Seit geraumer Zeit stand eine Reise in die Corbières auf dem Wunschzettel. Ein befreundetes Ehepaar deutete an, es würde uns dort sicher gefallen. Die Corbières sind ein bergiger Landstrich nördlich der Pyrenäen, der sich etwa in dem Korridor von Narbonne bis Perpignan von der Mittelmeerküste aus ca. 130 km ins Landesinnere hinein zieht. Bekannt sind die Corbières auch als Weinanbaugebiet, insbesondere für seine Roséweine, die nur selten in unseren Geschäften auftauchen. Die köstlichen Tropfen werden wohl überwiegend von den Franzosen selbst vertilgt.
Das Inland der Corbières ist dünn besiedelt. Da außer Weinbau kaum Industrie anzutreffen ist, muss die Gegend als arm bezeichnet werden. Obwohl die Berge keine außergewöhnlichen Höhen erreichen, ist es ein wildes Land. Neben Wein sind Steineichen, Ginster und Oliven häufig anzutreffen. Der Geruch mediterraner Pflanzen ist allgegenwärtig.
Unser Quartier in Maury liegt am südlichen Rand der Corbières inmitten einer ausgedehnten regionalen Weinabauregion. Die Ernte der süßen blauen Trauben war in vollem Gange. Optisch dürfte es 2019 einen guten Jahrgang geben. Über den Weinbergen von Maury erhebt sich weithin sichtbar die Ruine des Chateau Queribus, eine der zahlreichen Katharerburgen in dieser Region. Ein Ziel unserer Reise war das Kennenlernen der Kultur und der Geschichte jener Katharer, die einer von der offiziellen Kirchenlehre abweichende Glaubensform anhingen (neben anderen häretischen Glaubensgemeinschaften, die sich seit dem 11. Jahrhundert in Europa ausbreiteten).
„Die Katharer prägten vom 12. bis zum 14. Jahrhundert das religiöse und gesellschaftliche Leben in Südfrankreich. Am Übergang zur Renaissance waren sie ein Vorbild für ein reines Leben im Geist des ursprünglichen Christentums. Ihre Kultur wurde durch die Inquisition vernichtet.“ (hier)
„Die Katharer verwerfen die, ihrer Ansicht nach dem Teufel verfallene, katholische Kirche und bezeichnen sich selbst als die wahren Nachfolger der Apostel. Ihre Lehre beruft sich auf eine dualistische Anschauung, d.h. die Anerkennung zweier gegensätzlicher, dem Menschen innewohnender Schöpfungsprinzipien: das Gute, Gottes Werk, und das sich in der materiellen Welt und der Vergänglichkeit ausdrückende Böse. Die nach Ansicht der Katharer unsterbliche Seele ist eingesperrt im fleischlichen Gefängnis unseres Körpers. Gott sandte Jesus Christus nicht für den Loskauf der Erbsünde auf der Welt, sondern um den Menschen den Weg des Heils zu zeigen, mit dem die vom Bösen verdorbenen Seelen ins Reich Gottes gelangen können. Dieser Weg wird durch die Geisttaufe beschritten, das einzig praktizierte Sakrament.“ (Michele Aué, „Das Land der Katharer“).
Es war völlig klar, dass die katholische Kirche eine solche Auslegung des Glaubens, der auf jeglichen Verzicht von Macht und Prunksucht ausgerichtet war, nicht dulden konnte. Somit wurde die restlose Vernichtung der Glaubensgemeinschaft der Katharer angeordnet, die durch den Albigenserkreuzzug (1209 - 1229) eingeleitet wurde. Die Katharer wurden auch als Albigenser bezeichnet, da ihr Wirken von Albi ausging.
In Südfrankreich schlossen sich durchaus auch die herrschenden Kreise den Katharern an bzw. unterstützten diese, da sie auf diese Weise den Tributen an die katholischen Kirche entgehen wollten. Damit erklärt es sich, dass sich die Katharer auf die Wehrburgen zurückziehen konnten, die ursprünglich zur Überwachung des spanisch - französischen Grenzkorridors angelegt wurden und wechselseitige Besitztümer der jeweiligen Macht waren. Der Besuch dieser Burgen war ein wesentliches Anliegen unseres Aufenthaltes in der Region.
