Sonntag, 30. Oktober 2011

Planet Mars (19) - Polarkappen


Polarkappen
Eine der ersten Auffälligkeiten, welche Marsbeobachter in ihren Fernrohren bemerkt haben, waren die sich jahreszeitlich verändernden Polkappen. DIETRICH WATTENBERG (1909-1996)  schreibt in seinem 1956 erschienenen Buch „Mars – der Rote Planet“:  Erstmalig wurden die Polkappen von G.F.MARALDI um das Jahr 1672 erwähnt. Er weist aber darauf hin, daß sie schon früher von anderen Beobachtern (HUYGENS, CASSINI) gesehen worden seien, und vermutete, daß sie aus Schnee- und Eismassen bestehen, die den Polarzonen des Mars das Gepräge geben. Derselben Ansicht war auch W.HERSCHEL, der den Mars von 1781 an beobachtete und als erster darauf hinwies, daß sich die Polflecke auf beiden Halbkugeln nicht genau gegenüberstehen, ihre Mittelpunkte also offenbar nicht mit den Drehpunkten der Marskugel zusammenfallen. Des Weiteren bemerkte Herschel, daß die Ausdehnung der Polarflecke im Marswinter zunimmt und im Marssommer zusammenschmilzt, so daß auch diese Eigenschaften auf Schnee und Eis hinzudeuten schienen.


Gerade diese Beobachtungen haben dazu beigetragen, dem Mars ein erdähnliches Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit zuzuschreiben, das ungefähr bis zu Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Bestand hatte. Diese Bild hat sich seitdem natürlich in gravierender Weise geändert. Was die Polkappen betrifft, hatten die Astronomen vor der Ära der Weltraumfahrt durchaus in vielen Punkten recht, was deren Zusammensetzung (Wasser-eis) und Lage (asymmetrische Lage der Südpolkappe zur Rotationsachse) betrifft.


8.91. Die Polkappen sind mit die auffälligsten Strukturmerkmale des Mars, die man durch ein Amateurfernrohr erkennen und fotografieren kann. Die besten Bedingungen dafür bieten dazu Periheloppositionen, wo der scheinbare Durchmesser des Planetenscheibchens 20“ übersteigt.

Allgemeiner Überblick über die Polarkappen
Bei günstigen Oppositionen kann man bereits mit den Fernrohren, die Amateurastronomen gewöhnlich zur Verfügung stehen, den jahreszeitlichen Wechsel der Polkappen beobachten. Zwar wächst das Marsscheibchen nie über 25.8“. Das reicht aber aus, um auch im Polbereich Details wahrzunehmen.

Die Nordkappe (Planum Boreum) hat nach den Messungen der Marssonden die Gestalt eines breiten Doms, ist ungefähr 1 km dick und hat einen Durchmesser von rund 650 km. Ihr höchster Punkt fällt ziemlich genau mit dem Durchstoßungspunkt der Rotationsachse zusammen und überragt das umgebende Land um ca. 3000 m. Wie die Aufnahmen der Marssonden zeigen, ist sie in verschiedene Bereiche zerschnitten, die durch dunkle canyonartige Täler abgetrennt sind. Die auffällig weiße Farbe der Polkappen wird übrigens durch Ablagerungen und Überzügen aus gefrorenem Kohlendioxid – dem sogenannten Trockeneis - verursacht, während der Kern aus Wassereis bzw. aus einer Mischung von Wasser- und Trockeneis besteht. Der permanente Eiskern der Nordkappe enthält nach neuesten Berechnungen ca. 1200000 Kubikkilometer Wassereis.

Die Südkappe (Planum Australe) ist weniger auffällig, da sie kleiner (ca. 450 km Durchmesser, aber rund 3000 m dick). Ihr Zentrum fällt interessanterweise nicht mit dem wahren Südpol zusammen, was schon früher teleskopische Beobachter bemerkt haben. Ihr höchster Punkt ist ca. 250 km vom Rotationspol entfernt. Den Wassergehalt der Südpolkappe schätzt man auf ungefähr 200000 Kubikkilometer. 


Nordpolarkappe nahe seiner maximalen Ausdehnung, aufgenommen mit dem Hubble-Teleskop. Quelle NASA, HST

Warum die beiden Polkappen – was ihren Wassergehalt betrifft – nicht symmetrisch sind, war lange ein Rätsel. Erst anhand von Computersimulationen konnte man zeigen, daß der nicht uner-hebliche Höhenunterschied (der Bereich um den Südpol liegt im Mittel 6 km höher als der Nordpol) dafür verantwortlich ist. Er führt zu großräumigen Differenzen in der atmosphärischen Zirkulation, die sich im Endeffekt in einer Verstärkung der Wasserdampfkonzentration im Nordpolbereich äußern. Deshalb ist dort auch mehr Wassereis anzutreffen.

