Sonntag, 6. März 2011

Essay: Milankovic-Zyklen, Erdbahnparameter und die Entwicklung des Erdklimas

Das globale Klima der Erde wird in erster Linie durch den Energieeintrag der Sonnenstrahlung in die Atmosphäre bestimmt. Sie stellt die Primärenergiequelle dar, aus der sich die atmosphärische Dynamik speist. Deshalb können bereits geringe Änderungen der Solarkonstanten im Promillebereich zu gravierende Veränderungen  im Klimasystem führen. Sehr gut erforscht ist in dieser Beziehung das Paläoklima der letzten Millionen Jahre, wo die Erde mehrere mehr oder weniger stark ausgeprägte Vereisungszyklen, die durch Warmzeiten (Interglaziale) getrennt waren, durchgemacht hat.  Die Fragestellungen, die sich  in Bezug auf die Ursachen  dieser  Zyklen ergeben, bildeten das sogenannte „Eiszeitenproblem“, über das zu Beginn des 20. Jahrhunderts intensiv geforscht wurde. Zu nennen sind  in diesem Zusammenhang z.B. die Untersuchung des grönländischen Inlandeisschildes durch Alfred Wegener (1880-1930) und die Rekonstruktion des Klimas ab dem ausgehenden Pliozän (vor ca. 2 Millionen Jahren) durch Wladimir Köppen (1846-1940).

Eine Erklärung für diese Klimazyklen und für die beobachteten Zyklenlängen wurde  in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von dem serbischen Wissenschaftler  Milutin Milankovic  (1879-1958) vorgeschlagen. Seine Theorie, die seitdem als Milankovic-Theorie bezeichnet wird, ist heute weitgehend anerkannt. Sie sieht die Ursachen für zyklische Klimaänderungen in der Veränderung der Erdbahn um die Sonne, die mit einer Veränderung der Solarkonstante verbunden ist.  Wie aus der Himmelsmechanik bekannt ist, stellen die ungestörte Bahnform (Ellipse) und die Lage der Bahnebene (gegeben durch den Vektor des Bahndrehimpulses) jeweils Invarianten der Bewegung in einem 1/r-Potential dar. Das bedeutet, daß die Bahnparameter a (große Halbachse), e (numerische Exzentrizität) und i (Bahnneigung zur Ekliptik, nach Definition 0° für die Erdbahn)  stabile Größen sind – vorausgesetzt, es kommt zu keinen gravitativen Störungen  durch andere Planeten. Das ist im Sonnensystem aber nicht der Fall. Insbesondere die großen Planeten des äußeren Sonnensystems haben einen durchaus starken Einfluß auf die Erdbahn, der sich zwar kurzfristig quantifizieren, aber langfristig nicht vorhersagen läßt (deterministisches Chaos). Mit den Mitteln der Störungstheorie können diese Änderungen in den Bahnparametern jedoch durchaus mit genügender Genauigkeit untersucht werden um z.B. eine Korrelation zwischen den Änderungen der Erdbahn und bestimmten Klimaparametern (z.B. der mittleren  Jahrestemperatur) herzustellen. Diesbezügliche Rechnungen wurden zuerst von Milutin Milankovic durchgeführt und veröffentlicht.

Es gibt im Wesentlichen drei Größen, die in diesem Zusammenhang relevant sind: die Exzentrizität der Erdbahn e, die Neigung der Erdachse in bezug auf die Ekliptik und die Lunisolarpräzession.

Die Exzentrizität der Erdbahn (also den Grad der Abweichung der Bahnellipse von einem idealen Kreis mit dem Radius 1 AU) kann aufgrund der nichtzentralen gravitativen Störungen der anderen Planeten im Bereich zwischen e=0.00 und e=0.06 schwanken. Die Änderungen sind dabei nichtharmonisch, d.h. sie stellen die Überlagerung verschiedener „Frequenzen“ dar, die in einem Bereich zwischen 90000 und 105000 Jahren liegen und zwar mit einem deutlichen Schwerpunkt bei ca. 93000 Jahren. Große Exzentrizitäten bewirken einen geringeren Perihelabstand und einem größeren Aphelabstand, was zu einer starken jahreszeitlichen Schwankung der Energieeinstrahlung führt. Die Änderung in der Exzentrizität selbst (d.h. die Veränderung der Bahnform von einem (fast) idealen Kreis zu einer Ellipse und wieder zurück), führt zu einer Schwankung der Solarkonstanten um etwa 1 Promille (d.h. ca. 0.7 W/m²), was einer Schwankung der Gleichgewichtstemperatur der Erde um einige Grad entspricht. Eine Änderung  der Bahnform bewirkt also einmal eine Veränderung des Temperaturkontrastes über ein Jahr hinweg als auch eine zyklische Veränderung der  mittleren Jahrestemperaturen im Zyklus der Exzentrizitätsschwankungen mit einer Periode von ungefähr 100000 Jahren.

