Samstag, 4. Februar 2012

Planet Mars (32) - Historische Geologie der Marsoberfläche I

Historische Geologie der Marsoberfläche

Die Historische Geologie des Mars erforscht dessen geologische Geschichte vom Zeitpunkt seiner Konsolidierung als Planet an bis hin zur Gegenwart. Dazu werden die heute sichtbaren geolo­gischen Strukturen mit den mit verschiedenen Methoden gewon­nenen absoluten und relativen chronologischen Daten in Bezie­hung gesetzt, um letztendlich deren Entwicklung aufzuzeigen. 

Moderne kosmogonische Theorien (gestützt u.a. durch die Ergeb­nisse radiologischer Untersuchungen besonders alter Mars-Meteorite, z.B. ALH 84001) ergeben für den Mars eine sehr rasche Ausdifferenzierung mit dem Ergebnis einer festen Kruste nur ~500 Millionen Jahre nach seiner Entstehung. Aufgrund des noch sehr hohen Wärmeflusses an der Oberfläche spielten zu jener Zeit, als sich die großräumige Dichotomie (man vermutet u.a. einen „Mega-Impakt“ (Andrews-Hanna et.al. 2008) als Ursache) der Marsoberfläche gerade ausgebildet hatte, vulkanische Prozesse eine dominierende Rolle. Davon haben sich aber aufgrund des sogenannten „Großen Bombardements“ (4.1 – 3.8 Ga) keine identifizierbaren morphologischen Strukturen bis in die Gegenwart erhalten können. Es gibt lediglich indirekte Hinweise auf die mögliche kurzzeitige Präsenz plattentektonischer Prozesse in Form von magnetic stripes in den sehr alten südlichen Marsprovinzen. Sie zeigen darüber hinaus an, daß die Bedingungen für einen aktiven Marsdynamo, der für die Aufrechterhaltung eines Magnetfeldes unabdingbar ist, nur während der ersten Milliarde Jahre der Existenz des Planeten gegeben waren. Auf jeden Fall hat der permanente Wärmefluß durch die Oberfläche schnell abgenommen und liegt heute bei 10 – 20 mW/m².

Die ältesten geologischen Zeugnisse (neben der eben erwähnten „Dichotomie“), die z.T. noch heute die Oberfläche des Mars prägen, sind die großen Einschlagsbecken wie Hellas, Argyre und Isidis, die alle im Zeitraum zwischen 4.2 und 3.8 Ga entstanden sein müssen (Hartmann, Neukum, 2001). Ihr Alter wurde aus Kraterzählungen sowie aus Untersuchungen des Erhaltungszu­standes ihrer Ränder sowie aus dem Verfüllungsgrad ihrer Becken abgeleitet. 

Aus Kraterzählungen abgeleitete Alter einiger Marslandschaften

Isidis Planitia               ~3.9 Ga
Ares Vallis                  ~4.23 Ga
Utopia Planitia            ~4.1 Ga
Hellas Planitia              ~4.1..3.9 Ga
Dichotomie-Ereignis    ~4.5 .. 4.1 Ga

Diese Altersangaben sind in der Größenordnung von einigen 100 Ma unsicher und stark modellabhängig. Sie können aber als Anhaltspunkt gelten. 

Was die Entstehung der Dichotomie der Marsoberfläche betrifft, so erscheint z.Z. die Theorie, nach der ein schräger Impakt eines ca. 1600 bis 2700 km großen Himmelskörpers deren Ursache ist, noch am plausibelsten (Marinova et.al., 2008). Auf jeden Fall wäre er das prägendste Ereignis des Zeitalters des Prä-Noachians und in etwa mit dem „Mondimpakt“ der Erde vergleichbar. 