Polar Layered Deposits (PLD)
Das Material, aus dem die Polkappen des Mars bestehen, wird aufgrund seiner Struktur und seines Aufbaus als „Polare geschichtete Ablagerungen“ bezeichnet. Sie ist recht passend, weil dieser Begriff (im Folgenden mit PLD abgekürzt, dem ein „N“ für die Nordpolkappe und ein „S“ für die Südpolkappe vorangesetzt wird) sehr anschaulich sowohl die auf hochaufgelösten Aufnahmen sichtbaren Schichtungen als auch die Schichten, die Radaraufnahmen aus ihrem Inneren zeigen, beschreibt. Bei den Schichten handelt es sich um abwechselnde Sedimentationen von Wassereis, silikatischen Staub und Trockeneis bzw. Mischungen davon. 
Sie stellen im Sinne der klassischen Stratigraphie ein geologisches und klimatisches Archiv dar, über das sich Einiges über die nähere Vergangenheit (ungefähr die letzten 10 Millionen Jahre, HERKENHOFF, PLAUT, 2000) des Planeten in Erfahrung bringen läßt. Insbesondere ausgedehnte Klimazyklen können deutlich an der Abfolge der Schichtungen abgelesen werden.

Horizontale Strukturen
Aus hochauflösenden Stereoaufnahmen bzw. in Kombination mit einem Laser-Höhenmesser können – soweit sie freigelegt sind – einzelne Schichtdicken recht genau ermittelt werden. Danach variieren sie ungefähr zwischen maximal 300 m bis hinunter zur Auflösungsgrenze der verwendeten Kamera (~1.5 m unter der Verwendung der hochauflösenden Kamera des MGS. Der Mars Reconnaissance Orbiter konnte diese Auflösungsgrenze mit HIRES noch unterbieten).


Mars Reconnaissance Orbiter HIRISE-Aufnahme eines NPLD-Ausschnitts bei 82.9° nördlicher Breite und 40.9° östlicher Länge. Die einzelnen, durch Wind erodierten Schichten sind deutlich zu erkennen. Quelle NASA

Unterschieden werden die Schichten durch ihre Albedomerkmale, die mit ihrer Zusammensetzung (Verhältnis Staub zu Eis, Korngrößenvariationen in den Staubablagerungen, Staubzusammensetzung) koinzidieren. Viele Einlagerungen im Eis scheinen aus feinem Staub, andere dagegen wiederum aus mehr grobkörnigeren Partikeln zu bestehen. Auch unterschiedliche Verfestigungen sind anhand ihrer Erosionsgrade auszumachen. Diskordanzen im Zusammenhang mit Impaktstrukturen weisen auf lokale Setzungs- und Fließerscheinungen hin. Weiterhin lassen sich an den herausgearbeiteten Schichten vielfältige Erosionserscheinungen, verursacht durch Windabtragung, Sublimation von Eis, Kriechprozesse entlang des Untergrundes etc. nachweisen und im Detail untersuchen. Auch sind oft bogenförmige Strukturen auszumachen, die sich auf Fließbewegungen des Eise aufgrund steigender Auflast im Zentralteil der Polarkappe zurückführen lassen.

Vertikale Strukturen
Mit Hilfe des SHAllow RADar (SHARAD) Instruments des Mars Reconnaissance Orbiters konnte auch die Vertikale Struktur der PLD’s entlang ausgewählter Schnitte untersucht werden (HOLT, SAFAEINILI, 2009). Die räumliche Auflösung, die mit diesem Instrument (einem synthetischen Apertur-Radar) erreicht wird, beträgt vertikal 8 m in Wassereis und 0.3 bis 1 km in horizontaler Richtung, wobei eine Meßspur eine Breite von 3 bis 6 km in Abhängigkeit der Bahnlage des Satelliten besitzt. Gearbeitet wird bei einer Frequenz von 20 MHz und einer Pulsdauer von 85 μs. Aus Laufzeitverzögerungen, die sich durch unterschiedliche dielektrische Konstanten der jeweils homogen angenommenen Schichten ergeben, kann deren Mächtigkeit ermittelt werden. In dem man unterschiedliche „Schnitte“ über die Polkalotte legt, erhält man Informationen über die Zusammensetzung und Dicke der Polareisdepositionen über die ursprüngliche Oberfläche.  Im Folgenden soll kurz die Ergebnisse einer solchen Analyse entlang eines Schnittes über die NPLD vorgestellt werden.