Darüber hinaus gibt es aber zahlreiche weitere Ziele kulturhistorischer und geografischer Bedeutung, z.B. die Abtei Fontfroide, das Chateau le Salses, die Stadtfestung Villefranche-de-Conflent, die Küstenorte Banyul sur mer und Collioure, die Gorges de Galamus, die Stillgewässer an der Küste des Mittelmeeres (Étang) und zahlreiche weitere Sehenswürdigkeiten, für die zwei Reisewochen bei weitem nicht ausreichen. So wurden z.B. in Tautavel, unweit von Maury, prähistorische Fossilien gefunden, die der Gattung Homo zugerechnet werden können. Die Funde sind wesentlich älter als die des Neandertalers, nämlich ca. 450.000 Jahre.
Ein paar Impressionen sollen an dieser Stelle in einem dreiteiligen Bericht vorgestellt werden.
P.S.
1. Die einheimische (französische) Sprache: damit ist es so ein Ding. Besser ist es, man spricht sie. In keinem anderen Land habe ich mich so unsicher gefühlt, wie in Frankreich. Man kommt schon irgendwie durch, aber man hat so den Eindruck, dass die Franzosen auch ganz gut ohne Gäste leben können, die ihre Sprache nicht beherrschen. Englisch ist da keine anerkannte Alternative.
2. Die Anreise: 1.600 km zum Reiseziel sind schon eine Herausforderung. Sie stehen in keinem rechten Verhältnis zu einem zweiwöchigen Aufenthalt. Besser wäre es, nach Barcelona zu fliegen und sich einen Mietwagen zu nehmen, die persönliche CO2-Bilanz hin oder her. Vollkommen perplex jedoch waren wir über folgenden Umstand: zwischen Mulhouse an der deutschen Grenze und Perpignon (835 km) gab es nicht eine einzige Baustelle und durchweg flüssigen Verkehr, abgesehen von den Großräumen Lyon und Montpellier. Irgend etwas müssen die Franzosen da falsch machen.
3. Ach ja, da war doch noch etwas: die Gelbwesten. Wenn man aufpasst, sieht man sie doch tatsächlich. Nach deutschen Maßstäben völlig unzulässig, was da getrieben wird: sie sind unangemeldet, unkalkulierbar und halten sich nicht an die Regeln. So großzügig darf die Demonstrationsfreiheit natürlich nicht ausgelegt werden. Was da alles passieren kann…
Die Burg Peyrepertuse
erscheint als eine uneinnehmbare Festung, die sich aus der
Entfernung auf den ersten Blick nur schwer erkennen lässt. Sie
erstreckt sich in Form eines Schiffes über etwa 300 m über einen
Felsenkamm und scheint mit diesem zu verschmelzen. Die Burg
beherbergte geflüchtete Katharer und enteignete Lehenshern
(Faydits). Erst 1240 wurde sie durch den französischen König in
Besitz genommen und zu einer Grenzfestung ausgebaut. Mit den
Burgen Aguilar, Quéribus, Puilaurens und Termes bildete sich
eine eindrucksvolle Verteidigungslinie gegen Spanien. Die Burgen
wurde auch als die „Fünf Söhne von Carcassone“ bezeichnet.
Mächtig und eindrucksvoll sitzt die Festung Quéribus auf einem Felskamm, wo sie sich bis auf eine Höhe von 729 m erstreckt. Der Weg steigt gemächlich zu ihr empor und der Blick ruht auf der grandiosen Landschaft ringsumher. Die Burg beherbergte noch Katharer bis zu ihrem Fall 1255, also lange nach dem Ende des Albigenserkreuzzuges. Sie wurde nicht eingenommen, sondern vom Burgherrn übergeben, der sich damit seine Freiheit erkaufte.