Große Impakte, wie z.B. diejenigen, welche z.B. das Hellas und das Isidis-Becken hinterlassen haben, müssen aufgrund ihres Energieeintrags (Verdampfen großer Mengen Wasser, sollte in jener Zeit ein „Ozean“ präsent gewesen sein; Anreicherung der Atmosphäre mit „Gesteinsdämpfen“ und deren Aufheizung) die damals sicher viel dichtere Marsatmosphäre entscheidend beeinflußt haben. So scheint es durchaus plausibel zu sein (und in Hinblick des folgenden „feuchten“ Zeitalters des Noachians), daß zu jener Zeit trotz der im Vergleich zu heute geringeren Leucht­kraft der Sonne die mittleren Temperaturen oberhalb des Gefrierpunktes von Wasser gelegen haben. Unterstützend könnte darüber hinaus auch noch ein starker Treibhauseffekt gewirkt haben, der auf einem erhöhten Wasserdampfgehalt in der frühen und im Vergleich zu heute viel dichteren Marsatmosphäre in Verbindung mit Methan und Schwefeldioxid zurückzuführen ist. Aber das sind alles bis jetzt nur Mutmaßungen, die sich lediglich aus pragmatischen Überlegungen, Analogiebetrachtungen in Bezug auf die Erde sowie aus diversen Modellvorstellungen ableiten (siehe z.B. Segura et.al., 2002), für die es aber (noch) keinerlei belastbaren Beobachtungen gibt. Sie sind aber auch nicht völlig aus der Luft gegriffen, denn in der folgenden geologischen Periode wirkte Wasser landschaftsformend. 

Das Noachische-Zeitalter
Zwischen den riesigen Einschlagsbecken Hellas Planitia und Argyre Planitia erstreckt sich das von Einschlagkratern dominierte Hochland Noachis Terra. Dessen Entstehung bzw. Überformung durch eine Vielzahl von Impakten (beginnend etwa mit dem Hellas-Impakt vor ca. 4.1 bis 3.9 Ga und dem „Abflauen“ des „Großen Bombardements“ vor 3.8 bis 3.5 Ga) legt die Noachische Periode in der geologischen Geschichte des Mars fest. Sie ist neben der hohen Impaktkraterdichte durch starke Erosion, durch den Beginn der Ausbildung des Tharsis-Bulges sowie durch die Entstehung der noch heute sichtbaren und eindrucksvollen Ausflußtäter gekennzeichnet. Außerdem müssen die klimatischen Bedingungen die Entstehung von Tonen (d.h. Phyllosilikaten) sowie Sulfat-Depositen ermöglicht haben, was eine gewisse Art von Hydrosphäre impliziert. Auf dem Teil der Marsoberfläche, der zeitlich dem Noachian zugeordnet wird, konnten rund 300 Impaktstrukturen mit über 100 km Durchmesser gezählt werden. Kosmogonische Modelle, welche die Verteilung und die zeitliche Entwicklung der Vertei­lung von Debris im frühen Sonnensystem vorhersagen, ergeben für den Zeitpunkt vor 4 Ga für den Mars ungefähr einen >100 km-Impakt pro 1 Million Jahre. Das impliziert wiederum in Bezug auf die diese Größenbedingung erfüllenden Impaktstrukturen, daß das Noachian einen Zeitraum in der Größenordnung von 300 bis 400 Millionen Jahre umfaßt haben muß. Danach nahm die Impakttätigkeit signifikant ab und auch das Klima muß sich entsprechend verändert haben.


Region Noachis Terra. Rechts oben angeschnitten, das Hellas-Becken Quelle USGS

Jeder größere Impakt führte natürlich zur Bildung von Sekun­därkratern durch das ausgeworfene Material und damit zu deren Ablagerung in größerer Entfernung zum Impakt sowie zu einer weiteren Zertrümmerung der Grundgesteine am jeweiligen Aufschlagpunkt. Auf diese Weise entstanden große Mengen von Trümmergesteinen (Impaktbrekzien), die über den ganzen Planeten verteilt wurden bzw. Feinmaterial, welches sich durch Wind und Wasser transportieren ließ. In diese Zeit fällt auch die schnelle Bildung der vulkanischen Tharsis-Aufwölbung, bei der riesige Mengen von basaltischen Laven sowie von Aschen freigesetzt wurden. 

Valley-Networks
Klimatisch gesehen, war das Noachian teilweise (insbesondere an dessen Ende) feucht und warm. So gibt es z.B. eine Vielzahl von geomorphologischen Hinweisen auf die Existenz von stehenden und fließenden Gewässern (Fassert, Head, 2008). Dazu kommen noch lokale Vorkommen von Phyllosilikaten (Tone) sowie von Sulfaten (Gips), für deren Entstehung Wasser zwingend erfor­derlich ist. Der Grund für dieses Klima ist noch weitgehend unklar. Fehlende größere Karbonatlagerstätten sind eher mit einer CO2-armen Atmosphäre verträglich als mit einer dichten wasserdampfreichen Kohlendioxidatmosphäre. Dazu kommt noch, daß die Sonne im Noachian noch nicht die heutige Leucht­kraft erreicht hatte und dementsprechend auch der Energieein­trag geringer war. Um dieses Paradox zu lösen, werden u.a. lokale klimatische Störungen (Aufheizung aufgrund der Energiefreisetzung größerer Impakte) als auch spezifische Treibhausmodelle (z.B. verursacht durch vulkanische Exhalationen von Methan und Schwefeldioxid) diskutiert. Und natürlich spielt da­bei auch immer die Präsenz von Wasserdampf eine große Rolle. 