Untergrund (BU), auf dem die NPLD aufliegt, ist deutlich zu erkennen. Ihre Mächtigkeit erreicht im Zentralteil ungefähr 2000 m.   Quelle Holt, Safaeinili, 2009

Die Radarsignale zeigen erst einmal eine weitgehend homogene Stratigraphie mit deutlich unterscheidbaren Schichten unterschiedlicher Dicke. Daraus ergibt sich schon einmal eine zeitliche Homogenität ihrer Entstehung. Abbrüche und Abrutschungen im Bereich von Chasmata sind auf dem Radarquerschnitt deutlich als Diskordanzen zu erkennen. So gesehen gibt es eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Längsschnitt einer irdischen Inlandeismasse wie z.B. auf Grönland. 

Im Radarlängsschnitt sind deutlich 4 Schichten auszumachen, die in der Abbildung mit D, C, B und A bezeichnet werden. BU bildet den Untergrund, auf dem die PLD aufliegt. Die D-Schicht zeichnet sich (insbesondere ihre oberste Abdeckung) durch eine besonders hohe Radarreflektivität aus und besitzt eine Mächtigkeit von ungefähr 300 m. Daran schließt sich die C-Schicht an, die aus verschiedenen homogenen Lagen mehr oder weniger guter Radarreflektivität besteht. Sie bildet im Zentrum des Längsschnitts eine Einbuchtung in die darunter liegende B-Schicht, deren Unterseite wiederum konform auf der ca. 200 m mächtigen homogenen A-Schicht aufliegt, welche die Geometrie des Untergrundes BU abbildet. 


Radarschnitte B-B‘ und C-C‘ an zwei Stellen des Übergangsbereichs zwischen dem Chasma Boreale-Rand und Gemina Lingula. Hieraus läßt sich erkennen, daß die Deposition über eine existierende Oberfläche erfolgt ist, die aufgrund der Eisbewegung einer Abtragung unterzogen wurde – genauso, wie man es auch bei irdischen Gletschern beobachtet. Quelle  Holt, Safaeinili, 2009

Die Existenz der Schicht B wird als Rest eines alten Eisschildes interpretiert, welches durch den Druck der später entstandenen Eisauflage (Schicht C) nach außen gedrückt wurde. Sie bildet für die darüber liegenden Schichten quasi eine Anhöhe. Dahinter werden die darüber liegenden Schichten instabil und rutschen ab. Dadurch entstehen Risse, die nach neueren Untersuchungen über Jahrtausende hinweg durch vom Pol ausgehende Fallwinde herausgearbeitet und verbreitert wurden. Auf diese Weise zeichnet der bogenförmig zerklüftete Rand von Gemina Lingula die Reste eines Paläo-Eisschildes nach.

Die Radaruntersuchungen durch den Mars Reconnaissance Orbiter ergaben auch einige interessante Einblicke in die Entstehung der riesigen Grabenstruktur Chasma Boreale. Wie dieser 500 km lange, rund 100 km breite und 1.4 km tiefe Canyon innerhalb der NPLD entstanden ist, war lange rätselhaft. Aufgrund morphologischer Merkmale mußten die ursprünglichen Hypothesen, die meist von einem katastrophenartigen Wasser-ausbruch (z.B. Verflüssigung der Eissohle durch vulkanische Prozesse) ausgingen (Stichwort „Jökulhlaups“), revidiert werden. Ablagerungen entstehen ja Schicht auf Schicht über lange Zeiträume. Diese Schichtbildung kann aber während dieser Zeit lokal gestört werden, z.B. durch beständig wehende Winde. Das Chasma ist demnach genauso wie die anderen spiralförmigen Einschnitte nicht durch Herausarbeiten aus einer bestehenden Eisschicht, sondern durch die Verhinderung seiner Entstehung  über Hunderttausende von Jahren hinweg entstanden. Verantwortlich dafür waren sogenannte Fallwinde. Sie entstehen, wenn die relativ dichte und kalte Luft über den Polen in Richtung Äquator abfließen, wobei sie durch die Corioliskraft eine entsprechende Ablenkung erfahren. Durch diese Kraft werden die Winde zudem in verschiedene Luftströmungen geteilt und formen so über lange Zeiträume hinweg die verschiedenen spiralförmigen Einschnitte in den polaren Regionen des Mars, in dem sie eine wirksame Sedimentation verhindern.


Nächstes Mal: Nordpolarkappe im Detail

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