Mittwoch, 3. August 2011

Exoplaneten (20) - Atmosphären von Gasplaneten

Dynamik der Atmosphären heißer Jupiter
Die Theorie, welche die verschiedenskaligen Strömungen in einer Atmosphäre beschreibt, wurde im Wesentlichen am Beispiel der Erdatmosphäre entwickelt und später, mit der aufkommenden Erforschung der Atmosphärendynamik der anderen Planeten im Sonnensystem mittels Raumsonden, auf diese angewendet und erweitert. Schon hier zeigt sich bereits eine große Vielfalt von Zirkulations- und Klimasystemen mit z.T. völlig unerwarteten Eigenschaften (hier sei nur an die Superrotation der Venusatmosphäre erinnert). Wenn man bedenkt, daß Exoplaneten natürlich einen noch viel größeren Bereich physikalischer Parameter, z.B. in Bezug auf Masse, chemische Zusammensetzung, Größe, Rotationsdauer, innere Energiequellen, Einstrahlungsregime und Bahnlage, abdecken als die Planeten des Sonnensystems, kann man sich vorstellen, daß auch die atmosphärischen Strömungssysteme eine entsprechend große Komplexität und Vielfalt aufweisen werden. Da sie im Unterschied zu den Planeten des Sonnensystems nicht direkt und räumlich aufgelöst beobachtbar sind, muß man auf theoretische Untersuchungen zurückgreifen, die sich sowohl auf bekannte Naturgesetze (z.B. in Form der Navier-Stokes-Gleichungen der Strömungsmechanik) als auch auf beobachtbare Basisparameter realer Exoplaneten stützen. In diesem Abschnitt soll dabei wieder das Hauptaugenmerk auf Planeten der hot jupiter-Klasse gerichtet werden, da für einige von ihnen bereits Beobachtungen vorliegen, die durchaus erste Rückschlüsse auf deren globale Zirkulationssysteme erlauben. 

Was treibt ein planetares Zirkulationssystem an?
Ein kugelförmiger Himmelskörper, der vom Licht seiner Sonne erwärmt wird, baut schon aufgrund seiner Geometrie in seiner Atmosphäre einen horizontalen Temperaturkontrast zwischen den (kühlen) Polen und den (heißen) Äquatorregionen auf, was nach den Gesetzen der Thermodynamik zu einem entsprechenden Druckgradienten zwischen den genannten Regionen führt (im Folgenden wird immer angenommen, daß die Rotationsachse des Planeten senkrecht auf seiner Bahnebene steht). Dieser Druckgradient führt zwangsläufig zu einer Meridionalzirkulation, die versucht, diesen Temperaturkontrast weitgehend abzubauen. Das gelingt jedoch nur zum Teil, da durch diesen Vorgang das Strahlungsgleichgewicht im Äquatorbereich maßgeblich gestört ist, weil Wärme aus diesem Bereich abtransportiert wird. Diese Störung im Strahlungshaushalt wird durch eine erhöhte Strahlungsheizung  im Bereich des subsolaren Punktes und einer verstärkten Kühlung über den Polen ausgeglichen. Da auf diese Weise der Temperaturkontrast aufrechterhalten wird, kann die überschüssige Energie Winde antreiben, die in ihrer Gesamtheit das planetare Zirkulationssystem ausmachen. Die atmosphärische Zirkulation eines Planeten resultiert demnach aus dem Zusammenspiel zwischen Strahlungshaushalt und Hydrodynamik, was sich in dem Gleichungssystem niederschlagen muß, mit dem diese Prozesse modelliert werden. Entsprechende Modelle wurden in großer Detailtreue für die Erde und, der jeweils verfügbaren Datenbasis angepaßt, auch für die Atmosphären der anderen Planeten des Sonnensystems entwickelt. Da man sich über die Grundgleichungen einig ist, welche atmosphärische Zirkulationssysteme beschreiben, macht es auch Sinn, sie auf die Atmosphären von Exoplaneten anzuwenden, deren Basisparameter mit genügender Genauigkeit bekannt sind. Über einige Ergebnisse, hot jupiter betreffend, soll im Folgenden berichtet werden.

Beobachtungen und Modellrechnungen
Die detailliertesten Erkenntnisse über Exoplaneten vom Typ hot jupiters erhält man gegenwärtig aus Transitbeobachtungen, die mit Radialgeschwindigkeitsmessungen ergänzt werden. Damit lassen sich ihre Basisparameter wie Masse MPl, Radius RPl, effektive Temperatur Teff sowie abgeleitete Größen wie mittlere Dichte ρPl, Oberflächengravitation g und Skalenhöhe H ihrer Atmosphäre bestimmen. Weitere wichtige Größen sind der Strahlungsfluß S („Solarkonstante“), dem sie ausgesetzt sind und ihre Rotationsperiode, die man mit ihrer Umlaufperiode gleichsetzt (gebundene Rotation oder – bei stark exzentrischen Bahnen, pseudo-gebundene Rotation aufgrund des tidal locking). Darüber hinaus spielen noch Annahmen über ihren inneren Aufbau sowie der chemischen Zusammensetzung ihrer Atmosphären eine Rolle, die sich z.T. aus Entwicklungsmodellen ableiten lassen. 