Ein auffälliges Merkmal eines Großteils des Terrains, welches dem Noachischen Zeitalter zugeordnet wird, ist die Präsenz morphologischer Strukturen, die als Netzwerke von Flußtälern (valley networks) interpretiert werden. Sie enden oftmals in lokalen Senken, erreichen aber auch nach mehreren Hundert bis ein paar Tausend Kilometer Lauf die großen nördlichen Niederungen (z.B. Acidalia Planitia). Was ihre „Verästelungen“, ihren Querschnitt und ihren Verlauf betreffen, existieren größere Unterschiede zu analogen irdischen Flußsysteme, was ihre Interpretation erheblich erschwert. Auch existieren Unterschiede, je nachdem, ob sie zeitlich dem späten Noachien oder dem darauffolgenden Hesperian zugeordnet werden. Im ersten Fall scheinen sie niederschlagsgespeist und im zweiten Fall jedoch grundwassergespeist zu sein - mit plötzlicher, z.T. katastrophenartiger Freisetzung riesiger Wassermassen. Fassert und Head, 2008, wollen auch noch eine dritte Art von Flußsystemen gefunden haben, die den Übergangsbereich zwischen Noachian / Hesperian markieren. Ihre Daten lassen auf eine rapide Änderung in der Intensität talbildender Prozesse in dem genannten Zeitraum schließen. 

Offene Gewässer Im Noachischen Zeitalter kann man den Mars durchaus als „Lake Planet“ bezeichnen. In der Frühzeit des Mars war Wasser auf dem Mars wahrscheinlich ähnlich omnipräsent wie heute auf der Erde (es gibt ernstzunehmende Hinweise auf die, wenn auch kurzzeitige Existenz, eines „Nördlichen Ozeans“ geringer Tiefe). Später jedoch, nach einem grundlegenden Klimawandel, ist es nur noch temporär und episodisch oberflächenformend in Erscheinung getreten. Man findet bei genauer Untersuchung von Impaktkratern, die in der Noachischen Epoche entstanden oder bereits vorhanden waren, eine Vielzahl morphologischer Merkmale, die sich am besten mit einer ehemaligen „Wasser­befüllung“ erklären lassen. Sehr hilfreich ist dabei, das irdische Gewässer sehr gut erforscht sind und die dabei gewonnenen Erkenntnisse für Vergleichszwecke genutzt werden können. Ein- und Ausflüsse, Terrassenbildungen, Küstenlinien, Ablagerungen von Evaporiten sowie spezielle, fluviale Erosionsspuren verraten dabei noch heute Gewässer auf dem Mars, die bereits vor Milliarden von Jahren ausgetrocknet sind. Einige dieser morpho­logischen Merkmale sind auf hochauflösenden Orbiterauf­nahmen relativ leicht auszumachen (beispielsweise Zu- und Abflüsse, Deltas), andere dagegen schwierig zu interpretieren (z.B. Terrassen, die fluvial, glazial oder tektonisch begründet sein können) und wieder andere sind äußerst diffizil, wie z.B. ursprüngliche Küstenlinien, die, erosiv bedingt, heute fast nicht mehr zu erkennen sind. Um Letztere zu bestätigen, sind sehr genaue Höhenmessungen von Satelliten aus notwendig, wie sie z.B. vom Mars Global Surveyor mit MOLA ausgeführt wurden. 



