Bildungsstand. Meine Beobachtungen können das voll bestätigen, es wird sehr oberflächlich gelehrt, berginnend in der Grundschule. Der Druck auf die Lehrer ist sehr groß, sie "müssen" ihr Jahrespensum durchziehen, und das auf Kosten der Gründlichkeit. Festzustellen ist aber auch, die Konzentration der Schüler beträgt im Schnitt ca. 15 Min. dann muß schon etwas anderes gemacht werden, weil zu langweilig. Ich bin gelegentlichtlich in der Grundschule tätig, gehe mit ihnen in die Natur und zeige ihnen die Flora und Fauna hier am Kaiserstuhl, dabei mache ich so meine Studien. An einer Sache dran bleiben ist oft nicht möglich, im Zeitalter der schnellen Medien muß alles flott von statten gehen. Mit speziellen Aufgaben versuche ich, sie zu "Entschleunigen", meistens klappts und macht sogar noch Spass.
    Lieber Gruß
    von Edith

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