Ein Gastbeitrag von Björn Ehrlich, Zittau-Hörnitz
Das Ärgerliche zuerst: tolles Wetter hat sich angesagt und die Natur zeigt sich mit einem Blütenmeer in den schönsten Farben. Wohin also soll die Reise gehen, um die besten Momente dieser Jahreszeit nicht zu verpassen? Die Gegend um Klein Skal? Zum südlichen Jeschkenkamm? - um einmal die unserer Meinung nach lockendsten Ziele zu nennen, die uns gerade einfallen. Da wir im letzten Jahr in der Gegend um Straußnitz (Stružnice) viele Blütenteppiche gesehen haben, entscheiden wir uns kurzerhand für eine Wanderung um den Schossenberg (Radečský kopec). Und wir liegen goldrichtig!
In Wolfersdorf (Volfartice) beginnen wir unsere Wanderung. Wolfersdorf liegt in einem lieblichen Höhental, welches in seiner ganzen Länge vom Wolfersdorfer Bach durchflossen wird. Von den Höhen um das Dorf ist die stattliche Kirche von Peter und Paul gut zu erkennen. Hier beginnen wir mit einem Rundgang über den Friedhof unsere Wanderung, nach alten Gräbern Ausschau haltend. Die Kirche ist eingerüstet. Sie wird gerade restauriert (zumindest die Fassade). Da fragt sich doch der Deutsche, ob die Tschechen den letzten Schuss nicht gehört haben. Schließlich steht der Russe vor der Tür. Da wird der letzte Taler schließlich besser in die Kriegsertüchtigung investiert. Vielleicht ist die Erinnerung des Nachbarvolks an den letzten entsetzlichen Krieg doch noch nicht so verblasst, wie hierzulande. Es finden sich immer wieder Gründe, warum wir uns den Tschechen so ziemlich nah fühlen. Und dazu natürlich die Landschaft, wovon wir heute reichlich eingeschenkt bekommen.
Anfangs wandern wir ein Stück auf dem herrlichen Orgelradweg, der sich von Böhmisch Leipa auf einer alten Bahntrasse am Talrand nach Steinschönau hinaufschlängelt, eine Genusstour für jeden Radler. Dann wechseln wir die Talseite und wandern hinauf zum Steinberg (Kamenec). Unerwartet prächtige Aussichten erwarten uns an seinen Lehnen, zunächst in Richtung Hochwald (Hvozd), den Bürgsteiner (Sloup) Bergen, dem Roll, dem Urteilsberg (Ortel) bis hin zu den Bösigen (Bezdězy), je nach Standpunkt des Betrachters. Von der Nordflanke überschaut man Wolfersdorf. Dieses Panorama kann nicht besser zur Geltung kommen als heute: ringsum das unwirklich frische Grün der Wiesen und die jungen Blätter an den Bäumen. Hecken und Obstbäume blühen im Überschwang, man weiß nicht recht, wohin das Auge zuerst schauen soll. An einer Lichtung des Straußnitzer Berges (Stružnický vrch) setzt sich das Schauspiel fort.Wir nutzen dies für eine Rast. Beim folgenden Abstieg nach Straußnitz fällt der Blick auf das Koselmassiv (Kozel) und Kühnels Berg (Modry vrch), ebenfalls umgeben von grünen Wiesen. Bei einem Mittagsschmaus in Straußnitz verarbeiten wir die ersten großartigen Eindrücke.