Ausschnitt aus der Region Xanthe Terra mit einer Vielzahl fluß­ähnlicher Strukturen, die in z.T. Kratern enden oder Krater schneiden  Quelle  Google Mars

Beispiel Xanthe-Terra

Das „Goldgelbe Land“ befindet sich nur ein wenig nördlich des Äquators (~3°) des Mars bei ungefährer 312° östlicher Länge (d.h. nördlich in Höhe des letzten Abschnitts des Valles Marineris) und erstreckt sich maximal über ~2400 km Länge. Es ist von tiefeingeschnittenen Tälern durchzogen und enthält eine große Zahl von Impaktkratern, deren Durchmesser 30 km übersteigt. Die Impaktkraterdichte datiert die Region in das Noachian und das frühe Hesperian. Auf den hochauflösenden Aufnahmen der Stereokamera HRSC von Mars Express konnten in diesem Gebiet fluviale Sedimentablagerungen an den Stellen entdeckt werden (E.Hauber et. al., 2008), wo ein ehemaliger Fluß beispielsweise in einem Impaktkrater endet. Je nachdem, ob dieser Krater nun stehendes Wasser enthalten hat (also damals ein „Kratersee“ war) oder das Wasser in ein trockenes Becken geflossen ist, ergeben sich jeweils andere Ablagerungsformen der mitge­führten Sedimente. Im ersten Fall entstehen typische Deltas, im zweiten Fall dagegen sogenannte Schwemmkegel, die irgendwann aufhören, sobald das Wasser zum Stillstand gekommen ist und versickert. 

Genauer untersucht wurde ein kleiner, nur rund 5 km großer Krater, in welchen das Tal Nanedi Vallis endet. Erst die hochauflösenden HRSC-Stereoaufnahmen lassen eine Abschät­zung zu, wieviel Material in den Krater eingetragen worden ist. Es zeigt sich, daß die Ablagerungen eine Mächtigkeit von mindes­tens 50 m haben und eine Fläche von ~ 23 Quadratkilometern überdecken. 

Außerdem ist zu erkennen, daß das Wasser an einer etwas höher gelegenen Durchbruchsstelle den Krater wieder verlassen hat. Das bedeutet – unabhängig von der Morphologie der Sedimen­tation – daß tatsächlich einmal Wasser in diesem Krater gestan­den haben muß. Wann das war, konnte anhand von Krater­zählungen ermittelt werden: vor 3.8 bis 4 Milliarden Jahren. Modellrechnungen zeigen, daß sich die Ablagerungen – je nach der Wasserdurchflußrate – in einigen Tausend bis maximal Hunderttausend Jahren gebildet haben könnten. Dazu sind ent­sprechende Niederschläge nötig und diese bedingen ein ganz bestimmtes Klima. Der Klimawechsel, der dazu führte, daß nach und nach die Flüsse und Seen auf dem Mars austrockneten, fand etwa im Zeitraum zwischen 3.5 und 3.8 Milliarden Jahren statt. 



Diese Aufnahme (Mündung des Nanedi-Flusses) zeigt typische Ablagerungen, wie sie entstehen, wenn von Wasser transportiertes Material in ein stehendes Gewässer (hier ehemaliger Kratersee) eingeschwemmt wird. Quelle NASA, ESA

Damit fiel das Wasser als wesentliches Element der Landschafts­gestaltung und der Erosion weg. Das ab diesem Zeitraum immer arider und kälter werdende Klima hat dann bis heute die ansonsten leicht erodierbaren Ablagerungen bis heute erhalten. 

Hinweise auf die ehemalige Präsenz stehender Gewässer auf dem Mars, z.B. in Form von Seesedimenten, konnten mittlerweile bei weit über 200 alten Impaktkratern gefunden werden. Auch Teile des sich entwickelnden Valles Marineris müssen einmal Wasser enthalten haben. Das zeigen spezifische Sedimentablagerungen im Bereich der Talböden. Insbesondere Juventae Chasma war auf jeden Fall einmal ein sehr tiefer See, der sich teilweise nach Norden entleert und dabei das Maja Vallis ausgeräumt hat. Die Existenz von prähistorischen Flußsystemen, von Kraterseen, von riesigen Ausflußtälern und von Deltas, die sich sowohl in Kraterseen als auch in die große nördliche Ebene / Depression erstrecken, lassen die Frage aufkommen, ob der Mars in ferner Vergangenheit auch einmal einen großen „Nördlichen Ozean“ besessen hat. 

