Samstag, 14. Januar 2012

Planet Mars (30) - Chronologie der Marsoberfläche I

Chronologie der Marsoberfläche
Die heutige Oberfläche des Mars ist das Ergebnis einer seit ~4.5 Milliarden Jahre anhaltenden Abfolge geologischer Prozesse und die Kunst der Geologen und Planetologen besteht nun darin, diese Abfolgen zu quantifizieren und in aufeinanderfolgende Epochen aufzugliedern, die jeweils für die Ausbildung einzelner der vielfältigen Landschaftsformen verantwortlich sind. Diese Aufgabe ist weitaus schwieriger als die gleiche Aufgabe für den Planeten Erde, auf den die Geologen quasi direkten Zugriff haben. Entsprechend grob und unsicher ist die Chronologie des Mars – aber ein Anfang ist gemacht. Da eine absolute Datierung z.Z. noch nicht (oder nur eingeschränkt – Marsmeteorite) möglich ist, beruht die Marschronologie im Wesentlichen auf Impaktkraterstatistiken und relativen Alters­bestimmungen sowie aus Vergleichen mit ähnlichen oder analogen irdischen Strukturen unter Berücksichtigung unter­schiedlicher Gradationsgeschichten. Aber auch die chemischen und mineralogischen Untersuchungen der Marslander und Mars­rover haben ihrerseits Bausteine für eine Marschronologie geliefert, die gerade die Frühgeschichte des Planeten in einem neuen Licht erscheinen lassen. 

Geologische Prozesse, welche die Oberfläche formten
Oberflächenformende Prozesse kann man einteilen nach den Kräften, die sie bewirken: Stammen die Kräfte aus dem Inneren des Planeten (Vulkanismus, Tektonik) oder sind sie durch dessen Hydro-/Kryosphäre (fluvial überformte Landschaften, glaziale und periglaziale Oberflächenformungen) bzw. dessen Atmosphäre (äolisch beeinflußte Landschaften wie z.B. Dünengebiete) bedingt, dann spricht man von endogenen Kräften. Sie setzen eine gewisse geologische Aktivität voraus (z.B. Vulkanismus und die den Vulkanismus vorbereitenden Prozesse im Planeten­mantel) bzw. die permanente oder zumindest temporäre Existenz einer Hydrosphäre oder entsprechend dichten Atmo­sphäre. 

Exogene Prozesse wirken von „außen“. Darunter versteht man in erster Linie Einschläge von planetaren Körpern wie kleinen Planetoiden, Kometenkernen oder von Meteoriten aller Größen­ordnungen soweit sie die Planetenoberfläche erreichen und dort Impaktstrukturen ausbilden. Gerade diese Prozesse sind für eine Datierung von großer Bedeutung, da die Anzahl der Meteoriten­einschläge pro Zeiteinheit eine seit der Entstehung des Sonnen­systems her abnehmende Funktion ist. 