Der Rückweg wird sich als nicht weniger ergiebig erweisen. Über Weideland wandern wir stetig ansteigend an der Flanke des Schossendorfer Berges hinauf nach Schossendorf (Radeč). Üppig blühen auch hier die Hecken und Sträucher. Über dem Tal erscheinen nun die Höhen des Böhmischen Mittelgebirges mit der Gegend um die Rabensteiner Höhe (Havraní vrch). Die Häuser von Schossendorf schmiegen sich einerseits an die Lehne des Schossenberges, andererseits an den Hof Berg (Dvorský kopec). Das Dorf, „das sich längs des im Orte selbst entspringenden Hofebaches zw. Hof- u. Schossenberg inmitten eines wahren Waldes von Obstbäumen hinaufzieht. Ein Teil der Bewohner beschäftigt sich mit Feldbau, der größte Teil aber mit der Drechslerei, Siebmacherei u. der Erzeugung anderer Drahtgewebe; im Sommer unternehmen sie weite Reisen, um ihre Erzeugnisse u. auch andere Handelsware (Kleesamen, Holzwaren) an Mann zu bringen; dabei bedienen sie sich einer nur für Eingeweihte verständlichen Geschäftssprache. Der Ort, welcher im 14. Jahrh. Radesch hieß, lag 1455 verödet; später bildete er ein eigenes Gut (1655 saß hier Wolf v. Weißenbach), dessen Meierhof seit langer Zeit schon emphyteutisiert (?) ist.“ (Hantschel)
Die Obstbäume haben die Zeiten überdauert und blühen wie wild, so dass das Tal von einem Blütenteppich überzogen ist. Dieser Garten zieht aber auch andere Geschöpfe an, die durch die schwatzhafte Meute der Wanderer häufig gar nicht wahrgenommen wird
„Ein zahlloses Heer von Singvögeln belebt unsere Gärten, Wälder und Felder. Das jubilirt und musicirt, ruft, lockt und zwitschert, hämmert, schlägt, singt und trillert vom Tagesgrauen bis in die Nacht hinein! Wie leicht und froh hebt sich die Brust bei diesem lieblichen, herrlichen Concerte, das die gefiederten Sänger ohne Sucht nach Ruhm, Ehre und Applaus in dem heiligen Gottesdome aufführen.
Geh' hinaus, Städter, in des Waldes Hallen, athme der Vögel würzige Luft, lausche ihrem Gesange und du wirst bald des Lebens Müh' und Sorgen vergessen haben und fröhlich und heiter wieder deinen Alltagsgeschäften nachgehen.
Unser Ort kann im wahren Sinne des Wortes eine Vogelherberge genannt werden. Zwischen dem Schossen- und Jahnelberge, an deren Saum man in ungefähr fünf Minuten gelangen kann, befinden sich unsere 109 Häuser mit ihren 10.335 Obstbäumen, die mit einer Menge von Nistkästchen behängt sind.
Ein schmales Bächlein, das mitten im Orte entspringt, schlängelt sich silberhell durch das Dorf, und sind die an seinen Ufern gepflanzten Erlen, Pappeln und Birken ein rechter Tummelplatz für unsere kleinen Freunde.“ („Die Vögel in und um Schossendorf“, Raimund Maras, Mittheilungen des NEC)
In zwanzig Minuten, sagt Hantschel, gelangt man von Schossendorf nach Wolfersdorf. Wir aber legen noch einen kleinen Abstecher zu dem uns bereits bekannten, unscheinbaren Hungerhübel ein (Hladový kopec), der kaum in irgendeiner Beschreibung vorkommt. Nur geologische Spezialliteratur beschreibt die Besonderheiten dieses Ortes, was den Leser kaum interessieren dürfte. Dabei besitzt der Hungerhübel ein Aussichtspotential, welches die Wanderfreunde einstimmig zu einer letzten Rast verleitet. Besonders hübsch sind die Ansichten der Rollgegend (Ralsko) und über das Wolfersdorfer Tal hinauf bis Neu Ullrichstal (Nový Oldřichov) und Meistersdorf (Mistrovice). Beim Abgang zurück nach Wolfersdorf begegnen uns Einheimische, die dem Gipfel entgegen streben uns sich darüber wundern dürften, wie Fremdlinge sich auf diesen aussichtsreichen Hügel verirren konnten.
Die GPS-Daten zu dieser Tour findet man hier.