Nördlicher Marsozean

Diese Frage wird zunehmend mit „ja“ beantwortet, denn die geologischen Hinweise darauf werden immer überzeugender (Di Achille, Hynek, 2010). Man weiß auch, das sich über die Ausflußtäler riesige Wassermengen in die nördlichen Ebenen ergossen haben müssen und man glaubt, auf den Orbiteraufnahmen verräterische Spuren gefunden zu haben, die sich als ehemalige Küstenlinien interpretieren lassen. Ihr Verlauf entspricht jedenfalls im Wesentlichen einer definierten Höhenlinie, wie sie aus MOLAR –Höhenmessungen abgeleitet wurde. Besonders aussagekräftige Indizien stellen deltaartige Schwemmfächer dar, die in die nördliche Ebene münden und trotz ihrer unterschiedlichen geographischen Lage alle auf gleicher Höhe (über NN) liegen. Insgesamt konnten 29 derartige Flußmündungen aufgefunden und genauer analysiert werden. Sie schei­nen eine archaische Küstenlinie nachzuzeichnen. Vastitas Borealis, die große flache Ebene um den Nordpol des Mars, besitzt eine ganz eigene Topographie. Es wurde schon früher – ohne entsprechende Belege vorweisen zu können – vermutet, daß es sich dabei um ein ausgetrocknetes Meeresbecken handeln könnte. Es liegt ca. 4.5 km unterhalb des mittleren Planetenradius. Sollte dieses Becken einmal bis zu der vermuteten Küstenlinie mit Wasser gefüllt gewesen sein, dann bedeckte es ~36% der gesamten Planetenoberfläche und besaß ein Volumen von ~124 Millionen km³. Wäre der Mars eine ideale Kugel, dann würde dieses Wassermenge um den gesamten Planeten eine ~550 Meter mächtige Schicht bilden.

Farblich höhencodierte Marskarte, abgeleitet aus MOLAR Höhenmessungen des Mars Global Surveyor. Die weiße Linie stellt die Küstenlinie eines hypothetischen archaischen Ozeans dar. Die roten Quadrate geben die Lokalitäten von Flußdeltas an, die in die nördliche Ebene einmünden. Grüne Dreiecke und blaue Rauten stellen Flußdeltas dar, die in lokale Depressionen (z.B.  Impaktkrater) münden. Quelle Di Achille, Hynek, 2010, Nature Geoscience


Mars im Noachian und heute. Sollte der große nördliche Ozean wirklich existiert haben (und es spricht viel dafür), dann hat er rund 36% der Planetenoberfläche bedeckt.  Quelle NASA

Die These, daß es im Noachian und beginnenden Hesperian einen nördlichen Ozean gegeben hat, wird auch noch durch andere Befunde gestützt. Hochauflösende Aufnahmen, die zu Zeiten der Viking-Sonden noch nicht zur Verfügung standen, erlauben heute den Nachweis auch kleinerer Talstrukturen, die ehemalige Fluß­läufe nachzeichnen. Ihre unerwartet große Zahl zeigt, daß es vor mehr als 3.5 Milliarden Jahren auf den Mars einen gut funktio­nierenden Wasserkreislauf mit Verdunstung und Niederschlägen gegeben haben muß. Weitere Indizien ließen sich aus den Ergebnissen der Unter­suchung der Planetenoberfläche mittels des Gammastrahlen­spektrometers (GRS – Gamma Ray Spectrometer) von Mars Odyssee ableiten. Mit diesem Gerät wurde aus der Umlaufbahn die sekundäre Gammastrahlung gemessen, die als Reaktion auf die aus dem kosmischen Raum einfallende primäre Gamma­strahlung entsteht und woraus sich die Häufigkeit einzelner chemischer Elemente im Marsboden bis in eine Tiefe von ~0.3 m ermitteln läßt. Das wichtigste Ergebnis bis dato war bekanntlich der Nachweis großer Mengen Wassereises im Permafrostboden der Polargebiete des Mars (Stichwort „epithermische Neu­tronen“, siehe „Wasser auf dem heutigen Mars“). Die Meßergebnisse geben aber noch bei weitem mehr her. Mit diesem Spektrometer konnten auch ungefähre Konzentrationen der Elemente Ka, Th und Fe festgestellt und kartographiert werden. James M. Dohm und Mitarbeiter (2011) untersuchten deren Konzentrationen im Bereich der hypothetischen Küstenlinien des archaischen Nordmeeres.