Chronologie nach Impaktkraterstatistiken
Dem Verfahren der Impaktkraterstatistik zur (absoluten) Datierung von Planetenoberflächen wie die der Marsoberfläche liegt folgende, einfach zu verstehende Idee zugrunde: Aus kosmogonischen Betrachtungen folgt, daß sich die Planeten vor über 4.5 Milliarden Jahren durch Akkretionsprozesse aus Planetesimal in einer flachen Gas- und Staubscheibe um die Ursonne herum gebildet haben. Der Urmars – genauso wie die Urerde und die anderen inneren Planeten waren in ihrer frühesten Jugend aufgeschmolzene Magmakugeln, die abkühlten und dabei eine feste Kruste ausbildeten. Diese Urkruste war eine gewisse zeitlang einem starken Meteoritenbombardement aus­gesetzt und zwar solange, bis der größte Teil dieser meteori­tischen Körper aus dem inneren Sonnensystem verschwunden waren. Man nimmt nun an, daß sich zuerst sowohl große als auch kleine Impaktkrater gebildet haben (Phase I), dann nur noch hauptsächlich kleinere Krater (Phase II) und später insgesamt nur noch sehr wenige (Phase III). Als Resultat sollte sich im Mittel eine gleichmäßige Verteilung von Impakten auf einem Planeten einstellen. Betrachtet man jedoch den Mars, dann fällt auf, daß die Impaktkraterdichte sowohl was die Anzahl als auch die Größe entspricht, alles andere als gleichmäßig ist. In der nördlichen Hemisphäre und in den vulkanischen Regionen (Tharsis, Elysium) findet man nur sehr wenig Krater. In den Highlands dagegen kann man grob zwei Gebiete mit unterschiedlicher Kraterdichte in Bezug auf Impakte größer 300 km Durchmesser ausmachen. Nach den auf alten Marskarten zu findenden Bezeichnungen werden diese Gebiete Noachis (z.B. nordwestlich von Hellas mit einigen alten Ringstrukturen > 300 km im Durchmesser) und Hesperia bezeichnet. Die kraterarmen nördlichen Gebiete nennt man Amazonis. Diese Gebiete zeigen offensichtlich planetare Oberflächenbereiche unterschiedlichen Alters an. Da man aus Untersuchungen des Erdmondes (und z.T. des Merkurs) weiß, daß das Zeitalter des „schweren Bombardements“ vor ca. 3.9 Milliarden Jahre seinen Höhepunkt erreichte und danach die Einschläge rapide abgenommen haben, kann man für den Mars grob folgende geologische Zeitalter ableiten: 
  • Noachian (endete vor ~3.8 Ga) 
  • Hesperian (endete vor 3.55 ... ~1.8 Ga) 
  • Amazonian (begann zwischen 3.55 und 1.8 Ga) 
Diese Einteilung richtet sich nach großräumigen Ereignissen, die man als resurfacing bezeichnen kann. Offensichtlich haben im Laufe der frühen Marsgeschichte riesige Lavamassen großräumig ganze Landstriche überflutet und damit alte Krustenteile mit ihren Impakten ausgelöscht. Passend dazu konnten bereits mit der ersten Meßkampagne des MARSIS-Radars (Mars Advanced Radar for Subsurface and Ionospheric Sounding) der ESA-Sonde „Mars Express“ im Gebiet der Tiefebene Chryse Planitia alte, durch vulkanische Oberflächenablagerungen abgedeckte Ein­schlagkrater nachgewiesen werden, die zeitlich dem Noachien zuzuordnen sind. 


Geologische Einheiten der Marsoberfläche, abgeleitet aus Krater­statistiken. A bezeichnet Amazonian, H Hesperian und N Noachian (E Early, L Last). Quelle Nimmo, Tanaka 2004

Gegenwärtig spielen jedoch weder vulkanische noch irgend­welche tektonische Prozesse bei der Oberflächenumgestaltung eine Rolle. Lediglich der Transport von Sand und Staub durch Wind führen zu einer langsamen, aber stetigen Erosion. Dazu kommen noch bestimmte glaziale Prozesse, die damit zusam­menhängen, daß es auf dem Mars eine Art von Permafrostboden gibt, in denen nach den Messungen der Sonde „Mars Odyssey“ sehr viel Wassereis gebunden bzw. eingelagert ist.

Daß ein sich kontinuierlich abkühlender Planet mit der Zeit nach und nach seine Fähigkeit zur aktiven endogenen Oberflächen­gestaltung einbüßt, ist eine Tatsache, die sich bereits aus einfachen energetischen Überlegungen ergibt. So gesehen müßte der Mars schon seit mindestens einer Milliarde Jahre ein „toter“ Planet sein. Neuere Untersuchungen legen aber nahe, daß vulkanische Prozesse auch im Zeitalter des Amazonian (lokal bis fast an die Gegenwart hinein – Olympus Mons. Neukum, 2004) noch aufgetreten sind. Sie könnten etwas mit asymmetrischen Wärmereservoirs im Planetenmantel zu tun haben. 

