Mittwoch, 1. September 2021

Wanderung um Prschichowitz

Ein Gastbeitrag von Björn Ehrlich, Zittau-Hörnitz

So richtig klar ist mir immer noch nicht, wo wir eigentlich gewesen sind. Fest steht nur, dass wir uns an der tschechisch - deutschen Sprachgrenze befinden. Ungeklärt ist, ob Prschichowitz (Příchovice) und die Orte, die wir noch passieren werden, dem Isergebirge oder dem Riesengebirge zuzuordnen sind. Prschichowitz liegt auf einem Hochplateau, welches in südlicher Richtung aus dem Isergebirge hervorspringt. Der tschechische Name des Dorfes Pasek, welches wir noch erreichen werden, lautet Paseky nad Jizerou, während im gleichen Ort Informationstafeln davon künden, dass der regionale Tourismusverband des Riesengebirges sich zuständig zeigt. So oder so, es ist eine schöne Landschaft, die wir heute durchstreifen, wenn wir auch den ersten Teil der heutigen Tour bei Nebel zurücklegen müssen ohne die schönen Ausblicke zum Riesengebirge genießen zu können; und es ist arschkalt. Im Winter ist diese Gegend reichlich mit Schnee gesegnet, wovon die zahlreichen Abfahrtspisten zeugen. Im letzten Jahr muss aber, wie nicht anders zu erwarten, einiges den Bach hinunter gegangen sein, denn ein Plakat verkündet an zahlreichen Stellen das traurige Schicksal der betroffenen Gewerke. Auf Deutsch heißt es da frei übersetzt

Das Tschechische Skifahren

STARB NACH DIESER SERIE VON GESTAFFELTEN MASSNAHMEN.

Zusammen damit sind gegangen:

die Betreiber von Restaurants und Unterkünften, die Verkäufer von Skiausrüstungen, die Hersteller von Abfahrtsski, Ausrüstung, Werkzeugen und Zubehör (nicht nur in diesen Bergen und Gemeinden), Bäcker, Skilehrer, Pumpenwarte, Regional- und Skimedienbetreiber, die Abfallwirtschaft und viele mehr...

Überall das gleiche, offenbar durchgeplante Drama. Man darf das splche Aushänge anbringen, die Angesprochen stört und juckt das nicht. Außerdem war das Leben für die Einheimischen hier in den Bergen ja ohnehin schon immer hart, besonders im Winter

Schwer lasteten die Nothstandsjahre 1816 und 1817 auf dem armen Volke, da auch Geschäftsstockung eintrat. In einem Umkreise von wenigen Stunden zogen Tausende bettelnd umher, und die Scharen, die sich an solche Lebensweise gewöhnten, fürchteten weder Drohung noch Züchtigung. Manche sanken am Wege kraftlos zusammen und verschmachteten. Kinder mussten bis mittags im Bette liegen, um das Frühstück zu verschlafen. Männer verließen Weib und Kind und zogen in die Fremde, um Brot zu verdienen. Absud von Heu, mit etwas Salz gewürzt, musste als Suppe gelten. Im Jahre 1813 zog russisches Militär durch. Im Jahre 1840 war der October sehr kalt, Den 12. desselben Monats fiel der erste Schnee, weswegen die Gebirgsleute übel daran waren. Das Getreide verschneite sammt dem Grummet. In Prschichowitz schnitt man die Aehren von dem verschneiten Getreide. Da jedoch das Getreide im flachen Lande gut gerathen war, so trat keine Theuerung ein.

