Donnerstag, 6. August 2020

Eine Wanderung im Riesengebirgsvorland

Ein Gastbeitrag von Björn Ehrlich, Zittau-Hörnitz

Belauscht man die Erzählungen über das Riesengebirge im Freundeskreis oder auch von dritter Seite, dreht es sich meistens um Erlebnisse am hohen Kamm oder um die Skigebiete, die trotz der milden Wintern immer noch über ausreichend Schnee für Wintersport verfügen. Dabei gibt es - vermeintlich weniger spektakuläre - landschaftliche Leckerbissen, die nur selten in das Blickfeld geraten. Dabei kommt es natürlich immer auf die Perspektive des Betrachters an.

Auf der Landkarte bildet das Riesengebirge eine natürliche Grenze zwischen zwei Nachbarstaaten. Obwohl es als Gebirgssystem ein einheitliches Ganzes darstellt, wirkt es durch seine äußere Form wie eine Schönheit mit zwei Gesichtern. Von der tschechischen Seite gesehen, reihen sich rundliche Wellenlinien an einander, ähnlich dem Aussehen gesetzter Matronen. Der Anblick des Riesengebirges von der polnischen Seite ist anders. Es überragt die Landschaft, als wäre plötzlich eine dunkle Macht, ein mächtiger Felswall aus dem Hirschberger Kessel emporgestiegen.

Wahrscheinlich hat jeder von uns auf seinem Pilgerpfad eine Stelle, wo sich das Bergpanorama wie ein Fächer ausbreitet, wo das Grau der Felsen und das Grün der Wälder in das Blau des Himmels hineinfließen, und wo das Irdische mit der Ewigkeit Rücksprache hält. Der Wanderer blickt in die Ferne und in sich selbst.“

Als wir vor ein paar Jahren unsere eigenwillige Kammwegwanderung absolvierten, näherten wir uns von Süden dem Riesengebirge und wanderten über die wellenartigen Hügel dem Kamm entgegen. Mit zunehmendem Anstieg überblickt man nun das Vorgebirge bis zu den Höhen des Böhmischen Paradieses. Das ist ein Landschaftsbild, wie ich es liebe. Die welligen Hochflächen sind von Grasland und Feldern bedeckt und durch teils steile, bewaldete Täler von einander getrennt. Im Gegensatz zu den touristisch aufgemöbelten Orten wie Benetzko (Benecko) oder Witkowitz (Vitkovice) findet man hier noch kleine Weiler mit urigen Wald- bzw. Bergbauernhöfen, die kaum motorisiert zu erreichen sind und dennoch durch ihre Eigentümer liebevoll vorgerichtet wurden. 

Beim Anblick der Landschaft liegt neben dem blaugrauen Grün der Höhen das Dunkelgrün der Wälder und das Hellgrün der Wiesen, und darin wie Nester die buntfarbigen Flecken der menschlichen Behausungen. Der Mensch hat sich hier offensichtlich so „eingenistet“ wie die Hummeln, deren Nester verstreut an den Feldrainen liegen. Das Gebirgsterrain erlaubt nicht, dass sich hier das Dorf zu einem Knäuel um den Dorfplatz mit dem Kirchlein, der Schule, dem Gasthaus und dem Dorfweiher zusammengedrängt hätte wie in den Ebenen. Die Häuschen kleben an den Hängen wie die einer Weihnachtskrippe, die sich der Häusler zu Weihnachten im „heiligen Winkel“ seiner Stube aufbaute. Der Bergbewohner „nistete“ sich unterhalb des Waldes ein, zwischen Wiese und Kartoffelfeld, das ihn ernährte. Die von einer Generation an die andere weitergegebenen Erfahrungen wurden zur Weisheit, aus was und wie zu bauen. Der Gebirgler errichtete sein Häuschen aus dem, was Berg und Wald boten, die Grundmauern aus Steinen, die Stube zimmerte er aus Balken. Er baute das Häuschen längs der Höhenlinie des Berges. Von unten unterkellerte er es durch einen kleinen Raum für Kartoffeln, von oben sorgte der Heuboden für Wärmedämmung. Unter einem wie in Demut vor den Schneemassen geneigten Dach wohnte auf der einen Seite die Familie, auf der anderen war der Stall. Die Stube wurde vom Stall durch ein „Vorhaus“ getrennt, wo sich Schubkarren und Tragkörbe befanden. Diese Verbindung unter einem Dach bekräftigte die Bindung zwischen Mensch, Vieh und Wiese. Von der Wiese war unser Leben abhängig. Die Wiese gab Heu für die Kuh, die Kuh Milch der Familie, und so mähten wir im Frühling mit mütterlicher Fürsorge den grünen Hang. Das Wasser leiteten wir durch Gräben ab, die Steine lasen wir auf und häuften sie zwischen den Wiesen zu Gedenkstätten an unsere Schinderei. Und der Wanderer stellt sich die Frage, wie es denn möglich sei, dass sich in die Landschaft, wohin er zum Ausruhen kam, die menschliche Mühsal in Harmonie, in Einklang von allem mit allem, in ein Gefühl der Ruhe verwandeln konnte.“ (Marie Kubátová, Begleittext zum Bildband “Das Riesengebirge“)

Eben die Erinnerung an jene Zeiten, in denen die Menschen unter harten Bedingungen ihr Brot verdienten, wollen wir während unserer Wandertour wachrufen. Wir wandern von Jestschabi (Jestrabí) über Wittkowitz nach Benetzko, Orte die erkennbar vom Tourismus vereinnahmt wurden. Aber der zweite Abschnitt unserer Wanderung führt durch einige Täler, die ziemlich unberührt sind. Hier trifft man auf herrliche alte Bauernhäuser und erfreut sich an schönen Aussichten über das niedriger gelegene Vorgebirge und die Täler. Ein Imker, der sich um sein Bienenvolk bemüht, kommt zu einem höchst erfreulichen Geschäft. Wir kaufen ihm seine Tagesproduktion Honig ab. Die Gegend (und der Weg) zwischen Krizlitz (Křížlice) und Jestrabi wird immer wilder, vereinzelte Höfe (die wohl zu Raudnitz/Roudnice) gehören, stehen mitten im Walde. Der letzte steile Anstieg nach Jestschabi fügt sich passend zu dem stetigen Auf und Ab dieser Wandertour. Auf dem Heimweg legen wir noch einen Halt in Jerusalem (Rezek) ein und werfen von der Terrasse eines Hostinec einen letzten Blick auf die Kesselkoppe (Kotel) am Hohen Riesengebirgskamm.


Die GPS-Daten zu dieser Tour findet man hier.


Landschaft bei Jestschabi nebst alter Ansicht





Der Fotograf hat eine Bartstoppel Rübezahls gefunden und versucht nun, diese ins rechte Licht zu rücken



Alte Ansichten von Witkowitz



Auf den folgenden Aufnahmen sehen wir schöne landestypische Bauernwirtschaften, die überwiegend gut saniert sind







Auf den oft steilen Bergwiesen, erfolgt noch artgerechte Tierhaltung, von der ansonsten immer nur die Rede ist








Alte Mühle in Rychlov




Kritzlitz hat eine evangelische und eine katholische Kirche. Sie stehen in aussichtsreicher Lage. Alte Ansicht mit beiden Gotteshäusern.









Schöne Gehöfte bei Raudnitz und Jestschabi












In Jerusalem laden zwei Bauden in schöner Lage auf einen Scheidbecher ein


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