Da der Mars insbesondere während der ersten zwei Milliarden Jahre seiner Existenz geologisch aktiv war (Vulkanismus; hydrologische und glaziale Prozesse wie z.B. die Ausbildung von Ausflußtälern; verstärkte, mit der Zeit aber abflauende Ober­flächenüberformung durch Impakte), lassen sich gerade die Epochen des Noachian und des Hesperian in besserer zeitlicher Detailauflösung untersuchen als das vergleichsweise ereignis­ärmere Amazonian. Einmal spielten sich in den „früheren“ Epochen mehr und vielfältigere geologische Prozesse ab (Vulkanismus, wasserbedingte Erosionsprozesse) und zum anderen waren die klimatischen Verhältnisse gegenüber heute grundverschieden: 

Noachisches Zeitalter:
Zahlreiche Hinweise auf die Präsenz von flüssigem Wasser lassen diese Epoche als „warm“ und „feucht“ erscheinen. Sie endete vor ~3.8 Milliarden Jahren. 

Hesperisches Zeitalter:
Dieses Zeitalter ist durch starken Vulkanismus geprägt. Zu ihrem Ende zu trocknete die Marsoberfläche regelrecht aus und es wurde zu kalt für permanent flüssiges Wasser. 

Amazonisches Zeitalter:
Das Amazonian erstreckt sich vom Ende des Hesperians vor ca. 3.55 ... 1.8 Milliarden Jahre bis zur Gegenwart. Abflauender Tharsis-Vulkanismus. Starke äolische Aktivität. 

Durch intensive Forschungen gelingt es mehr und mehr, auch diese drei „Großen“ Epochen weiter zu verfeinern und zu strukturieren. Dazu werden im Detail die geologischen Strukturen in den grob datierten Oberflächenregionen in Augenschein genommen und – wenn möglich – erst einmal relativ zueinander („früher“ – „später“) in eine zeitliche Reihenfolge gebracht. Die Logik, die dahinter steckt, ist die, daß ein Impaktkrater, der den Rand eines anderen Impaktkraters überformt, jünger sein muß. Oder daß ein Lavafluß, der einen Impaktkrater teilweise ausfüllt, natürlich erst nach dem Impakt stattgefunden haben kann. Durch Analysen dieser Art und der akribischen Suche nach „Über­lappungen“ läßt sich regional eine zeitliche Abfolge konstruieren, die am Ende ein klareres Bild der geologischen Entwicklung einer Marslandschaft liefert. Das Ergebnis ist eine Stratigraphie der Marsoberfläche, die das „Heute“ aus geologischen Prozessen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, zu erklären vermag. Auf diese Weise konnte z.B. die Tharsis-Aufwölbung mit dem damit verbundenen Vulkanismus stratographisch in fünf unter­scheidbare zeitliche Stadien unterteilt werden (Anderson, Dohm, 2000; Hartmann, Neukum, 2001): 

1. Stadium
Kernlandschaften: Claritae, Tempe, Ascraeus
[Prä-Noachian und Noachian (4.5 – 3.7 Ga)]

2. Stadium
Kernlandschaften: Valles Marineris, Thaumasia, Warrego Valles
[Late Noachian – Early Hesperian (3.8 – 3.6 Ga)]

3. Stadium
Kernlandschaften: Teile von Syria, Tempe, Ulysses, Valles Marineris
[Early Hesperian (3.7 – 3.6 Ga)]

4. Stadium
Kernlandschaften: Alba, Nordwest und Südost Tempe
[Late Hesperian – Early Amazonian (3.6 – 2.1 Ga)]

5. Stadium
Kernlandschaften: Pavonis, Tharsis Montes
[Middle – Late Amazonian (2.1 - 0 Ga)]

Sie bringen etwas Ordnung in die äußerst komplexe und in vielen Teilen noch unverstandene Geschichte der tektonischen Aktivi­täten dieser außergewöhnlichen Region mit ihren Riesen­vulkanen und Grabenstrukturen.


Nächstes Mal: Chronologie der Marsoberfläche nach Gesteinsformationen

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