Der Winter von 1892 und 1893 war besonders schneereich. Die Schneewände an den Abhängen und Strassen waren 1 bis 2 m hoch. Niedrig gelegene Häuschen waren bis über die Fenster im Schnee vergraben, die Drähte der Telegraphenstangen waren vom Wege aus mit der Hand zu erlangen. Dazu herrschte grosse Wassernoth, Einzelne Familien kauften das Wasser, welches man weither holen musste. Die Schneeschaufler verdienten 1 fl. bis 11/2 fl. Taglohn (fl.=österreichischer Gulden).“ (Der politische Bezirk Gablonz, Eine Heimatkunde für Schule und Haus, 1895)

Wir parken in der Nähe der Traditionsbaude zum Storch. Demjenigen, der die alte Baude noch von früher kennt, sei gesagt, dass nur noch der Storch erhalten ist, der auf dem Dache sitzt. Alles andere ist neu und vom Feinsten. Das Haus verfügt auch über eine eigene Brauerei. Wie schon vor zwei Monaten auf unserer Mato-Weg-Tour (siehe hier) wandern wir bei Nebel hinüber nach Reiditz, auf der Höhe vorbei an den Liftanlagen. Der Riesengebirgskamm verbirgt sich im Dunst. In Ober Pasek verzweigt sich der Weg in ein Seitental, durch welches der Havirnabach der Iser zufließt. In diesem Tal verteilen sich an den Hängen schön restaurierte Fachwerkhäuser, die sicher ausschließlich als Wochenendgrundstücke genutzt werden. Die Blumen auf den Sommerwiesen sind nun weitgehend abgeblüht. Nächstes Ziel ist Pasek, zu dem Harvina eingemeindet ist, denn dort steht die kultige Baude „U Herminy“, die wir zielstrebig ansteuern, um unserer Wanderfreundin Hermine eine Freude zu machen. Sie revanchiert sich unter großem Beifall mit einer Runde Mirabellenschnaps. Das Hostinec ist benannt nach einer früheren Bewohnerin und Namensvetterin von Hermine. Hier sieht man sie sitzen.

Auf den weitläufigen Wiesen, die sich hinauf zum Javornik ziehen, verteilen sich vereinzelt alte Bauernhäuser. Unterdessen hat es sich so weit aufgeklärt, dass wir wenigstens hinüber zum Riesengebirgskamm schauen können. Über das nächste Tal erblicken wir den Jeschken-Kosakow-Kamm, auf dem sich Kosakow (Kosakov), Tabor und Kumburg (Kumburk) an einander reihen. Da wir ganz schön ins Tal abgetrieben wurden, bleibt uns ein steiler Wiederaufstieg zum Storch nicht erspart. Bevor wir uns mit einem Scheidebecher belohnen, klettern wir noch auf den nebenan stehenden Aussichtsturm, der eine weite Rundschau ermöglicht. Bevor man den Turm besteigen kann, wird man auf engem Raum durch ein kleines Museum geleitet, in dem zahlreiche altertümliche Kuriositäten aufbewahrt werden. Dafür sollte man sich unbedingt ein wenig Zeit lassen, denn wer hat schon einmal Konstruktionsunterlagen für einen Keuschheitsgürtel für Männer gesehen oder einen Löffel mit Loch, damit die Brühe abfließe und sich das Dicke der Suppe darin absetze. All das und mehr gibt es hier zu sehen. Heiter treten wir die Heimfahrt an. Mit der Heiterkeit ist aber es schnell vorbei, wenn man das pandemiegeschundene Deutschland erreicht und vom Einheitsfunk beschallt wird. Aber siehe da, es gibt auch Erfreuliches, wie zum Beispiel den Offenen Brief des Landrates Bautzen an die Bundeskanzlerin

https://www.landkreis-bautzen.de/oeffentlicher-brief-des-landrates-an-bundeskanzlerin-merkel-und-die-ministerpraesidenten-24858.php

Immerhin, es macht Mut zu sehen, dass es unter der Oberfläche gärt.


Die GPS-Daten zu dieser Tour findet man hier.



Ungewöhnliche Temperaturen im August

Durch das Hawirnatal











Bergfriedhof und Kirche von Pasek





Weiter durch Pasek bis zu Herminen







Unterwegs auf den Höhen zwischen Pasek und Reiditz











Der Kosakowkamm


Zurück in Prschichowitz








Die Baude zum Storch






Ein paar Exponate aus dem kleinen Heimatmuseum










 

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