Weiter ist es möglich, wie das Beispiel HD 189733b gezeigt hat, aus Transitbeobachtungen den Temperaturkontrast zwischen Tag- und Nachtseite sowie eine angenäherte Temperaturkarte über den gesamten Exoplaneten zu erstellen. IR-Beobachtungen an weiteren hot jupiters wie HD 209458 b ergaben, daß die Nachtseite nur um etwa 20-30% kühler ist als die Tagseite, was auf sehr effiziente Wärmetransportmechanismen zwischen beiden Hemisphären schließen läßt. Andererseits wurden bei dem Exoplaneten  u Andromedae b Tag- und Nachtseiten-Differenzen in der Temperatur von weit über 500 K (d.h. von mehr als 50%) beobachtet. Zirkulationsmodelle sollten in der Lage sein, diese Temperaturkontraste im Rahmen vernünftiger Annahmen zu reproduzieren.

Da jeder Exoplanet im Höchstmaß individuell ist und man deshalb eine große „Formenvielfalt“ unter ihnen erwarten kann, macht es Sinn, Modelle immer an einem ganz bestimmten Objekt auszurichten. Auf diese Weise ist es auch einfacher, die Realitätsnähe der Ergebnisse einzuschätzen.

2D und 3D-Simulationen von hot jupiters
Je nachdem, ob man Modellrechnungen nur für eine genau definierte Schicht (z.B. für eine bestimmte Isobare) oder für mehrere, übereinanderliegende Schichten unterschiedlicher Höhe ausführen möchte, spricht man von 2D bzw. von 3D-Simulationen. Letztere sind insbesondere dann von Bedeutung, wenn auch vertikale Transportprozesse erfaßt werden sollen. Entsprechende Rechnungen sind mittlerweile von verschiedenen Forschungsgruppen ausgeführt worden (z.B. Cho et.al. 2008, Menou, Rauscher 2009). In diesen Arbeiten diente der sehr gut untersuchte Begleiter des 150 Lichtjahre entfernten G0V-Sterns HD 209458, welcher in 0.045 AU Entfernung in 3.5 Tagen einmal seinen Mutterstern umläuft und dabei auf über 1100 K aufgeheizt wird, als Modellplanet. Er ist ursprünglich in größerer Entfernung entstanden und dann wahrscheinlich relativ schnell (d.h. innerhalb von ~ 10 Millionen Jahren (Burrows et.al. 2000) in seine heutige Bahnlage migriert, wobei er zugleich aufgrund von Gezeitenwechselwirkungen in einen gebundenen Rotationszustand gelangte. Dieser Umstand ist wichtig, da von ihm ein wichtiger Modellparameter abhängt, nämlich die Corioliskraft (3.39). Bei einer gebundenen Rotation mit einer Periode von 3.5 Tagen ist die Rotationsdauer von HD 209458b ~8 mal geringer als die von Jupiter. Man könnte jetzt meinen, daß in diesem Fall der Coriolis-Effekt nur eine untergeordnete Rolle in der Dynamik atmosphärischer Strömungen spielen wird. Das ist aber nicht der Fall, wie die Berechnung der Rossby-Zahl (3.41) für die typischen Parameter eines hot jupiters zeigt. Mit einer typischen Längenskala von l~10^8 m für globale Strömungen und erwarteten Windgeschwindigkeiten um 2 km/s ergibt sich z.B. für eine Rotationsdauer von 3.5 Tagen eine Rossby-Zahl von  R0≈0.45.  Dies zeigt, daß der Coriolis-Effekt eine durchaus wichtige Rolle spielt und zonale Strömungen in den Zustand zyklostrophischen Gleichgewichts überführen kann. Entsprechende Simulationen zeigen, daß es sehr wahrscheinlich ist, daß sich in der Atmosphäre von hot jupiters superrotierende äquatoriale Strömungen ausbilden, die Wärme effektiv von der Tagseite auf die Nachtseite transportieren. Bedingung dafür ist, daß der Temperaturkontrast zwischen dem subsolaren Punkt auf dem Äquator und den Pole größer ist als zwischen Tag- und Nachtseite (Showman, Guillit, 2002). 

Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt bei Strömungen ist das Auftreten von Wirbeln. Wirbel existieren in verschiedenen Größenordnungen, wie ein Blick in Jupiters turbulenter Atmosphäre zeigt. Ihr physikalischer Hintergrund liegt im Auftreten von Scherströmungen, die zum Phänomen der Rossby-Wellen führen. Zwei wichtige Größen bestimmen dabei die Wirbelbildung – der Rossby-Deformationsradius (er legt die horizontale Skala fest, auf welcher geostrophisches Gleichgewicht herrscht) und die Rhines-Skala (charakteristische Länge für die Breite eines zonalen Strömungsbandes). Bei Jupiter liegen z.B. der Deformationsradius bei ca. 2000 km und die Breite eines Strömungsbandes bei ca. 10000 km, was ungefähr 1/7 des Planetenradius ausmacht. Hier sind also – was mit den Beobachtungen übereinstimmt – eine größere Zahl von schmalen zonalen Starkwindbändern (~10) mit vielen eingelagerten klein- und mittelskaligen Wirbeln (z.B. WOS-Objekte, GRF) zu erwarten.

