Dienstag, 8. Februar 2011

Essay: Christian-Weise-Bibliothek und Copernicus

1987/88 wurde aus der Christian-Weise-Bibliothek in Zittau die Erstausgabe von Nicolaus Copernicus (1473-1543) seinem Hauptwerk "De revolutionibus orbium coelestium" (1543) gestohlen. Nach der Wende konnte das wertvolle Buch (welches ich selbst schon in den Händen hatte) über diplomatische Bemühungen der Bundesrepublik Deutschland beim Versuch von dessen Veräußerung (2008 brachte eine ähnliche Ausgabe in New-York einen Versteigerungserlös von 2.2 Millionen Dollar, siehe hier) wiedererlangt werden.


Worin bestand nun die große Leistung des Ermländers, für die Immanuel Kant (1724-1804), der große Philosoph aus Königsberg, einmal den Begriff der "Kopernikanischen Revolution" prägen sollte? Die Positionen der Himmelskörper, wie sie aus den teilweise nach dem kopernikanischen System gerechneten „Prutenischen Tafeln“ folgten, waren ohne Zweifel etwas besser als die Vorhersagen gemäß der 300 Jahre älteren „Alfons‘inischen Tafeln“. Das lag aber nicht daran, daß das zugrundeliegende Rechenmodell besser war. Vielmehr die Ausgangsdaten waren aktueller und z.T. auch etwas genauer. Das eigentlich Revolutionäre sollte sich jedoch erst einige Jahrzehnte nach Copernicus Tod richtig offenbaren, nämlich der Gedanke, daß die Erde nicht der Mittelpunkt der Welt ist und daß man unter dieser Annahme zu einem Weltbild gelangen kann, daß nicht nur die Phänomene, sondern auch deren physikalischen Ursachen zu erfassen vermag. Der große Wissenschaftstheoretiker Thomas S. Kuhn (1922-1996) spricht nicht ohne Grund von einem Paradigmenwechsel, der entscheidend für die Entwicklung der Naturwissenschaft ab dem ausgehenden 17. Jahrhundert werden sollte.  Die eigentliche Arbeit machte freilich erst Johannes Kepler, der aber auf die ausgezeichneten Beobachtungsdaten eines Tycho Brahe zurückgreifen konnte und erkannte, daß sich die meisten Probleme des heliozentrischen Systems durch die Einführung elliptischer Bahnen und durch die Annahme, daß diese Bahnen mit ungleichförmiger Geschwindigkeit von den Planeten durchlaufen werden, vermeiden ließen. Um so etwas leisten zu können, mußte man sich erst einmal gedanklich vom „offensichtlichen“ Geozentrismus lösen, was Tycho Brahe (1546-1601) noch nicht, Galileo Galilei und Johannes Kepler aber entgegen dem Zeitgeist und mit viel innerem und äußerem Kampf gelungen ist. Oder, wie es einmal der berühmte Romancier Victor Hugo (1802-1885) ausgedrückt hat, „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“. Danach ging es Schlag auf Schlag. Immer mehr Gelehrte griffen zum Fernrohr, um den Himmel zu beobachten. 1675 wurde unter König Charles dem II das Greenwicher Observatorium gegründet und John Flamsteed (1646-1719) sein erster Royal Astronomer. 1686 legte Isaak Newton (1643-1727) der Royal Society sein Werk Philosophiae Naturalis Principia Mathematica vor, in dem er in Anlehnung an die Geometrie Euklids streng axiomatisch eine mathematische Theorie entwickelt, die später als die „Klassische Mechanik“ bezeichnet werden wird. Er entdeckt aus der Analyse des dritten Keplerschen Gesetzes das Gesetz der allgemeinen Gravitation und schuf somit die Grundlage für eine physikalische Begründung des heliozentrischen Systems. Und gerade einmal 100 Jahre später war quasi die „Himmelsmechanik“  vollendet und man konnte mit fast beliebiger Genauigkeit die Positionen von Sonne, Mond und Planeten aus wenigen Anfangsbeobachtungen, und wie man meinte,  „für alle Zeiten“, vorausberechnen.

Die Etablierung einer neuen Weltsicht, die nicht nur auf die Astronomie beschränkt war, im Zeitalter der Renaissance und der beginnenden Neuzeit, stellte eine grundlegende Zäsur in der Geschichte des Abendlandes dar. Kunst und Wissenschaft begannen sich zu entfalten. Die Wiederentdeckung und Rezeption antiker Werke, ihre Verbreitung und Lehre in den artistischen Fakultäten der aufblühenden Universitäten brachte ein gelehrtes und wißbegieriges Bürgertum hervor. Geographische Entdeckungen, das Aufblühen des Seehandels und eine Neuinterpretation des Christentums taten ihr übriges. Der Humanismus wurde zu der wesentlichsten Geistesbewegung jener Zeit und die Eliten versuchten aus dem durch Scholastik und Vulgärtheologie geprägtem geistigem Klima des Spätmittelalters zu entfliehen. Mitten in dieser Zeit erschien nun das Werk eines Ermländer Domherrn über die „Umschwünge der Himmelskreise“, welches unter den Fachgelehrten jener Zeit schnell Aufmerksamkeit erregte. Was die Veröffentlichung eines in erster Linie nur für Eingeweihte verständlichen „Fachbuches“ gesellschaftlich bewirkte, hat Friedrich Engels (1820-1895) in seiner Dialektik der Natur sehr prägnant formuliert: „Der revolutionäre Akt, wodurch die Naturforschung ihre Unabhängigkeit erklärte und die Bullenverbrennung Luthers gleichsam wiederholte, war die Herausgabe des unsterblichen Werkes, womit Copernicus, schüchtern zwar, und sozusagen erst auf dem Totenbett, der kirchlichen Autorität in natürlichen Dingen den Fehdehandschuh hinwarf. Von da an datiert die Emanzipation der Naturforschung von der Theologie.“  Grund dafür war, daß letztendlich die Entscheidung zwischen Geozentrismus und Heliozentrismus einer Entscheidung zwischen religiös-idealistischem Weltbild und naturwissenschaftlichem Weltbild gleichkam. Das wurde von der damaligen Amtskirche zu Beginn des 17. Jahrhunderts auch in seiner ganzen Klarheit erkannt und führte zur öffentlichen Verbrennung Giordano Bruno‘s (1548-1600), zur Verurteilung Galileo Galileis vor dem Inquisitionsgericht (1632) und im Jahre 1616 (!) zum Eintrag des „De Revolutionibus …“ in die Liste verbotener Bücher (Index Librorum Prohibitorum), wo es bis zum Jahre 1758 verblieb. Und es führte, wie wir wissen,  zu einer Entwicklung, an deren Ende die heutige moderne Wissenschaft mit all ihren Errungenschaften steht. Deshalb sprechen wir auch mit Kant zu Recht von einer „Kopernikanischen Revolution“.


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