Fällt in einer  Epoche erhöhter Bahnexzentrizität der Winter auf der nördlichen Hemisphäre mit der Zeit des  Periheldurchgangs zusammen (was gegenwärtig der Fall ist), dann ist aufgrund des Zweiten Keplerschen Gesetzes die Jahreszeit „Winter“ kürzer als im umgekehrten Fall (Winter auf der Nordhemisphäre, Erde im Aphel). Deshalb sind heute auch die nördlichen Winter kürzer und wärmer  als die Südlichen. Zu Zeiten geringer Bahnexzentrizität verschwinden dagegen die Unterschiede in den Längen der Jahreszeiten.

Eine zweite Größe, die sich ändern kann, ist die Neigung der Erdachse gegenüber der Erdbahnebene. Diese Größe, die als „Schiefe  der Ekliptik Epsilon" bezeichnet wird und gegenwärtig bei 23.5° liegt, kann im Bereich zwischen 21.8° und 24.4° schwanken. Die Periode dieser Nutationsbewegung liegt bei ca. 41000 Jahren.  Ursache dafür ist die gravitative Wechselwirkung der Sonne und des Mondes mit der asymmetrischen Masseverteilung der Erde.

Die Nutation beeinflußt in erster Linie den Jahresgang der in den obersten Atmosphärenschichten eintretenden Sonnenstrahlung. In hohen geographischen Breiten kann das im Jahresmittel immerhin bis zu 16 W/m² ausmachen.  Obwohl die Schiefe der Ekliptik keinen Einfluß auf den gesamten Energieeintrag über ein Jahr hat, so erhöht sich doch der breitenabhängige Temperaturkontrast (Differenz zwischen maximaler und minimaler Temperatur) auf beiden Hemisphären in dem Maße, wie sich die Achsenneigung erhöht (man erinnere sich, bei einem   Epsilon-Wert nahe 0° gäbe es keine Jahreszeiten).  Dieser Vorgang hat u.a. Auswirkungen auf die Ausbildung und das Abschmelzen polarer Eisschilder. So werden in einer Periode mit geringem Temperaturkontrast die Polareisschilder in der Tendenz abgebaut um  in Zeiten hohen Temperaturkontrastes  wieder anzuwachsen. Man erwartet deshalb eine Korrelation zwischen der Eisbedeckung der Pole und dem  Epsilon -Wert der Erdachse.

Die Auswirkung der Lunisolarpräzession auf das Erdklima steht im Zusammenhang mit der Änderung der Exzentrizität der Erdbahn.  Sie bestimmt die Jahreszeit, in der sich die Erde in Sonnennähe, d.h. im Perihel, aufhält. Wie bereits erwähnt,  durchläuft heute die Erde den sonnennächsten Punkt ihrer Bahn, wenn auf der Nordhalbkugel gerade Winter ist. Vor 11000 Jahren war es genau umgekehrt. Zu dieser Zeit war der Winter auf der Nordhalbkugel deutlich länger als heute. Die Präzessionsperiode ist bezüglich des Wechsels der Jahreszeiten aufgrund der Apsidendrehung der Erdbahn mit etwa  23000 Jahren etwas kürzer als das Platonische Jahr von 25700 Jahren. Sie hat keinen Einfluß auf den Netto-Energieeintrag der Erde durch die Sonne, kann aber die Stärke des Jahresgangs der Temperatur  verändern.

Die astronomischen Zyklen für die Bahnexzentrizität (ca. 100000 Jahre), der Erdachsenneigung (ca. 41000 Jahre) und der Präzession (ca. 23000 Jahre) sind demnach ,,verantwortlich'' für die Gesamtmenge der Strahlung, welche die Erde von der Sonne erhält  sowie deren räumlicher und saisonaler Verteilung.  Dabei können bereits relativ geringe Veränderungen im Energieeintrag Prozesse in der Atmosphäre anstoßen, die zu einem relativ starken Umbau des Klimasystems führen können. Zwar lassen sich nach neueren Forschungen die Eiszeiten im ausgehenden Neozän nicht allein mit den Milankovic-Zyklen erklären. Sie sind aber sehr stark mit ihnen korreliert. Das bedeutet, daß astronomische Ursachen im Zusammenspiel mit komplexen Rückkopplungsmechanismen das globale Erdklima stark beeinflussen können.

Milankovich-Zyklen spielen auch für die Klimaentwicklung bzw. für die Klimageschichte des Planeten Mars eine große Rolle. Da bei diesem Planeten die stabilisierende Wirkung eines großen Mondes auf die Achsenneigung fehlt, sind die klimatischen Auswirkungen im Vergleich zur Erde sogar noch viel extremer.


 

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