Wie auch in Quéribus konnten die Katharer noch lange auf der Burg Puilaurens Zuflucht finden. Die strategisch günstig gelegene Burg wurde ebenfalls nicht besiegt und gelangte zu unbestimmter Zeit, jedoch vor der Aufgabe von Quéribus in die Hände des französischen Königs und wurde weiter befestigt. Es ist schwer vorstellbar, dass die Feste mit den Mitteln der damaligen Zeit einzunehmen gewesen ist.
Rennes-le-Château. Um das romantische Bergdorf ranken sich zahlreiche Legenden. Ein entdeckter Schatz (Templer? Katharer? Goten?) soll zu Beginn des 20. Jahrhunderts dem Finder zu Reichtum und dem kleinen Ort zum Aufschwung verholfen haben.
Carcassone gehört zum Weltkulturerbe. Sie gilt als die größte und besterhaltene Festungsstadt Europas. Während der Katharerkriege war sie mehrfach Schauplatz von Auseinandersetzungen. Schmale, gewundene Gassen, Fachwerkfassaden und kleine Brunnenplätze zeugen vom mittelalterlichen Charakter der Stadt. Wie es mit Stätten des Weltkulturerbes immer so ist: die Stadt ist durch Touristen übervölkert und in ihrem Inneren ein einziger Konsumtempel.
Auf einem Hügel in strategisch ungesicherter Lage erhebt sich im Vorland der Pyrenäen die Burg Puivert. Sie konnte 1210 nach nur dreitägiger Belagerung eingenommen werden. Der westliche Turm der recht unscheinbaren Burg wurde anschaulich restauriert. Es soll damit an die kulturhistorische Geschichte des Ortes erinnern, denn hier versammelten sich die Troubadoure des 12. Jahrhunderts zu musischem Treiben.
Die scheinbar uneinnehmbare Burg Montségur ist wohl die bedeutendste Katharerfestung. Hier befand sich am Ende der Sitz der Katharerkirche. Sie diente auch als Unterschlupf der Faydits (s.o.). Die Burg fiel am 2. März 1244 nach zehnmonatiger Belagerung. Die gefangengenommenen Katharer wurden zum Tode verurteilt. Nach dem Motto: „Tötet sie alle! Gott wird die Seinen schon erkennen“ verbrannten 220 Menschen am Fuße des Berges auf dem Scheiterhaufen, wo ihnen ein Denkmal gesetzt wurde, welches mit frischen Blumen geschmückt ist. Von der Burganlage aus erlebt man einen wunderbaren Ausblick auf die Pyrenäen.
Mit dem Fall von Montségur galt die Katharerbewegung als besiegt, wenn gleich sich einige weitere Festungen noch Jahre gehalten haben (Quéribus, Puilaurens)
Über den Weinbergen bei Tuchan erhebt sich auf einem Hügel gleich einem Adlernest die Burg Aguilar (=Adler). Der Weg steigt ganz gemächlich durch die Weinfelder zu dem Gemäuer empor. Von oben eröffnet sich ein traumhafter Rundblick auf die Landschaft der Corbières. Ob die Burg während der Albigenserkreuzzeuge zerstört wurde, ist unklar. Nach Inbesitznahme durch den französischen König wurde sie zur Festung ausgebaut.
Die Burg Villerouge-Termenès befindet sich in einem vergleichsweise guten Zustand. Sie gehörte dem Erzbistum Narbonne. Ihre Aufgabe bestand im Schutz vor der Albigenserbewegung.
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AntwortenLöschenWieder einmal ein sehr schöner Reisebericht Björn! Ich freue mich immer wieder, wenn ihr von euren Reisen zurückkehrt und eure Eindrücke und Erlebnisse mit uns auf solche unterhaltsame und informative Art und Weise mit uns teilt. Du solltest allerdings die Abstände zwischen den Expeditionen deutlich verkürzen.
AntwortenLöschenBeste Grüße,
Tilo Scholz