3D-Karte eines Bereichs der hypothetischen nördlichen Küstenlinie. Die spitzen (da stark überhöht dargestellten) Erhebungen am Horizont sind die Schildvulkane der Elysium-Region. Auf der Karte dargestellt ist die vom GRS gemessene Kalium-Konzentration, wobei „Orange“ hohe Kon­zentration und „Blau“ geringe Konzentration bedeutet. Das leicht in Wasser lösliche Kalium hat sich offensichtlich in den der „Küste“ vorgelagerten Sedimentfächern konzentriert. Quelle University of Arizona

Die genannten Elemente sind in vielen Gesteinen, so auch den auf dem Mars omnipräsenten Basalten vorhanden und können dort durch saure Wässer herausgelöst werden („auslaugen“). Es ist also zu erwarten, daß es in der Vergangenheit im Bereich der ehemaligen Küstenlinien zu einer Anreicherung dieser Elemente gekommen ist, die es nachzuweisen gilt. Es ist wie auf der Erde: Wasser transportiert Ionen leicht lösbarer Salze in Seen und Meere, wo eine Konzentration und eventuell Ausfällung (wenn Bereiche austrocknen) erfolgt. Und die Ergebnisse scheinen eindeutig zu sein: Bereiche der potentiellen Küstenlinie zeigten eine signifikante Anreicherung der genannten Elemente – ein weiterer wichtiger Baustein für die Theorie eines archaischen Nordmeers auf dem Mars.
Wenn es also im noachischen und beginnenden hesperischen Zeitalter einmal dieses archaische Nordmeer gegeben haben sollte (und es spricht mittlerweile mehr dafür als dagegen), dann bleiben die Fragen: Wo kam einst das ganze Wasser her und wo ist es wieder hin verschwunden?

Auf beide Fragen gibt es noch keine endgültigen Antworten. Wasser war jedenfalls schon bei der Entstehung des Mars eine wichtige Ingredienz des Planetesimals (man denke an den vergleichsweisen hohen Wassergehalt kohliger Chondrite), aus dem er entstanden ist. Und auch während des „Großen Bombardements“ sind sicherlich – analog zur Erde – größere Mengen Wasser eingetragen worden. Ein Teil des Wassers lag natürlich auch in gelöster Form im Magma des Planeteninneren vor und gelangte später durch verschiedenartige vulkanische Aktivität auf die Planetenoberfläche und in die zu jener Zeit dichtere Atmosphäre. Was das „Austrocknen“ betrifft, steht es im Zusammenhang mit einem völligen Umbau der Marsatmosphäre respektive Klimawechsel im Zeitalter des beginnenden Hesperian. Zu diesem Zeitpunkt hatte bereits der Dynamo im Inneren des Planeten seine Tätigkeit eingestellt und das intrinsische Magnetfeld, welches die damals dichtere Marsatmosphäre vor Sonnenwindeinflüssen geschützt hatte, war zusammengebrochen. Zwar kam es noch zu episodischen Entleerungen unterirdischer Wasserreservoire, die durch Isolierung flüssig geblieben waren bzw. durch vulkanische Aktivitäten oder größere Impakte wieder verflüssigt wurden. Auf jeden Fall sind Reste dieses Wassers noch heute in den Polkappen sowie (in völlig unerwarteter Menge) im Permafrostboden der polaren und gemäßigten Breiten des Mars enthalten. Der größte Teil ist jedoch über den Umweg der Atmosphäre (Photodissoziation der Wassermoleküle) in den interplanetaren Raum gelangt (das hypothetische archaische Nordmeer muß mehr als das 100-fache an Wasser enthalten haben als der rezente Wassereiskern der nördlichen permanenten Polkappe). Ein überzeugender Beweis dafür ist das von den Marssonden gemessene Deuterium-Wasserstoffverhältnis. Im Vergleich zur Erde enthält die Marsatmosphäre rund 5.2 mal mehr Deuterium als die Atmosphäre der Erde. Diese Zahl sagt aus, daß der Planet Mars einen sehr großen Teil seines Wasserreservoirs in den letzten 3.5 Milliarden Jahren in den kosmischen Raum verloren haben muß. Auf jeden Fall hat es eine geologisch kurze Zeitspanne in der Geschichte des Mars gegeben, wo flüssiges Wasser in großer Menge vorhanden war – ein Gedanke, der nicht nur Astrobiologen fasziniert. Eine Antwort auf viele Fragen im Zusammenhang mit dem archa­ischen Marsozean soll die Sonde MAVEN (Mars Atmosphere and Volatile EvolutioN) klären, die Ende des Jahres 2013 gestartet werden soll. Ihre wichtigste Aufgabe besteht in der Untersuchung der obersten Atmosphärenschichten des roten Planeten und ihre Wechselwirkung mit dem ungeschützt einfließenden Sonnen­wind.

Nächstes Mal: Historische Geologie der Marsoberfläche Teil II

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