Bei hot jupiters sind dagegen der Deformationsradius sowie die Rhine-Skala größenordnungsmäßig mit dem Planetenradius vergleichbar (Menou et.al. 2003). 2D- und 3D-Simulationen ergeben hier eine bis vier breitere Starkwindzonen (Jets), in denen die Windgeschwindigkeiten 2 bis 3 km/s erreichen. Im Fall von HD 209458b führten die Modellrechnungen zur Entstehung von drei Jets sowie zu zwei Polarwirbeln, die sich asymmetrisch um die Rotationspole bewegen. Außerdem fallen die wärmsten und die kältesten Regionen nicht mit den substellaren und antistellaren Punkt auf dem Äquator zusammen. Statt dessen bilden sich zwei heiß-kalt-Extrema nahe der Pole aus, wobei die Temperaturdifferenz bei ~ 300 K liegt. Dieser Wert hängt jedoch stark von den Modellparametern (insbesondere den zonalen Strömungsgeschwindigkeiten) ab, wobei höhere Strömungsgeschwindigkeiten zu größeren Temperaturdifferenzen führen. In jedem Fall ist der „kalte Fleck“ schärfer ausgebildet und er erreicht auch eine größere Abweichung von der mittleren Atmosphärentemperatur (im hier diskutierten Modellbeispiel  ∆T -230 K zu +70 K).

5.79   Dipolartige Temperaturverteilung der Nachtseite von HD 209458b nach Modellrechnungen unter der Annahme einer charakteristischen, auf die globale mittlere kinetische Energie bezogene Windgeschwindigkeit von ~400 m/s und einer mittleren Temperaturdifferenz zwischen Tag- und Nachtseite von 180 K, wobei das Zirkulationssystem durch drei zonale Jets charakterisiert ist. Sollte die Existenz von heißen und kalten Flecken real sein, dann könnten sie prinzipiell mit Hilfe schmalbandiger und hochpräziser IR-Photometrie in Transitbeobachtungen nachgewiesen werden. Bedingung ist natürlich, daß der hohe Tempera-turkontrast nicht durch darüber liegende Dunstschichten allzu stark abgeschwächt wird. © J.Y-K.Cho et.al. 2008


5.80  Barotrope 2D-Strömumgssimulation von HD 209458b, welche zu der in der Abbildung zuvor dargestellten Temperaturverteilung führt. Barotropie bedeutet, daß Isobare und Isotherme zueinander parallel verlaufen. Farblich dargestellt ist die Potenzielle Vortizität, die ein Maß für die Scherung von Strömungen ist und als Strömungstracer verwendet werden kann. Die Einheit 1 PVU entspricht 10^(-6)  K m^2  kg^(-1)  s^(-1).   © J.Y-K.Cho et.al. 2008

Das globale atmosphärische Flußfeld  von HD 209458b, wie es sich in einer Strömungssimulation darbietet,  zeichnet sich durch eine breite, mäandernde Starkwindzone im Äquatorbereich aus, die in Richtung gemäßigter Breiten in feine filamentartige Strukturen zerfällt. Dort wickeln sie sich, bedingt durch planetare Rossby-Wellen, zu kleinen Wirbelstrukturen auf, die jeweils den Übergangsbereich zu den entgegengesetzt laufenden Strömungsbändern der gemäßigten Breiten besiedeln. In dieser Hinsicht kann man durchaus – wenn auch unter völlig anderen physikalischen Bedingungen – gewisse Ähnlichkeiten zum globalen Zirkulationssystem der Erdatmosphäre erkennen. 

Die beiden anderen auffälligen Strömungsmerkmale sind die zu den Rotationspolen asymmetrisch liegenden Polarwirbel, die zugleich auch Temperatursenken darstellen. Sie sollten sich deutlich als Flecken, die sich um die Rotationpole bewegen, auf der Planetenscheibe bemerkbar machen. Aufgrund ihrer z.T. beträchtlich geringeren Temperatur gegenüber ihrer Umgebung (im betrachteten Modell ~230 K, bei anderen Parametrisierungen bis 800 K im Wirbelkern) wird sich auch die Atmosphärenchemie in ihnen drastisch von der Umgebung unterscheiden. Das gilt natürlich auch für die diffuseren „heißen“ Flecken. Hieraus lassen sich vielleicht Effekte ableiten, nach denen bei einem Transit gezielt gesucht werden kann.

Nächste Posts:  Super-Earths und erdähnliche Exoplaneten

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